Interview mit Marie-Theres Thiell, Mitglied im Kuratorium der Uni-Stiftung Miskolc
Wie im Vorstand eines Unternehmens
Wir unterhielten uns über ihre Tätigkeit im Kuratorium, ihre Motivation dabei, aber auch über die Vorwürfe, die Brüssel gegenüber dem neuen Trägermodell vieler ungarischer Universitäten erhebt.
Was hatte Sie dazu motiviert, die Uni Miskolc durch eine Mitarbeit in deren Kuratorium zu unterstützen?
Ich war 15 Jahre Vorstand und bis 2020 Vorstandsvorsitzende der Stromversorgungsgesellschaft ÉMÁSZ in Miskolc und kenne die Region, der ich auch heute noch sehr verbunden bin. Als junge Juristin war ich 1997 zum ersten Mal in Miskolc und übte für RWE als meinem damaligen Arbeitgeber die Stimmrechte in der Hauptversammlung der ÉMÁSZ aus, die damals übrigens in der Aula der Universität stattfand. Also „back to the roots” – heute arbeite ich im Kuratorium eben dieser Universität.
Wer sitzt mit Ihnen zusammen im Kuratorium?
Meine Kollegen sind neben Justizministerin Judit Varga, die das Kuratorium leitet, Erika Kovács von der Nationalbank, László Fükő von Bosch und Pál Veres, der parteilose Oberbürgermeister der Stadt Miskolc. Erika ist unsere Finanzexpertin und eine sehr gute Juristin, László ist bei allen Controlling-Themen sehr kompetent und Pál vertritt die lokalen Belange. Als vormaliger Pädagoge unterstützt er die Arbeit der Stiftung auch mit Expertise auf diesem Gebiet. Ich selbst bin für die Beziehungen zur Wirtschaft und internationale Belange zuständig. Zudem vertrete ich die Stiftung in der Gesellschaftsversammlung des Stahlwerkes in Ózd, an dem die Stiftung mit 20 Prozent beteiligt ist. Keine ganz einfache Aufgabe in diesen Zeiten – Stichwort Energiekostenexplosion. Wir sind als Kuratorium ein prima Team, ergänzen uns und arbeiten gern zusammen.

Was sind die Aufgaben des Kuratoriums?
Unser Ziel ist es unter anderem, die Ausbildung an der Universität auf die Bedürfnisse der Wirtschaft auszurichten. Die jungen Leute in der Region sollen die Möglichkeit erhalten, in ihrer Region zu studieren und später dort auch einen Job zu finden. Gleichzeitig ist die Universität ein Wirtschaftsfaktor in der Region. Weiterhin wollen wir die Universität für möglichst viele Studenten – auch aus dem Ausland – attraktiv machen. Die englische Sprache und englischsprachige Lehrangebote werden an der Universität sehr gefördert.
Wir tagen monatlich einmal, jeweils etwa 5 bis 6 Stunden. In der Regel finden diese Sitzungen online statt. Gelegentlich treffen wir uns aber auch persönlich, etwa beim Strategieworkshop mit dem Management der Universität im September letzten Jahres in Sárospatak oder zur Jahresabschlusssitzung letztes Jahr kurz vor Weihnachten. Zwischen unseren monatlichen Sitzungen gibt es permanent Abstimmungen via E-Mail, um die Arbeit der Universität zu unterstützen, wenn eine rasche Entscheidungsfindung erforderlich ist.
Was konnte das Kuratorium bisher erreichen?
Wir haben an der Universität ein System von Wirtschaftsplan, Prognosen und Ist-Zahlen implementiert, die Vergütungsstruktur mit dem Hay-System überprüft und moderne Formen der Kommunikation, etwa über YouTube und LinkedIn, eingeführt. Auch ein Projektmanagement für die zahlreichen Aktivitäten der einzelnen Fakultäten wurde etabliert. Außerdem haben wir eine Strategie zur Internationalisierung der Universität erarbeitet.
Aus den Dividenden von Seiten des Stahlwerks Ózd haben wir an der Universität ein Steel Tech Center gegründet, wo Studenten auf Basis von Stipendien an für die Stahlindustrie massgeblichen Themen forschen. Ein Modell, dessen Einrichtung viel Kraft kostete, da es so etwas bisher noch nicht gab.
Ein Projekt, dem ich mich besonders widme, ist das „Green and Smart Forum Miskolc“ im Mai 2023. Das ist eine, nach einem Muster aus meiner Heimat Westfalen initiierte Nachhaltigkeitskonferenz, um das Netzwerken zwischen der Universität und der Wirtschaft zu unterstützen.
Wie man also leicht erkennen kann: Wir beschäftigen uns mit einer Fülle an Themen, die auch der Vorstand eines Unternehmens auf seiner Agenda haben könnte.
Konkret um welche Themen ging es bei Ihrer letzten Sitzung?
Auf der Agenda der Januar-Sitzung standen viele Themen, die für den Jahresanfang typisch sind. Wir haben zahlreiche Berichte verschiedener Bereiche abgesegnet, so etwa den Bericht des Auditors. Wir besprachen uns aber auch zum Stand laufender Beschaffungs- und juristischer Verfahren.
In der Sitzung vor Weihnachten verabschiedeten wir den Wirtschaftsplan 2023 final, nachdem wir diesen vorher in mehreren Sitzungen diskutiert hatten. Es war ein Paket an Effizienzmaßnahmen notwendig, um auf die steigenden Energiekosten, die natürlich auch die Universität treffen, zu reagieren. Wie schon mehrfach, so war auch bei dieser Sitzung wieder das zahlenmäßige Verhältnis von Lehr- und Verwaltungspersonal unser Thema. Wir streben an, es zugunsten der Kernfunktion der Universität, also von Lehre und Forschung zu verbessern.
Spielte auf Ihren bisherigen Sitzungen auch (Partei-)Politik eine Rolle?
Nein, noch nie.
Und wie sieht es mit Justizministerin Judit Varga aus?
Judit Varga ist in Miskolc geboren, ihre Eltern leben dort. Sie ist Absolventin der Universität Miskolc. Sie ist also ein echtes „Kind der Region“. Sie arbeitet mit dem Wunsch, Gutes für die Region zu bewirken und diese zu entwickeln, im Kuratorium mit. So erlebe ich sie dort. Als echte Lokalpatriotin! Die Sitzungen leitet sie übrigens sehr professionell, effizient und zielorientiert, aber in einer so angenehmen Art und Weise, dass alle mit Freude und Elan dabei sind und die Sitzungen nie als unangenehme Belastung wahrnehmen.
Etliche hochrangige Regierungsmitglieder sitzen in diversen Uni-Kuratorien. Warum?
Auf diese Weise wird ein sehr guter Informationsfluss in beide Richtungen sichergestellt, was nur zum Vorteil der Universitäten gereichen kann.
Von Kritikern werden die Kuratorien gerne als reine Transmissionsriemen zwischen dem Fidesz und den jeweiligen Universitäten beschrieben. Konnten Sie konkret bei Ihrem Kuratorium Anhaltspunkte für diesen Vorwurf finden?
Nein, in keinerlei Weise. Und wenn es so wäre, stünde ich dafür nicht zur Verfügung. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht wirklich zu beeinflussen bin, und nur aus meiner eigenen Überzeugung handele. Würde das Kuratorium für das Durchdrücken einer politischen Agenda missbraucht, dann würde ich meine Position sofort niederlegen.
Kritiker behaupten weiterhin, dass das neue Trägermodell die akademische Freiheit der ungarischen Universitäten einschränken würde. Wie sieht das konkret bei der Uni Miskolc aus?
Noch nie haben wir die akademische Freiheit beschränkt. Keiner der Professoren ist nach dem Modellwechsel ausgetauscht worden. Wir versuchen vielmehr, eine schnellere Entscheidungsfindung herbeizuführen, was dem Uni-Betrieb sehr zugutekommt, nicht zuletzt, wenn es darum geht, Kooperationen mit anderen Lehreinrichtungen oder der Wirtschaft einzugehen.
Haben Sie Kenntnis, wie es an anderen ungarischen Unis zugeht?
Bei den Unis, bei denen ich etwas Einblick habe, läuft es ganz ähnlich wie bei uns.
