Elmű-Émász-Gruppe
Foto: BZT / Jan Mainka

Gespräch mit Dr. Marie-Theres Thiell

Ungarn weiterhin verbunden

Bis Ende März war Dr. Marie-Theres Thiell in erster Linie Vorstandsvorsitzende der Elmű-Émász-Gruppe. Ungarn wird in ihrem Leben aber auch weiterhin eine große Rolle spielen. Gegenüber der Budapester Zeitung erklärte sie das Warum, und wie sie Ungarn verbunden bleiben wird.

Wie gestaltete sich Ihr Abschied von der Elmű-Émász-Gruppe?

Ende März habe ich meine Position als Vorstandsvorsitzende der Elmű-Émász-Gruppe und CEO der Innogy Hungaria aufgegeben. Das war eine schwierige Zeit. Mein Ausscheiden fiel genau mit dem Lockdown zusammen. Mitte März zogen wir alle ins Home Office um. Es ging alles so schnell, dass ich mich kaum von jemandem verabschieden konnte. Am 16. März habe ich noch schnell alles, was anlag, unterschrieben, unter anderem den Jahresabschluss 2019. Kurz danach saß ich bereits im Flieger nach Deutschland. Die letzten zwei Wochen von 30 Jahren Berufstätigkeit im Energiewesen, davon 15 in Ungarn, habe ich dann in meinem Home-Office in Werne gearbeitet. Von hier aus habe ich auch die restlichen Vorstandssitzungen geleitet.

Das klappte alles wunderbar. Glücklicherweise hatte ich bereits seit Anfang des Jahres intensiv mit Attila Kiss, dem Vorstandsvorsitzenden der E.ON Hungaria und Nachfolger in meiner bisherigen Funktion bei der Elmű-Émász-Gruppe, zusammengearbeitet, sodass die Vorbereitung der Übergabe zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend abgeschlossen war. Beide Firmen hatten übrigens schon seit September 2018 gemeinsam an dem Integrationsprojekt gearbeitet. Unabhängig von den äußeren widrigen Umständen konnte die Übergabe also planmäßig und reibungslos vollzogen werden.

Wie lange waren Sie genau für die Elmű-Émász-Gruppe tätig?

Seit dem 1. Mai 2005. Zunächst war ich fünf Jahre lang Finanzvorstand. Am 28. April 2010 wurde ich dann als Nachfolgerin von Emmerich Endresz Vorstandsvorsitzende.

Ihr Vorgänger hatte nach der Übergabe noch eine gewisse Zeit lang in der Elmű-Zentrale ein Büro…

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass ich meinen „Schreibtisch“ dort komplett aufgebe. Im Moment lagern in der Zentrale in einem Lagerraum lediglich noch etwa 30 Kartons meines Hausstandes. Diese werden aber noch im September nach Deutschland gebracht. Ich bin natürlich weiterhin mit zahlreichen Kollegen freundschaftlich verbunden. Aber das ist alles nur rein privat. Ich habe keinerlei geschäftliche Verbindung mehr zur Elmű-Émász-Gruppe. Natürlich verfolge ich über die Presse und die sozialen Medien weiterhin interessiert, wie es mit meiner bisherigen Firma weitergeht. Aber operativ bin ich dort komplett raus.

An welche Ereignisse Ihrer Elmű-Émász-Zeit erinnern Sie sich gerne zurück?

Unter anderem an die 125-Jahr-Feier, erst von Elmű und im darauffolgenden Jahr von Émász. Das war 2018 und 2019. Ein geschäftlich wichtiger Schritt war, dass wir die Gruppe auf vier strategische Beine gestellt haben. Das klassische Stromgeschäft war das erste Standbein. Das Gasgeschäft das zweite. Durch den Verkauf unserer Anteile Főgáz an den ungarischen Staat entstand übrigens der Nukleus für die NKM. Als die ungarische Seite mit dieser Gesellschaft wieder einen nationalen Downstream-Player im Energiewesen aufbaute, waren wir dabei also quasi ein Geburtshelfer. Das dritte Standbein ist die Elmű-Émász-Solutions, die diverse Dienstleistungen rund ums Energiewesen bündelt. Als viertes Standbein stiegen wir in den kommerziellen Infrastrukturmarkt der Telekommunikation ein.

„Ungarn spielt nach wie vor eine überragende Rolle in meinem Leben.“ (Foto: BZT / Jan Mainka)

Was hat sie emotional besonders berührt?

Das war natürlich die Zeit der Wohnnebenkostensenkungen. Sehr schnell hatten meine Kollegen und ich den Ernst der Lage begriffen. Zur Sicherung der Arbeitsplätze mussten wir unsere Ausgaben drastisch reduzieren. Wir mussten uns auf eine komplett neue Wirklichkeit einrichten. Am Anfang drohte eine Regiekostensenkung in drei Phasen mit jeweils substanziellen Preissenkungen. Schließlich stellte sich heraus, dass die zweite und dritte Stufe wesentlich moderater ausfielen, als zunächst befürchtet. Das konnten wir am Anfang aber noch nicht wissen. Deswegen hieß es für uns: Umschalten auf Effizienz bis in den letzten Winkel! Das hat die ganze Mannschaft unglaublich toll umgesetzt. Wir haben unter anderem unsere Investitionen um 40 Prozent gesenkt. Wir führten nur noch Investitionen durch, die arbeitssicherheitstechnisch und zum Erhalt der Versorgungssicherheit absolut notwendig waren.

Das wurde hinterher dann wieder schrittweise hochgefahren. Aber mit einem ganz anderen Bewusstsein, nämlich einem deutlich höheren Bewusstsein für Effizienz und einer viel größeren Bereitschaft zur Digitalisierung. Wir hatten relativ schnell begriffen, dass die Digitalisierung nicht nur der Kostenersparnis dient, sondern auch der Effizienz unserer Dienstleistungen für unsere Kunden. Es gab rund um die Wohnnebenkostensenkungen eine unglaubliche Veränderungsbereitschaft. Die Kollegen ließen sich nicht so schnell unterkriegen.

Wie ernst nahmen Sie die Situation am Anfang wahr?

Ich hatte 2010 und 2011, als die ersten Ankündigungen kamen, wirklich Sorgen und schlaflose Nächte, ob wir das ganze Jahr über die Gehälter und unsere Steuern zahlen können. Wenn man einmal einen solchen Schock durchgemacht und gemeinsam überstanden hat, dann wirft einen so schnell nichts mehr aus der Bahn. Ich hoffe, dieses Selbstbewusstsein und diese Lebenserfahrung nehmen meine Kollegen mit in die neue Ära.

Welche Lehren haben Sie aus dieser intensiven Erfahrung gezogen?

Am Anfang habe ich sehr hart gegen die Maßnahmen der Regierung öffentlich Position bezogen. Ich habe mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen und Investitionen gedroht, und mit Risiken für die Versorgungssicherheit argumentiert. Ich habe also das ganze klassische Repertoire aufgefahren, dessen sich Top-Manager in solchen Situationen bedienen. Schnell habe ich jedoch realisiert, dass das nicht der zielführende Weg ist. Es stellte sich heraus, dass es viel mehr brachte, mit den entsprechenden Regierungsstellen einen vertrauensvollen Dialog herzustellen. Außerdem stellte sich heraus, dass es sinnvoll ist, nicht nur mit den Leuten, die exakt für ein, für mich relevantes Gebiet verantwortlich sind, in Kontakt zu treten, sondern den Dialog auf wesentlich breiterer Basis zu suchen. Schließlich wird – so wie innerhalb von Unternehmen – auch innerhalb von staatlichen Stellen kommuniziert.

Welche Lehre haben Sie noch gezogen?

Ich habe gemerkt, dass es sehr wichtig ist, zuzuhören und die Interessenlage der anderen Seite zu verstehen. Selbst wenn ich diese Interessen nicht teile, muss ich sie kennen. Im Wirtschaftsleben ist es ganz normal, dass die unterschiedlichen Akteure von verschiedenen Interessen geleitet sind. Das Energiewesen ist überall stark reglementiert und von staatlichen Entscheidungen abhängig. Dennoch gibt es natürlich auch Schnittmengen bei den Interessen, die es zu erkennen und zu nutzen gilt. Dafür braucht man natürlich auch ein gewisses Rückgrat gegenüber der eigenen Organisation, also etwa der Zentrale in Deutschland. Dort herrscht üblicherweise weniger Verständnis für die komplexe Situation vor Ort.

Uns persönlich hat hier aber geholfen, dass auch die deutsche Regierung die Energiewirtschaft nicht immer mit Samthandschuhen anpackt. Auch in Deutschland werden ganz einschneidende Entscheidungen getroffen. Wenn wir uns aus jedem Land zurückziehen würden, in dem die Energiewirtschaft auf Schwierigkeiten stößt, dann könnten wir zumachen. Egal, wie es kommt, man muss immer versuchen, dialogfähig zu bleiben und das Gespräch nicht abreißen lassen. Das kann man auch auf andere Branchen übertragen.

Wie haben Sie Ihre ungarischen Mitarbeiter in all den Jahren erlebt?

Als sehr loyal. Man kann ihnen sehr viel zutrauen. Ich hätte von Anfang an mehr delegieren können. Erst später habe ich meine Mitarbeiter konsequent in sämtliche Entscheidungsprozesse mit einbezogen.

Ist Ihre Karriere in der Energiewirtschaft nun komplett vorbei?

Nein, ich bin dem E.ON-Konzern noch über fünf Aufsichtsratsmandate verbunden. Davon vier Mandate in deutschen Regionalversorgungsgesellschaften. Außerdem bin ich weiterhin Vorsitzende des Aufsichtsrates der innogy Polska, die für die Stromversorgung von Warschau verantwortlich ist.

Welche wirtschaftlichen Positionen haben Sie noch inne?

Ich bin weiterhin Vize-Präsidentin der DUIHK. Innerhalb der Kammer widme ich mich insbesondere dem Netzwerk Digital, das auf meine Initiative hin von deutschen, österreichischen und schweizerischen Wirtschaftsorganisationen gegründet wurde.

Über welche Funktion sind Sie Ungarn noch verbunden?

Ich bin auch Mitglied in zwei Kuratorien. Die ungarische Regierung hat sechs Universitäten Stiftungen unterstellt, mit deren Führung Regierungsmitglieder betraut wurden. Justizministerin Dr. Judit Varga leitet beispielsweise die Stiftung der Universität Miskolc. Diesem Kuratorium gehöre auch ich an. Wir haben in den letzten Wochen intensiv an der Neuausrichtung der Universität gearbeitet. Daneben bin ich auch im Kuratorium einer Bildungsstiftung des Ökumenischen Hilfsdienstes aktiv. Diese wurde damit betraut, eine Technische Mittelschule in Biatorbágy aufzubauen. Sie soll 2022 eröffnet werden. Schließlich bin ich auch noch Botschafterin für den Internationalen Kinderrettungsdienst und speziell deren Reitanlage in Fót, die die Elmű-Émász-Gruppe schon seit Jahren begleitet. Dort ist es meine Aufgabe, zur deutschen Reitszene entsprechende Verbindungen aufzubauen. Es geht darum, beim therapeutischen Reiten länderübergreifend koopieren zu können.

Beschränkt sich Ihr ehrenamtliches Engagement nur auf Ungarn?

Nein, ich bin auch Mitglied im Verband der deutschen Unternehmerinnen. Das ist eine Organisation, die insbesondere mittelständische Unternehmen miteinander verbindet. Ich werde den Landesverband Westfalen unterstützen. Außerdem bin ich Mitglied in „Frauen in die Aufsichtsräte“. Das ist eine Organisation, die sich eine größere Partizipation von Frauen in Aufsichtsräten zum Ziel gesetzt hat. Diesbezüglich ist die Elmű-Émász-Gruppe übrigens vorbildlich. Deren Vorstand war zu meiner Zeit paritätisch besetzt. Insgesamt sind in der Gruppe etwa 30 Prozent der Führungskräfte Frauen. Schließlich bin ich auch noch bei United Europe aktiv. Die Organisation setzt sich für ein vereintes Europa ein. Sie organisiert europaweit Veranstaltungen zu europarelevanten Themen. Als Mentorin unterstütze ich aktiv deren Mentorenprogramm.

Denken Sie über einen Schritt in Richtung Selbstständigkeit nach?

Ich habe bereits MTT Connect gegründet. Unter diesem Label sind all meine Aktivitäten zusammengefasst. Das Credo lautet: Creating Networks for success. Es geht also um Networking, also genau um das, war mir in den letzten Jahren immer mehr Spaß gemacht hat. Zukünftig werde ich mich auch darauf konzentrieren, die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen voran zu bringen und einzelne (potenzielle) Player noch stärker zu vernetzen.

Wie oft werden Sie in Ungarn sein?

In der geschäftlich aktiven Zeit werde ich ganz sicher zwei bis drei Mal pro Monat vor Ort sein. Ungarn spielt nach wie vor eine überragende Rolle in meinem Leben. Nicht zuletzt deswegen habe ich jetzt, wo ich endlich mehr Zeit habe, erneut damit begonnen, Ungarisch zu lernen. Meine berufliche Heimat ist ganz klar weiterhin Ungarn.

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