Interview mit Innovationsminister László Palkovics
„Ich war immer für den Dialog“
Ob CEU, Akademie oder Theater-Uni – als würden alle problematischen Sachen bei Ihnen landen.
Das bin ich längst gewohnt. Natürlich gehen auch andere Minister immer wieder harte Konflikte an. Nur dass ich regelmäßig gegen Leute antreten muss, die geschickt die einheimische und internationale Öffentlichkeit beeinflussen.
Dachten Sie schon mal daran, das Handtuch zu werfen?
Warum sollte ich? Jeder Streit war motiviert, nur wollten wir im Gegensatz zur Darstellung der Opposition nichts kaputtmachen, sondern das Hochschulwesen und die Wissenschaften stärken, Forschung, Entwicklung und Innovationen effizienter gestalten.
Der Europäische Gerichtshof hat erklärt, die „Lex CEU“ stehe im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht. Nun dürfen Sie die Änderung des Hochschulgesetzes also wieder rückgängig machen.
Bei der CEU handelte es sich von Anfang an um eine technische Angelegenheit. Der Europäische Gerichtshof kam zu dem Schluss, die ungarische Regulierung behindere den freien Dienstleistungsstrom. Das ist insofern überraschend, weil zahlreiche Länder in Europa eine ähnliche Praxis wie wir verfolgen. Selbst der Venedig-Ausschuss zeigte der EU bereits vor zwei Jahren an, dass die ausländischen Universitäten in Ungarn frei agieren können. Für uns ist es inakzeptabel, zweierlei Maß anzulegen. Jede Universität hat sich den geltenden Rechtsnormen zu fügen. Es gibt mehrere Dutzend ausländische Hochschuleinrichtungen in Ungarn, die nahezu ausnahmslos mit dem neuen Gesetz zurechtkommen.
Was werden Sie tun?
Ungarn wird das Gerichtsurteil im Interesse der ungarischen Menschen vollstrecken. Wir sind nun genötigt, von einer der liberalsten Regulierungen in Europa zu einer steiferen Regelung zu wechseln, wie sie in anderen europäischen Ländern gültig ist. Sehr wahrscheinlich werden wir das bayrische Modell übernehmen. Aber auch in Bayern können ausländische Universitäten nicht so unterhalten werden, wie das bislang mit der CEU bei uns geschah. Das erklärt sich daraus, dass Bayern sein eigenes Hochschulwesen schützen möchte. Somit werden wir hier einen Rückschlag erleiden. Weil die Modelle anderswo aber noch strenger als in Bayern sind, erscheint dieser Kompromiss am ehesten annehmbar.
Was bedeutet das konkret?
Universitäten mit ausländischer Akkreditierung dürfen nur dann in Ungarn betrieben werden und Diplome ausgeben, wenn sie eine Kooperation mit einer ungarischen Hochschuleinrichtung eingehen.
Die CEU ist deshalb nach Wien umgezogen, weil sie vergeblich neue Studiengänge an der Partneruni in New York auflegte. Der ungarische Staat wollte auch so den internationalen Vertrag nicht unterzeichnen, mit dem ihr Betrieb in Budapest hätte stabilisiert werden können.
Diese Universität wird heute in Budapest und in Wien unterhalten. Der Unterschied besteht darin, dass es sich in Wien um eine akkreditierte österreichische Bildungseinrichtung handelt. Da stellt sich mir die Frage: Wenn die CEU den Vorschriften Österreichs gerecht werden will und kann, warum wollte sie das in Ungarn nicht?
Würden Sie sich über eine Rückkehr der CEU nach Budapest freuen?
Die CEU kann durchaus auf Erfolge verweisen, erst recht die Mitteleuropäische Universität, die viele Ausschreibungen um EU-Gelder gewinnen konnte. Mit der Mitteleuropäischen Universität bin ich also absolut zufrieden. Was uns die CEU darüber hinaus geben könnte, weiß ich nicht. Allgemein gesprochen streben wir danach, international renommierte Universitäten in das einheimische Hochschulwesen zu integrieren. In diesem Sinne ist die Zusammenarbeit des Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit der Universität Debrecen zu verstehen.
Ein anderer Hochschulkonflikt handelt von der Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE). Die Regierung behauptet, man habe damit nichts zu tun. Sie beruft sich auf den vollzogenen Modellwechsel. Ist das nicht scheinheilig, nachdem das Kuratorium von der Regierung eingesetzt wurde?
Das Gesetz weist dem Staat das Recht zu, das Kuratorium zu bestimmen. Letzteres Gremium wiederum entscheidet, wie man sich den Betrieb der Universität vorstellt. Die Regierung hat ausgezeichnete Fachkapazitäten delegiert, mit dem Intendanten des Nationaltheaters, Attila Vidnyánszky, an der Spitze. Ich verstehe schon, dass im linksliberalen Lager nur jene als „ausgezeichnet“ gelten, die man selber so einstuft.

Das Problem besteht doch darin, dass kein einziger Kandidat der Universität ins Kuratorium gelangte.
Wir respektieren die Vergangenheit der Universität, ihre fachlichen Qualitäten und künstlerischen Leistungen. Nichtsdestotrotz haben die Mitarbeiter und Studenten an keiner einzigen jener Hochschuleinrichtungen, die bereits den Modellwechsel von der staatlichen zur Stiftungsträgerschaft vollzogen haben, die fachliche Zusammensetzung des Kuratoriums in Frage gestellt. Wir sprechen hier von einem halben Dutzend Universitäten. Die SZFE steht für gerade mal zwei Prozent aller betroffenen Studenten.
Werden Sie mit den Studenten und den Mitarbeitern verhandeln?
Interne Debatten müssen intern gelöst werden. Die Regierung hält an ihrer ursprünglichen Absicht fest, dass die Universitäten freier und unabhängiger vom Staat betrieben werden sollen. Die fachlichen Aufstiegschancen der jungen Absolventen für Theater- und Filmkunst sollen sich deutlich verbessern. Es wirkt schon bizarr, wenn die Studenten und Dozenten der SZFE den für das Hochschulwesen zuständigen Minister als Verhandlungspartner fordern. Als wollten sie unter staatlicher Obhut bleiben und auf die neue Freiheit verzichten. Dabei vereitelte die gleiche SZFE 2014 noch den durch die Regierung vorgeschlagenen Kanzler. Damals hieß das Argument, der Staat solle der Einrichtung nicht die Zügel anlegen, man wolle eigenständig bleiben.
Keiner will unter staatliche Obhut. Die Verhandlungen wären darauf gerichtet, die Autonomie der Universität wiederherzustellen.
Die ganze Geschichte handelt in Wirklichkeit nicht von der Autonomie der Universität. Die Dozenten benutzen ihre Studenten für eine Art ideologischen Feldzug. Das ist nicht fair. Sie müssen nun selbst zusehen, wie sie aus dieser verfahrenen Lage wieder herausfinden. Studenten sollten nicht Gebäude besetzen, sondern sich besser unter normalen Rahmenbedingungen auf das Lernen konzentrieren. Die Regierung hat ihren Beitrag geleistet und die Zuwendungen für den Universitätsbetrieb der SZFE um 3 Mrd. Forint verdoppelt.
„Ich habe über all die Jahre viele verzweifelte Versuche erlebt, wie die SZFE sich irgendwie Gehör beim Ministerium verschaffen wollte. Ich werde nie vergessen, wie wir warten und warten, bis wir in sein Arbeitszimmer vorgelassen werden. Dort sitzen wir, doch wer nicht kommt, ist Minister Palkovics. Keine Terminabsage, nichts. Und das passierte bei weitem nicht zum ersten Mal.“ Das sind Worte der Filmregisseurin Ildikó Enyedi, die nach drei Jahrzehnten den Unterricht an der Universität quittierte.
Ich habe zwischen 2014 und 2018, damals noch als Staatssekretär für das Hochschulwesen, zahlreiche Veranstaltungen der SZFE besucht. Gemeinsam mit dem damaligen Rektor erarbeiteten wir einen strategischen Entwicklungsplan, der sogar den Bau eines Campus neben dem Nationaltheater umfasste. Ich habe mich immer um den Dialog bemüht.

So wie mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA)? Wie nahmen Sie auf, dass Tamás Freund der neue Präsident ist?
Das war zu erwarten, denn er ging als Favorit ins Rennen. Es ist richtig, dass wir ihn zum Akademiepräsidenten gewählt haben.
Es sieht aber nicht so aus, als würde das Eis zwischen Regierung und Akademie schmelzen. Freund hat Ihnen ein Protestschreiben übermittelt, weil Sie sich in die Bewertung von Forschungs-Ausschreibungen einmischten. Er lud Sie zu einem Mittagessen ein, um den Konflikt zu besprechen, was Sie jedoch zurückwiesen.
Seither gibt es auf meine Initiative hin Konsultationen mit der MTA über die Zusammenarbeit hinsichtlich der Ausschreibungen. Denn alle wissen, dass wir das bestehende System verbessern müssen. Das Mittagessen hat noch Zeit, zumal er als Präsident der Akademie jede Menge an neuartigen Aufgaben zu bewältigen hat, wie auch ich mich nicht über zu wenig Arbeit beklagen kann.
Ihr Haus hat Entscheidungen der Zuweisung von Forschungsgeldern außer Kraft gesetzt. Das kann man nur als Eingriff in die unabhängigen Wissenschaften interpretieren.
Tatsächlich haben wir anhand wissenschaftsmetrischer Indikatoren erhoben, dass neun Forschungsaufträge kein Ergebnis versprechen. Der Prozess, wie Gelder an Forscher zugewiesen werden, muss unbedingt reformiert werden. Die von uns mit Testcharakter eingeführte Bewertungsform soll Staatssekretär József Bódis gemeinsam mit der Akademie feinabstimmen. Das verspricht der MTA eine gewichtigere Rolle. Wenn wir moderne Lösungen im breiten fachlichen Konsens einsetzen, wird das auch die Arbeit der Jury erleichtern.
Zeichnet sich heute ab, dass das Forschungsnetzwerk „Loránd Eötvös“ (ELKH) die Institute besser führen kann, als es die Akademie vermochte?
Hier hat ein sehr positiver Prozess eingesetzt: Die fehlende Abhängigkeit des ELKH von der MTA garantiert, dass die Akademie die Arbeit der Institute nicht beeinflusst. Das ist eine Tatsache, allen Unkenrufen zum Trotz, die ein Ende der Wissenschaftsfreiheit heraufbeschworen.
Es gibt keinerlei Anweisungen von Seiten des Staates, wer was zu forschen hat. Das neue Forschungsnetzwerk hat die Fäden in die Hand genommen. Die Aufgabe der Regierung bestand darin, die Finanzierung abzuklären. Uns wurde vorgeworfen, wir würden der Akademie Gelder entziehen. Dabei erhält das Forschungsnetzwerk im kommenden Jahr 22 Mrd. Forint zusätzlich, mehr als das Doppelte der bisherigen Gelder. Darüber hinaus stellen wir 36 Mrd. Forint für Institutionen und Infrastruktur bereit. Es wurde also mal wieder viel Lärm um nichts gemacht.
Welche Frage beschäftigt Sie mehr: die Migration oder der Klimawandel?
Beide sind wichtig und hängen zu einem gewissen Grade auch voneinander ab. So gibt es Regionen in der Welt, aus denen sich die Menschen infolge des Klimawandels auf den Weg machen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Beim Klimawandel haben wir es insofern einfacher, als dass nicht erst noch jeder von dessen Gefahren überzeugt werden muss. Hier liegt das Problem eher darin, dass die EU-Kommission alle paar Monate neue Ziele definiert, statt erst einmal an der Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen zu arbeiten.
Jüngst forderte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Mitgliedstaaten auf, das Niveau ihrer Kohlendioxidemissionen im Vergleich zu 1990 von den ursprünglich avisierten 40 Prozent bis 2030 sogar um durchschnittlich 55 Prozent zu senken. Ist das realistisch?
Erst einmal sollte jedes einzelne Land seine Hausaufgaben erledigen. Zunächst war davon die Rede, die Schadstoffemissionen bis 2050 um 95 Prozent gegenüber dem Ausgangsniveau von 1990 zu reduzieren, also weitgehend Klimaneutralität zu erreichen. Damit ist aber eigentlich gemeint, dass die Umwelt die abgegebenen Emissionen wieder absorbieren kann. Tatsächlich gibt es Länder, in denen die Kohlendioxidemissionen nicht gesunken, sondern wie in Spanien sogar um 25 Prozent gestiegen sind.
Es macht aber keinen Sinn, wenn sagen wir Deutschland und Ungarn gemeinsam so viele Wälder anpflanzen, mit denen die spanischen Zusatzemissionen absorbiert würden. So ergibt sich keine Klimaneutralität auf EU-Ebene. Wir lösen diese Aufgabe in einer Weise, dass dank des Strukturwandels gleichzeitig die Wirtschaft wächst. Das Mátra-Kraftwerk wird schrittweise modernisiert, der Braunkohleabbau eingestellt, die Unternehmen des Energiesektors zum Erreichen der Sparvorgaben verpflichtet.
Wie hat die Corona-Krise die Umsetzung des gerade erst zu Jahresbeginn verabschiedeten Aktionsplans für Klima und Naturschutz beeinflusst?
In der Tat lenkte die Krise die Aufmerksamkeit von diesem Thema ab. Doch wir kommen voran, denn alle wollen reines Wasser und saubere Luft. Wir haben uns verpflichtet, für jedes neugeborene Kind zehn Bäume zu pflanzen. Das Geld ist bereits bei den Forstwirtschaften, die an die Umsetzung des Programms gehen.

Die Regierung unterstützt zudem die Verbreitung preiswerter Elektroautos. Das hat dazu beigetragen, dass im ersten Halbjahr in Ungarn der deutlichste Anstieg bei der Zulassung von Autos mit alternativem Antrieb in der gesamten EU verzeichnet wurde. Der Staat gewährte 6 Mrd. Forint für den Kauf von über zweitausend Elektroautos und e-Rollern. In den Großstädten läuft der Probebetrieb von e-Bussen an. Ab 2022 dürfen die kommunalen Verkehrsbetriebe für den Stadtverkehr nur noch Busse mit Elektroantrieb kaufen.
Für den sukzessiven Umbau der Flotte gibt der Staat über zehn Jahre hinweg insgesamt 36 Mrd. Forint. Bis 2030 wollen wir Photovoltaik-Anlagen mit einer Gesamt-Kapazität von sechs Gigawatt errichten, um den Familien umweltfreundliche und zugleich preiswerte Energie anbieten zu können. Investitionen von Klein- und mittelständischen Unternehmen in erneuerbare Energien werden mit 32 Mrd. Forint unterstützt. Das Parlament hat einstimmig beschlossen, Einweg-Kunststoffe ab Juli 2021 zu verbieten. Um die Fertigung alternativer Erzeugnisse voranzutreiben, erhielten die betreffenden Industriebetriebe in diesem Jahr 10 Mrd. Forint.

LÁSZLÓ PALKOVICS wurde 1965 in Zalaegerszeg geboren, er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Der Absolvent der TU Budapest (BME, Fakultät für Verkehrsingenieurwesen) ist seit 2007 korrespondierendes, seit 2013 ordentliches Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA). In der Privatwirtschaft war er als Entwicklungsdirektor der ungarischen Tochtergesellschaft von Knorr-Bremse sowie der europäischen Elektroniksparte der Gruppe in Deutschland tätig. 2014 wurde Palkovics zum Staatssekretär für Hochschulwesen im HR-Ministerium berufen, später übernahm er als Staatssekretär das komplette Bildungswesen. In der vierten Orbán-Regierung ist er seit Mai 2018 Minister für Innovationen und Technologien.
Eigentlich sollte im Juli eine neue Behörde zustande kommen, um die Liquidierung der illegalen Abfalldeponien zu koordinieren.
Die Regierung hat die Liquidierung der illegalen Abfalldeponien in Angriff genommen, wie das im Aktionsplan niedergelegt war. Dieser Prozess wird sich über Jahre erstrecken, allein 2020 stehen für diese Zwecke 13 Mrd. Forint bereit. Im Herbst werden die Rechtsnormen verschärft, um die illegale Müllentsorgung strenger zu ahnden. In der ersten Phase wurden die Orte der illegalen Mülldeponien identifiziert und die dort gelagerten Mengen geschätzt. Die Behörden deckten längs der Straßen und Bahnschienen, in Wäldern und Nationalparks 1.200 Deponien mit mehr als 70.000 Kubikmetern Müll auf. Es geht nun darum, dass sich die Bürger hinter die Initiative stellen und mithelfen, eine Neubildung einmal beseitigter Schandflecke zu verhindern.
Mittlerweile hat uns das Coronavirus ein zweites Mal fest im Griff. Für die erste Welle waren strenge Beschränkungen und relativ wenig Infektionen kennzeichnend, heute ist es umgekehrt.
Die erste Welle traf das Tourismusgewerbe besonders schwer. Da die Ungarn im Sommer vermehrt im Inland verreisten, konnte sich die Branche zumindest im ländlichen Raum einigermaßen von dem Schock erholen. Budapest aber leidet weiter unter dem Wegbleiben der ausländischen Touristen. Der Arbeitsmarkt stabilisiert sich, die großen Automobilwerke sind wieder zuversichtlich. Wir vertrauen darauf, dass bald ein Impfstoff vorliegt. Solange das nicht der Fall ist, sollte sich jeder im Winter gegen das Grippevirus impfen lassen, die Maske tragen und Abstand halten. Die Menschen haben verstanden, dass wir mit diesem Virus leben müssen. Wenn wir eine entsprechende Disziplin an den Tag legen, dann lässt sich die Epidemie eindämmen.
Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.
Das Interview von Laura Szalai erschien Ende Oktober im konservativen Wochenmagazin Mandiner.