„Wir wollen uns noch mehr vom Dienstleistungsanbieter in Richtung eines Lösungsanbieters weiterentwickeln.“ Foto: DUIHK / Dávid Harangozó

Interview mit DUIHK-Geschäftsführerin Barbara Zollmann

Geballtes Know-How noch besser nutzen

Seit einem Jahr leitet Barbara Zollmann als Geschäftsführender Vorstand die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer (DUIHK). Aus diesem Anlass unterhielten wir uns mit ihr über das erste Budapester Jahr und die aktuellen Herausforderungen ihrer Kammer.

Was waren in Ihrem ersten Jahr bei der DUIHK die größten Herausforderungen?

Als Kammer sind wir darauf eingestellt, dass es immer neue Herausforderungen gibt. Vor Corona und dem Krieg gegen die Ukraine gab es die Finanzkrise 2008-2009 mit all ihren Spannungen und Verwerfungen und die Flüchtlingskrise 2015. In vielen Ländern meiner Kammer-Kollegen gab und gibt es Naturkatastrophen oder schlimme Ereignisse wie den Tsunami in Indonesien oder den Atomunfall von Fukushima. Das Leben ist nicht geradlinig und verlangt Flexibilität von uns. Als Kammer sind wir immer mitten drin – in guten wie in schlechten Zeiten. Aber man muss, glaube ich, sagen, dass die aktuellen Zeiten besonders herausfordernd sind, weil so viele verschiedene Krisen zusammenkommen und die Anforderungen an Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und internationale Kooperation unglaublich groß sind.

Wie unterscheidet sich die Tätigkeit einer deutschen Auslandshandelskammer in Ungarn von der in anderen Ländern?

Die DUIHK ist Teil des globalen AHK-Netzwerkes mit Standorten in über 90 Ländern. Die konkreten Inhalte und die Art und Weise, wie AHKs in den einzelnen Ländern arbeiten, sind aber sehr unterschiedlich. Wir haben natürlich eine gemeinsame Grundmission: deutschen Unternehmen in dem jeweiligen Land weiterzuhelfen und die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland auszubauen.

In der alltäglichen Arbeit drückt sich das sehr mannigfaltig aus. In meiner Zeit bei der AHK Chicago war unsere Tätigkeit zwei, drei Jahre lang sehr von den Nachwirkungen des 11. September 2001 und dem sich anschließenden Irak-Krieg geprägt, zu dem die USA und Deutschland sehr unterschiedliche Positionen einnahmen. Das hat sich stark auf die bilateralen Beziehungen und nachgelagert dann auch auf die unternehmerische Arbeit ausgewirkt. In Korea wiederum, wo ich bis 2021 die AHK in Seoul leitete, standen ganz andere Themen auf der Agenda.

Inwiefern können Kunden der DUIHK von Ihrem Südkorea-/Fernost-Know-how profitieren?

Korea ist ein Hochtechnologie-Land. Dort ging es vor allem darum, wie sich deutsche Unternehmen als wichtige Partner in die wirtschaftliche Entwicklung und Neupositionierung des Landes einbringen können – sowohl bei der Entwicklung von neuen Technologien als auch als Zulieferer. Ein schönes Beispiel dafür ist die Automobilindustrie, für die koreanische Firmen Batterien entwickeln und deutsche Unternehmen viele Technologien und Maschinen liefern, die zu deren Produktion benötigt werden. Das ist etwas, das ich auch hier in Ungarn finde. Hier ist der Anteil koreanischer Unternehmen im Land sehr stark gestiegen, und ich sehe viele Synergien, die durch die Kooperation zwischen deutschen und koreanischen Unternehmen in Ungarn entstehen können, auch wenn die finalen Entscheidungen über Zulieferer im Headquarter in Korea entschieden werden.

Welche Themen sind für Sie mittelfristig besonders wichtig?

Meine Erfahrung ist, dass man die Kammerangebote in jedem Land an die konkreten Bedürfnisse der Mitglieder und Kunden anpassen muss, damit sie auf einen echten Bedarf treffen und angenommen werden. Manche Themen, die ich in Korea aufgebaut habe, gab es hier in Ungarn schon, und umgekehrt: Themen, die in Korea erfolgreich waren, laufen vielleicht hier in Ungarn nicht so. In Korea haben wir beispielsweise einen Innovationspreis ins Leben gerufen, um deutschen und koreanischen Firmen die Möglichkeit zu geben, sich mit herausragenden Innovationen zu präsentieren.

In Ungarn gibt es schon herausragende Preise, die vergeben werden, beispielsweise von der Investitionsförderagentur HIPA oder dem Innovationsverband. Dafür hat die DUIHK viele wertvolle Projekte etabliert, die dem Employer Branding dienen, wie zum Beispiel das Prädikat „Verlässlicher Arbeitgeber“ oder auch die tolle Initiative „TechCsajok“, mit der junge Schülerinnen an MINT-Berufe und technische Studienrichtungen herangeführt werden. Das sind großartige Projekte, und wir wollen künftig auch neue Projekte aufnehmen, die für die Unternehmen relevant sind.

BARBARA ZOLLMANN ist seit dem 1. Juli 2021 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der DUIHK. Sie wurde in Castrop-Rauxel geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau studierte sie an der Universität-GH Paderborn Volkswirtschaft, und ergänzte ihre Ausbildung später an der Hochschule Wismar mit einem „Master Business Consulting“.

Beruflich ist Barbara Zollmann in der deutschen IHK- und AHK-Welt zuhause. Vor Buda­pest war sie acht Jahre lang in der deutschen Auslandshandelskammer in Seoul tätig, seit 2014 als Geschäftsführerin. Zwischen 2001 und 2008 arbeitete sie bei der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer des Mittleren Westens (AHK USA) in Chicago. In mehreren Funktionen war sie jedoch auch in der IHK-Organisation in Deutschland tätig – bei der IHK Koblenz, beim damaligen Dachverband DIHT in Bonn und später auch beim DIHK in Berlin als Leiterin des Referats AHK-Koordination für Amerika und Westeuropa.

Ein Thema, das für die DUIHK auch nicht neu ist, aber zunehmend weiter an Relevanz gewinnt, ist das Thema Fachkräfte und Ausbildung. In Korea haben wir das Thema Berufsbildung erst neu aufgebaut, für den Beruf Kfz-Mechatroniker. In Ungarn hat unsere Kammer schon vor vielen Jahren das deutsche Ausbildungssystem nach Ungarn gebracht, weil das den Erwartungen der Unternehmen und auch der ungarischen Bildungspolitik entspricht. Dies ist ein Feld, das wir auch in Zukunft aktiv fortführen werden.

In welche Richtung wollen Sie die DUIHK weiterentwickeln?

In Ungarn setze ich bereits auf sehr hohem Niveau auf. Chapeau an meinen Vorgänger. Die Kammer arbeitet natürlich auch nicht in einem Niemandsland, sondern passt sich laufend den Anforderungen ihrer Mitglieder und des Wirtschaftsumfelds an. Wir haben ganz klassisch begonnen mit einer großen Mitgliederumfrage und vielen Gesprächen bei Mitgliedern und dann ein Kommunikationsaudit angeschlossen, um unsere weiteren Schritte darauf zu basieren. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

Aktuell kann man diese Neuausrichtung so zusammenfassen, dass wir uns vom Dienstleistungsanbieter noch mehr in Richtung eines Lösungsanbieters weiterentwickeln wollen. Dazu gehört auch, dass wir unsere Mitglieder aus verschiedensten Branchen aktiver einbinden möchten. Wir haben über 920 Mitglieder – das ist geballtes Know-How und Schwarm­intelligenz, die wir über verschiedene Formate und Kanäle stärker im Interesse aller nutzbar machen wollen. Zugleich wollen wir aber auch das „Community-Gefühl“ unter den Kammermitgliedern stärken und dazu auch dynamischere Formen des Austausches etablieren.

Wo konnten Sie bereits erste eigene Akzente setzen?

Im ersten Jahr war es mir wichtig, möglichst viele Stakeholder der Kammer in Ungarn kennen zu lernen – aus Mitgliedsfirmen, aus der Politik, Stiftungen oder aus der Kultur. Dies ist eine wichtige Grundlage für meine Arbeit, um Ungarn verstehen zu lernen. Aktuell haben sich die Akzente natürlich deutlich verschoben, angefangen vom Krieg in der Ukraine und, damit einhergehend, Fragen der Energieknappheit, über explodierende Preise für die Gesamtwirtschaft bis zur Notwendigkeit zum nachhaltigen Wirtschaften.

Ein neuer Akzent ist das Thema Women@DUIHK, ein Netzwerk für die Frauen unter unseren Mitgliedern, das wir kürzlich gegründet haben und das mir auch persönlich sehr am Herzen liegt. Damit wollen wir Frauen unter den Mitgliedern der DUIHK verbinden und vernetzen, die sich vielleicht bisher von der Kammerarbeit nicht angesprochen fühlten. Darüber hinaus möchten wir auch hierarchie- und branchenübergreifend mehr Möglichkeiten zur Begegnung und Zusammenarbeit fördern. Ebenso bieten wir auch häufiger englischsprachige Formate an, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass gerade jüngere Mitglieder nicht mehr immer Deutsch sprechen (und ich noch nicht Ungarisch).

In den vergangenen Monaten waren gleich drei wichtige Minister Gast der DUIHK. Wie ist die Zusammenarbeit mit der Regierung?

Wir als Kammer und unsere Mitglieder schätzen die Bereitschaft der ungarischen Regierung zum direkten Gespräch und zur Zusammenarbeit sehr. Das ist nicht in allen Ländern so und sehr wichtig für unsere Arbeit. Die Zusammenarbeit geht aber natürlich weit über Ministertreffen hinaus. Auch auf der Arbeitsebene sind wir kontinuierlich im Gespräch mit Regierungsvertretern. Als Vertreter der Anliegen deutscher Firmen sprechen wir Themen an, die aus unserer Sicht besser laufen könnten oder wo Rahmenbedingungen angepasst werden sollten, zu beidseitigem Nutzen.

„In den Gesprächen mit Regierungsvertretern geht es nicht um Beifall oder einseitige Kritik, sondern darum, konstruktiv gemeinsam nach guten Lösungen für Firmen und Arbeitgeber in Ungarn zu suchen.“ Foto: DUIHK / Dávid Harangozó

In diesen Gesprächen geht es deshalb auch nicht um Beifall oder einseitige Kritik, sondern darum, konstruktiv gemeinsam nach guten Lösungen für Firmen und Arbeitgeber in Ungarn zu suchen. Auf der anderen Seite sind wir auch aktiver Wirtschaftsförderer und beschäftigen uns in dieser Rolle damit, gerade neue Themen, Zukunftsthemen, gemeinsam mit der Regierung für Unternehmen nutzbar machen zu können.

Gibt es auch Problemfelder?

Wir sehen in vielen Bereichen große Anstrengungen, in Ungarn ein attraktives Investitionsumfeld zu schaffen. Nicht umsonst hat Ungarn so viele deutsche Investoren, aber auch Investoren unter anderem aus Ostasien anziehen können, und verzeichnet auch regelmäßig Reinvestitionen bereits angesiedelter Firmen. Aber wir sehen auch Felder, in denen es Renationalisierungsbemühungen gibt, und das schafft auch Konfliktfelder.

Die sehr positive Einstellung zur industriellen Produktion oder zur Automobilindustrie unterscheidet sich deutlich von der in anderen Bereichen, beispielsweise beim Einzelhandel, der mit sehr konkurrenzfähigen Preisen, einem hohen Anteil an Sourcing in Ungarn und als Arbeitgeber in Stadt und Land für viele ungarische Familien einen wichtigen Beitrag leistet. Auch in der Baustoffindustrie gibt es „Baustellen“. Es ist aber immer unser Bestreben, einen konstruktiven Weg der Zusammenarbeit mit der Regierung zu haben, um die Förderung nationaler Industrien oder Sektoren in Einklang mit den Interessen der im Land tätigen ausländischen Investoren zu bringen.

„Ich bin froh über jedes Gespräch, das ich mit Partnern in Deutschland führen kann, um immer wieder die Perspektive aus Sicht der im Land tätigen Unternehmen zu erklären.“ Foto: DUIHK / Dávid Harangozó

Wie schätzen Sie die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes ein?

Was mir im Moment Sorgen macht, ist die Kumulation mehrerer schwieriger Themen, was die Situation in Ungarn gegenüber früheren Jahren stark verändert. Wir haben einen Krieg im Nachbarland Ukraine, enorme Preissteigerungen, eine deutliche Abschwächung des Wechselkurses, Fachkräftemangel – all dies bringt große Schwierigkeiten für Firmen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen wie Preisstopps lassen sich nur schwerlich zurücknehmen, ohne die Inflation damit weiter anzutreiben. Es kommen viele Faktoren zusammen und wir hoffen, dass die Regierung einen guten Ansatz findet, um die negativen Auswirkungen für die Bevölkerung und die Wirtschaft zu minimieren.

Wie wirken sich Diskussionen zwischen beiden Ländern auf politischer Ebene auf die Wirtschaftsbeziehungen aus?

Wir beobachten zunehmende politische Debatten zu Ungarn auf europäischer Ebene. Ich erlebe in meiner täglichen Arbeit, wenn ich mit Firmen in Deutschland oder Politikvertretern spreche, dass sich Ungarn einen schwierigen Ruf erworben hat, und das finde ich sehr schade. Deshalb bin ich froh über jedes Gespräch, das ich mit Partnern in Deutschland führen kann, um immer wieder die Perspektive aus Sicht der im Land tätigen Unternehmen zu erklären. Dabei verweise ich dann oft darauf, dass in unserer letzten Konjunkturumfrage im Frühjahr 88 Prozent der befragten Mitglieder erneut Ungarn als Investitionsstandort wählen würden. Die politischen Verstimmungen überlagern leider aktuell das Wissen um die wirtschaftliche Bedeutung Ungarns.

Gibt es noch Anfragen von Firmen aus Deutschland, die über eine Investition in Ungarn nachdenken?

In Ungarn ist das Gros der deutschen Wirtschaft bereits vertreten, aber nichtsdestotrotz gibt es immer wieder auch neue Investitionen in Ungarn. Ein neuer, auch von der Regierung stark geförderter Bereich, ist zum Beispiel die Verteidigungsindustrie. Auch im Zuliefererbereich kommen neue Firmen, unter anderem im Zusammenhang mit dem neuen BMW-Werk in Debrecen. Andere Firmen, die vielleicht noch keine Produktion im Land haben, starten mit einem Business-Servicecenter, dem später dann andere Investitionen folgen könnten. Neben neuen Investitionen in Produktion und Dienstleistungen sehen wir aber auch verstärkte F&E-Aktivitäten, unter anderem bei den deutschen Automobil-Zulieferern. Insgesamt erleben wir gerade, dass sich das Land von der verlängerten Werkbank weg, und hin zu einem stärkeren Forschungs- und Entwicklungsstandort aufstellt.

„Es ist immer unser Bestreben, einen konstruktiven Weg der Zusammenarbeit mit der Regierung zu haben, um die Förderung nationaler Industrien oder Sektoren in Einklang mit den Interessen der im Land tätigen ausländischen Investoren zu bringen.“Foto: DUIHK / Dávid Harangozó

Mit jedem neuen Thema, das für die Wirtschaft relevant wird – und wir befinden uns gerade in einer Phase, in der viele Industrien eine grundlegende Transformation durchmachen –, ergeben sich auch neue Möglichkeiten für Ungarn und bilaterale Kooperationen. Deutschland und Ungarn sind hinsichtlich ihrer Wirtschaft sehr komplementär. Das Thema Wasserstoff ist ein Beispiel, weil es wegen der Nachhaltigkeitsziele sowohl in Ungarn als auch in Deutschland weit oben auf der Agenda steht und viele Geschäftschancen eröffnet.

Wo steht Ungarn in der Region?

Die gesamte Region Mittel- und Osteuropa ist von enormer wirtschaftlicher Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Heute finden ausländische Firmen in vielen der Länder, allen voran die Visegrád-4-Länder, aber auch im Baltikum oder in Rumänien ähnliche Rahmenbedingungen vor, beim Anwerben von neuen Investitionen stehen sie auch im Wettbewerb miteinander. Ungarn kann hier mit einer sehr starken, modernen Industriebasis punkten, auch die Infrastruktur oder das Qualifikationsniveau sind überdurchschnittlich. Letztlich ist aber für eine Investitionsentscheidung immer ein ganzer Komplex von Faktoren zu berücksichtigen. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Investoren sich auf Rechtssicherheit und faire Bedingungen für alle Marktteilnehmer verlassen können, auch in einer schwierigen Situation wie jetzt.

„Wichtig ist in jedem Fall, dass die Investoren sich auf Rechtssicherheit und faire Bedingungen für alle Marktteilnehmer verlassen können, auch in einer schwierigen Situation wie jetzt.“

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie bisher in Ungarn gemacht?

Für mich ist es sehr spannend, in Ungarn zu sein. In den 25 Jahren, die ich im deutschen Kammernetz tätig war, ist es meine erste Auslandshandelskammer in einem europäischen Land. Ungarn als Land ist etwas Besonderes. Um mich dem Land zu nähern, habe ich deswegen am Anfang viel Wert darauf gelegt, zu verstehen, wo das Land herkommt, mit all seinen Themen, seiner Geschichte und deren Auswirkungen, die bis heute nachwirken. Dabei bin ich sehr vielen sympathischen Menschen begegnet, und habe auch auf persönlicher Ebene nette Erfahrungen gemacht. Ich reise sehr viel an den Wochenenden, und fahre auch mal in die Nachbarländer, weil ich auch die Einbettung Ungarns in die Region kennenlernen möchte. Insgesamt fühle ich mich sehr wohl im Land. Ich habe eine gute Entscheidung getroffen, hierhin zu kommen. Ich bin sehr gespannt auf die Zeit, die noch kommt.

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