Einzelhandel
Auf jeden Rausch folgt Ernüchterung
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Im März lagen die Einzelhandelsumsätze um Kalendertage bereinigt um 13,1% unter dem Vorjahresniveau, teilte das Zentralamt für Statistik (KSH) am Freitag mit. Genau vor einem Jahr erreichte der durch die Orbán-Regierung mit üppigen Wahlgeschenken versüßte Konsumrausch seinen Höhepunkt. Die Ungarn ließen monatlich rund 1.400 Mrd. Forint in den Geschäften, während die Inflation erstmals in zweistellige Gefilde vorstieß.
Zur Rekorddynamik mit 17% zum Vorjahr im März 2022 trug überwiegend das Nonfoodsegment bei: Nach der Fastenzeit des Corona-Virus gönnten sich die Magyaren mal wieder langlebige Verbrauchsgüter. Mit sieben Prozentpunkten war damals aber auch der Kraftstoffhandel am Rekord beteiligt, wobei von der Preisdeckelung an den Tankstellen zu jener Zeit noch reichlich Ausländer profitierten. Für Lebensmittel hatten die Bürger des Landes aber selbst in jenen Zeiten des ungehemmten Konsums kaum mehr Geld übrig: Der Anteil dieses Segments beschränkte sich auf einen einzigen Prozentpunkt. Heute ist das Lebensmittelsegment nach zehn (!) Monaten des stetigen Abstiegs gegenüber dem ohnehin wenig sensationellen Vorjahreswert um ein Zehntel geschrumpft. Dieser Niedergang ist brutaler, als zur Zeit der Weltwirtschaftskrise gemessen wurde.
Tankstellenpächter doppelt gestraft
In den beiden Schlagersegmenten des Frühlings 2022 spiegelt sich nun die erschöpfte Kaufkraft wider: Das Nonfoodsegment lag im Februar und März jeweils um nahezu 10% unter dem Basisniveau, die Tankstellenpächter aber werden doppelt gestraft. Denn während sie zur Zeit der Preisdiktate bis zu 50% mehr Kraftstoffe „ausschenken“ mussten – mit derben Verlusten auf jeden einzelnen Liter –, wirkt das Ende der Preisdeckelung zum Nikolaustag bis heute nach und wegen des ausbleibenden Effekts des Tanktourismus zunehmend derber. Im Dezember stagnierten ihre Umsätze bereits; der gesamtjährige Zuwachs erreichte noch ein Viertel. Im Januar folgte ein Minus von 10%, getoppt von nahezu 15% im Februar und noch mehr demoralisierenden 30% minus im März. Dabei fiel zumindest der Preis für einen Liter Dieselkraftstoff Ende März erstmals wieder unter 600 Forint, der zu Jahresbeginn noch bei 725 Forint lag.
Zu laufenden Preisen wurden im März im Einzelhandel gut 1.500 Mrd. Forint realisiert, wovon wieder die Hälfte auf den Lebensmittelhandel entfiel, und nur noch ein Sechstel auf die Tankstellen. Die Ungarn verzichten heute auf Möbel und technische Artikel, ja sie lassen sich nicht einmal mehr Pakete zuschicken – der Corona-Boom des Onlinehandels ist seit Monaten am Ende.
Kaufkraft abhandengekommen
Im I. Quartal ist der Einzelhandel insgesamt um 9,5% abgestürzt, darunter das Nonfoodsegment um gut 7%, der Lebensmittelhandel um 8% und der Tankstellenabsatz um 19%. Diese Zahlen verdeutlichen, dass der Bevölkerung ganz real ein Zehntel ihrer Kaufkraft abhandengekommen ist. Egal, was Fidesz und Staatsmedien auch immer über ein anhaltend steigendes Lebensniveau verlautbaren lassen… Die einzig gute Nachricht halten die (neutralen) Experten bereit: Der Einzelhandel könnte sich in den kommenden Monaten – mit dem Ausscheiden der brutalen Basiseffekte und der ab Sommer merklich sinkenden Inflation – auf dem Niveau von 2021 stabilisieren. Das brachte eine markante Korrektur nach dem Corona-Jahr 2020, freilich noch nicht die Rückkehr zur Wachstumsbahn des Privatverbrauchs in den Jahren der Hochkonjunktur vor der Krise. Der Anfang ist damit gemacht, dass der Einzelhandel im März gegenüber dem Februar immerhin schon mal um bescheidene 0,8% zulegen konnte.
