Interview mit Sándor Scheer, dem Gründer und Inhaber des Baugiganten Market
„Für jeden Erfolg musste ich hart kämpfen“
Sind die Investitionsprojekte zum Stillstand gekommen?
Im Bauwesen gehen die Investitionen überwiegend weiter. Ins Stocken gerieten am ehesten Segmente, die von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen sind. So wurden beispielsweise keine neuen Hotelprojekte auf den Weg gebracht. Insgesamt haben sich neue Projekte ein wenig verzögert.
Glauben Sie an eine schnelle wirtschaftliche Erholung oder wird das dauern?
Im Wohnungsbau wird es wohl gar keinen Rückschlag geben. Im Bürosegment allerdings sind tiefschürfende Analysen hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Krise nötig. Viele Büroangestellte haben sich an die Heimarbeit gewöhnt und wollen wohl kaum in die großen Büros zurückkehren. Wir müssen die benötigten Büroflächen ebenso überdenken, wie deren Aufteilung und Ausgestaltung. Auch in der Hotellerie wird es nicht mehr so weitergehen, wie vor der Krise. Beim Bau öffentlicher Objekte oder bei Investitionen in der Industrie dürfte es schneller aufwärts gehen, auf anderen Gebieten langsamer.
Die Krise könnte manche auf die Straße setzen. Sie leiten das Beratergremium für den Wohnungs- und Immobilienmarkt, das 2019 auf Initiative der Notenbank eingerichtet wurde. Dieses Gremium forderte ein Programm für Sozialwohnungen. Familienministerin Katalin Novák wiederum konzentriert sich auf die Förderung der Schaffung eigenen Wohnraums.
Ich denke, das schließt sich nicht aus. Mietwohnungen bieten sich als Übergangslösung für junge Leute an, die noch nicht genügend Geld für den Kauf einer eigenen Wohnung haben oder aber unsicher sind, in welcher Stadt oder Wohngegend sie sich ansiedeln wollen. Zu einem gut strukturierten nationalen Wohnungsprogramm gehören auch bezahlbare Mietwohnungen für alleinstehende junge Leute. Sobald diese an die Gründung einer Familie gehen, ziehen sie mit staatlichen Förderungen in eine eigene Wohnung – die Mietwohnung aber wird für Jüngere frei. Ich bin überzeugt, dass wir in naher Zukunft in dieser Richtung vorankommen werden. Ein sauber definiertes Segment an Mietwohnungen würde letztlich auch dem Fiskus zugutekommen.
Nach der Krise wünschen alle sehnlichst einen wirtschaftlichen Aufschwung. Welche Investitionen würden Sie tätigen, um ein nachhaltiges Wachstum zu erreichen?
Mein Grundprinzip lautet, dass ich nur Geld ausgeben kann, welches zur Verfügung steht. Deshalb müssen wir zunächst die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und dazu – unter Berücksichtigung von Umweltbelangen – in die Produktionsanlagen oder künftige Industrieflächen investieren. Außerdem muss mehr Geld in die Bildung fließen, um deren Niveau anzuheben. Außerdem hat uns die Corona-Pandemie gezeigt, dass wir noch viel im Gesundheitswesen tun müssen.
SÁNDOR SCHEER wurde 1966 in Budapest geboren, er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Die von ihm gegründete Market Építő Zrt. leitet er bis heute als Vorstandschef, außerdem besitzt er den Immobilienentwickler Unione Group und das Hotel Clark Budapest. Schon 1987 machte er seinen Abschluss als Bauingenieur, seit 1996 führt er eigene Firmen. Im vergangenen Jahr sorgte die Übernahme der einheimischen McDonald’s-Kette durch ihn für Aufsehen.
Im Bauwesen ist es sicher nicht gleichgültig, wie sehr sich der Sektor auf einheimische Materialien stützen kann.
Was die Baustoffversorgung betrifft, ist der ungarische Markt bei bestimmten Produkten stark von Importen abhängig. Neue Werke für eine autarke Versorgung würden günstigere Einkaufspreise versprechen und unsere Position im Wettbewerb verbessern.
Wie geht es mit dem Baugewerbe nach der Krise weiter?
Das Baugewerbe braucht dringend einen Strukturwandel. Es gibt ungefähr achtzigtausend Firmen mit höchstens drei angemeldeten Mitarbeitern. Diese Mikrofirmen investieren in der Regel nicht in Maßnahmen, um ihre Effizienz zu steigern oder bessere Produktionstechnik anzuschaffen. Ganz zu schweigen von den unregelmäßigen Einzahlungen der Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Diese Zustände sind wenig lobenswert. Erst wenn wir diese Strukturen aufbrechen, kann die ungarische Baubranche tatsächlich effizienter agieren.
Sie glauben demnach, die Liquidierung der vielen Mikrofirmen würde den Markt bereinigen?
Indem die Mikrofirmen vom Markt verschwinden, können deren Mitarbeiter zu größeren Baufirmen wechseln, wo sie wahrscheinlicher korrekte Löhne erhalten und geschult werden, wo sie Unsicherheit gegen ein sicheres Umfeld eintauschen.
Ist es wahr, dass im Bausektor zuletzt besonders große Gewinne möglich wurden?
Ganz und gar nicht. Das mag von außen so erscheinen, weil hier mit großen Zahlen hantiert wird. Doch wer allen Zahlungsverpflichtungen korrekt nachkommt, dem bleibt noch vor Steuern deutlich weniger.
Beißt sich diese Aussage nicht mit Ihrer Forderung, im Baugewerbe sei es Zeit für Preissenkungen?
Die Baubranche war in den letzten drei, vier Jahren überhitzt. Viele Preise wurden unbegründet hochgeschraubt, selbst wenn die Nachfrage enorm war. Das Preisniveau war am Ende nicht mehr realistisch. Wenn wir heute einfach nur so viel zahlen, wie die erbrachte Leistung wert ist, müssten die Preise um 10-15 Prozent fallen. Dabei müssten vor allem die Baustoffpreise gedrückt werden.
Wie sehen Sie die Lage am Arbeitsmarkt, ist die Abwanderung der Fachkräfte ins Ausland vorbei?
Der ungarische Bausektor verfügt über eine ausreichende Anzahl an Arbeitskräften. Die Frage ist nur, dass die Leistung dem nicht gerecht wird. Würden Projekte mitsamt der Kapazitäten besser geplant und strukturiert, wäre die Anzahl der Mitarbeiter weniger relevant. In Wirklichkeit gibt es enorme Reserven – der Mangel an Fachkräften resultiert einzig aus der fehlenden Effizienz.
Helfen die Erfahrungen von 2008/09, die Corona-Krise besser zu überstehen?
Die Finanzkrise hat so manche Dinge schonungslos offengelegt. Dazu gehört, wie wichtig der Umgang mit den Menschen ist, mit den Auftraggebern, den Mitarbeitern und den Partnern. Unternehmer mussten schon damals erkennen, welch immensen Wert ihre Arbeitnehmer darstellen. Unbedingt erforderlich sind stabile Fundamente, ausreichende Reserven und ein verantwortungsvolles, konservatives Finanzgebaren beziehungsweise der entsprechende Weitblick. Ich denke, wer 2008 das nötige Lehrgeld zahlte, kommt heute besser durch die Krise.
Sie haben Ihr eigenes Unternehmen, Ihre Eigenständigkeit ebenfalls den guten Kontakten zu verdanken.
Ich hatte das Glück, mit Fleiß und aufopferungsvoller Arbeit das Vertrauen meiner Auftraggeber zu gewinnen. So konnte ich nach Gründung der eigenen Firma schnell auf große Partner zählen, was den Start in die Selbständigkeit natürlich erleichterte. Die Stabilität im Kreis der Auftraggeber zahlte sich in und nach der Finanzkrise aus: Wer nach 2008 neue Projekte wagte, setzte auf die bewährten Kontakte. Solche Beziehungen sind wirklich außerordentlich wertvoll.
Die politischen Beziehungen nicht minder. Vor 2014 gehörte die den Linksliberalen nahestehende Wing-Gruppe zu Ihren Partnern, danach jener István Garancsi, der als guter Freund von Ministerpräsident Viktor Orbán gilt. Pflegen Sie diese Kontakte bewusst auf einem Markt, der in erheblichem Maße von staatlichen Großaufträgen geprägt ist?
Unsere Tätigkeit handelt vom Bauwesen, einem technischen Gebiet. Firmenbeteiligungen sind da etwas anderes. Mein erster Partner war ein guter Freund und Kollege; als er ausstieg, blieb ich eine Weile auf mich allein gestellt. Irgendwann suchte ich einen fachlichen Partner, der mir beim Vorankommen unter die Arme greift. Das war die Wing-Gruppe, mit der ich zwölf Jahre zusammenarbeitete. Deren Geschäftsanteile übernahm später István Garancsi. Das habe ich mir nicht ausgesucht; mich interessierte die Politik nie wirklich. Hier geht es um das Bauwesen, um fachliche und geschäftliche Aspekte. Wer gut baut, wird immer Anerkennung finden. Drei Viertel unserer Aufträge gewinnen wir am freien Markt, das sagt wohl alles. Ich möchte auch gar nicht, dass dieser Anteil kleiner wird.
Forbes schätzt Ihr Vermögen heute auf 31 Mrd. Forint und ordnet Sie auf Platz 49 unter den reichsten Ungarn ein. Wenn ich mich recht entsinne, wollten Sie ursprünglich gar nicht in die Selbständigkeit wechseln?
Ich war Technischer Direktor eines Bauunternehmens und mehr als loyal. Meine Frau stachelte meinen Ehrgeiz an, denn sie glaubte, diese Position werde meiner Mentalität nicht gerecht. Unablässig drängte sie mich, ich sollte es mit einer eigenen Firma versuchen, meinen eigenen Umgang mit den Auftraggebern zum Tragen bringen. Sie glaubte fest daran, dass ich Erfolg haben werde.
Erhielten Sie von Ihrer Familie abgesehen vom Selbstvertrauen noch andere Unterstützung, etwa Kapital oder Kontakte?
Nein, ich besaß keinen solchen Hintergrund. Wahrscheinlich war es mein Glück, dass ich als Berufsanfänger nach der Wende nicht bei einem Staatsbetrieb anfing, also gar nicht erst mit verkrusteten Strukturen konfrontiert wurde. Am freien Markt konnte ich sehr viele positive wie negative Erfahrungen sammeln. Für jeden Erfolg musste ich hart kämpfen. Natürlich war auch Fortuna im Spiel – aber das Glück ist nur jenen hold, die auch dafür rackern.
MARKET ZEIGT SICH KRISENRESISTENT
Die von Sándor Scheer gegründete Market Építő Zrt. ist in die TOP10 der größten Bauunternehmen Mitteleuropas aufgestiegen. Die Gruppe verwirklichte in zweieinhalb Jahrzehnten rund 750 Projekte. Mit rund 1.200 Mitarbeitern erzielte Market im Vorjahr einen Reingewinn von 7 Mrd. Forint. Im laufenden Jahr dürften die Umsatzerlöse um etwa fünf Prozent auf 175 Mrd. Forint sinken.
Was hat Sie die Corona-Pandemie gelehrt?
Ich achte weitaus stärker auf die eigene und die Gesundheit meiner Kollegen. Das umfasst auch vorbeugende Maßnahmen, so etwa den Umgang mit Stress und die Frage, wie wir uns allgemein fit halten. Daneben erhält das grüne Denken mehr Raum, ebenso der Schutz unserer Umwelt. Unterm Strich stärkt die Auseinandersetzung mit dem Virus den konservativen Ansatz im Geschäftsleben. Diese außerordentliche Lage rückte die für mich maßgeblichen Kernaussagen noch mehr in den Fokus, also konservatives Denken, strenge Finanzdisziplin und vernünftige Strategien.
Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.
Das hier wiedergegebene Interview von Dániel Oláh erschien ursprünglich Mitte November im konservativen Wochenmagazin Mandiner.
Anders als in Deutschland ist der Mietsektor eher klein. Die andere Mentalität zeigt Scheers Einschätzung, dass Mietwohnungen nur Übergangslösungen für junge Singles sind. Bei dem mittlerweile hohen Preisniveau wird es aber wohl trotz staatlicher Unterstützung jungen Familien wohl immer schwerer fallen, eine Wohnung oder gar ein Haus zu kaufen. Die Überhitzung in der Baubranche, die Herr Scheer feststellt, bedeutet eben auch, dass die gestiegenen Preise die finanziellen Möglichkeiten von vielen Familien übersteigen.
Für Großprojekte mag es wohl zutreffen, was Scheer über die kleinen Handwerksbetriebe sagt, aber bei kleineren Bauprojekten sind sie sicherlich eine sinnvolle Ergänzung – eine gute berufliche Qualifikation vorausgesetzt.