Historisches Tief
Vierhundert Forint für einen Euro
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Die heimische Währung kann sich nicht länger hinter der Region oder den aufstrebenden Märkten verstecken – die Spekulanten wetten eindeutig gegen den Forint.
Als Ende Februar der Krieg in der Ukraine ausbrach, bewegte sich der Kurs um 370 HUF/EUR. Unter der wachsenden Verunsicherung der Märkte litt der Forint so stark, dass Anfang März erstmals eine Spitze knapp unter 400 Einheiten markiert wurde. Im März-April stabilisierte sich das Niveau jedoch wieder in einem Band von 370-380 HUF/EUR. Schien der eindeutige Wahlausgang den Forint eher zu stabilisieren, verlor dieser im Mai, in den Tagen der Regierungsbildung, bereits schleichend an Wert. Anfang Juni gelang letztmalig eine kurzzeitige Korrektur zurück unter 390. Am Montag wurde ein neues Rekordtief auf 402,96 HUF/EUR erfasst. Die nächste Widerstandslinie liegt erst bei 414 HUF/EUR. Auch im Dollarhandel wurde mit 386,53 HUF/USD ein neues Tief verzeichnet. Seit Jahresbeginn hat der Forint knapp 10% gegen den Euro und doppelt so viel an Wert gegen den Dollar verloren.
Seit Mai driften die Regionalwährungen auseinander
Zwar erreichte die internationale Stimmungslage am Montag allgemein einen neuen Tiefpunkt: Die Börsenkurse purzelten weltweit, in Budapest z. B. um 2,5%. In einer solchen Lage erstarkt der Dollar als Zufluchtswährung, was automatisch gegen den Forint arbeitet. Dennoch hat sich eines markant geändert in den vergangenen Wochen. Zu Kriegsbeginn bewegten sich die Regionalwährungen ungefähr gleichermaßen, seit Mai driften diese Kurse auseinander. Tschechische Krone und polnischer Zloty halten sich seither weitgehend stabil gegenüber dem Euro, der Forint aber wurde zur zweiten Währung neben der türkischen Lira, die von den Anlegern abgestraft wird.
Unsere Meinung
Was sind die Gründe für das schlechte Abschneiden des Forint? Wir würden an erster Stelle die weitreichende Gleichgültigkeit der Ungarischen Nationalbank (MNB) benennen, die in vielen Verlautbarungen den Eindruck macht, die schwache Währung schere sie nicht. Aus Hintergrundgesprächen kristallisiert sich heraus, die MNB sorge sich zuallererst um die Konjunktur, die sie nicht mit „übertriebenen“ Zinserhöhungen unnötig abwürgen will.
Zudem weiß man nicht, wohin mit den „Leichen im Keller“, wenn zur Jahresmitte etwa das Kreditmoratorium und weitere Maßnahmen zum Schutz der besonders anfälligen Kreditnehmer aufgehoben werden. Mit dieser Haltung im Rücken kommunizierte die MNB, das Tempo der Zinsanhebungen zu halbieren, was Ende Mai tatsächlich geschah. Dabei wurde der Leitzins nur noch um 50 an Stelle von 100 Basispunkten (auf 5,9%) angehoben, der aktuell maßgebliche Einlagesatz aber nur noch um 30 Basispunkte (auf 6,75%). Zur gleichen Zeit hob die Notenbank in Warschau den eigenen Leitzins um 75 Basispunkte auf 6,0% an – Ungarns Vorsprung schmilzt also auch hier.

Der Vergleich mit Polen ist aus dem zweiten Grund angebracht, der hinter der Forint-Schwäche gesehen werden muss. In Warschau und in Budapest sind seit Jahren nationalkonservative Regierungen im Amt, die sich mit Brüssel überworfen haben. Der Ukraine-Krieg brachte jedoch eine Neuordnung der Verhältnisse: Polen bietet sich als Bastion gegen den neuen Erzfeind Russland an, trägt nicht zuletzt die größten Lasten bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge und lenkt im Rechtsstaatsstreit ein. Ungarn hingegen bremst die Sanktionen aus und rückt keinen Zentimeter von der konfrontativen Position gegenüber den EU-Institutionen ab.
So wie die Chancen auf eine Einigung um die Gelder des Wiederaufbaufonds noch in diesem Jahr schwinden, schwindet auch die Geduld der Märkte. Erste Ratingagenturen bereiten eine Rückstufung der ungarischen Bonität vor. In dieser Lage baut die Orbán-Regierung sicher kein Vertrauen auf, wenn sie Sondersteuern von elementarer Wucht verhängt und ganze Wirtschaftszweige zu „Übergewinnlern“ erklärt. Im Angesicht dieser marktfeindlichen Schritte verpufft die Kommunikation einer gestrengen Haushaltspolitik. Zumal diese aus der Not geboren erscheint, also nicht glaubwürdig vermittelt werden kann, dass der Staat nun nachhaltig sparen will und nicht in Zukunft nach Belieben weitere Sondersteuern auflegt.
Die Orbán-Regierung muss trotz Preisstopp-Maßnahmen mit einer Rekordinflation, einem wegen der ausbleibenden EU-Transfers klammen Haushalt und sehr wahrscheinlich auf mittlere Sicht mit einem Zwillingsdefizit fertigwerden, weil auch die Zahlungsbilanz kippt. Die PR-Maschinerie sollte den Bürgern einreden, sie würden vor den Auswirkungen und den Kosten des Ukraine-Kriegs bewahrt. Mit dem Rekordtief des Forint wird sich diese These schwieriger halten lassen.