Gespräch mit Tamás Steványik, HR-Direktor der ELMŰ-ÉMÁSZ-Gruppe, über aktuelle Erfahrungen bezüglich Home Office
„Beide Seiten durchlaufen jetzt einen Lernprozess“
Wie viele Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind derzeit so wie Sie im Home Office tätig?
Unsere Gruppe beschäftigt fast 2.900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon können rund 2.000 grundsätzlich von zu Hause arbeiten. Von diesen arbeiten inzwischen etwa 80 Prozent von zu Hause. Nicht möglich ist natürlich ein Arbeiten von zu Hause für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Netzbereich.
Seit wann praktiziert Ihre Gruppe Home Office in dieser Größenordnung?
Unsere Entscheidung fiel am 12. März, am Donnerstagabend. Am folgenden Freitag bereiteten wir uns dann darauf vor. Bereits am darauffolgenden Montag konnten alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die es betrifft, von zu Hause arbeiten.
Welche Kolleginnen und Kollegen betraf das speziell?
Für die überwiegende Anzahl der Kolleginnen und Kollegen im Innendienst ist es möglich. Ausgenommen sind einige Gruppen, wie etwa Fuhrpark- und Lagermanager, die Mitarbeiter unserer Dispatcher-Zentralen sowie Führungskräfte unseres technischen Außendienstpersonals. Bemerkenswerterweise konnten wir auch unseren gesamten Kundendienst ins Home Office schicken. Wir haben die technischen Möglichkeiten dafür geschaffen, dass sie ohne Weiteres von zu Hause arbeiten können. Sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Backoffice als auch des Call Centers. Von meiner Abteilung, also der Personalabteilung, sind derzeit etwa 95 Prozent der Kolleginnen und Kollegen im Home Office.
Was sind nach einer Woche intensivem Home Office Ihre ersten Erfahrungen?
Technisch sind wir sehr gut aufgestellt. Alle können gut von zu Hause arbeiten. Arbeiten im Home Office ist für unser Unternehmen auch keine komplett neue Sache. Diese entsprechende Arbeitsmethodik ist uns bereits vertraut. Denn schon seit etwa drei Jahren fördern wir diese Form der Arbeitsverrichtung. Lediglich der Umfang ist jetzt neu für uns. Als Führungskraft habe ich schon immer für Home Office plädiert, ich selbst habe schon seit Jahren einen Tag pro Woche von zu Hause aus gearbeitet. Im übrigen gehört das auch bereits zur normalen täglichen Praxis von meinen Kolleginnen und Kollegen in Führungspositionen. Wir waren etwa 8 bis 10 Stunden im Büro tätig. Was in dieser Zeit nicht geschafft wurde, das wurde halt mit nach Hause genommen und dort erledigt. Auch das ist ja schon eine Art von Home Office, wenngleich man es bisher nicht so nannte. Wenn man einen kompletten Tag zu Hause verbringen und sich seine Zeit entsprechend einteilen kann, ist das aber natürlich idealer.
Wie war Ihr Tag heute im Home Office?
Recht intensiv. Im Moment ist es recht anstrengend, da ich nicht nur meine Arbeit erledigen, sondern auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt bleiben muss. Wie alle meine Kollegen in Führungspositionen bei der ELMŰ-ÉMÁSZ-Gruppe starten wir den Tag mit einem sogenannten Daystart, einem Skype Meeting, bei dem ich mich mit meinem Team austausche und wir gemeinsam die Arbeit organisieren. Allein heute hatte ich bisher acht Skype-Meetings. Das strukturiert den Tag ganz anders.
Ich habe auch gemerkt, dass wir alle darauf achten müssen, regelmäßig Pausen zu machen. Schnell sitzt man bei den ständig anfallenden Aufgaben, ohne es zu merken, schon mal ein paar Stunden hintereinander am Computer. Das ist natürlich nicht so ideal für die Konzentration und die Gesundheit. Wir müssen lernen, regelmäßig Pausen mit Bewegung einzuplanen. Gerade heute habe ich meine Frau gebeten, sich einmal im Internet nach speziellen Turnübungen für Computerarbeiter umzuschauen. Das gilt übrigens genauso für unsere Kinder, die derzeit ebenfalls zu viel Zeit hintereinander vor dem Bildschirm verbringen, entweder mit Tele-Learning, sozialen Medien oder Computerspielen.
Wie wollen Sie die negativen Seiten des Home Office von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abwenden?
Wir haben auf unserem Intranet bereits einige Hilfsmaterialien mit wichtigen Hinweisen für das Arbeiten im Home Office bereitgestellt. Darin geht es auch um den Einbau von körperlicher Bewegung in den Tagesablauf. Bewegungszeiten müssen fest eingeplant werden. Generell ist wichtig, entlang eines Tagesplans zu arbeiten. Wenn man sich ohne Plan vor den Bildschirm setzt, dann kann es schnell dazu kommen, dass die Stunden verfliegen und einem erst der Rücken oder Nacken plötzlich signalisiert, dass es schon zu viele waren. So weit sollte man es nicht kommen lassen.
Ganz wichtig ist auch, der derzeitigen speziellen Situation Beachtung zu schenken. Es handelt sich bei vielen unserer Kolleginnen und Kollegen nicht einfach nur um Home Office, sondern um Home Office mit Kinder- und Haushaltsbetreuung. Speziell unsere Mitarbeiterinnen sind in ihrer Arbeitszeit zwangsläufig auch Köche, Lehrerinnen und Kinderbetreuerinnen. Wenn wir sie nicht unnötigem Stress aussetzen wollen, dann müssen wir als Führungskräfte das entsprechend mit einkalkulieren. Ich bin mir im Klaren darüber, dass die mehrfachen Rollen, denen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Genüge leisten müssen, eine harte psychische Belastung für sie darstellen. Keiner weiß, wie lange der gegenwärtige Ausnahmezustand noch anhält. Von daher sind wir gut beraten, wenn wir von vornherein auf Nachhaltigkeit und vernünftige, realistische Lösungen setzen. Niemandem ist schließlich geholfen, wenn sich in ein paar Wochen die Mitarbeiter von Firmen wegen Burnout oder körperlichen Leiden vom Home Office in den Krankenstand verabschieden.
Wir bei unserer Firmengruppe haben schon Kontakt aufgenommen mit Beratungsfirmen, die mentale Unterstützung für Home-Office-Situationen geben können. Dieses spezielle Know-how dürfte bald sehr wichtig für uns alle sein. Niemand von uns war auf eine so intensive Home-Office-Situation vorbereitet. Wir können jetzt nur im offenen, vertrauensvollen Gespräch, aber auch unter Einbeziehung von Experten eine möglichst nachhaltige Struktur schaffen.
War Ihre Firmengruppe technisch entsprechend auf diese Situation vorbereitet?
In Sachen Hardware, aber auch Verfügbarkeit von Daten und Datensicherheit ist bei uns alles in Ordnung. Bereits am Donnerstag vorletzter Woche, als die Entscheidung zur Umstellung fiel, machten wir mit unserem IT-System einen entsprechenden Stresstest. Daraufhin mussten wir einige technische Anpassungen vornehmen und im Laufe der letzten Woche auch unsere Kapazitäten erweitern. Prinzipiell haben wir jetzt aber alles im Griff.
Was musste nachjustiert werden?
Sicherheitshalber haben wir beispielsweise die Benutzung von Anwendungen wie YouTube, die zu einem erhöhten Datenverkehr führen, komplett untersagt. Mit diesem Hintergrund haben wir uns auch dafür entschieden, Skype nur für verbale Kommunikation zu nutzen, also die Videofunktion nicht zu verwenden.
Gab es für eine Situation wie die jetzige bei Ihnen einen entsprechenden Notfallplan?
Wir haben für alle Kernprozesse einen sogenannten Business Continuity Plan, der Regelungen für Notfälle beinhaltet. Auf der Basis dieser Pläne haben wir den jetzigen operativen Betrieb aufgebaut. Natürlich enthält der beste Plan nicht vollständig die gegebene Situation. Hier mussten wir schnell und pragmatisch Anpassungen vornehmen. Auch die Gesetzgebung war darauf nicht vorbereitet. So müssen jetzt möglichst schnell einige arbeitsrechtliche Fragen geklärt werden.
Können Sie sich vorstellen, dass es auf Grund der gegenwärtigen Erfahrungen bei Ihrer Firma nach der Krise einen höheren Anteil an Home Office geben wird?
Da bin ich mir sicher. In der ersten Zeit könnten unsere Mitarbeiter aber auch verstärkt zum klassischen „Office Office“ zurückkehren wollen. Schon jetzt merke ich, dass Home Office – bei all seinen unzweifelhaften Vorzügen – auch als soziale Isolation, also negativ wahrgenommen wird. Menschen sind gemeinschaftliche Wesen. Zu ihrem Wohlbefinden gehört auch der Plausch mit Kollegen am Kaffeeautomaten und der tägliche direkte Austausch. Oder dass man nach Feierabend noch etwas gemeinsam unternimmt.
Was sind mit Blick auf die einwöchige Praxis Ihrer Meinung nach die wichtigsten Bedingungen für ein erfolgreiches Home Office?
Diese Arbeitsform basiert sehr stark auf gegenseitigem Vertrauen. Beide Seiten durchlaufen jetzt einen Lernprozess. Führungskräfte müssen nun anders führen. Sie müssen Aufgaben deutlich präziser formulieren, ebenso Abgabefristen und die erwartete Qualität. Wenn diese drei Dinge berücksichtigt werden, dann ist es praktisch egal, wo der Mitarbeiter die übertragenen Aufgaben erledigt.
Daneben sind die Führungskräfte aber auch gefordert, die Motivation ihrer Mitarbeiter aufrecht zu halten. Außerdem müssen sie in der Lage sein, aus der Distanz zu erkennen, wenn mit einem Mitarbeiter etwas nicht stimmt oder er Hilfe braucht. Wenn das bisher der Fall war, der Mitarbeiter darüber aber nicht reden wollte, dann konnte sein Vorgesetzter anhand non-verbaler Signale erkennen, dass etwas nicht im Lot ist. Diese Möglichkeit gibt es jetzt nicht mehr. Dafür müssen Führungskräfte jetzt verstärkt auf andere Signale achten.
Was ist für Sie persönlich das Beste an der gegenwärtigen Situation?
Nicht mehr jeden Morgen im Berufsverkehr zu stecken und wertvolle Zeit zu verlieren!