Löhne
„Schwindel“ fliegt nun auf
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Das Zentralamt für Statistik (KSH) musste den neuesten Zahlen der ohnehin mit Makeln behafteten Lohnstatistik weitere Erklärungen anfügen. Im Februar stieg der durchschnittliche Bruttolohn in der Volkswirtschaft auf 531.000 Forint. Im Januar wurden 528.000 Forint als Durchschnittslohn für Vollzeitbeschäftigte ausgewiesen, so dass sich der Lohnanstieg scheinbar fortsetzte. Das trifft auch im Jahresvergleich zu; das Problem ist nur, dass sich hier der Anstieg auf magere 0,8% beschränkt. Im Januar lag der Anstieg im Jahresvergleich noch bei 16%.
Absurde Zahlenspiele
Vor einem Jahr schüttete die Regierung im Vorfeld der Parlamentswahlen ein sog. sechsmonatiges „Waffengeld“ an Soldaten und Polizisten aus. Statt diese einmalige Prämienzahlung auf sechs oder gar zwölf Monate zu verteilen, stellte das KSH den Sondereffekt auf einen Schlag in die monatliche Lohnstatistik ein. Mit dem bizarren Ergebnis, dass im gesamten Verwaltungssektor im vergangenen Februar ein Durchschnittslohn von brutto 1.370.000 Forint erzielt wurde. Bei den Beschäftigten im ITK-Sektor der Spitzenverdiener Ungarns waren es zur gleichen Zeit 765.000 Forint, im hochdotierten Finanzsektor 715.000 Forint.
Die ganze Absurdität dieses Zahlenspiels zeigt sich ein Jahr danach, da die Löhne im Verwaltungssektor bei 590.000 Forint „angekommen“ sind. Als hätten sich die Bruttolöhne der Staatsdiener halbiert. Im Übrigen wird in der Verwaltung auch ohne Sonderprämien noch heute besser gezahlt, als beispielsweise im verarbeitenden Gewerbe (brutto 560.000 Forint im Monat) oder in der Logistik (500.000 Forint). Das trifft aber auch für den so verpönten Sektor des Gesundheitswesens zu, wo die Durchschnittslöhne bei brutto 585.000 Forint angekommen sein sollen. Dabei ist sogar das extrem unterbezahlte Sozialwesen in dieser Gruppe enthalten; für den satten Durchschnitt sorgen die mittlerweile durch die Orbán-Regierung deutlich besser gestellten Ärzte. Am Mittwoch hielt das Innenministerium aber auch für die Pfleger eine gute Nachricht bereit: Ab Juli sollen ihre Grundlöhne einheitlich um 18% steigen. Das betrifft 85.000 Beschäftigte. Weitere 25.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die Bürotätigkeiten versehen, erhalten demnach ebenfalls 18% mehr Lohn – für diese Maßnahmen hatte die Regierung rund 50 Mrd. Forint im diesjährigen Staatshaushalt vorgesehen.
Reallöhne um ein Fünftel abgestürzt!
Das KSH nutzte das Jubiläum des Waffengeldes, um darauf hinzuweisen, dass die Bruttolöhne im Februar 2023 ohne diesen Effekt dynamischer gestiegen seien. Man kann die Logik aber auch umdrehen und behaupten, die Löhne sind in all den letzten Monaten ohne den besagten Effekt für die breite Masse der Arbeitnehmer weit weniger gestiegen, als von der Regierung behauptet. Neben der reichlich unsinnigen Berechnung des Bruttodurchschnittslohns ermittelt das KSH seit geraumer Zeit schon den Durchschnittswert der „regelmäßigen“ Bezüge, wo keinerlei Sonderausschüttungen wie Prämien Berücksichtigung finden. Dieser Bruttolohn erreichte im Februar landesweit 505.000 Forint. Das entspricht im Jahresvergleich einem Anstieg um 17,5%, wobei die Wettbewerbssphäre seither sogar 19% (auf 510.000 Forint) draufpackte und der öffentliche Dienst mit einem Plus von 13% (auf 485.000 Forint) wieder zurückblieb. Der Medianlohn legte derweil um 16,5% auf brutto 425.000 Forint zu. Netto sollen die Ungarn im Median (also ohne extreme Ausreißer oben wie unten) im Februar 295.000 Forint mit nach Hause gebracht haben.
Die nächste Erklärung musste das KSH der Reallohnstatistik zufügen. Die Reallöhne sind im Februar offiziell um 19,6% (!) abgestürzt. Dabei soll der Effekt des Waffengeldes alleine beinahe zwölf Prozentpunkte ausmachen. In der offiziellen Statistik schrumpft der Reallohn nun bereits seit September: aus anfänglich rund 2% wurden im Dezember 5% und im Januar 7,6%. So wie das KSH nun das Waffengeld „zurückrechnet“, hätten die Einbußen beim Reallohn auf Volkswirtschaftsebene im Februar 2023 zum Vorjahr 7,8% erreicht. Das hätte also nach den Januar-Zahlen Stagnation auf hohem Niveau bedeutet.
Der reine Nettolohn lag im Januar und Februar nur noch um 8% über Vorjahresniveau. Das nimmt sich bei einer mittleren Inflationsrate von 25,5% nicht eben üppig aus.
