Rüstung
NATO-Vorgaben im Visier
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„Ein Feuerwehrauto kauft man nicht, wenn es bereits brennt“, sagte uns der sicherheitspolitische Experte József Kis-Benedek in Verbindung mit den jüngsten Rüstungskäufen. Auch wenn wir heute Friedenszeiten erleben, müsse mit allen Szenarien gerechnet werden. Ein Blick auf die Weltkarte bewaffneter Konflikte genügt: Da wären die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland, der brodelnde Nahe Osten oder aber der Umstand, dass die Regionen Polen, Tschechien und Rumänen bei der Modernisierung ihrer Streitkräfte schon viel weiter sind. Obendrein wird ein moderner Krieg nicht mit der Technik des Kalten Krieges ausgefochten, wie sie in Ungarn noch heute dominiert. Es ist also an der Zeit aufzuschließen. Die Regierung nimmt diese Aufgabe allem Anschein nach sehr ernst.
Imposante Ankündigungen auf dem Gebiet der Rüstung
Der Experte verweist auf die Aspekte, dass die kompletten ungarischen Streitkräfte vernachlässigt wurden, dass unter dem Deckmantel der Rationalisierung in Wirklichkeit Ressourcen abgebaut wurden, und dass die Jahrzehnte seit der Wende nur sehr bescheidene Modernisierungsschritte erlebten. Das von der Orbán-Regierung verkündete Programm „Zrínyi 2026“ ist eine positive Initiative, weil nicht länger nur geredet wird, sondern konkrete Beschlüsse die Umsetzung vorantreiben.
Das 2017 auf den Weg gebrachte, auf zehn Jahre ausgelegte Programm kann längst auf erste Erfolge verweisen. Man denke nur an die Transportmaschinen und Helikopter aus dem Hause Airbus, das Anlaufen einer eigenen Produktion von Handfeuerwaffen auf der Grundlage einer tschechischen Lizenz, die Übernahme des österreichischen Waffenherstellers Hirtenberger Defence Systems oder an die in diesen Tagen und Wochen aus Deutschland eintreffenden Leopard-Kampfpanzer. Und wer hätte vor Jahren zu träumen gewagt, dass Ungarn einmal eine Fabrik für Militärflugzeuge kaufen wird? – Mit der Übernahme der tschechischen Aero Vodochody ist auch das in der Zwischenzeit geschehen.
Die Ankündigungen der letzten Monate waren besonders imposant. Von den USA bezieht die Ungarische Armee Komponenten eines Flugabwehr-Raketensystems; eine entsprechende Absichtserklärung über das auf 1 Milliarde Dollar veranschlagte Rüstungsgeschäft unterzeichnete Verteidigungsminister Tibor Benkő Mitte August in Budapest mit dem US-Botschafter in Ungarn, David Cornstein. Wie die US-Botschaft dazu mitteilte, habe sich Ungarn verpflichtet, mit den USA bei der Beschaffung von AMRAAM-Raketen der US-Firma Raytheon Technologies zu kooperieren. Mit diesem Geschäft kann die ungarischer Armee endlich die noch aus Sowjet-Zeiten verbliebenen Kub-Raketen ablösen. Das neue NATO-kompatible Luftabwehrsystem kann den Schutz des ungarischen Luftraums gegen Flugzeuge, Raketen und Drohnen garantieren. Das von den Amerikanern gemeinsam mit Norwegen entwickelte System ist modular aufgebaut, weshalb es sich gut weiterentwickeln und mit anderen Abwehrsystemen kombinieren lässt.
Schützenpanzer für die ganze Welt
Hier kann man getrost auch von einem diplomatischen Erfolg sprechen, weil die ohnehin ausgezeichnete Kooperation der beiden Länder in Sicherheitsfragen durch diesen Geschäftsabschluss weiter vertieft wird. Denn die Größenordnung der Transaktion findet selbst in den USA Beachtung und erlaubt deshalb, die politischen Beziehungen zu ölen.
Die Zusage Ungarns an die NATO, eine spezielle Infanteriebrigade aufzustellen, wird durch die Beschaffung deutscher Kampfpanzer und eine neue Vereinbarung mit einem der größten Rüstungskonzerne, der Rheinmetall AG, mit Leben erfüllt. Diese Vereinbarung sieht die Gründung eines deutsch-ungarischen Gemeinschaftsunternehmens in Zalaegerszeg vor. In dem neu entstehenden Werk werden künftig die meisten der durch Ungarn georderten, weit über zweihundert Schützenpanzer vom Typ KF41 Lynx gebaut. Es handelt sich um Fertigungskapazitäten eines Kalibers, die sich auf die gesamte ungarische Volkswirtschaft auswirken. Die hierzulande gebauten Schützenpanzer können in alle Länder der Welt exportiert werden – sogar in die Vereinigten Staaten. Die Verteidigungsindustrie hält ein enormes Potenzial bereit, das dem Land einen Innovationsschub ungeahnter Ausmaße bescheren kann.
Das trifft genauso auf die Investition der französisch-deutschen Airbus-Gruppe zu. Die Ungarische Armee bezieht nicht nur Helikopter und Transportmaschinen von dem Konzern. Die Tochtergesellschaft Airbus Helicopters Hungary Kft. errichtet bis 2022 ein Werk in Gyula, in dem Präzisionsteile für Militärhubschrauber gefertigt werden sollen. Zweitausend verschiedene Bauteile, die eine hohe Wertschöpfung verkörpern. Mit diesem Werk erhält die Industrieentwicklung im Südosten des Landes neuen Auftrieb. Erst recht, weil der Staat die Investition nicht nur fördert, sondern an dem Unternehmen, das von Anbeginn zweihundert hochqualifizierte Arbeitskräfte beschäftigen wird, zugleich als Inhaber partizipiert.
NATO-Vorgabe soll bis 2024 erreicht werden
Wie all die aufgezählten Geschäftsabschlüsse erahnen lassen, macht auch das ungarische Verteidigungsbudget einen dynamischen Wandel durch. Belief es sich 2017, im ersten Jahr des Zrínyi-Programms, auf 353 Mrd. Forint, waren es im Jahr darauf schon 430 und im vergangenen Jahr 512 Mrd. Forint, die im laufenden Jahr weiter auf 616 Mrd. Forint aufgestockt wurden. Im Haushaltsplan 2021 sind bereits 778 Mrd. Forint für Verteidigungszwecke vorgesehen. Damit nähert sich Ungarn Schritt für Schritt der Erfüllung der durch die NATO erwarteten Vorgabe an. Diese sehen vor, zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt für die Rüstung zu verwenden. Nach dem jetzigen Fahrplan soll dieses Ziel 2024 erreicht sein. Das Gesamtbudget des Zrínyi-Plans über zehn Jahre hinweg umfasst derweil 3.500 Mrd. Forint. Von diesem Geld sollen dreißig Prozent in die Modernisierung der Streitkräfte fließen.
Aus dem Ungarischen von Rainer Ackermann.
Der hier leicht gekürzte und zugleich aktualisierte Artikel erschien zuerst im konservativen Wochenmagazin Figyelő.