Interview mit Dr. Marie-Theres Thiell, Koordinatorin von Netzwerk Digital
„Noch nie so relevant wie heute“
Die Initiative wird unterstützt von einer Reihe von Institutionen, darunter sind die deutsche, die österreichische und die schweizerische Botschaft in Ungarn, das ungarische Ministerium für Innovation und Technologie sowie mehrere Universitäten. So wie alle anderen Organisationen der deutschsprachigen Wirtschaft in Ungarn musste sich auch Netzwerk Digital auf die Corona-Situation einstellen. Wie das gelungen ist, wollten wir von Dr. Marie-Theres Thiell wissen, die die treibende Kraft bei der Gründung dieses Zusammenschlusses war und diesen heute neben Gabriel A. Brennauer (Geschäftsführer/DUIHK) koordiniert.
Die große E-Mobility-Veranstaltung von Netzwerk Digital mit Unterstützung von Mercedes und ELMŰ Mitte März war vorerst die letzte Präsenzveranstaltung der deutschsprachigen Wirtschaft in Ungarn. Wie geht Netzwerk Digital mit der neuen Situation um? Werden überhaupt noch Veranstaltungen angeboten?
Die Krise hat unseren Aktivitäten keinen Abbruch getan. Nach wie vor bieten wir regelmäßig Veranstaltungen an. Kein Wunder, schließlich sind wir alle mit Beginn der Coronakrise in eine Phase beschleunigter Digitalisierung getreten, was ja genau das Thema unserer Initiative ist. Einerseits zwingen die Effizienzanforderungen die Unternehmen, Prozesse zu digitalisieren, andererseits verändert die Krisensituation die Arbeitswelt hin zu digitaler Kommunikation mit Mitarbeitern und Kunden. Hier besteht ein erhöhtes Bedürfnis der Unternehmen – gerade der kleineren und mittleren – nach Know-how-Austausch zu Fragen rund um die Digitalisierung. Diesem Wunsch werden wir mit zahlreichen Online-Angeboten gerecht.
„Netzwerk Digital ist, was uns zusammenbringt und wo wir gegenseitig lernen können, besonders in diesen Zeiten, in denen digitale Entwicklungen noch mehr gebraucht werden.“
Das Netzwerk bereitet gerade eine Umfrage unter den Mitgliedern der fünf Träger-Organisationen vor, um die konkreten Bedürfnisse der Mitgliedsfirmen zu ermitteln. Gerade jetzt können wir unsere Existenzberechtigung noch besser unter Beweis stellen. Für eine Organisation, die das Wort Digitalisierung im Namen trägt, wäre es auch ein Armutszeugnis, wenn sie in einer Situation wie der gegenwärtigen Corona-Krise einfach abtauchen und keinerlei Aktivitäten mehr entfalten würde.
Mit welchen Feldern der Digitalisierung beschäftigt sich die Initiative?
Digitalisierung ist nicht allein die Anwendung digitaler Technik, sondern vielmehr eine gesamtwirtschaftliche Herausforderung. Sie wird die Organisation von Produktion, Dienstleistung, Transport und Logistik komplett verändern. Sie wird völlig neue Geschäftsmodelle hervorbringen, die Kommunikation zwischen Unternehmen, Kunden, Zulieferern und Verwaltung revolutionieren, und gewaltige Umstellungen in der Arbeitswelt mit sich bringen.
„Auch in Corona-Zeiten ist es uns gelungen, gemeinsam attraktive und interessante Aktivitäten anzubieten. Das zeigt, dass die Themen von Netzwerk Digital die Interessen unserer Mitglieder bedienen. Die Zusammenarbeit der fünf deutschsprachigen Organisationen hat sich bewährt und bestärkt uns, auch in Zukunft gemeinsame Initiativen umzusetzen!“
Gabriel A. Brennauer, geschäftsführender Vorstand der DUIHK
Vor diesem Hintergrund widmet sich Netzwerk Digital als gemeinsame Initiative der deutschsprachigen Wirtschaftsorganisationen in Ungarn praxisrelevanten Aspekten der Digitalisierung. Die Initiative will Unternehmen sensibilisieren, eine Plattform für den Erfahrungsaustausch bieten sowie Expertenwissen und praktische Lösungsansätze vermitteln. All dies soll dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, und damit auch des Wirtschaftsstandortes Ungarn zu stärken. Über solche Aspekte hinaus hat das Netzwerk aber auch dazu geführt, dass der Austausch unter den beteiligten Organisationen generell transparenter und intensiver geworden ist. Es macht einfach allen Beteiligten Freude, miteinander Dinge zu gestalten und voranzubringen.
Was passierte seit der Gründung der Initiative?
Es fanden unter anderem DigiWorkshops zur Digitalisierung der Lieferantenkette bei Knorr-Bremse, Aldi und ELMŰ statt. Wir hatten einen Workshop zu Big Data im Steuerwesen. Eine Veranstaltung bei SAP widmete sich der Digitalisierung der Fertigung. Bei weiteren Veranstaltungen war die Digitalisierung im Energiewesen sowie bei HR-Prozessen das Thema.
„Netzwerk Digital ist eine bemerkenswerte Kooperation, in dem für alle Unternehmen wichtigen Bereich der Digitalisierung, bei der sich zum ersten Mal alle in Ungarn tätigen deutschsprachigen Wirtschaftsorganisationen erfolgreich und langfristig für ein gemeinsames Ziel einsetzen.”
Dr. Arne Gobert, Präsident des Deutschen Wirtschaftsclubs Ungarn
Das bisherige Highlight war das DigiEvent im letzten Oktober unter dem Motto The Future of “Made in CEE” mit einem CEO Roundtable als Lunch auf Einladung der österreichischen Botschaft und einer Podiumsdiskussion im Kempinski Hotel Budapest unter Teilnahme von Innovationsminister László Palkovics. Die gesamten Veranstaltungen einschließlich Bildergalerien finden Sie übrigens auf der Website unserer Initiative.
Wie wurden die Unterstützer eingebunden?
Am ersten Jahrestag unserer Initiative im Februar dieses Jahres fand ein Treffen aller Partner mit den Vertretern der Unterstützer in der Andrássy-Universität statt. Hier brachten die Unterstützer viele Anregungen und Anstöße ein, die für das weitere Programm aufgegriffen wurden.
Was passierte bisher während der Corona-Krise?
Ein Netzwerk lebt von persönlichen Verbindungen – dies ist die landläufige Ansicht. In Corona-Zeiten mussten wir umdenken. So müssen beispielsweise die Sitzungen der Initiative, in denen wir die Programme planen und abstimmen, jetzt immer online stattfinden. Dank Microsoft Teams ist das aber kein Problem. Eine gute Vor- und Nachbereitung steigert hier die Effizienz und Intensität. Unser Zusammenhalt wurde in den letzten Monaten sogar noch gestärkt. Genauso reibungslos gingen wir bei unseren Veranstaltungen von Präsenz- zu Online-Veranstaltungen über. Wir stellen uns auch weiterhin auf digitale oder hybride Veranstaltungen ein.
„Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor dem Sprung in ein neues Jahrzehnt. Künstliche Intelligenz übernimmt viele der Aufgaben, die heute von Menschen erledigt werden. Die Digitalisierung verändert alle Bereiche im Unternehmen. Von der Produktion über Funktionen, wie HR und Marketing bis hin zu Unternehmensstrukturen. Netzwerk Digital trägt dazu bei, dafür notwendiges Wissen und Erfahrungen zu vermitteln.“
Komm.-Rat Othmar Michl, Leiter des Austrian Hungarian Business Council
Die Kommunikation auf den Sozialen Medien hat seit Frühjahr immens an Bedeutung gewonnen. So haben wir im Juni beispielsweise die Webinar Reihe „Das unterschätzte Kommunikationstool: Personal Branding in digitalen Zeiten“ durchgeführt, bei der die Bedeutung und das Handling von LinkedIn vorgestellt wurde. Die Rolle dieser Plattform wird oft noch unterschätzt. Dabei bietet sie für Organisationen einen einfachen Weg, Reichweite für Botschaften zu erhalten. Die Mitgliedsorganisationen des ND nutzen schon heute aktiv diese Plattform. Denken wir nur an die informativen Videos unseres Kollegen Jürgen Schreder von Advantage Austria. Eine Entwicklung, über die ich mich sehr freue. Auch im Corporate Marketing ist LinkedIn ein nicht mehr wegzudenkendes Instrument.
Was planen Sie für die kommenden Monate?
Kürzlich fand ein weiteres Webinar zur Digitalisierung von Produktion und Supportprozessen statt. Das digitale Vertragswesen wird am 14. Oktober Thema eines DigiWorkshops sein. Am 21. Oktober geht es um digitale Prozesse im Brauereiweisen und am 29. Oktober laden wir zu einem Besuch im Smart Shop Floor Simulationslabor von Bosch in Hatvan ein. In einer Veranstaltung zum digitalen Gesundheitswesen greifen wir am 24. November das hochaktuelle Thema ehealth auf. Dabei steht natürlich die digitale Gesundheitsakte im Fokus.
Für Anfang Dezember ist ein DigiEvent zum Thema Cyber Security geplant. Im Februar 2021 planen wir eine internationale Veranstaltung zum Themenkreis eGovernment.
Wo können Interessenten weitere Informationen zu geplanten Veranstaltungen erhalten und sich anmelden?
Seit Anfang 2020 haben wir unter eine eigene Website. Dort sind Informationen rund um die Initiative und über ihre Veranstaltungen zu finden. Alle unsere Veranstaltungen werden zudem noch von unseren fünf Gründern sowie in der Budapester Zeitung als unserem Medienpartner beworben.
Was ist momentan die Strategie von Netzwerk Digital?
Wir nehmen die Situation so, wie sie ist, und versuchen das Beste daraus zu machen. Ich halte nichts davon, nur auf das mögliche Ende der momentanen Situation zu blicken und erst dann wieder voll durchzustarten. Schließlich kann derzeit niemand mit Bestimmtheit sagen, wann wir wieder in den normalen Modus schalten können. Ja, noch nicht einmal, ob dieser Modus mit dem vor der Krise überhaupt identisch sein wird. Vielleicht müssen wir uns langfristig auf ein Zusammenleben mit diesem oder anderen Viren einrichten – einschließlich aller Konsequenzen für den Umgang miteinander.
„Das Thema Digitalisierung eignet sich hervorragend, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ungarn und den DACH-Ländern weiter auszubauen. Netzwerk Digital sorgt hier für zusätzliche Schnittstellen. Die Digitalisierung hilft nicht nur, Produktions- und Geschäftsprozesse flexibler und effizienter zu gestalten, sie fördert auch die Umsetzung neuer Ideen und Prozesse. Außerdem eröffnet sie neue Geschäftsfelder und Märkte. Einsatzmöglichkeiten gibt es für Unternehmen jeder Größe und Branche, selbst für jene, die im Betriebsalltag nur wenig mit Technologie zu tun haben. Auch Kundenbeziehungen und -kommunikation – sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich – lassen sich dadurch optimieren. Interessant erscheint das Thema Digitalisierung auch im Bereich Kontakt mit Behörden und im Gesundheitswesen.“
Jürgen Schreder, Leiter von Advantage Austria (Vertretung der österreichischen Wirtschaft in Ungarn)
Daher sollten wir moderne Veranstaltungsformate, wie Webinare oder auch hybride Lösungen, nicht bloß als momentane Notlösungen betrachten, sondern uns – auch mental – mit diesen Formen des Wissensaustauschs und der Kontaktpflege bestmöglich anfreunden. Wir sollten nicht Verlorenem nachweinen, sondern lieber die unzweifelhaft vorhandenen Vorteile der verschiedenen Online-Begegnungsformen so gut wie möglich kennen und nutzen lernen. Statt klassische Präsenzveranstaltungen zu konzipieren und diese momentan immer wieder absagen und verschieben zu müssen, sollten wir uns lieber von vorn herein auf die Organisation von derzeit ohne weiteres durchführbaren Online-Zusammenkünften konzentrieren und diese möglichst attraktiv gestalten.