Haushaltsentwurf für 2021
Regierung trotzt stürmischer See
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Am Dienstag reichte Finanzminister Mihály Varga den Entwurf für den Haushaltsplan 2021 im Parlament ein. Seit nunmehr sechs Jahren setzt sich die Orbán-Regierung selbst unter Zeitdruck, weil sie den Ehrgeiz besitzt, den strategischen Rahmen für Wirtschaft und Gesellschaft abzustecken, noch bevor sich die Abgeordneten in ihre Sommerpause zurückziehen. Diesen ehrgeizigen Zeitplan konnte das Finanzressort in diesem Jahr nicht hundertprozentig einhalten, denn das neuartige Coronavirus zerstört nicht nur reihenweise Existenzen und Zukunftspläne, es erschwert auch jede Vorausschau ungemein. Varga verspätete sich tatsächlich aber nur um eine Woche, denn die Regierung wollte noch einige statistische Zahlen für den Monat April abwarten. Inwieweit diese Reflexionen auf die anhaltenden Turbulenzen in das über 300 Seiten starke Papier der Haushaltsplanung Einzug halten konnten, wissen wir nicht.
Die meisten Beobachter sind sich ohnehin einig darin, dass jede langfristige Planung angesichts der virusbedingten Verwerfungen kaum das Papier wert ist, auf dem diese gedruckt wird. Natürlich will die Orbán-Regierung mit ihrem Festhalten an einer frühzeitigen Verabschiedung des Haushalts aber gerade den Zweiflern bekunden, dass sie weiter auf der Kommandobrücke steht und das Schiff sicher durch den Sturm lenken wird. „Wenn das Schiff gerettet werden muss, wirft man nicht die Passagiere über Bord, sondern die Ladung“, sagte der Finanzminister im Parlament als Erklärung, warum die Regierung nicht mit Restriktionen reagiert, sondern die helfende Hand reicht. Denn in diesem Budget gehe es in erster Linie um den Schutz der Menschen, indem Antworten auf die durch die Corona-Krise provozierten wirtschaftlichen Herausforderungen gegeben werden. In diesem Sinne hält die Regierung an ihren langfristigen Zielstellungen fest, Vollbeschäftigung zu erreichen, die Steuern und Abgaben kontinuierlich zu senken und die Familien herausragend zu unterstützen.
Mit „ausreichend“ bestanden
Die große Frage lautet, wie der Haushalt einigermaßen im Gleichgewicht gehalten werden soll, während die Wirtschaftsleistung dramatisch zurückfällt? Nach einem dynamischen Wirtschaftswachstum von 4,9 Prozent war das ungarische Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr bei 46.800 Mrd. Forint angelangt, jeder einzelne Prozentpunkt mehr oder weniger Wirtschaftsleistung schlägt also grob angesetzt mit 500 Mrd. Forint zu Buche. Für dieses Jahr rechnet die Regierung aktuell mit einer Rezession; die Wirtschaftsleistung soll laut dieser Vorausschau um drei Prozent schrumpfen. Diese Zahl befindet sich ungefähr in der Mitte der unter den gegenwärtigen Umständen verständlicherweise dramatisch auseinanderdriftenden Prognosen. Bekanntlich rechnet die Ungarische Nationalbank (MNB) unter György Matolcsy unverdrossen mit Wachstum, steht mit dieser Lageeinschätzung inzwischen aber allein auf weiter Flur. Den Pessimismus so mancher Analysten, die dem Land inmitten des globalen Abschwungs einen Absturz um sechs, sieben oder noch mehr Prozente prophezeien, will das Finanzressort aber genauso wenig teilen. Mit dem „goldenen“ Mittelweg zu planen hat nebenbei den Vorteil, sich gewissermaßen statischer Zahlen als Ausgangslage bedienen zu können.
Das BIP dürfte in diesem Jahr ungeachtet der Rezession bei 47.000 Mrd. Forint „anschlagen“. Zu laufenden Preisen weicht die Wirtschaftsleistung gegenüber 2019 in einem wieder angeheizt inflationären Umfeld in dieser Vorausschau gerade einmal um zweihundertfünfzig Milliarden Forint ab. Das Finanzministerium hätte somit gewissermaßen alles beim Alten belassen können und damit keine großen Fehler gemacht. Was im kommenden Jahr mehr verteilt werden kann, ergibt sich aber gleich aus zwei „sprudelnden“ Quellen.
Zum einen wird unterstellt, dass sich die Wirtschaft von dem Corona-Tiefschlag des Jahres 2020 schnell erholt und im kommenden Jahr wieder um 4,8 Prozent wachsen dürfte. Zu laufenden Preisen würde das BIP auf 51.000 Mrd. Forint anschwellen – ein üppiger Zuwachs um nominal viertausend Milliarden. Zum anderen reizt die Regierung die Sonderlage beim Defizit bis zum Anschlag aus. Nachdem die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten für dieses Jahr absolut freie Hand gewährte und jeder so viel Neuschulden aufnimmt, wie er zu vertragen glaubt, kehrt auch 2021 dem Vernehmen nach nur die Hälfte der Mitgliedstaaten zur fiskalischen Disziplin zurück. Ungarn gehört zu diesen Ländern, wobei das mit 2,9 Prozent am BIP angesetzte Defizitziel in der Schule einer gerade noch mit „ausreichend“ bestandenen Prüfung gerecht geworden wäre.
Wenig Reserven, viel künstliche Belebung
Das Geld soll freilich sinnvoll angelegt und nicht verprasst werden. Weil uns das SARS-CoV-2 wohl auch in den folgenden Jahren begleiten wird, definierte das Finanzressort im Haushaltsplan einen neuen Gesundheits- und Seuchenfonds mit einem Budget von 2.950 Mrd. Forint, der Fonds zum Schutz der Wirtschaft wird mit mehr als 2.500 Mrd. Forint ausgestattet. Neben diesen Größenordnungen nimmt sich die allgemeine Haushaltsreserve von 270 Mrd. Forint verschwindend klein aus, was denn auch die Kritiker auf den Plan rief. Für die Familienpolitik wiederum stehen 2.300 Mrd. Forint bereit, für Rentenleistungen sogar 3.900 Mrd. Forint.
Insgesamt sind in dem Haushaltsentwurf für 2021 Ausgaben im Volumen von annähernd 26.600 Mrd. Forint veranschlagt, nahezu zweitausend Milliarden mehr, als für das laufende Jahr. Die Neuverschuldung soll 1.700 Mrd. Forint erreichen, nachdem auf der Einnahmenseite lediglich ein (inflationärer) Zuwachs um fünfhundert Milliarden auf 24.900 Mrd. Forint einkalkuliert wird. Der Staat weitet die Budgets für Renten (+330 Mrd. Forint), Gesundheit (+150 Mrd. Forint), Bildung (+80 Mrd. Forint), für Armee (+160 Mrd. Forint) und Ordnungsorgane (+90 Mrd. Forint) aus; im Vergleich hierzu wird der Fonds zum Schutz der Wirtschaft um 1.200 Mrd. Forint aufgestockt. Die Orbán-Regierung bleibt sich treu, wenn sie Projekte wie die Bahnstrecke Budapest-Belgrad, die Erweiterung des Atomkraftwerks Paks, das Museumsviertel im Budapester Stadtwäldchen oder neue Stadien und Multifunktionshallen zur künstlichen Konjunkturbelebung vorantreibt und dafür insgesamt 2.050 Mrd. Forint bereitstellt.
Eine Fülle an Risiken
Dessen ungeachtet spricht der Finanzminister von einer eher vorsichtig bedächtigen Haushaltsplanung. So rechnet er bei den wichtigsten Einnahmen des Fiskus, ob nun von Seiten der Unternehmen oder der Bevölkerung, ob bei der Einkommen- oder der Mehrwertsteuer weitgehend mit Stillstand. Im Falle der EU-Transfers kalkuliert Varga gar mit 350 Mrd. Forint weniger. Die Staatsschulden sollen 2021 ungeachtet der Neuverschuldung wieder unter 70 Prozent sinken – um gut zweieinhalb Prozentpunkte, nachdem der langjährige Abwärtstrend in diesem Jahr ein abruptes Ende finden wird. Auch interessant: Den Forint erwartet das Finanzministerium auf schwachem Niveau konsolidiert, dessen Mittelkurs zum Euro im kommenden Jahr 356,60 ausmachen soll. Damit würde sich der Euro im Vergleich zu heute kaum noch verteuern, gemessen an 2019 aber doch um ein Zehntel. Während der Leitzins der Notenbank auf 0,9 Prozent in Stein gemeißelt scheint, wirkt ein mit 34 Dollar pro Fass angesetzter Ölpreis bedenklich.
Selbst der Budgetrat, der als Gremium der drei „Weisen“ von Seiten des Rechnungshofes und der Notenbank den Entwurf begutachten durfte, noch bevor dieser im Parlament eingereicht wurde, verwies ungewohnt intensiv auf die Fülle an Risiken. Die krisenbedingten Unsicherheiten, die heute allen Prognosen anhaften, hätten die Bildung deutlich größerer Reserven erfordert. Würde eine zweite Corona-Infektionswelle die Politik weltweit nötigen, die Wirtschaft ein zweites Mal herunterzufahren, sollten alle Pläne aber ohnehin am besten geschreddert werden.
Was passiert nun mit der Varga-Vorlage? Nachdem die Opposition die gut dreihundert Seiten eingehend studiert hat, findet Mitte Juni die Haushaltsdebatte im Parlament statt. In der letzten Juniwoche fasst der Haushaltsausschuss die eingegangenen Änderungsanträge zusammen, bevor es am 3. Juli zur Schlussabstimmung des Budgets für 2021 kommt. Sollte dieser Termin nicht zu halten sein, holen die Abgeordneten die Abstimmung am Montag, dem 6. Juli nach. Das wird eine ihrer letzten Amtshandlungen sein, bevor sie sich in die Sommerpause verabschieden.