Die MTI-Graphik zeigt die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts seit 2010 (Veränderung in %, oben zum Vorjahr, unten zum jeweiligen Vorjahresquartal).

BIP

Rezession abgewehrt

In den ersten neun Monaten ist die Wirtschaftsleistung insgesamt um 1,2% geschrumpft, im III. Quartal zum Vorquartal aber bereits um 0,9% gewachsen.

Das Zentralamt für Statistik (KSH) hat die Vorabzahlen bestätigt, wonach die Wirtschaft im III. Quartal – nach drei Monaten der Stagnation im II. Quartal – erstmals wieder wachsen konnte (+0,9% im Quartalsvergleich). Im Jahresvergleich verringerte sich der Abstieg (nach -1,1% im ersten und -2,2% im zweiten Vierteljahr) auf -0,3%. Über die ersten neun Monate des Jahres hinweg ergibt dies einen Rückgang um 1,2%, so dass Ungarn 2023 insgesamt eine negative Wachstumszahl vorlegen wird.

Brutale Korrektur auf den Feldern

Die detaillierten Angaben des KSH zeigen, dass die Industrie im III. Quartal weiterhin leidet (-5,4% im Jahresvergleich). Ihr Abstieg hält bereits im vierten Quartal in Folge an. Dahinter steht hauptsächlich der Energiesektor, während sich das verarbeitende Gewerbe (-4,1%) dank Automobilindustrie besser hält. Dabei leiden dort Nahrungsmittelindustrie sowie die Reifen-, Kunststoff- und Baustoffbranche erheblich. Derweil wirken die Zahlen des Baugewerbes (-1,6%) angesichts der Krise im Wohnungsbau ausgesprochen robust.

Warum im Herbstquartal aber unterm Strich mehr Güter produziert wurden, als vor einem Jahr, haben wir der Landwirtschaft zu verdanken. Diese hat ihren Ausstoß laut KSH um sage und schreibe 88,2% zum Vorjahr zu steigern vermocht. Da sich die Erntedaten bis Ende September gut abzeichnen, konnten die Statistiker den Stift dicker als in den Vorquartalen ansetzen, wonach die Landwirtschaft ihre Leistung gegenüber dem Dürrejahr 2022 also nahezu verdoppelt hat! Diese brutale Korrektur reichte prompt aus, um die Delle von Industrie und Dienstleistungssektor beinahe vollständig auszugleichen – und das bei dem geringen Gewicht des Agrarsektors in Ungarns Volkswirtschaft. Leider vertieft sich der Abstieg im Segment der Dienstleistungen (-3,1%) derzeit erst noch. Das trifft vor allem den Handel (-11,6%) und die Logistikbranche (-8,0%).

Privatverbrauch am Boden

Der Privatverbrauch (-2,7%) zieht das BIP logischerweise auch auf der Verwendungsseite hinunter. Hier ist aber wenigstens infolge der abflauenden Inflation eine vorsichtige Erholung zu den Vorquartalen wahrzunehmen, was von den Investitionen nicht behauptet werden kann. Seit dem vorigen Sommer ist deren Wachstumsbeitrag negativ, aktuell sind es -15,7%. Die Nettoexporte steigern derweil die Wirtschaftsleistung, weil die Einfuhren zuletzt deutlicher zurückgingen, als die Ausfuhren. Dieser Effekt war im III. Quartal so stark, dass die Schwäche bei Inlandsverbrauch und Investitionen nahezu ausradiert werden konnte.

Während die Jahreszahlen noch von Rezession künden, legte die Wirtschaftsleistung gegenüber dem II. Quartal bereits wieder um 0,9% zu. Neben der Landwirtschaft (+3,4%) waren auch Bauwesen (+2,7%) und Industrie (+0,6%) wieder stärker aufgestellt, einzig der Dienstleistungssektor (-0,9%) litt stärker, als in den Vormonaten. Der Privatverbrauch stieg zum Sommer um 1,5%, die Investitionen fielen nochmals um 2,8% zurück, der Außenhandel stagnierte.

„Ohne eine einzigen Cent“

Für die ersten neun Monate des Jahres ergab sich saisonal und nach Kalendertagen bereinigt sowie gewichtet ein BIP-Rückgang um 1,2%. Für Viktor Orbán ist die Rezession des Jahres 2023 aber nunmehr „abgewehrt“. Auf einer Veranstaltung des Arbeitgeberverbandes VOSZ vor dem Wochenende schlussfolgerte der Ministerpräsident, mit der aus eigener Kraft, „ohne eine einzigen Cent“ an EU-Beihilfen geschafften Kehrtwende zurück zum Wachstum zeige Ungarn: Das Wirtschaftsleben lässt sich gestützt auf die eigenen Ressourcen und den Markt auch ohne „die in Europa gewohnten Finanztransfers“ organisieren. Bevor nun jemand kombinieren würde, Budapest betreibe fortan offen die „Abkopplung“ von Brüssel, stellte Orbán sogleich klar: „Selbstvertrauen ist gut, damit der Wirtschaftsmotor jedoch so richtig rundlaufen kann, werden wir die Milliardenbeträge, die uns Europa schuldet, schon noch eintreiben.“

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