Wirtschaftlicher Ausblick
Es geht um mehr als nur eine Wiederwahl
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Ungarn hatte nur sieben gute Jahre zwischen den zwei großen Krisen. Von 2013 an datiert jener Aufschwung, der das Land gemessen an der Kaufkraftparität auf annähernd drei Viertel der durchschnittlichen Wirtschaftsleistung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufschließen ließ.
Das gelang unter Bewahrung des externen Finanzgleichgewichts, die Wirtschaft expandierte also nicht auf Pump. Die Staatsschulden konnten seit dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008/09 um gut fünfzehn Prozentpunkte gesenkt werden. Dank der beispiellosen Sparbereitschaft der Bevölkerung verschwand die Nettoaußenschuld nahezu.
Dieser positiven Entwicklung machte das Coronavirus einen dicken Strich durch die Rechnung. Vor einem Jahr um diese Zeit dominierten Geschäftspläne, die vor Optimismus strotzten und neue Rekorde ins Auge fassten. Diese Pläne aber wurden mit der Notstandslage ab Mitte März zum überwiegenden Teil Makulatur. Ganze Branchen mussten in den Überlebens-Modus umschalten – es war nicht die Zeit zum Schmieden ehrgeiziger Zukunftspläne. Insofern sieht 2021 natürlich ganz anders aus.
Zwei Punkte Vorsprung gegenüber EU-27
Selbst wenn die Politik bis heute ihren wilden Aktionismus nicht ablegen will und weite Teile der Gesellschaft an die kurze Leine gelegt hat, zeichnet sich dennoch ab, dass die weitgehende Durchimpfung der Bevölkerung dem Coronavirus das Wasser abgraben kann. Sollten sich die Impfstoffe also auch im breiten „Feldversuch“ als wirksam erweisen, dann kann die Rückkehr zur „Normalität“ beginnen.
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Die Wirtschaftspolitik will die entsprechenden Weichen stellen, damit Ungarn den Konvergenzprozess fortsetzen kann. Die zentrale Zielstellung lautet, den zuletzt stabilisierten Wachstumsvorsprung von mindestens zwei Prozentpunkten über dem EU-Durchschnitt zu bewahren beziehungsweise nach der Corona-Krise schnellstmöglich dahin zurückzukehren.
Im vergangenen Jahr gab es abgesehen von China im globalen Rund kaum Wachstum zu bestaunen. Den für die Konvergenz so unabdingbaren Vorsprung hätte sich Ungarn in der Gemeinschaft allerdings bereits auf die Weise zusichern können, wenn der Absturz hierzulande weniger krass ausgefallen wäre, als in der EU-27 allgemein.
Leider traf dies für das zweite Quartal nicht zu, als Ungarns Wirtschaft mit einer Dynamik schrumpfte, die zum „Spitzenfeld“ in Europa gehörte. In das Gesamtjahr fließt aber auch das erste Quartal ein, in dem die hiesige Wirtschaft noch wachsen konnte, während in Westeuropa schon die Rezession begann. Das dritte Quartal brachte überall eine markante Erholung, und nach neun Monaten rangierte Ungarn im Mittelfeld der EU-Konjunkturtabelle.
Gingen auf EU-Ebene bis Ende September durch das Coronavirus im Schnitt sieben Prozent der Wirtschaftsleistung verloren, waren es hier „nur“ fünfeinhalb Prozent. Dabei verlor Ungarn wieder an Boden gegenüber dem Baltikum, Skandinavien und Polen. Deutschland befand sich hinsichtlich der Entwicklung dieses so häufig bemühten Indikators auf Augenhöhe mit Ungarn, ähnlich wie Rumänien, Tschechien und die Slowakei.
Gegenüber dem Nachbarn Österreich, den Ministerpräsident Viktor Orbán in der Corona-Krise aus verschiedenen Gründen gerne als „Labor“ für Ungarn bezeichnete, kam der Zwei-Punkte-Vorsprung derweil tatsächlich zustande. An Boden deutlicher gutgemacht hat das Land im Vergleich zu praktisch allen Südeuropäern.
Zwangspause für Konvergenz
Für das Gesamtjahr 2020 liegen Mitte Januar verständlicherweise noch keine Zahlen vor. Die aktuelle Prognose des Finanzministeriums geht jedoch von einer um 6,4 Prozent schrumpfenden Wirtschaftsleistung aus, was noch näher am EU-Durchschnitt liegen dürfte.
Weiter eingetrübt wird das Gesamtbild, weil die Vorausschau für 2021 eher bescheiden anmutet. Gerade noch ein Plus von 3,5 Prozent traut sich die Wirtschaftsführung zu. Die einst als optimistische Antwort auf das Coronavirus erhoffte V-Kurve einer rasanten Erholung wird es nicht geben. Die Gründe liegen freilich auf der Hand: Die Herdenimmunität ist noch immer weit, im laufenden Jahr dominieren die negativen Risiken und die Unabwägbarkeiten.
Deshalb rechnet das Finanzressort wahrscheinlich realitätsnah mit einem Durchstarten der einheimischen Volkswirtschaft erst 2022. Dann aber soll es richtig zur Sache gehen, mit einem BIP-Zuwachs von 5,4 Prozent. Das wäre für hiesige Verhältnisse zugleich ein Wachstumsrekord, der tatsächlich aber zum Gutteil der schwachen Basis zu verdanken ist. Mittelfristig würde sich das jährliche Wachstum wieder bei vier Prozent einpegeln, der Konvergenzprozess könnte nach der auf zwei Jahre gestreckten Zwangspause eine Fortsetzung finden.
Bessere Krisenresistenz
Was sind makroökonomische Stärken, die es dem Land im Vergleich zur Finanzkrise 2008/09 leichter machen dürften, diese Krise zu überwinden? Da wäre vielleicht an erster Stelle die Investitionsquote zu nennen, die sich seit Jahren stabil um 25 Prozent bewegt. Die Orbán-Regierung hat in der Corona-Krise von vornherein betont, ihr Ansatz sei nicht der von Beihilfen. Sie wolle das vorhandene Geld lieber konzentriert in neue Arbeitsplätze stecken.
Dazu wurden allerhand Förderprogramme aufgelegt, mit dem Fokus auf Unternehmen, die selbst noch in den schwersten Tagen bereit waren, nach vorne zu schauen und in ihre Zukunft zu investieren. Mit diesem Ansatz wurde praktisch der Strukturwandel weiter forciert, hin zu moderneren Arbeitsplätzen, die für eine höhere Wertschöpfung stehen und weniger krisenanfällig sein sollen. Was nicht gleichbedeutend damit ist, die krisengeschüttelten Branchen einfach so aufzugeben.
Zwar zeigte sich gerade der Ministerpräsident persönlich anfangs knauserig, prekäre Arbeitsverhältnisse zu stützen. Ganz im neoliberalen Geiste hat er zehn Jahre des Durchregierens auch und gerade dafür genutzt, dass der Status, arbeitslos zu sein, nirgendwo anders in der Europäischen Union so unattraktiv wie in Ungarn ist.
Die von vornherein auf drei Monate beschränkte Arbeitslosenhilfe sichert in einem Land, wo unverändert viele Löhne branchenweit schwarz in die Tasche gezahlt werden, kaum eine Existenz ab. Von der anschließend folgenden Sozialhilfe oder den für zweihunderttausend Menschen in öffentlichen Arbeitsprogrammen gezahlten Niedriglöhnen ganz zu schweigen.
Besonders krass für das westeuropäische Verständnis nimmt sich jedoch aus, dass mehr als die Hälfte der offiziell registrierten Arbeitslosen überhaupt keine Leistungen vom Staat erhält. Deshalb meint es Viktor Orbán auch wirklich so, wenn er seinen Bürgern zuruft: „Wo Arbeit ist, ist alles.“
Ein Flickenteppich an Beihilfen
Offenbar erforderte es schwere Überzeugungsarbeit insbesondere von Seiten des für den Arbeitsmarkt zuständigen Innovationsministers László Palkovics und seines Teams, dem Ministerpräsidenten klarzumachen, die Arbeitsplätze der in der Corona-Krise durch den gleichzeitigen Angebots- und Nachfrageschock bedrohten Branchen irgendwie über Wasser zu halten.
Ungarn hatte als eines der ersten Länder Europas ein weitreichendes Kreditmoratorium verhängt. Bürger und Unternehmen ihrer Kapitalverpflichtungen zu entbinden, mochte Orbán als Generalschlüssel zur Lösung aller Probleme erscheinen. Ohne Zweifel gehört das mittlerweile bis Jahresmitte 2021 prolongierte Moratorium zu den wirkungsvollsten Maßnahmen bei der Abwehr der wirtschaftlichen Negativeffekte der Corona-Pandemie. Die Risiken des Bankensektors sind überschaubar, die Nebenwirkungen – wie etwa das böse Erwachen so manch eines der Tilgungsroutine entwöhnten Kreditnehmers – wurden aufgeschoben.
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Für Kurzarbeitergeld sollten die Rücklagen des Fiskus nicht bemüht werden. Das wäre mal wieder einer der berühmt-berüchtigten ungarischen Alleingänge geworden. Zum Glück ist es dazu letztlich nicht gekommen: Die für die neoliberalen Verhältnisse in Ungarn völliges Neuland bedeutenden Regelungen zum Kurzarbeitergeld wurden nach intensiven Konsultationen mit den Arbeitgebern doch noch zu wirklichen Überlebenshilfen.
Dabei ist bis heute, da die zweite Corona-Welle Europa weiter fest im Würgegriff hält, keine Bereitschaft des Staates zu erkennen, diese Notmaßnahmen über Gebühr zu strapazieren. Dieser Flickenteppich an Beihilfen ist etwas, was die Orbán-Regierung möglichst schnell hinter sich lassen will. Firmen, die diverse Anträge zur Weiterbeschäftigung ihrer Mitarbeiter einreichen, werden als Bittsteller behandelt und abgespeist, als seien ihre Schwierigkeiten selbstverschuldet. Der ungarische Staat stiehlt sich weitgehend aus dieser Verantwortung und hofiert lieber Unternehmen, die dem Virus mit Investitionen trotzen.
Schockstarre beförderte Gleichgewicht
Eine weitere makroökonomische Stärke sind die stabilisierten Finanzen. Hier hat die nationalkonservative Regierung ein eklatantes Erbe der Sozialisten abgetragen, das dem Land in der vorigen großen Krise beinahe das Genick gebrochen hätte.
Nun sind die Staatsschulden in der Corona-Krise mit rund achtzig Prozent am Bruttoinlandsprodukt praktisch haargenau wieder dort angelangt, wohin diese die zwischen 2002 und 2010 amtierenden linksliberalen Pleiteregierungen manövrierten. Und ausgerechnet die sogenannte Demokratische Koalition (DK) macht dies Orbán und dem Fidesz jetzt zum Vorwurf. Dabei handelt es sich im Falle der DK um eine Abspaltung von der früheren Regierungspartei MSZP, angeführt von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, der weiterhin als stärkster Gegenspieler von Viktor Orbán betrachtet werden muss.
Die Gyurcsány-Regierung musste 2009 einer Expertenregierung unter Gordon Bajnai weichen, während nur noch ein Rettungspaket von EU und IWF das Land vor dem Staatsbankrott bewahren konnte. Dass Ungarn in der Weltwirtschaftskrise als einer der ersten Staaten die Waffen streckte, erklärte sich aus einer vollkommen verfehlten Wirtschaftspolitik, die das Land bereits 2005/06 in eine desolate Lage gebracht hatte.
Insofern musste es nicht verwundern, dass die Orbán-Regierung bei ihrem Amtsantritt im Frühjahr 2010 genau mit dieser verfehlten Herangehensweise des Schuldenmachens brechen wollte. Das geschah dermaßen radikal, dass bald der Währungsfonds vor die Tür gesetzt wurde, während die Ungarische Nationalbank die Konvertierung der Fremdwährungskredite organisierte.
Hatten sich 2008 mehr als zwei Drittel aller privaten Kreditnehmer hierzulande in Devisen (überwiegend in Schweizer Franken, aber auch in Euro und sogar in japanischen Yen) verschuldet, ist dieser Anteil heute auf anderthalb Prozent geschrumpft. Parallel dazu halbierte sich der Kreditbestand der privaten Haushalte gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Dieser fiel unter zwanzig Prozent, was weniger vom Fidesz gewollt war. Eher lässt sich dies durch eine Schockstarre der Bevölkerung erklären, die sich mit der zügellosen Kreditaufnahme in den Jahren des Aufschwungs nach der Jahrtausendwende mehr als nur die Finger verbrannte.
Jedenfalls bietet diese auch international verblüffend niedrige private Verschuldung dem Staat nun Spielraum, seinen Bürgern mit attraktiven Angeboten wie der sogenannten Superanleihe die Rolle des Gläubigers aufzutragen. Heute befindet sich gerade noch ein Drittel der Staatsschulden in ausländischer Hand, der Devisenanteil wurde sogar unter zwanzig Prozent gedrückt. Die externen Nettoschulden werden sich schon bald in Luft auflösen, wozu eine gesundete Zahlungsbilanz einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leistet.
Stärken wurden zum Verhängnis
Weitere im abgelaufenen Jahrzehnt definierte Stärken wurden Ungarn ausgerechnet in der Krise zum Verhängnis. Man denke nur an den offenen Charakter der Volkswirtschaft, deren Exportleistung ein Gewicht von über achtzig Prozent am Inlandsprodukt erreicht.
Das Coronavirus begrub die Nachfrage und zerstörte globale Lieferketten, im April 2020 gab es auf einen Schlag für mehr als ein Drittel des ungarischen Exportvolumens keine Aufnahmemärkte mehr. Die Einbußen des Tourismus trafen am schwersten die Südeuropäer, aber innerhalb der Visegrád-Gruppe weist Ungarn mit rund sieben Prozent die höchste Wertschöpfung dieser Branche gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung aus – ungefähr drei Mal so hoch, wie in Polen, Tschechien und der Slowakei.
Im April 2020 registrierte das Unterkunftsgewerbe aber nur noch drei Prozent der gewöhnlichen Übernachtungen. Wie auch die Leistungen im Luftverkehr hierzulande mehr Gewicht besitzen, als bei den Partnern und Konkurrenten in der Region. Am internationalen Flughafen „Ferenc Liszt“ in Budapest ging das Reiseaufkommen im April 2020 um sagenhafte neunundneunzig Prozent zurück.
Diese schockartigen Einbrüche sind jedoch längst Geschichte. Gesellschaft und Wirtschaft sind bemüht, sich mit dem Coronavirus so gut es geht zu arrangieren. Dennoch oder gerade in dieser aufgeheizten Lage darf man gespannt sein, welche Aktionen zum Schutz der Wirtschaft die Orbán-Regierung in den kommenden Monaten aus dem Hut zaubern wird. Für den Fidesz geht es in fünfzehn Monaten um die Wiederwahl, für das Land steht ganz sicher mehr auf dem Spiel.
“Von 2013 an datiert jener Aufschwung, der das Land gemessen an der Kaufkraftparität auf annähernd drei Viertel der durchschnittlichen Wirtschaftsleistung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufschließen ließ.
Das gelang unter Bewahrung des externen Finanzgleichgewichts, die Wirtschaft expandierte also nicht auf Pump.”
Oh, das wird Herrn Hatzig aber ärgern. Er wird sich die Pfoten wund schreiben.
Moody’s: Ungarn wird nach Corona-Krise am schnellsten seine Staatsschulden reduzieren können
https://ungarnheute.hu/news/moodys-ungarn-wird-nach-corona-krise-am-schnellsten-seine-staatsschulden-reduzieren-koennen-60839/
Eine gute, knappe Zusammenfassung der jüngsten ungarischen Geschichte seit den verheerenden Jahren der links-liberalen Regierung, die bis 2010 zerstörte, was Wirtschaft war – und eine gute Analyse der letzten Jahre unter Orbán.
SPD-grüne Medien bzw. Mainstream-Medien von SZ über FAZ bis TAZ wollen davon nichts wissen. Sie installieren lieber den alten Schrott und reden von Orbáns illiberaler Demokratie, obwohl sie selber Teil einer deutschen illiberalen Demokratie geworden sind. Die Deutschen maßen sich an, anderen Staaten vorzuschreiben zu dürfen, was zu tun und zu denken ist, als wären sie Nazis und Sozis von 33 bis 89. (Sind sie es?)
Während dessen liebäugelt Klára Dobrev (Ehefrau von Gyurcsány) mit der Kandidatur als ungarischer Ministerpräsident, oder habe ich da was falsch verstanden.
Schiffer András (ehemals LMP) hat in besonderer Weise als echter Linker und Grüner zu Dobrev Stellung genommen:
“Laut Schiffer ist an Klára Dobrev kein Problem, dass ihr Großvater Antal Apró und ihre Mutter Piroska Apró heißt, weil sie dafür nichts kann. Das Problem ist, dass sie ihre gesamte Karriere diesem Clan, diesem Netzwerk verdankt.”
(Zur Erklärung: Antal Apró ist in Ungarn etwa das, was in der DDR Erich Mielke war.)
“Schiffer szerint nem az a baj Dobrev Klárával, hogy Apró Antalnak hívják a nagyapját és Apró Piroskának az anyját, erről ugyanis nem tehet. A probléma az, hogy egész karrierjét ennek a klánnak, ennek a hálózatnak köszönheti.”
https://pestitv.pestisracok.hu/2021/01/15/parch1003863h_jomp4/?fbclid=IwAR0zSw245gbaWPlBCE70SXPv6Kj25rwoKf4piAfHa6FyBoipg1miUMfZJQk