Fotos: DUIHK / Csaba Pelcsőczy

Jahresauftakt der DUIHK

Deutschland bleibt Ungarns wichtigster Partner

Was bringt 2025 für die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen? Das war das Kernthema beim Jahresauftakt der DUIHK am letzten Donnerstag.

Die Redner stimmten in ihren Zustandsanalysen in vielen Punkten überein, hinsichtlich der Handlungsempfehlungen gab es aber auch teilweise abweichende Perspektiven. Die wurden natürlich beim anschließenden „Networking“ von den Gästen intensiv diskutiert.

Die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer (DUIHK) hatte am Donnerstag zu ihrem traditionellen Jahresempfang in das neue BEM Center in Buda geladen, um wie immer seit 2017 einen Ausblick auf die Aktivitäten der Kammer, aber auch auf die zu erwartenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Mitglieder zu geben.

Mit Ungarns Wirtschaftsminister Márton Nagy ‒ der seit Beginn des Jahres auch noch für die Staatsfinanzen zuständig ist ‒ und dem Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Dr. Michael Hüther, hatte die DUIHK hochkompetente Redner eingeladen. Umso größer war die Neugier der 260 Gäste – mehr konnten es leider einfach aus Platzgründen nicht sein.

Den inhaltlichen Rahmen setzte jedoch zunächst DUIHK-Präsident András Sávos, für den es turnusmäßig sein letzter Jahresauftakt als Kammerpräsident war. Die wirtschaftliche Entwicklung im Vorjahr war nach seiner Einschätzung weder für Deutschland noch für Ungarn ein Grund zu großer Freude. Deutschlands Wirtschaft stagnierte, ging sogar minimal zurück, und das Wachstum in Ungarn lag weit unter den Erwartungen. Umso mehr sei die DUIHK stolz, auch für 2024 wieder eine Mitgliederzahl von über 920 Firmen erreicht zu haben.

Deutschland nicht abschreiben

Anschließend widmete sich Sávos ausführlich den zuletzt ‒ zumindest auf medialer und politischer Ebene ‒ eher schwierigen deutsch-ungarischen Beziehungen. Sávos zeigte sich überzeugt, dass Deutschland auch künftig der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner Ungarns bleiben wird, ungeachtet von kurzfristigen konjunkturellen Schwächephasen oder der wachsenden Präsenz asiatischer Player in der ungarischen Wirtschaft. Immerhin sei die deutsche Volkswirtschaft in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Japan immer noch die dritt- oder viertgrößte der Welt. Und man solle und dürfe die deutsche Wirtschaft nicht „abschreiben“. Wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 0-2 im Rückstand liegt, sollte man nicht darauf wetten, dass sie das Spiel verliert. Und die Grundlage der deutschen Wirtschaft ‒ ihr intellektuelles Kapital, ihre Innovationsfähigkeit und -bereitschaft ‒ habe schon mehrfach bewiesen, dass sie sich wieder hocharbeiten kann, erklärte Sávos.

Deutschland sei immer noch der wichtigste Abnehmer ungarischer Ausfuhren – einschließlich der Lieferungen an deutsche Niederlassungen in anderen Ländern liege der Anteil sogar weit über den offiziellen 25%. Deutsche Unternehmen in Ungarn beschäftigen laut Sávos über 220.000 Menschen in Ungarn und erbringen über ein Zehntel der Wirtschaftsleistung. Auch im Bereich Innovation ist der Beitrag deutscher Firmen in Ungarn immens. Laut einer neuen Umfrage der DUIHK beschäftigen sie weit  über 8.000 Mitarbeiter im Bereich Forschung und Entwicklung und geben dafür jährlich über 500 Mio. Euro aus. Solche über Jahrzehnte gewachsenen und hochkomplexen unternehmerischen Beziehungen zu pflegen und auszubauen sei immer effektiver, als komplett neue Beziehungen aufzubauen. „Die deutsche Wirtschaft sieht Ungarn und seine Unternehmen als strategische Partner.“

Um die Vorteile dieses belastbaren Beziehungsgeflechts maximal zu nutzen, bedürfe es jedoch auch entsprechender Rahmenbedingungen. Dazu zählte Sávos vor allem die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und ein adäquates Ausbildungssystem, ein berechenbares gesetzliches Umfeld und eine auf Wissen und Wettbewerb basierende Leistungskultur. „Sektorale Sondersteuern oder inflationsindexierte Steuersätze fördern die Berechenbarkeit nicht“, kritisierte Sávos. Die DUIHK stehe jedoch bereit, um daran aktiv mitzuwirken, lautete sein Angebot an die ungarische Seite.

Als Wirtschaftsminister Márton Nagy ans Rednerpult trat, kündigte er an, dass er nach den Ausführungen des DUIHK-Präsidenten nun etwas „kratziger“ sein werde. Nun ist Minister Nagy auch sonst nicht für kuschelige Kommunikation bekannt, aber als er als Gast der deutschen Auslandshandelskammer, also der Vertretung des wichtigsten Wirtschaftspartners  des Landes, seine Präsentation mit dem Titel überschrieb: „Die deutsche Wirtschaft hat die Wirtschaft Ungarns und der EU zu Boden gerissen“, da gab es schon einige verwunderte Blicke im Saal.

Ungarn zählt weiter auf Deutschland

Sein Vortrag ging dann allerdings auf viele Themen ein, die auch in Deutschland gerade diskutiert werden ‒ auch wenn seine Interpretation der aktuellen  Situation vielleicht nicht alle im Saal teilten.  Seine Rede begann er aber immerhin mit der Aussage: „Es ist an der Zeit, klar darüber zu sprechen, was in Deutschland passiert. Für Ungarn das Wichtigste ist, dass Deutschland erfolgreich ist.“ Und später bestätigte der Minister auch die Aussagen von DUIHK-Präsident Sávos, dass Deutschland für Ungarn als Wirtschaftspartner nicht zu ersetzen sei. Die Abhängigkeit sei in den vergangenen Jahren sogar noch gestiegen, so Nagy, doch habe Ungarn in den vergangenen Jahren von diesen Beziehungen massiv profitiert: „Wir waren für eine stärksten Volkswirtschaften der Welt einer der stärksten Partner in Mittelosteuropa, und wir wollen das nicht kappen. Es ist keinesfalls so, dass wir nicht wollen, dass das erneut gut wird. Nur die letzten zwei-drei Jahre waren eine Aneinanderreihung von Fehlern.“ Um später zu bestätigen: „Die deutsche Wirtschaft wird auch weiter unser wichtigster Partner sein. Sie war es, sie ist es und sie wird es bleiben.“

Ungarns Wirtschaft kaum ein Thema

Die aus seiner Sicht fehlerhaften wirtschaftspolitischen Entwicklungen in Deutschland erläuterte der ungarische Minister dann ausführlich. Wer sich allerdings Einschätzungen zur Entwicklung der ungarischen Wirtschaft erhofft hatte, wurde gründlich enttäuscht. In seinem Vortrag verlor er kaum ein Wort über die am Morgen desselben Tages veröffentlichten Zahlen zum ungarischen Wirtschaftswachstum oder die Wachstumsaussichten für 2025. Das Statistikamt KSH hatte das BIP-Wachstum im IV. Quartal 2024 auf 0,4% gegenüber dem Vorjahr beziffert, für das Gesamtjahr ergaben sich bescheidene 0,6%. Das ist zwar besser als das deutsche Minuswachstum von 0,2%, aber weit entfernt vom im Haushalt 2024 angenommenen Regierungsziel von 4%, und auch weit hinter dem Ergebnis der meisten anderen EU-Länder. Die DUIHK selbst hatte schon in ihrem Konjunkturbericht vom April 2024 ein schwaches Wachstum prognostiziert. Auf die Wachstumsaussichten 2025 ging Minister Nagy nicht detailliert ein, für das Gesamtjahr rechnet er aber mit mindestens 2%, „wenn die deutsche Wirtschaft in Schwung käme, könnten es auch 4% sein“.

Einschätzungen des Ministers hätte man sich allerdings auch zu anderen aktuellen Themen gewünscht. Die Verbraucherpreis-Inflation lag im Dezember schon wieder bei 4,6%, der Anstieg der Erzeugerpreise in der Industrie sogar bei 9%. Beides hängt eng mit dem schwachen Wechselkurs des Forint zusammen – aber auch diese Fragen sprach der Finanz- und Wirtschaftsminister leider nicht an.

Europäische Industriepolitik nötig

Umso ausführlicher analysierte er die aus seiner Sicht größten Schwächen der deutschen Wirtschaft und deren vermeintliche Ursachen in der deutschen Wirtschaftspolitik der letzten Jahre. Die wichtigsten Fehlentwicklungen machte der Minister besonders in drei Bereichen aus: der aus der verfassungsrechtlichen „Schuldenbremse“ resultierenden ‒ aus seiner Perspektive viel zu ‒ restriktiven Haushaltspolitik, einer verfehlten Energiepolitik und der mangelnden Unterstützung der Elektro-Fahrzeugindustrie.

Von einer neuen Bundesregierung erhofft sich Nagy eine viel expansivere fiskalische Stimulierung der Wirtschaft – sprich: höhere Schulden – gerade auch für die Automobilindustrie und insbesondere die E-Mobilität. Aus ungarischer Sicht verständlich, denn laut Nagy gehen z. B. direkt oder indirekt 70% der ungarischen Produktion von E-Auto-Batterien an die deutsche Fahrzeugindustrie. Die überstürzte Abschaffung der E-Auto-Prämien in Deutschland hätte deshalb auch Ungarn massiv geschadet. Die Industrie brauche deshalb dringend klare politische Signale: „Wir haben für alles Mögliche eine EU-Richtlinie – nur für die E-Autoindustrie gibt es keine!“

Ein Wettbewerbsnachteil für die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft seien auch die hohen Energiepreise, die zwei- oder dreimal höher seien als in den USA. Und dieser Nachteil werde durch den Kauf von LNG aus Übersee weiter konserviert. Auf einer Grafik zeigte der Minister, dass die Strom- und Gaspreise für Industrie-Abnehmer in Deutschland zwei- bis dreimal so hoch seien wie in den USA. Dass die ungarischen Preise trotz Atomstrom und russischem Gas etwa genauso hoch sind wie in Deutschland, erwähnte der Minister nicht.

Effizienzdruck durch höhere Löhne?

Im Podiumsgespräch ging Minister Nagy dann doch noch auf ein wichtiges binnenwirtschaftliches Problem ein: den Fachkräftemangel und steigende Lohnkosten. Seiner Meinung nach ist der Fachkräftemangel eine Frage der Löhne ‒ wer höhere Löhne zahle, wird auch Fachkräfte finden. Dies wiederum werde einen enormen Druck auf die Effizienz der Unternehmen ausüben, vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Aus Sicht von Nagy wird oder soll dies über Fusionen und Zukäufe zu einer Marktbereinigung und damit letztlich zu Produktivitätssteigerungen führen.

Europäische Lösungen notwendig

Dr. Michael Hüther ging als Direktor eines der wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschlands auf einer etwas anderen Ebene auf die aktuelle Lage der europäischen Volkswirtschaften ein, als dies Minister Nagy als aktiver Politiker getan hatte. Hüthers Ausführungen klangen für manche Zuhörer vielleicht etwas akademisch, enthielten aber in einigen Fragen auch ‒ sehr diplomatisch ‒ formulierte Kritik am wirtschaftspolitischen Ansatz des ungarischen Ministers.

Hüther teilte die Analyse, dass Europa ein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit habe. Dies habe schon vor über 30 Jahren der Delors-Bericht konstatiert, die Feststellungen des Draghi-Reports von 2024 unterschieden sich kaum von der damaligen Analyse. „Wir haben in Europa nicht mitgehalten bei den Zukunftstechnologien. Wir haben nicht mitgehalten bei der Frage, wie man Kapitalmärkte integriert. Wir haben viele uneinheitliche Vorschriften,  trotz über 30 Jahren europäischer Binnenmarkt haben wir immer wieder den Rückfall in nationale Sonderregelungen, in Sondersteuern und andere Dinge, die das Leben in Europa nicht erleichtern.“ Deshalb plädierte Hüther bei den wichtigsten gemeinsamen europäischen Herausforderungen – Klima, Energie, Investitionen, Verteidigung ‒ für mehr europäische Zusammenarbeit.

Bezugnehmend auf die Diskussion um staatliche Interventionen betonte der IW-Direktor, dass die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas vor allem auf strukturelle Probleme der letzten Jahre zurückzuführen sei. „Wir haben in Deutschland und, soweit ich das von außen sagen darf, auch in Ungarn strukturpolitischen Handlungsbedarf, keinen konjunkturpolitischen.“

Zu diesen strukturellen Problemen zählte Hüther z. B. die Belastungen aus der CO2-Bepreisung, die ab 2018 massiv gestiegen sei, aber auch die demographische Entwicklung. Der Fachkräftemangel habe seit einigen Jahren die Unternehmen veranlasst, eigentlich nicht erforderliche Mitarbeiter „zu horten“, was letztlich zu Produktivitätsverlusten führt.

Zur Bewältigung der strukturellen Probleme plädierte Hüther in Anlehnung an den Europarechtler Hans Peter Ipsen für »Zweckverbände funktioneller Integration«. Gemeint sind koordinierte Anstrengungen, um ein konkretes Ziel zu erreichen oder konkrete Funktionen zu erfüllen, und dabei mögliche Differenzen in anderen Feldern möglichst außen vor zu lassen.

Fokus der Kammer: Wettbewerbsfähigkeit

Angesichts der sehr grundsätzlichen Diskussionsthemen des Abends wurde etwas weniger über die Pläne der DUIHK selbst gesprochen. Geschäftsführerin Barbara Zollmann versicherte den Mitgliedern vor allem: „Sie sind uns wichtig!“ Das auf der Veranstaltung verteilte Jahresprogramm sei im Grund nur der Beginn, denn das Angebot an Veranstaltungen und Dienstleistungen werde sich wie immer im Laufe des Jahres ständig erweitern, um aktuelle Entwicklungen aufzugreifen. „Alle Themen, auf die wir uns fokussieren, drehen sich um Geschäftschancen und Wettbewerbsfähigkeit.“ Deshalb wird die DUIHK 2025 verstärkt in Deutschland für den Standort Ungarn werben, z. B. mit zehn Fachreisen zu deutschen Partnern. Ein Schwerpunkt bleiben zudem Qualifizierungsangebote des Deutsch-Ungarischen Wissenszentrums. Weiter ausbauen wird die Kammer ihre Aktivitäten außerhalb des Großraums Budapest, z. B. in Ostungarn, aber auch in West- und Südwestungarn. Und schließlich wird die Kammer auch bei der Gestaltung investitionsfreundlicher, fairer wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen weiter intensiv mit der Regierung und anderen Partnern zusammenarbeiten, sagte Zollmann.

Aus allen Vorträgen und Diskussionen beim Jahresauftakt wurde deutlich: Die wirtschaftlichen Herausforderungen in Ungarn, Deutschland und Europa sind sehr ähnlich, und sie erfordern gemeinsame ‒ europäische wie auch ungarisch-deutsche ‒ Anstrengungen. DUIHK-Präsident Sávos leitete daraus die Einladung ab: „Lassen Sie uns 2025 zu einem Jahr der Chancen machen!“

Weitere Fotos von der Veranstaltung finden Sie hier.

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