Verarbeitendes Gewerbe
Vom Lohnvorsprung der Batteriewerke
Der CEO der staatlichen Investitionsagentur HIPA, István Joó, ließ eine unglaublich anmutende Zahl „gucken“: Demnach verdienen die Arbeitnehmer in den Batteriewerken gut 300.000 Forint im Monat mehr als die Mitarbeiter anderer Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes.
Damit wollte Joó seinem Gesprächspartner von den Sozialisten den Wind aus den Segeln nehmen, bei all ihrer Kritik an der schmutzigen Batteriezellfertigung vergesse die Opposition, wie gut die ungarischen Arbeitnehmer mit den Investoren aus dem Fernen Osten fahren. Die hohen Löhne würden dem Mythos vom Billiglohnland und der Behauptung widersprechen, der von der Orbán-Regierung forcierte Übergang zur Elektromobilität sei von einer bescheidenen Wertschöpfung geprägt.
Höhere Wertschöpfung erlaubt höheren Lohn
Der frühere (Chemie-) Gewerkschafter und heutige MSZP-Vize Imre Komjáthi erklärte, im Gegensatz zu den Grünen seien die Sozialisten für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für die Ansiedlung neuer Industriebetriebe im Lande. Die entscheidende Frage sei jedoch, dass Ungarn nicht im Status einer „verlängerten Werkbank“ verharren dürfe. Joó pflichtete ihm bei und belegte seine Aussage, die Batteriewerke bedeuteten die Zukunft, mit der Zahl von durchschnittlich 830.000 Forint (2.075 Euro). So viel würden Arbeitnehmer (brutto, was er versäumte hinzuzufügen) in den Fabriken von Samsung SDI, SK On und den anderen verdienen. Zum Vergleich nannte der HIPA-Chef den Durchschnittslohn von 530.000 Forint, den Arbeitnehmer „anderswo“ verdienen. (Für Büro- und Ingenieurstätigkeiten würden hier 1,2 Mio. Forint pro Monat, anderswo rund 900.000 Forint gezahlt, lautete die zweite Parallele.) Die Wertschöpfung in den Batteriewerken erreiche Joó zufolge sogar das Dreifache des Standards im verarbeitenden Gewerbe.
Kaum Auflagen, lächerliche Sanktionen
Komjáthi hielt dagegen, dass die Regierung im Arbeitsschutz alle Regeln zu Gunsten der Multis aufweiche. Die Umweltauflagen seien mit dermaßen lächerlichen Sanktionen gepaart, dass die Investoren eher darauf pfeifen, als sich an die Regeln zu halten. In einem solchen Umfeld sei selbst ein höherer Lohn noch zu wenig – das Unternehmen spare halt an anderen Positionen. In den großen Werken der Investoren aus Fernost gebe es keine (nennenswerten) Gewerkschaften. Dazu meinte der HIPA-Chef, die Behörden würden ihre Kontrollfunktionen ernst nehmen, wie die Schließung eines Recyclingbetriebs für Altbatterien gezeigt habe.
Unsere Sicht:
Der MSZP-Politiker führte in der Debatte korrekt an, dass ein Bruttolohn eine relative Größe sei. Er verwies auch auf das aufgeweichte AGB, unterließ aber den Hinweis, die in die Debatte eingeworfenen 830.000 Forint brutto erzielen die Mitarbeiter tatsächlich nur mit extremen Überstunden. So kommt es laut unseren Informanten aus den Werken regelmäßig zu aufeinanderfolgenden 12-Stunden-Schichten ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandszeiten, ohne Rücksicht auf Ruhezeiten. Mit Arbeit im Akkord können die Arbeitnehmer der Werke in den charakteristisch strukturschwachen Gegenden in der Tat außergewöhnlich hohe Löhne einstreichen. Das geht aber zu Lasten ihrer Gesundheit und dürfte in Zeiten der globalen Nachfrageflaute für Elektroautos schon bald nur mehr Theorie sein.