Interview mit Peter Szenkurök, Direktor der Oberbank Ungarn
„Wir müssen beweglich sein“
Wie wirkt sich die Corona-Krise bisher auf Ihre Bank aus?
Als sie losging, gab es von der Kundenseite her einige Wochen lang eine große Zurückhaltung. Dennoch waren wir wegen laufender Kreditgeschäfte noch sehr gut beschäftigt. Natürlich konnten wir Mitte März noch kaum abschätzen, wie lange der Shutdown dauern würde. Wir wussten auch nicht, wie schwer unsere Kunden beziehungsweise einzelne Branchen betroffen sein würden. Daher haben wir uns sehr früh dafür entschieden, einen intensiven Dialog mit unseren Kunden zu initiieren und uns damit ein verlässliches Bild der realen Lage zu verschaffen. Jetzt wissen wir, dass die meisten unserer Kunden durchaus gut aufgestellt sind und keine oder relativ wenig zusätzliche Liquidität benötigen. Offensichtlich konnten die letzten guten Wirtschaftsjahre zum Aufbau von Reserven genutzt werden. Nach dieser ersten Phase der Evaluierung der Situation und Standortbestimmung konzentrieren wir uns jetzt auch wieder aktiv auf das Neugeschäft. Operativ war für uns das Wachstum in Ungarn im ersten Quartal zufriedenstellend und verlief im Rahmen unserer Erwartungen.
Bisher gab es bei Ihnen also nicht einmal eine Delle?
Nein, das hat aber auch mit den Eigenheiten unseres Geschäfts zu tun. Der Vorlauf beispielsweise von Finanzierungsgeschäften, von der Angebotsphase bis zur Vertragserstellung und schließlich bis zur Ausnutzung beträgt teilweise mehrere Monate. Bei Immobilienentwicklungen beträgt die Bau- und Finanzierungsphase oft auch zwei Jahre. Jetzt bringen wir also Geschäfte zur Unterschriftsreife und zur Realisierung, die teils noch vor der Krise angebahnt worden sind.
Wie ist die Situation bei Ihren Kunden?
Es gibt Branchen, deren Geschäftsentwicklung nicht wesentlich negativ beeinträchtigt wurde. Ich erinnere daran, dass es vor Beginn der Corona-Krise in Ungarn einen absoluten Mangel an Facharbeitern gab. In der Baubranche konnte man kaum noch ausführende Baufirmen zu vernünftigen Preisen bekommen. Löhne und Gehälter stiegen in den letzten drei Jahren in Ungarn im Durchschnitt jeweils zweistellig. Diese Entwicklungen haben sich natürlich entspannt und relativiert. Immobilienentwickler setzen beispielsweise ihre Projekte weiter planmäßig fort und die Baufirmen sind nach wie vor beschäftigt. Die Tourismusbetriebe, insbesondere die Hotels und Restaurants leiden natürlich dramatisch, weil Umsätze in der Regel gänzlich ausgefallen sind. In der Hotellerie oder Gastronomie gibt es daher logischerweise deutlich negative Entwicklungen. Der Dialog mit unseren Kunden aus der stark betroffenen Hotellerie hat aber auch deutlich gemacht, dass die letzten sehr erfolgreichen Jahre zum Aufbau von Reserven und Liquidität genutzt wurden. Das kommt diesen Firmen jetzt sehr zugute. Manche starke Betriebe nutzen die Zeit des Stillstandes sogar dazu, um Ersatzinvestitionen oder Renovierungen vorzuziehen. Überbrückungskredite für Unternehmer aufgrund mangelnder Liquidität sind bei unseren Kunden derzeit noch eher selten. Das ist auch dem sehr wirksamen und frühzeitig verordneten Zahlungs- und Kreditmoratorium geschuldet. Für die nächsten Wochen und Monate sind wir gut ausgelastet.
Wie viele Ihrer Kunden haben bisher dieses Moratorium genutzt?
Wenn man es vom Volumen her betrachtet, zahlen etwa 40 Prozent unserer Kunden freiwillig unverändert weiter. Das bewerte ich als sehr positiv, selbst wenn es für eine solche Sondersituation noch keine Erfahrungswerte gibt. Klar ist aber auch, dass dieser Wert nur bedingt einen Qualitäts- oder Bonitätshinweis darstellt. Es gibt auch Firmen, die das Moratorium nicht wegen einem akuten Liquiditätsengpass sichern, sondern um das „Pulver trocken zu halten“, also um für zukünftige Überraschungen gewappnet zu sein. Ich gehe davon aus, dass diese Firmen, sobald wieder einigermaßen Planungssicherheit herrscht, ihre Kredite wie gewohnt bedienen werden. Man kann ja jederzeit freiwillig wieder in den normalen Tilgungsrhythmus wechseln.
Wer zahlt die Zinsen für die zeitliche Streckung der Kredite?
Mit der Teilnahme am Moratorium zahlt der Kunde bis zum Jahresende keine Kreditraten und keine Zinsen. Das gilt im übrigen auch für Leasing-Finanzierungen. Ab dem 1. Januar 2021 zahlt der Kunde dann wieder die ursprünglich vereinbarten Kreditraten und Zinsen. Die Summe der bis zum Jahresende gestundeten Kreditraten und Zinsen muss zwar bis zum Laufzeitende zurückbezahlt werden, sie darf aber nicht weiter verzinst werden. Dieser Verlust des Zinseszinses wirkt sich gewinnmindernd für die ungarischen Banken aus und ist sozusagen ein weiterer Beitrag der Banken für die Unterstützung der Kreditnehmer in der Krise.
In welcher Höhe belaufen sich die Kosten für den administrativen Aufwand?
Eine genaue Zahl lässt sich schwer angeben. Es mussten aber sowohl Vertriebs- als auch Back Office-Mitarbeiter zeitlich involviert werden und es fielen sogar Überstunden an. Wir mussten uns übrigens mit unserem kompletten Kreditbestand beschäftigen. Es war eine eindeutige Willenserklärung des Kunden erforderlich, um klar zu machen, ob er sich dem verordneten Moratorium anschließen möchte oder ob er freiwillig weiter zahlen möchte. Es musste also kommuniziert werden, es mussten teilweise Ergänzungen zu den Kreditverträgen und zu den Tilgungsplänen gemacht werden und letztendlich mussten die Änderungen auch in den Systemen erfasst werden. Außerdem gab und gibt es einen zusätzlichen Programmierungsaufwand, weil ursprünglich einzelne Details des Kreditmoratoriums nicht vollständig in den Systemen technisch abgebildet werden konnten. Das alles war und ist teilweise noch mit einem großen Aufwand verbunden. Kurzarbeit ist bei uns sicher auch deswegen kein Thema (lacht).
Was tun Sie, wenn einer Ihrer Kunden über das Moratorium hinaus krisenbedingt zusätzliche Liquidität braucht?
Wir sind darin übereingekommen, dass wir diesen Kunden möglichst rasch und unbürokratisch helfen. Natürlich ist es unvermeidlich zu prüfen, ob eine für den Kunden bereitgestellte etwaige Überbrückungsfinanzierung nach Beendigung der Krise bei einem normalisierten Geschäftsverlauf wieder zurückgezahlt werden kann. Immerhin verleihen wir ja das Geld unserer Sparer und Anleger. Bisher konnten wir bereits einigen Kunden wirksam helfen. Überraschend ist, dass es allerdings nur relativ wenige Kunden mit einem zusätzlichen Liquiditätsbedarf gibt.
Womit erklären Sie sich das?
Sicherlich hat das auch damit etwas zu tun, dass es in Ungarn im Vergleich zu Deutschland oder Österreich sehr früh ein sehr weitgehendes Kredit-Moratorium gab.
Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Ungarischen Nationalbank?
Die Aktivitäten der Nationalbank MNB sind sehr entschlossen. Man hat lediglich etwas länger gewartet, als in Österreich oder Deutschland. Vielleicht lag das auch daran, dass sich die Pandemiekurve in Ungarn mit einer zeitlichen Verzögerung entwickelt hat. Am Ende sind es aber enorme Beträge, die von der MNB zur Verfügung gestellt werden. Die Banken werden mit langfristiger Liquidität zu attraktiven Konditionen versorgt und können diese an ihre Kunden weiterreichen. Die einzelnen MNB-Programme sind recht unbürokratisch. Umschuldungen zwischen Banken können relativ unbürokratisch vorgenommen werden. Das bringt Wettbewerb. Es gibt auch staatliche Kreditbürgschaften. Natürlich wirken all diese Investitionsanreize nur bedingt in einem Umfeld, das derzeit noch von großer Unsicherheit geprägt ist. Letztendlich investieren Firmen nur dann in den Ausbau ihrer bestehenden Kapazitäten, wenn sie darauf vertrauen, dass sie ihre Produkte und Dienstleistungen auch wirklich absetzen können.
Versorgt sich auch Ihre Bank mit zusätzlicher Liquidität von der MNB?
Ja, wir nehmen an all diesen MNB-Programmen, wie etwa dem Programm „NHP Hajrá“ teil. Und natürlich nehmen wir auch die staatlichen Kreditbürgschaften in Anspruch. Das sichert auch solchen Kunden gute Finanzierungsmöglichkeiten, die nicht die allerbeste Bonität aufweisen. Das alles soll die Banken dazu motivieren, weiterhin aktiv zu finanzieren.
Im Gegensatz zur Wirtschaftskrise von vor zehn Jahren unterstützt also der Staat die Banken jetzt, statt sie mit Sondersteuern zu schröpfen.
Eine funktionierende Bankeninfrastruktur mit aktiver Kreditvergabe ist ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil einer Volkswirtschaft. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Ausmaß des realen wirtschaftlichen Rückgangs und die Zeitdauer, diesen wieder wettzumachen, noch sehr schwer abzuschätzen sind. Es wäre nicht überraschend, wenn dieser Gesundheitskrise inklusive Shutdown ein relativ starker Rückgang der Wirtschaftsleistung folgen wird. Das würde auch zu einem Anstieg von Insolvenzen führen, welcher in Ungarn durch das Moratorium bisher verzögert werden konnte. All das hängt natürlich auch davon ab, ob die wirtschaftlichen Lockerungsmaßnahmen fortgesetzt werden können oder ob es wieder zu Beschränkungen kommt.
Was bedeutet diese Coronakrise für die Oberbank in Ungarn?
Für gute, gesunde und bewegliche Organisationen bedeuten Krisen regelmäßig auch Chancen. Die Oberbank verfügt in ihrer österreichischen Mutter über fast 20 Prozent Eigenkapital. Wir können unsere Kunden also aktiv durch die Krise begleiten und auch weiter wachsen. Auch in der letzten Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren konnten wir Marktanteile und Wachstum wesentlich steigern. Viele Kunden suchen sichere Häfen und schätzen besonders in Krisenzeiten einen verlässlichen, berechenbaren und stabilen Bankenpartner. Vertrauen ist gerade in Krisenzeiten ein hoher Wert.
Wie haben Sie und Ihre Mitarbeiter sich an die neuen Bedingungen angepasst?
Besonders in der ersten Phase gab es auch bei unseren Mitarbeitern sehr viel Verunsicherung und Angst. Nicht zuletzt, weil einige von ihnen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. So artikulierte sich rasch das Bedürfnis nach Homeoffice. Gleichzeitig war natürlich auch klar, dass die systemrelevanten Prozesse funktionieren müssen. Der Zahlungsverkehr der Kunden muss tagtäglich am Laufen gehalten werden, die Bankomaten müssen mit Bargeld versorgt werden. All das und noch einiges mehr muss sichergestellt werden. Ebenso die täglichen Meldungen an die Nationalbank und die Aufsichtsbehörden. Selbst, wenn es bei uns einen Infektionsfall gegeben hätte und wir Räumlichkeiten hätten zusperren müssen, was glücklicherweise nicht der Fall war. Über einen Krisenstab, der eng kommuniziert, konnten wir uns sehr rasch an die neue Situation anpassen.
Konnten Sie auf vorhandene Notfallpläne zurückgreifen?
So etwas haben wir natürlich, aber nicht für diese Situation. Deswegen mussten wir uns an die Situation herantasten und ein Problem nach dem anderen abhandeln. Wie organisieren wir Videokonferenzen mit Kunden, Mitarbeitern und der Zentrale? Wie stellen wir den Betrieb in den Filialen sicher? Masken und Plexiglas-Scheiben, Desinfektionsmittel mussten in ausreichender Menge bei anfänglicher Nichtverfügbarkeit beschafft werden. Wir brauchten neue Dienstanweisungen für Mitarbeiter aufgrund beispielsweise von „Social Distancing“. Der Umgang der Mitarbeiter untereinander musste geregelt werden. Es musste festgelegt werden, welche Mitarbeiter sich physisch treffen müssen und welche nicht. Ebenso, wie viele Mitarbeiter sich gleichzeitig in einem Büro aufhalten können. Wir waren einen Monat lang gut damit beschäftigt, unsere Sicherheitsstandards auf ein vernünftiges Niveau zu bringen. Daneben mussten wir uns natürlich auch um unsere primäre Aufgabe, nämlich das Geschäft mit den Kunden kümmern.
Ihr erstes Resümee!?
Zu meiner Überraschung konnten sich die Mitarbeiter sehr schnell umstellen. Es wurde auch im Homeoffice sehr gut kommuniziert. Einige Mitarbeiter berichteten sogar, dass sie nun, da sie sich An- und Abreise zur Bank sparen können, sogar effektiver arbeiten würden. Ich denke, dass die jetzt gemachten Erfahrungen auch die Welt nach Corona verändern werden. Ich selbst kann mir nicht mehr vorstellen, bei jeder Gelegenheit eine Dienstreise zu machen – selbst, wenn der persönliche Kontakt natürlich wichtig ist, gerade bei einer Bank wie der Oberbank.
Wie viele Ihrer Leute sind zurzeit im Homeoffice?
Man muss dabei ein wenig differenzieren zwischen Innendienst und Filiale. Die Filialen müssen ja geöffnet sein, das ist ja sogar, mehr oder weniger, ein Auftrag der Regierung. Beim Innendienst waren es in der Anfangsphase schätzungsweise 50 Prozent der Mitarbeiter, die im Homeoffice waren. In den Filialen waren es etwa einer von vier. Wir werden generell auch über die Corona-Krise hinaus an einer Regelung bezüglich des Homeoffice arbeiten. Einige Elemente werden wir ganz sicher beibehalten. Ebenso bei unserer Meeting-Policy. Natürlich möchten wir einen möglichst engen Kundenkontakt pflegen. Aber es geht auch immer um den konkreten Nutzen, den ein persönliches Meeting stiften kann. Manchmal reichen ein Telefonat oder eine Videokonferenz völlig aus.
Waren Ihre Filialen die ganze Zeit über geöffnet?
Es gab eine einzige Geschäftsstelle in Budapest mit nur vier Mitarbeitern, die mehrere Wochen lang geschlossen war. Das kam dadurch, dass die Kindergärten und die Schulen ja auch geschlossen sind, sodass es nicht möglich war, gleichzeitig die Kinder zu betreuen und sich um die Filiale zu kümmern. Da es in Budapest genügend Filialen von uns gibt, haben wir die zeitweilige Schließung für vertretbar gehalten. Die Kunden konnten ja trotzdem einen Termin bekommen und sich mit einem Filialmitarbeiter treffen, nur halt in einer anderen Geschäftsstelle. Oder sie konnten auf andere Weise miteinander kommunizieren. Generell hatten wir empfohlen, die Präsenztreffen auf ein absolut notwendiges Minimum zu reduzieren, beispielsweise wenn eine Unterschrift notwendig ist.
Stellt die Krise Ihr Filialwachstum in Frage?
Wir haben erst kürzlich in Budapest eine neue Geschäftsstelle eröffnet. Aber natürlich ist das Filialwachstum derzeit nicht unsere oberste Priorität. Der weitere Ausbau unseres Filialnetzes wurde aber nur aufgeschoben.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ich glaube schon, dass das Ganze nachhaltige Bremsspuren in der Realwirtschaft hinterlassen wird. Ich glaube auch nicht, dass sich die Situation in allen Branchen – Stichwort „internationaler Reiseverkehr“ – rasch wieder normalisieren wird. Es könnte durchaus noch einige Jahre dauern, bis man wieder auf die Werte von vor der Krise kommt.
Wie in jeder Krise, so gibt es aber auch jetzt wieder Gewinner. Dazu gehören unter anderem bewegliche Unternehmer, die den richtigen Blick für die sich jetzt bietenden Chancen haben. Ebenso aber auch Unternehmer, die einfach das Glück haben, in einer der derzeit boomenden Branchen wie E-Commerce oder IT tätig zu sein. Wir müssen beweglich sein, das ist jetzt das Wichtigste.
Ich sehe auch, dass sich der Umgang der Menschen miteinander verändert. Die Krise ist auch eine Zeit, um enger zusammenzurücken und Vertrauen aufzubauen. Wenn wir mit unseren Kunden jetzt erfolgreich die Zeit der Krise meistern, dann gehen wir gestärkt in die Zeit danach. Wenn wir jetzt gut agieren, dann festigen wir nicht nur unsere Kundenbeziehungen, sondern werden auch weiter empfohlen. Das ist unsere Chance.
Ich gehe davon aus, dass in Zukunft wieder mehr auf Regionalität gesetzt wird. Themen wie ein Mindestmaß an Autarkie bei strategisch wichtiger Infrastruktur sowie Qualität und Kapazität des Gesundheitssektors wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine größere Beachtung geschenkt werden. Die Digitalisierung von Geschäftsmodellen wird durch diese Krise ganz sicher beschleunigt. Denkhaltungen von Entscheidungsträgern in der Wirtschaft, aber auch von Kunden werden nachhaltig verändert. Daraus ergeben sich zahlreiche neue Chancen für veränderungsbereite Unternehmer. Die Beweglichkeit einer Organisation und ihrer Mitarbeiter ist gerade in Zeiten des Umbruchs ein wesentlicher Erfolgsfaktor.