Einzelhandel
Die Stunde der Wahrheit
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Ohne die Bereinigung der Daten um die Kalendertage fiel das Einzelhandelsvolumen im Dezember im Jahresvergleich sogar um 4,8% (!) zurück, teilte das Zentralamt für Statistik (KSH) am Montag mit. Dabei verzeichnete das Segment in absoluten Zahlen einen neuen Rekord: Das Umsatzvolumen erreichte 1.765 Mrd. Forint, nachdem es in den beiden vorangegangenen Monaten (Oktober und November) überhaupt zum ersten Mal über 1.500 Mrd. Forint zulegen konnte.
Einmaliger Datenskandal
Diese im Realwert dennoch extrem schwachen Zahlen werden zudem von einem Datenskandal überschattet: Wie das Wirtschaftsportal portfolio.hu berichtete, präsentierte das Makronóm-Institut diese Zahlen bereits am Samstag, also Tage vor dem Embargo. Offiziell gibt das KSH seine aktuellen Zahlen jeweils um 8.30 Uhr heraus, vorab werden diese nur der Regierung präsentiert. Verlautbarungen darf es deshalb nicht geben, weil bestimmte makroökonomische Daten Einfluss auf die Märkte, den Handel mit dem Forint und Wertpapieren nehmen können.
Das regierungsnahe Makronóm-Institut verbreitete am Samstag via E-Mail eine Pressemitteilung, in welcher der Chefökonom des Instituts die KSH-Daten kommentierte. Später folgte eine Korrektur mit dem Hinweis, diese Informationen dürften bis Montag, 8.30 Uhr nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Nach diesem „Patzer“ stellt sich die Frage, ob es sich um einen Einzelfall handelt – der dessen ungeachtet einmalig in der Geschichte des KSH wäre – oder ob bestimmte private Akteure die sensiblen Daten regelmäßig früher erhalten.
Am Montagnachmittag reagierte das KSH auf den Datenskandal. In mehreren Jahrzehnten sei das Embargo noch nie verletzt worden, heißt es in der Mitteilung auf der eigenen Internetseite. Einem engen Kreis staatlicher Entscheidungsträger werden die Daten um 17 Uhr am Arbeitstag vor der Veröffentlichung übermittelt (was also im konkreten Fall am Freitagnachmittag geschah). Das Amt spricht von einem schweren Verstoß gegen die Embargo-Regeln und leitet die notwendigen Schritte ein.
Ein Zehntel weniger Lebensmittel
Zurück zu den nicht weniger ernüchternden Daten: Im Lebensmittelsegment fiel das Einzelhandelsvolumen im Dezember um 8,3%, wenn man die Fachgeschäfte und die Trafiks abzieht, sogar um 11%! Bereits seit Juni hält der absolute Abstieg in diesem Segment des Einzelhandels an, das beinahe die Hälfte aller Konsumausgaben der Magyaren abdeckt. Das Nonfood-Segment ist im Oktober ins Minus abgerutscht, hält sich aber seitdem mehr oder weniger in einem Zustand der Stagnation. Im Dezember wuchsen die Absatzzahlen z. B. bei Gebrauchtwaren um ein Drittel, für Medikamente und Textilien um nahezu ein Zehntel. Bei Möbeln, Heimtechnik und Industrieartikeln purzelten die Verkaufszahlen derweil um 5% und mehr.
Drastischer Absturz beim Spritbedarf
Mit Spannung erwartet wurde die erste Zahl nach Aufhebung der Preisdeckelung an den Tankstellen. Offenbar wegen der Torschlusspanik bis zum Abend des Nikolaustages blieb die Monatszahl im Dezember noch leicht im Plus (1,3%). Gemessen an Kraftstoffverkäufen, die während der Zeit der „sozialpolitischen“ Maßnahme um 20-50% über den Basiswerten lagen, ist dies natürlich ein drastischer Absturz (um nahezu ein Fünftel zum November). Verwundern muss dieser nicht, schossen die Literpreise für Benzin und Diesel nach der erzwungenen Aufgabe des Preisdiktats doch um durchschnittlich ein Drittel in die Höhe.
Bürger müssen mit weniger Geld auskommen
Parallel zu diesem Rückzieher der Regierung – dem zweiten nach der partiellen Aufgabe der Politik der gesenkten Energiekosten im August – frisst die Inflation die Lohnerhöhungen auf: Am Jahresende lagen die Verbraucherpreise auch offiziell und im Durchschnitt um ein Viertel über Vorjahresniveau, weshalb die überwiegende Mehrheit der Bürger real mit weniger Geld auskommen musste. Für die unteren Einkommensschichten ist diese Entwicklung besonders tragisch: Da diese Menschen überdurchschnittlich viel Geld für Lebensmittel ausgeben, wo die Inflation am härtesten ausfällt, müssen sie ihren ohnehin bescheidenen Konsum dramatisch einschränken. Erste Experten vergleichen die Zustände im Lebensmittel-Einzelhandel mit jenen während der Zeit der Weltwirtschaftskrise von 2008/09.
Im Gesamtjahr 2022 legte das Einzelhandelsvolumen letztlich um 5,3% zu (der schwache Dezember drückte den Jahreswert allein um gut einen Punkt!). Dieser scheinbar gesunde Anstieg setzt sich aus einem Minus von 1,5% im Lebensmittelsegment, einem in den ersten fünf Monaten herausgeholten Plus von 5,8% im Nonfood-Segment sowie einem Plus von 24,2% im Kraftstoffhandel zusammen, das alles anzeigt, nur nicht den Wohlstand der Ungarn.
