Staatssekretär László György: „Unsere Volkswirtschaft befindet sich gemessen an den Umständen in einem guten Zustand.“ (Foto: Facebook)

Interview mit Staatssekretär László György

Zeit für eine patriotische Wirtschaftspolitik

Im Ministerium für Innovationen und Technologien ist László György für Wirtschaftsstrategie und Regulierung zuständig. Er verrät im Interview, in welchem Zustand sich die ungarische Wirtschaft befindet und wie die Aussichten für einen erfolgreichen Neustart stehen.

Ausländische Analysten meinen, Ungarn habe gute Chancen, nach dem Abklingen der Corona-Pandemie die Wirtschaftskrise schnell in den Griff zu bekommen.

Unsere Volkswirtschaft befindet sich gemessen an den Umständen in einem guten Zustand. Im Ausland beurteilt man unsere Lage deshalb positiv, weil uns die Pandemie inmitten einer robusten Konjunkturphase erwischte. Wir haben in den jüngsten Jahren flexible, exportorientierte und wettbewerbsfähige Hightech-Kapazitäten aufgebaut, die in den Startlöchern stehen, sobald sich die Verwerfungen am Weltmarkt glätten. Ein gutes Beispiel ist, wie die Fertigung bei Audi und Mercedes wieder anläuft.

Es ist außerordentlich relevant, dass ein Gros der Unternehmer in der jetzigen schwierigen Lage das Risiko eingeht, die Arbeitsplätze zu halten. Ich bin sehr froh darüber, dass wir infolge der Rückmeldungen von Seiten der Kammern und Verbände Regelungen für das Kurzarbeitergeld ausgestalten konnten, die einen enormen Beitrag leisten, so viele Arbeitsplätze wie möglich durch die Krise zu bringen.

Staatssekretär László György (l.) bei der Übergabe von Desinfektionsmitteln der Firma MOL an die Semmelweis-Uni-Klinik: „Ungarn hat zuerst bei Desinfektionsmitteln auf die Selbstversorgung umgestellt und strebt diese nun auch für Gesichtsmasken an.“ (Foto: Tamás Kovács)

Neben dem Kurzarbeitergeld gibt es noch weitere Förder- und Kreditprogramme.

Wir möchten nicht einfach nur Löhne zuschießen, sondern Programme auflegen, die der Entwicklung der Firmen bestmöglich dienen. Früher gab es gesonderte Ausschreibungen für Digitalisierung, technologische Modernisierungen, für Schulungen oder aber eine effizientere Energieverwendung. Heute überlassen wir es dem Management, innerhalb eines weit gesteckten Rahmens selbst zu entscheiden, welche Richtung man dem Unternehmen geben will. Obendrein sind Firmen aus der Hauptstadt und dem Großraum Budapest von diesen Förderungen nicht länger ausgeschlossen. Wer 90 Prozent der Arbeitsplätze bewahrt und die Effizienz des Unternehmens steigert, „transformiert“ gewissermaßen die gewährten Gelder in Zuwendungen, die nicht zurückgezahlt werden müssen.

Die Opposition attackiert die Regierung vor allem, weil diese nichts gegen die zunehmende Arbeitslosigkeit tut.

Was wir bis jetzt wissen: Ende April befanden sich 330.000 Menschen auf Stellensuche, also rund 50.000 mehr, als vor der Corona-Krise. Wer seinen Job verlor, konnte schon bislang zwischen verschiedenen spezifischen Programmen, etwa für jüngere oder für ältere Arbeitskräfte, wählen. Wer eine schnelle Lösung sucht, kann auch durch die öffentlichen Arbeitsprogramme aufgefangen werden.

Ich denke, erst wenn die Notstandslage vorbei ist, werden wir klar sehen können, wie viele Menschen wirklich ohne Arbeit geblieben sind. Diesen Menschen wird der Staat Arbeit offerieren, solange der Markt dazu nicht imstande ist. Wir dürfen bei allen Beihilfen für Firmen und Arbeitnehmer aber nicht vergessen, dass wir hier Steuergelder verwenden. Deshalb müssen die Sozialpartner bereit sein, für eine zügige Überwindung der Krise Kompromisse einzugehen. So können wir an unserer Philosophie einer auf Arbeit basierenden Gesellschaft festhalten, ohne die Steuerzahler über Gebühr zu strapazieren.

Foto: Facebook

Beginnt nach der Corona-Krise tatsächlich eine neue Welt?

Das US-Magazin „Foreign Policy“ befragte Politikwissenschaftler aus allen Teilen der Welt, mit welchen Veränderungen sie rechnen. Zwei Drittel der Befragten glauben, die übertrieben langgestreckten Wertschöpfungsketten sind nicht haltbar, weil zu riskant – der Sicherheitsfaktor wird künftig eine Aufwertung erfahren. Das predigen wir hier in Ungarn seit zehn Jahren: Europa und darin eingebettet Ungarn muss imstande sein, selbst zu erzeugen, was es verbraucht. Es bedurfte erst eines globalen Notstands, damit auch Brüssel endlich einsieht, dass wir Recht haben. Es mag schon sein, dass Unternehmen mehr daran verdienen, wenn sie ihre Produkte irgendwo in Asien fertigen lassen. Aber was hier produziert wird, schafft hier Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Der Saldo fällt noch viel besser aus, wenn wir uns in einer Gefahrenlage auf systemkritische Produkte und Lieferketten vor Ort stützen können. Ungarn hat zuerst bei Desinfektionsmitteln auf die Selbstversorgung umgestellt und strebt diese nun auch für Gesichtsmasken an.

Die Beatmungsgeräte kamen aber aus Asien…

Dazu berichteten die sogenannten „unabhängigen“ und „objektiven“ Medien, Forscher der NASA hätten in nur 37 Tagen ein Beatmungsgerät zur Serienreife entwickelt. Darf ich anmerken, dass dies Ingenieuren der TU Budapest in nur 21 Tagen gelang? Oder dass an der Universität von Óbuda eine Technik entwickelt wurde, mit der die gleichzeitige Beatmung von mehreren Patienten möglich wird? Diese Beispiele zeigen, dass jede Krise zugleich Chancen für Unternehmergeist und Wissenschaftler bietet.

Nun müssen wir unserem Standpunkt einer patriotischen Wirtschaftspolitik Geltung verschaffen, um den ausgeweiteten Handlungsspielraum ausschöpfen zu können.

Wo sehen Sie unsere Stärken?

Wir sollten uns auf jene traditionellen Stärken konzentrieren, die den Umbruch der 1990er Jahre überdauert haben. Das wären die Landwirtschaft, die Nahrungsmittelindustrie, Tourismus und Gastgewerbe, Kreativ-Industrie und Kulturwirtschaft. Darüber hinaus verdienen Zukunftsfelder wie Biotechnologien, Wasserstoff, Künstliche Intelligenz oder Datenwirtschaft unsere Beachtung. So erlangen beispielsweise Biotechnologien in Verbindung mit der einheimischen Gesundheitsindustrie eine strategische Relevanz. Vielversprechende Entwicklungen gibt es auch im heimischen Flugzeugbau, mit neuartigen Antrieben und Materialien.

Wird sich die Krise in die Länge ziehen oder kehren wir rasch auf die Wachstumsbahn zurück?

Die Welt verändert sich in rasantem Tempo. Wir verfolgen und analysieren diese Prozesse aufmerksam. Im Moment schaut es so aus, dass wir noch sehr viel tun müssen, um die negativen Auswirkungen der Corona-Krise zu mindern. In 2021 dürfte das Wachstum aufgrund der niedrigen Basiswerte aber in die Höhe schießen. Wir sind in der Krise auf das Schlimmste vorbereitet, wobei ich persönlich eher optimistisch bin. Zumal die Aussichten für die ungarische Wirtschaft mittelfristig ausgesprochen gut sind.

Das Interview führte Ida Nagy.
Aus dem Ungarischen von Rainer Ackermann.

Das hier gekürzt wiedergegebene Interview erschien zuerst im konservativen Wochenmagazin Demokrata.

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