Gabriel A. Brennauer: „Es war mir immer wichtig, dass wir politisch neutral agieren, also unabhängig von jeglicher Parteipolitik.“ Foto: DUIHK/ Nóra Halász

Interview mit dem scheidenden DUIHK-Geschäftsführer Gabriel A. Brennauer

Brücken bauen

Nach exakt 15 Jahren wird Gabriel A. Brennauer am 1. Juli 2021 seine Funktion als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) an seine Nachfolgerin Barbara Zollmann übergeben.

Im Interview blickt er zurück auf die Entwicklung der Kammer und der deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen in dieser Zeit sowie auf seine persönlichen Erfahrungen in Ungarn.

Wie hat sich der Charakter und das Profil der Kammer in Ihrer Zeit geändert?

Als ich 2006 zur DUIHK kam, war Ungarn gerade einmal zwei Jahre EU-Mitglied. In den 15 Jahren seitdem haben sich Geschäftsmodelle und Unternehmen verändert – auch die deutschen. Tätigkeiten mit höherer Wertschöpfung nehmen zu, neu nach Ungarn kommende Firmen haben andere Ansprüche als früher. Diesen veränderten Erwartungen haben wir mit einer kontinuierlichen Anpassung unserer Angebote und Dienstleistungen entsprochen. Zudem widmen wir uns heute neben neu auf den Markt kommenden ausländischen Firmen deutlich stärker den schon hier agierenden Unternehmen.

Gibt es Schlüsselelemente, die sich durch Ihre Tätigkeit als Geschäftsführer ziehen?

Wenn man diese Jahre unter einen gemeinsamen Begriff stellen möchte, dann ist das vielleicht „Brücken bauen“, Wege zu suchen, um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern positiv weiterzuentwickeln. Seit unserer Gründung hilft die DUIHK den Firmen mit praktisch-pragmatischen Angeboten und Leistungen. Zugleich war es mir aber immer wichtig, auch im größeren Rahmen dazu beizutragen, dass in Deutschland ein ausgewogenes Ungarn-Bild gezeichnet wird.

Ein zweites Element ist Wettbewerbsfähigkeit. In unserer konkreten Arbeit versuchen wir immer, Firmen dabei zu unterstützen, gute Geschäfte zu machen, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Die individuelle Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wiederum hilft auch dem Land als Ganzen, seinen Platz in Europa und der Welt zu finden und zu festigen.

Und schließlich stellen wir Menschen ins Zentrum unserer Aktivitäten – Mitarbeiter, Auszubildende und Führungskräfte, denn nur sie ermöglichen langfristig erfolgreiches Wirtschaften.

Was bestimmt nach Ihrer Erfahrung die langfristige Entwicklung der deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen?

Investitionsentscheidungen, Trends in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen werden nicht von tagesaktuellen Entwicklungen bestimmt, sondern von langfristigen Erwägungen, unabhängig von der Tagespolitik. Viele dieser strategischen Überlegungen sprechen für intensive Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern. Dazu gehören die geographische und kulturelle Nähe, qualifizierte Menschen, der gemeinsame europäische Rahmen und eine Gesellschaftsordnung, in der man sich als Mitteleuropäer wiedererkennen kann. Diese Grundlagen widerspiegeln sich in den wirtschaftlichen Zahlen, in neuen Investitionen, und auch darin, dass der Anteil der in Ungarn reinvestierten Gewinne, sozusagen ihr „commitment“, bei deutschen Unternehmen in Ungarn besonders hoch ist. Auch in unseren Umfragen bestätigt die ganz große Mehrheit der Firmen regelmäßig, dass ihre Investitionsentscheidung für Ungarn richtig war, und sie diese wieder so treffen würden.

Die DUIHK ist offizieller Vertreter der deutschen Wirtschaft in Ungarn. Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der ungarischen Seite erlebt?

Zurückschauend bleiben mir natürlich Momente in Erinnerung, in denen uns durch die Präsenz wichtiger Schlüsselpersonen immer wieder – direkt oder indirekt – bestätigt wurde, dass wir nicht nur für einzelne Firmen konkrete Leistungen und ein interessantes Netzwerk bieten, sondern auch unseren „öffentlichen Auftrag“ aktiv wahrnehmen. Solche Momente waren beispielsweise unsere 15 Jahre-Gala 2008 mit Ministerpräsident Gyurcsány und Bundeswirtschaftsminister Glos, die Teilnahme von Ministerpräsident Orbán auf unserer Mitgliederversammlung 2015, oder im selben Jahr das Treffen von Bundeskanzlerin Merkel mit Vertretern der deutschen Wirtschaft in Budapest.

Auf der 25-Jahre-Gala der DUIHK. Foto: DUIHK

Daneben gab und gibt es natürlich zahlreiche Kontakte mit ungarischen Ministern und Regierungsvertretern – nicht nur auf repräsentativen Veranstaltungen, sondern auch in Fachgremien, Arbeitsgruppen oder bilateralen Gesprächen.

In dieser Rolle war es mir immer wichtig, dass wir politisch neutral agieren, also unabhängig von jeglicher Parteipolitik, und uns statt dessen auf Sachthemen im Interesse einer funktionierenden Wirtschaft konzentrieren. Wir haben immer versucht, Themen – auch schwierige – auf konstruktive Weise zu bearbeiten. Dabei haben wir, wo erforderlich, auch kritisch angemerkt, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Aber mein Bestreben war es immer, dabei fair und ausgewogen zu bleiben.

Gab es auch schwierige Phasen in den Wirtschaftsbeziehungen?

Ungarn genießt traditionell hohes Ansehen bei deutschen Unternehmen. Dennoch gab es auch Irritationen. Ein erstes Mal war das kurz nach meinem Start in Budapest der Fall. Am 1. Juli 2006 wurde ich Geschäftsführer, im Herbst gab es soziale Unruhen, mit Bildern von brennenden Autos und einem Panzer auf den Straßen Budapests. Für mich und viele Beobachter in Deutschland erfuhr das gute Image Ungarns in der deutschen Wahrnehmung kräftige Kratzer, und die DUIHK kam in die Situation, in Deutschland erklären zu müssen, was gerade geschah.

Ein zweites Mal waren wir 2010 und 2011 gefordert. Nach dem Regierungswechsel 2010 wurden in kürzester Zeit hunderte neue Gesetze und eine neue Verfassung verabschiedet, viele brachten grundlegende Veränderungen des Status quo mit sich. In der deutschen Öffentlichkeit wurden einige dieser Gesetze, darunter das Mediengesetz, sehr negativ aufgenommen, andere, positive Entwicklungen fanden in der deutschen Wahrnehmung kaum Resonanz, so etwa die erfolgreiche ungarische EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte 2011.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Staat insbesondere seit 2010 entwickelt?

Die Kammer hat seit ihrer Gründung eine lange Tradition konstruktiver Zusammenarbeit mit der Politik und vielleicht noch mehr mit der Administration. In den letzten Jahren haben wir die Zusammenarbeit immer stärker in Form von regelmäßigen Konsultationen führen können. Dort erfahren wir eine große Offenheit für die Anliegen der Wirtschaft. Als offizieller Vertreter der deutschen Wirtschaft in Ungarn werden wir von der Regierung regelmäßig angesprochen, um faktenbasiert und ehrlich die Meinungen und die Erwartungen der Wirtschaft zu erläutern – ein gutes Beispiel dafür ist etwa unser jährlicher Konjunkturbericht. Auch in der Corona-Pandemie erwies sich die ergebnisorientierte, faire Zusammenarbeit als wertvoll für alle Seiten.

Wie profitieren die Unternehmen von der Rolle der Kammer als Vermittler?

Neben unserem Netzwerk und Dienstleistungen für das konkrete Geschäft bieten wir eine umfassende, objektive Beratung, und vertreten – wo nötig – die Interessen der Mitglieder. Es gab immer wieder Themen, die bestimmte Branchen betrafen, beispielsweise mehrere sogenannte Sondersteuern seit 2010. Andere waren für die ganze Wirtschaft relevant, wie etwa das 2015 eingeführte Frachtkontrollsystem EKAER. Nicht nur Firmen, sondern auch viele Institutionen oder Verbände aus Deutschland baten uns um Einschätzungen und Erklärungen: Was genau passiert gerade? Welche Beweggründe gibt es, und welche Handlungsoptionen? Dies galt für die Zeit der Corona-Pandemie, in der die DUIHK verlässliche, objektive Quelle für Informationen und Analysen war. Auch hier war unsere Aufgabe bilateral: Wie ist die Lage in Ungarn, was bedeutet das für Reisen nach Ungarn, für Geschäftsreisen, aber auch: Wie kommt man nach Deutschland, welche Hilfsmaßnahmen gibt es vor Ort für die Wirtschaft – all das fand sehr hohe, positive Resonanz.

Zusammen mit dem scheidenden und dem neuen DUIHK-Präsidenten, Dale A. Martin (r.) und András Sávos (M.). Foto: DUIHK/ Nóra Halász

Welche Bedeutung hat für die DUIHK ihre Zugehörigkeit zum weltweiten Netz deutscher Auslandshandelskammern (AHK)?

Was uns als Einrichtung besonders macht, ist, dass wir die Vorteile einer kleinen Organisation mit den Synergien eines großen internationalen Netzwerkes verbinden können. In Budapest sind wir eine vergleichsweise kleine Truppe mit rund 30 Mitarbeitern, und haben damit die klassische Flexibilität und Geschwindigkeit eines kleinen Unternehmens. Zugleich sind wir eingebunden in ein globales Netzwerk mit 142 Standorten in über 90 Ländern und mit über 2.100 professionellen Mitarbeitern. Dies öffnet uns einen reichen Erfahrungsschatz und auch viele Möglichkeiten zum Austausch. Davon profitieren wir selbst, aber wir geben auch etwas zurück. So koordinieren wir beispielsweise in Budapest seit 16 Jahren die regionale Konjunkturumfrage für 16 Länder in Mittel- und Osteuropa, und schon vor Jahren haben wir unsere Erfahrungen beim Projektmanagement mit vielen Kammern in der Region und auch außerhalb Europas geteilt.

Ich selbst hatte zudem die Gelegenheit, für vier Jahre als Sprecher der Region Europa über den AHK-Beirat das Netz insgesamt mitzugestalten.

Auf welchen Feldern konnten Sie mit der DUIHK besondere Ergebnisse erreichen?

Aus meiner – sehr subjektiven – Sicht haben wir in den vergangenen Jahren einige Initiativen auf den Weg gebracht, die für die Kammer, aber auch für das Land mehr als nur eine symbolische Bedeutung hatten. Ich denke etwa an unseren Berufsbildungspreis, der 2013 aus der Taufe gehoben wurde. Das Thema lag der DUIHK seit ihrer Gründung am Herzen, wir waren hier auf verschiedenen Ebenen aktiv: auf der Ebene einzelner Unternehmen, die wir bei der Qualifizierung ihrer Mitarbeiter unterstützen, aber gleichzeitig auch auf nationaler Ebene, wo wir dank der Erfahrungen aus Deutschland immer gefragter Gesprächspartner der ungarischen Bildungspolitik waren.

Auch viele andere Projekte hatten das Thema Personal und Qualifizierung zum Gegenstand, so etwa unser Prädikat „Verlässlicher Arbeitgeber“, das den Firmen helfen kann, sich im Kampf um Talente besser zu positionieren, oder die „Tech­Csajok“-Roadshows, mit denen wir junge Frauen für technische Berufe begeistern wollen.

Und schließlich ist auch das „Netzwerk Digital“, das wir gemeinsam mit vier anderen Partnern aus der DACH-Region gegründet haben, ein gelungener Beleg dafür, dass all unsere Aktivitäten den Ansatz verfolgen, mit konkreten Maßnahmen praktische Hilfe für Unternehmen zu leisten.

Sie kommen aus Bayern, waren viele Jahre in Italien, später in Brasilien und zuletzt in Ungarn. Was verbindet Sie nach 15 Jahren persönlich mit dem Land?

Die Zeit in Ungarn war für mich ganz besonders und persönlich sehr bereichernd. Als ich aus Brasilien nach Ungarn kam, hatte ich keinen Kulturschock, denn ich habe hier vieles wiedergefunden, was ich schon kannte, aus Brasilien oder aus Italien. In vielen Dingen funktioniert das Leben hier und dort ganz ähnlich: Man bekommt selten ein klares Nein, und muss genau hinhören. Vertraut war mir auch, dass persönliche Beziehungen außerordentlich wichtig sind, zu Menschen, die man kennt, denen man vertraut.

In vielen Ungarisch-Stunden habe ich die Sprache zwar nur mit mäßigem Erfolg erlernt, dafür aber sehr viel über das Land und die Traditionen seiner Menschen erfahren. Und die sind jenen aus meiner Heimat Bayern oft ganz ähnlich. Auch hier kommt es nicht nur auf das Ergebnis an, sondern auch auf den Weg, wie man das Ergebnis erzielt, schließlich will man ja auch noch am nächsten Tag zusammen leben und arbeiten. Also: die Dinge ernst nehmen, aber nicht unbedingt auf die Spitze zu treiben.

Zusammen mit Dale A. Martin (l.) und MKIK-Präsident László Parragh (r.). Foto: DUIHK

Dieses gemeinsame kulturelle Erbe in Mitteleuropa mit der Donau als verbindendem Band, das gemeinsame Verständnis von Leben und Lebensfreude ist vielleicht der Grundton, der mir dieses Land sympathisch gemacht hat. Und deshalb war es für mich immer eine Freude und Ehre, hier diese Tätigkeit ausüben zu dürfen.

Die vielen lobenden Worte, die ich in den vergangenen Wochen erhalten habe, gelten aber auch meinem tollen Team und dem wertvollen Beitrag unseres Ehrenamtes und vieler Partner außerhalb der Kammer – nur gemeinsam konnten wir die guten Ergebnisse der letzten Jahre erbringen. Dafür mein herzlicher Dank an alle, die mich in den vergangenen 15 Jahren hier begleitet und unterstützt haben.

Wie geht es für Sie privat und beruflich weiter?

Ich werde in den kommenden Tagen wieder nach Brasilien ziehen und freue mich schon jetzt darauf, wieder nahe bei meinen beiden Töchtern und meinen Enkeln zu sein. Auch wenn ich jetzt in den Ruhestand gehe, werde ich mich wie schon in früheren Jahren gemeinnützigen Aktivitäten widmen – und habe dafür ja jetzt sogar etwas mehr Zeit.

An welche Dinge aus Ihren ungarischen Jahren werden Sie sich in Brasilien besonders gerne zurückerinnern?

Besonders gern werde ich an die Spaziergänge an der Donau zurückdenken, an das abendliche Panorama von der Fischerbastei und daran, wie unbesorgt man all dies abendlich tun konnte.

Auch die hervorragende ungarische Küche vergisst man natürlich nicht. Vor allem aber nicht die vielen netten, herzlichen und offenen Menschen, die ich im Verlauf dieser 15 Jahre kennengelernt habe – beruflich wie privat.

Werden Sie Ungarn weiter verbunden bleiben, und wenn ja, wie?

Selbstverständlich werde ich auch künftig sehr interessiert die Entwicklung Ungarns und der deutsch-ungarischen Beziehungen, aber auch die „meiner“ Kammer verfolgen, auch wenn dies von einem anderen Kontinent, aus 10.000 Kilometern Entfernung vielleicht nicht mehr ganz so intensiv sein kann. Aber bei meinen regelmäßigen Besuchen in Europa werde ich sicher auch einen Abstecher nach Budapest machen.

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