Interview mit Dr. Elisabeth Knab, Vorstand Personal und Organisation der Audi Hungaria Zrt.
„Das Herz des Unternehmens“
Dieser Artikel ist Teil unseres Bezahl-Angebots BZ+
Wenn Sie ein Abo von BZ+ abschließen, dann erhalten Sie innerhalb von 12 Stunden einen Benutzernamen und ein Passwort, mit denen Sie sich einmalig einloggen. Danach können Sie alle Artikel von BZ+ lesen. Außerdem erhalten Sie Zugang zu einigen speziellen, sich ständig erweiternden Angeboten für unsere Abonnenten.
Aus diesem Anlass unterhielten wir uns mit ihr über ihre bisherigen und zukünftigen Herausforderungen. Dabei ging es auch um den Modellwechsel der ungarischen Universitäten, den sie sehr begrüßt.
Warum haben Sie sich entschieden, Ihr Vorstandsmandat und Ihre Funktion als HR-Chefin niederzulegen?
Es war eine inspirierende und herausfordernde Zeit, für das Vorstandsressort Personal und Organisation der Audi Hungaria verantwortlich zu sein. Wir haben in meiner Zeit eine erfolgreiche Strategie und ein wettbewerbsfähiges Personalmanagement aufgebaut. Ich sehe meinen Auftrag somit als erfüllt an. Fast achteinhalb Jahre sind ohnehin eine ungewöhnlich lange Zeit für diese Positionen. Nun ist es Zeit, den Staffelstab zu übergeben und mich einem anderen Gebiet zuzuwenden.
Die akademische Welt war schon immer eine Herzensangelegenheit von mir. Ich sehe auf diesem Gebiet noch viel Potenzial. Ich möchte mich hier in Zukunft noch stärker für die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft engagieren. Das inspiriert mich. Im Rahmen meiner neuen Funktion bei der Audi Hungaria als Beauftragte des Vorstandes kann ich zudem an meine frühere Tätigkeit als Wissenschaftlerin anknüpfen.
Was konkret wird zu Ihren Aufgaben als Vorstandsbeauftragte gehören?
Ich werde mich weiterhin auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens konzentrieren, und dabei mit dem CEO der Audi Hungaria eng zusammenarbeiten, ihn bei der Strategieentwicklung und beim Ausbau von Kontakten mit Key-Stakeholdern unterstützen. Dabei werden unter anderem Politik, Wissenschaft und Forschung in Ungarn, sowie die Zusammenarbeit mit Partnern in Mittelosteuropa die Fokusthemen sein.
Vor etwa zehn Jahren sind Sie vom Bildungswesen zu Audi Hungaria, also in die Wettbewerbssphäre gewechselt? Das war sicher eine große Umstellung.
Der Unterschied zwischen beiden Sphären scheint nur auf den ersten Blick groß zu sein. So wie in meiner Zeit als Hauptdirektorin des Ungarndeutschen Bildungszentrums in Baja ging und geht es auch bei der Audi Hungaria um die systemische Planung und Etablierung von funktionsfähigen, transparenten Prozessen und effizienten Strukturen sowie insgesamt um ein qualitäts- und erfolgsorientiertes Agieren. Bei meinem Einstieg ins Unternehmen vor zehn Jahren hatte ich den Auftrag, den Bereich Bildungs- und Wissenschaftskooperationen aufzubauen. Das war also eine ganz klare Brücke, bei der Kompetenzen gefragt waren, über die ich bereits verfügte. Ein Grundthema meiner Arbeit lautete damals wie heute, die Wirtschaft mit der Bildung und der Wissenschaft zu verbinden. Dieses Thema wird mich auch nach meinem aktuellen Wechsel weiter begleiten.
Was waren Höhepunkte Ihrer Zeit als HR-Direktorin?
In meiner Zeit ist es uns gelungen, eine komplette Transformation in der Personalarbeit durchzuführen. Das Personalwesen ist heute ein strategischer Business Partner für alle Geschäftsbereiche unseres Unternehmens. Das ist keine Selbstverständlichkeit, und mein Dank gilt hierfür dem hochkompetenten, engagierten Team unseres Personalwesens.
Ein großer Erfolg war in Verbindung mit dem Aufbau unseres Fahrzeugwerkes die Verdoppelung der Belegschaft und der parallel dazu unabdingbare Kompetenzaufbau. Auch der Ausbau von korrekten, transparenten, lösungsorientierten Arbeitsbeziehungen wurde ein Erfolgsfaktor.

„Allen unseren Mitarbeitern werden interne Weiterbildungsmöglichkeiten und Qualifizierungen angeboten.“ Foto: Audi Hungaria / Zoltán Mekli
Ein weiterer Höhepunkt war das gemeinsame Bemühen um den Erhalt von Arbeitsplätzen bei niedrigem Produktionsvolumen im Fahrzeugwerk. Von 2016 bis 2018 ist es uns – dank der guten Zusammenarbeit mit unseren Konzernstandorten in Mittelosteuropa – gelungen, für eine komplette Schicht im Volkswagen-Werk Bratislava Beschäftigung anzubieten.
Ein besonderes Herzensanliegen war für mich der Aufbau der Audi Hungaria Schule, die heute, nach zehn Jahren, als exzellente deutsche Auslandsschule anerkannt ist und von rund 700 Kindern und Schülern besucht wird.
In unserer durch die Corona-Pandemie geprägten Gegenwart erhalten wir die Bestätigung für die Etablierung unseres hochprofessionellen, in Ungarn einmaligen Gesundheitsmanagements. Seit drei Wochen agieren unsere medizinischen Zentren auch als Impfzentralen für unsere Mitarbeiter und ihre Familienmitglieder sowie die der Partnerfirmen.
Audi Hungaria war und ist Vorreiter des dualen Berufsbildungssystems in Ungarn sowie der mehrschichtigen, institutionalisierten Zusammenarbeit mit den Universitäten.
Wie hat sich das Rekrutieren von neuen und das Halten von bereits vorhandenen Kollegen geändert?
Es ist ganz wichtig, dass wir für unsere Mitarbeiter ein, in Ungarn einmaliges, sehr attraktives Vergütungspaket mit diversen Vergütungselementen sowie lebensphasenorientierte und generationengerechte Karrierewege anbieten.
Welche Änderungen gab es beim Vergütungspaket?
Wir erkennen immer stärker die Loyalität an. Deswegen haben wir unter anderem bei den vorletzten Tarifverhandlungen einen Loyalitätsbonus eingeführt. Außerdem gibt es Jubiläumsboni. Cafeteria-Elemente treten aus steuerlichen Gründen immer mehr in den Hintergrund. Dafür wurden Einzahlungen in die Renten- und Gesundheitskasse immer wichtiger, ebenso die Unterstützung der Mobilität unserer Mitarbeiter. Das wichtigste ist aber natürlich das Grundgehalt, das wettbewerbsfähig sein muss und bei uns stets auch ist. So gelang es uns beispielsweise ohne größere Probleme, die rund 4.000 zusätzlichen Mitarbeiter für das damals neue Fahrzeugwerk einzustellen. Auch heute haben wir kein Problem damit, die notwendigen Mitarbeiter mit der entsprechenden Qualifikation zu finden. Unsere Fluktuation ist nur minimal.
Welche Rolle spielen Karrieremöglichkeiten?
Eine immer wichtigere. Allen unseren Mitarbeitern werden interne Weiterbildungsmöglichkeiten und Qualifizierungen angeboten. Selbst ein Mitarbeiter in der Fertigung kann bei der Audi Hungaria Karriere machen. Die immer weiter wachsende Bedeutung der Weiterbildung ist unter anderem eine Konsequenz der beiden wichtigsten Megatrends unserer Branche: Elektrifizierung und Digitalisierung. Um diese Herausforderungen erfolgreich meistern zu können, ist ein konsequenter Kompetenzaufbau notwendig. Dafür wiederum benötigen wir ein funktionsfähiges Aus- und Weiterbildungssystem. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter aber auch, wenn sie sich extern, also unter anderem durch ein Studium weiterbilden wollen. Das permanente Lernen und Qualifizieren gehört bei uns fest zum Alltag. Daher ist es kein Wunder, dass unsere hochqualifizierten Mitarbeiter im weltweiten Produktionsnetzwerk unseres Konzerns etwa bei der Anlaufunterstützung von neuen Produkten sehr gefragt sind.

Speziell für unsere Manager gehören Auslandseinsätze fest zur Karriere. Diese Möglichkeit ist besonders für junge Leute sehr reizvoll und wird auch genutzt. So hat beispielsweise ein Kollege von mir aus dem Personalwesen in Mexiko die dortige Audi-Akademie weiter ausgebaut und leitet sie noch heute. Auch der frühere Leiter des dortigen Qualitätsmanagements kommt von uns. Ein anderer Kollege leitete früher in Frankreich bei Bugatti die Logistik. In Kaluga bei Moskau ist ein Kollege von uns Leiter der Motorenproduktion. Auch in China gibt es mehrere Ungarn in Führungspositionen.
Dieser globale Austausch wird von beiden Seiten geschätzt. Deshalb fördern wir ihn auch ganz bewusst. Beim Personalwesen haben wir inzwischen eine Abteilung für internationales Personalmanagement. Bei Karrieren im Management ist es eine Voraussetzung, für ein paar Jahre für andere Firmen unseres Konzerns gearbeitet zu haben. In der Regel kommen die Kollegen dann nach etwa drei bis fünf Jahren mit viel neuem Know-how zurück.
In Ihre Zeit fiel auch der große Streik vom Januar 2019…
Im westlichen Teil Europas sind Streiks nichts ungewöhnliches. In einigen Ländern gehören sie im Gegensatz zu Ungarn sogar zum Alltag. Bei uns kam der Streik jedoch recht unerwartet. Aus dieser Situation haben wir viel gelernt. Seitdem gibt es eine noch intensivere Zusammenarbeit zwischen den Tarifpartnern.
War sie zuvor nicht so optimal?
Wir haben das Ganze sehr gründlich analysiert. Wir haben zusammen mit der Gewerkschaft Workshops abgehalten, bei denen wir die Geschehnisse bis ins Detail durchgesprochen haben. Beide Parteien sind der Ansicht, dass so etwas nicht noch einmal geschehen dürfe.
Wir haben heute einen viel offeneren und konstruktiveren Ton. Die Arbeitnehmervertretung versteht inzwischen viel besser, dass es hier um die Zukunft der Arbeitsplätze geht. Es geht um die Menschen und ihre Sicherheit. Das ist ein gemeinsames Ziel, das uns zusammenschweißt.
Es ist aus heutiger Warte also relativ unwahrscheinlich, dass es noch einmal zu einem solchen „Unfall“ kommt?
Heute halte ich einen erneuten Streik für eher unwahrscheinlich. Nicht zuletzt durch die Strukturen, die wir seitdem geschaffen haben. Es gibt eine Vielzahl an Arbeitsgruppen, in denen beide Seiten sämtliche relevanten Fragen besprechen. Neben Grundsatzfragen wie etwa dem Vergütungssystem geht es auch um ganz praktische Fragen wie etwa Schichtmodelle, das Angebot in der Kantine oder den Betrieb der Schichtbusse.
Manchmal entstehen Probleme aus einfachen Missverständnissen. Wenn man über wahrgenommene Probleme offen redet, und sie beim Namen nennen kann, dann merkt man häufig, dass sie eigentlich keine Probleme sind, sondern eher Missverständnisse. Letztendlich haben wir alle das gleiche Ziel.
Im Frühjahr 2020 wurde bei der Audi Hungaria sogar ein Tarifvertrag über drei Jahre abgeschlossen. Wie kam es dazu?
Ich glaube, wir sind die einzigen unter den Großunternehmen in Ungarn, die einen dreijährigen Tarifvertrag unterzeichnet haben. So ein Vertrag bietet für beide Seiten Sicherheit und Berechenbarkeit. Wir haben auch ein Maßnahmenpaket unterzeichnet, mit dem wir die Beschäftigungssicherheit fördern wollen. Das hat natürlich heute angesichts der Corona-Pandemie eine besondere Bedeutung.
Zu welchen Konsequenzen hat die Pandemie im Personalwesen bisher geführt?
Unmittelbar nach dem Ausbruch der Pandemie wurden über 120 Maßnahmen zum Schutz unserer Mitarbeiter getroffen. Dadurch ist es bislang gelungen, die Bildung von Infektionsketten zu verhindern und unsere Produktion nach dem Lockdown wieder sicher und nachhaltig hochzufahren.
Vergangenes Jahr sind wir mit der Arbeitnehmervertretung darin übereingekommen, das 13. Gehalt der Mitarbeiter in Urlaubstage umzuwandeln. Da es in Ungarn kein Kurzarbeitergeld gibt wie in Deutschland, waren wir angesichts der sinkenden Volumina zu diesem Schritt gezwungen. Die Gewerkschaft war bei diesem Dialog und bei der Lösungsfindung sehr kooperativ. Letztlich gelang es uns, nicht zuletzt durch diesen Schritt, unsere Stammmitarbeiter zu behalten.

Heute brauchen wir sie wieder voll, denn wir produzieren seit Juni letzten Jahres in drei Schichten. Anfang Mai haben wir unseren Mitarbeitern in Anerkennung ihres besonderen Einsatzes im Krisenjahr 2020 einen Corona-Bonus gewährt.
Eine Kompensation für das 13. Gehalt?
Nicht ganz. Der Bonus betrug ungefähr die Hälfte. In diesem Jahr werden unsere Mitarbeiter natürlich wieder ein 13. Gehalt erhalten. Es handelt sich um eine einmalige Vereinbarung.
Wie zufrieden ist Audi Hungaria mit dem gegenwärtigen Arbeitsgesetz? Sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?
Die derzeitigen Rahmenbedingungen hindern uns nicht daran, wettbewerbsfähig zu sein. Sie geben uns die Flexibilität, die wir in Anbetracht der Produktzyklen unserer Branche unbedingt brauchen. Insgesamt sind wir mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Ungarn sehr zufrieden. Nicht zuletzt deshalb hat unser Unternehmen bisher rund 11 Milliarden Euro an diesem Standort investiert.
Wie hat sich in Ihrer Zeit die duale Berufsausbildung entwickelt?
Sie begann bereits 2001. Damals haben wir in der Zerspanung mit zwölf Auszubildenden angefangen. Heute sind bei uns pro Jahr in 14 Berufsfeldern etwa 250 Kollegen in der Ausbildung. Außerdem gibt es inzwischen als logische Fortsetzung der dualen Berufsausbildung auch eine duale Hochschulausbildung. Mit dem geänderten Berufsbildungsgesetz, das eine hohe Output- und Kompetenzorientierung garantiert, sind wir gleichfalls sehr zufrieden.
Auch dank unserer Audi Akademie sind wir bei der betrieblichen Weiterbildung gut aufgestellt. Wir haben auch Ausbildungsstationen direkt in der Produktion. Für uns ist das sehr wichtig, schließlich brauchen wir Mitarbeiter, die sofort in der Produktion einsetzbar sind, und zwar qualitativ hochwertig.
Wie viele deutsche Mitarbeiter sind derzeit bei Ihnen tätig?
Aktuell 75, die meisten davon auf Projektbasis. 35 der 75 Deutschen sind im Management tätig.
Von Anbeginn ist der CEO bei Ihnen immer ein Deutscher. Kann sich das einmal ändern?
Aktuell kann ich mir das nur schwer vorstellen. Aber man kann ja nie wissen. Vielleicht ändert sich das in einigen Jahren. Seit dem letzten Jahr wird auch die Position des Vorstandes für Fahrzeugproduktion von einem Ungarn bekleidet. Bei den Mitarbeitern kommt das sehr gut an.
Wie hat sich in Ihrer Zeit die Zusammenarbeit mit der Győrer Széchenyi-Universität entwickelt?
Die Kooperation begann 2007 mit der Gründung eines Lehrstuhls für Verbrennungsmotoren. Heute gibt es an der Universität eine Audi Hungaria-Fakultät mit sieben Lehrstühlen. Es gibt inzwischen auch werksintern, nämlich in unserem Motorenanlaufzentrum einen externen Lehrstuhl der Universität. Wir sind über zahlreiche gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte miteinander verbunden. Viele unserer Mitarbeiter halten an der Universität Lehrveranstaltungen ab, einige leiten sogar Lehrstühle und die Fakultät. Auf der anderen Seite absolvieren Dozenten bei uns Praktika. Es gibt also einen regen Austausch in beide Richtungen. Dank dieser intensiven Zusammenarbeit konnte das Regionale Innovations- und Technologiezentrum ins Leben gerufen werden.
Gibt es auch Kooperationen mit anderen ungarischen Universitäten?
Ja, mit den Universitäten Szeged, Miskolc, Óbuda und der Technischen Universität Budapest. Eine besondere strategische Relevanz besitzt für uns die Zusammenarbeit mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Durch den Modellwechsel der Universitäten ergeben sich zahlreiche neue Chancen für die Hochschulkooperationen.
Inwiefern?
In der heutigen Zeit gewinnt das Tempo der Übertragung von Ergebnissen der Wissenschaft in die Wirtschaft eine immer größere Bedeutung. Wenn dieses Tempo zu gering ist, dann verlieren die Länder oder Ländergruppen an Wettbewerbsfähigkeit. Die Akteure von Wissenschaft und Wirtschaft müssen daher bestmöglich miteinander kooperieren. Von Seiten der Wissenschaft sind dafür entsprechende Freiräume und eine schnelle Entscheidungsfindung unabdingbar. Der Modellwechsel bei den Universitäten eröffnet hier große Chancen. Durch die neue Trägerkonstruktion erhalten die Universitäten eine Gestaltungsfreiheit, die sie bisher nicht hatten. Es wird mehr Raum eröffnet für Innovationen und eigenständiges, qualitätsorientiertes Handeln. Die Entscheidungsprozesse werden wesentlich kürzer.
Wodurch?
Bis jetzt war das Ministerium für größere Entscheidungen verantwortlich. Bei diesem mussten Anträge eingereicht werden. Bis eine Entscheidung getroffen wurde, mussten diverse Gremien passiert werden. Jetzt liegt die Verantwortung voll bei der Trägerstiftung, die sich in den Belangen ihrer Universität natürlich deutlich besser auskennt, als Entscheidungsträger in einem Budapester Ministerium.
Seit letztem August leiten Sie das Kuratorium der Trägerstiftung der Széchenyi-Universität. Wie nutzt die Stiftung die neue Freiheit?
Die Entscheidungsfindung unserer Universität hat eine ganz neue Dynamik erhalten, ebenso die Qualitätsorientierung in allen Segmenten. Unsere Universität ist auf dem besten Weg, zum Innovationszentrum der Stadt Győr und der Region zu werden. Wir werden auch unsere internationale Vernetzung weiter ausbauen.
Schon nach einem knappen Jahr können wir sagen, dass die Trägerschaftsänderung sehr positiv wahrgenommen wird. Die Bewerberzahlen haben sich enorm erhöht. Innerhalb von Ungarn liegt unsere Universität gleich hinter der Budapester Corvinus-Universität an zweiter Stelle. Als Stiftung war es uns wichtig, allen Zielgruppen der Universität, also den Studenten, Dozenten und Wissenschaftlern durch die Einbindung in unsere Prozesse transparent zu zeigen, welche Strategie wir verfolgen.
Kritiker unterstellen dem Modellwechsel eine Einschränkung der Freiheit der Universitäten.
Von Seiten unserer Stiftung haben wir immer wieder klargemacht, dass die Autonomie und die wissenschaftliche Freiheit unserer Universität unantastbar sind. Es ist sogar unser Ziel, diese noch weiter auszubauen und der Universität damit zusätzliche Chancen zu eröffnen. Die Studenten und Dozenten stehen unserem Engagement sehr positiv gegenüber, nicht zuletzt deswegen, weil sie von unserer Seite einen permanenten Rückenwind für ihre Aktivitäten spüren und uns so als Partner wahrnehmen.
Jetzt in der Corona-Zeit hat unsere Stiftung beispielsweise schnell und unbürokratisch Corona-Stipendien vergeben. Davon profitieren Studenten, deren Eltern durch Corona in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Wir haben dafür rund 100 Millionen Forint bereitgestellt.
Wir können auch die Unterstützung für ein Start-up oder die Behandlung eines plötzlich auftauchenden wissenschaftlichen Themas gewähren. Es eröffnen sich gewaltige Chancen für unsere Universität und damit auch für Ungarn.
Ich bin sehr optimistisch, was die Trägerkonstruktion betrifft, und bin sehr froh darüber, dass in Ungarn dieser Schritt getan wurde. Schon jetzt beweist unsere Universität, dass es ein guter ist.
Wie sieht der Lehrkörper diese Entwicklung?
Absolut positiv. Auch von der Gewerkschaft der Universität bekommen wir sehr gute Rückmeldungen. Alle freuen sich über die neue Gestaltungsfreiheit von Wissenschaftlern, Studenten und Mitarbeitern und über die raschen Entscheidungswege. Unser Kuratorium tagt alle zwei Monate. Bei den Sitzungen werden die Themen ausführlich und verantwortungsvoll behandelt. Aber nicht nur das: es wird auch sofort entschieden. Es gibt kein Hinauszögern mehr. Es wird sofort operativ entschieden, und schon können sich die Akteure an die Umsetzung machen.
Nicht zuletzt, weil der Umweg über das Ministerium wegfällt…
Ja, der fällt jetzt komplett weg. Das Kuratorium trägt die volle Verantwortung und hat die volle Entscheidungsfreiheit. Das ist natürlich eine riesige Chance. Auf einmal kann eine Universität so agieren, wie ein Unternehmen in der freien Wirtschaft.
Kritiker unterstellen der neuen Konstruktion auch, dass sie für politische Interessen missbraucht wird. Spüren Sie davon etwas?
Bei uns an der Győrer Universität habe ich so etwas bisher noch nicht erlebt. Mit allen Betroffenen gibt es eine zukunftsweisende und inspirierende Zusammenarbeit. Sowohl in der Stiftung als auch im Aufsichtsrat gibt es ehemalige Studenten der Universität. Diese identifizieren sich natürlich sehr stark mit der Universität und stellen deren Interessen an erste Stelle. Allen Beteiligten geht es ausschließlich darum, ihre Alma Mater voranzubringen.
Und ganz ehrlich: Der Modellwechsel hat ganz wesentlich zu meiner Entscheidung beigetragen, mein Vorstandsmandat bei der Audi Hungaria niederzulegen und mich als Vorsitzende des Kuratoriums jetzt noch stärker für unsere Universität zu engagieren. Ich bin eine Macherin und habe die Vorzüge der Wettbewerbssphäre zu schätzen gelernt. In eine stark bürokratische Organisation mit quälend langsamen Entscheidungswegen wäre ich sicher nicht gewechselt.
Wir können in Europa nur dann im internationalen Wettbewerb bestehen und verlorenes Terrain wieder zurückerobern, wenn alle Akteure die notwendige Gestaltungs- und Innovationsfreiheit haben und zu einem wettbewerbsfähigen Tempo in der Lage sind. Besonders für unser kleines Land mit vergleichsweise geringen natürlichen Ressourcen ist es für die Wettbewerbsfähigkeit von enormer Bedeutung, dass die Universitäten ihre Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte in Konkurrenz zu globalen Wettbewerbern autonom und flexibel steuern können.”.

DR. ELISABETH KNAB wurde im südungarischen Nemesnádudvar geboren. Sie studierte Germanistik und Geschichte sowie Führungsmanagement und promovierte in germanistischer Linguistik. Ihre berufliche Laufbahn begann sie 1980 als Lehrerin am deutschsprachigen Gymnasium in Baja. Ab 1983 lehrte sie an der Außenhandelshochschule, der Universität ELTE in Budapest und an der Universität Pécs.
1994 wurde sie Hauptdirektorin des Ungarndeutschen Bildungszentrums in Baja. Sie entwickelte das Bildungszentrum zu einem international anerkannten Modell der europäischen Bildungsintegration und zu einer „exzellenten deutschen Auslandsschule“. In dieser Funktion wirkte Dr. Knab über viele Jahre in verschiedenen deutsch-ungarischen Regierungskommissionen mit und engagierte sich in der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen.
2011 wechselte sie zu Audi Hungaria und übernahm dort die Leitung für den Aufbau der Bildungs- und Wissenschaftskooperationen. Seit 2013 ist sie Vorstand Personal und Organisation und seit August 2020 Vorsitzende des Kuratoriums der Trägerstiftung der István Széchenyi-Universität Győr.
Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. Im Verlaufe ihrer Berufstätigkeit wurden ihr zahlreiche Auszeichnungen verliehen, u.a. das Goldene Verdienstkreuz der Republik Ungarn (2002), das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (2004), die Wahrmann-Ehrenmedaille der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (2016). 2018 wurde sie Ehrenprofessorin der István Széchenyi-Universität Győr. Seit 2015 ist sie Ehrenbürgerin der Stadt Baja und seit 2019 des Komitats Győr-Moson-Sopron.