Ungarn
Volksnahe Staatspräsidentin Katalin Novák und BZ-Kolumnist Detlev Schönauer. Selfie: BZ / Detlev Schönauer

Glosse: Erlebnisse eines Neu-Ungarn, Teil 33

„Jó napot! I’m a Western Refugee!“

Schon länger liege ich meinen deutschen Auswandererkollegen in den Ohren, Ungarisch zu lernen. Ich selbst habe das schon mehrfach in Angriff genommen, wenngleich mit mäßigem Erfolg.

Nun wollte ich endlich Nägel mit Köpfen machen und absolviere in einer Sprachschule in Budapest einen vierwöchigen Intensivkurs.

Nationalfeiertag am Parlament

Zufällig war ich auch gerade zum Nationalfeiertag, dem 15. März, in der Hauptstadt. Zuerst überlegte ich, ob ich den Tag nutzen sollte, um die aufgelaufenen Vokabeln zu büffeln, oder ob ich mich eher in der Stadt umsehe, wie die Hauptstädter so feiern. Gibt es Tanz in den Straßen? Vielleicht ein Feuerwerk am Abend? Schließlich war Nationalfeiertag. Und die Ungarn lieben ihre Nationalfeiertage.

Doch nach intensiver Recherche erkannte ich, dass der Anlass für ausschweifendes Feiern eher unpassend ist. Schließlich gedenkt man dem Beginn der ungarischen Revolution gegen die Habsburger von 1848, die letztlich im Folgejahr blutig scheiterte. So wurde des historischen Datums auch in diesem Jahr in Buda­pest wieder eher andächtig gedacht.

Mit dem Hissen der ungarischen Flagge auf dem Kossuth tér vor dem Parlament und dem Abspielen der Nationalhymne begann die Gedenkfeier früh am Morgen. Die Fläche des Platzes direkt vor dem Parlament war abgesperrt. Entlang der Absperrung warteten mehrere hundert Schaulustige, von denen viele am Revers kleine Kokarden in den Nationalfarben trugen.

Auch mir wurden diese auf dem Weg angeboten, was ich aber freundlich ablehnte. Ich bin schließlich kein Ungar, sondern immer noch Deutscher. Vielleicht hat diese Zurückhaltung aber weniger damit, als mit dem typisch deutschen „Political-Correctness-Virus“ zu tun, das ich wohl auch noch in mir trage. Stolz ein ungarisches Traditionssymbol zu tragen, könnte ja glatt den verpönten Tatbestand der „kulturellen Aneignung“ erfüllen.

Rot-weiß-grüne Kokarden

Auf der Treppe vor dem Parlamentsgebäude stand eine Reihe wichtiger Repräsentanten des ungarischen Staates, von denen sich nach der offiziellen Feierlichkeit eine kleinere Delegation in Richtung Zuschauer bewegte. Unter ihnen erkannte ich die Staatspräsidentin, Katalin Novák, die sofort anfing, kokardengeschmückten Feiernden die Hand zu schütteln. Das waren wohl besondere Staatsbürger und wohlverdiente Veteranen, glaubte ich zunächst. Aber weit gefehlt, nein! Sie suchte einfach nur Kontakt zu ganz normalen Bürgern. Geduldig reichte sie jedem in ihrer Umgebung die Hand und wechselte kurz ein paar Worte.

Bald stand sie auch vor mir und begrüßte mich mit einem herzlichen „Jó napot, kívánok!“. So angesprochen, outete ich mich direkt als Auswanderer: „Jó napot! I’m a Western Refugee!“, worauf sie, sichtlich belustigt ob meines Orbán-Zitats fragte, woher ich sei. Sie bot mir sogleich an, die Unterhaltung auf Deutsch weiterzuführen, was sie übrigens perfekt beherrscht.

Auf ihre Frage, warum ich denn nach Ungarn ausgewandert sei, führte ich unter anderem politische Gründe an, wies aber auch auf die vielen freundlichen und hilfsbereiten Menschen hier hin und lobte besonders die positive Stimmung im Land, die so ganz anders ist, als im gespaltenen Deutschland.

Lächelnd pflichtete sie mir bei. Ich erzählte ihr, dass ich gerade in Budapest sei, um einen Intensivkurs Ungarisch zu absolvieren. Das gefiel ihr besonders, vor allem meine Aussage, dass man seinen Respekt dem Gastland gegenüber am besten dadurch zeigt, dass man wenigstens die Grundzüge der Landessprache beherrscht. Schließlich machten wir noch ein Selfie, obwohl ich so etwas eher selten mache.

Würdig begangener Feiertag

Auf meinem weiteren Weg begegnete mir noch ein berittener Husarentrupp. Die Soldaten in farbenprächtigen Uniformen auf weißen Pferden ließen freudige Erinnerungen an schwungvolle Operetten und rührselige Sisi-Filme wach werden.

Stolz, meine patriotische Pflicht als Neu-Ungar absolviert zu haben, schritt ich dann zum Frühstück… Die Vokabeln kann ich auch später noch lernen!

Der Autor ist gelernter Diplom-­Physiker, machte dann aber die Musik und die Liebe zur Sprache zu seinem Beruf und wurde Kabarettist. In den vergangenen 40 Jahren stand er mehr als 6.000 Mal auf der Bühne und war in zahlreichen Fernsehsendungen zu Gast. Nebenbei schrieb er sechs Bücher. Seit 2020 lebt er mit seiner Frau in der Nähe des Balaton. Mehr zu Detlev Schönauer finden Sie in diesem BZ-Interview.

10 Antworten auf “„Jó napot! I’m a Western Refugee!“

  1. Zwei Sprachen gut zu sprechen ist bewundernswert. Nachdem nun monatelang neue Eindrücke auf mich eingepurzelt sind merke ich, dass auch die ungarische Sprache allmählich vertrauter wird.
    Mit der Nachbarin verständige ich mich per What’sApp. Sie schreibt auf Deutsch und ich auf Ungarisch. Das dauert wegen der Akzente ziemlich lange. Aber es muss sein. Und es ist gerecht. Ich bin für ihre vielen Unterstützungen und heute wieder das perfekte, frisch aus dem Ofen geholte Gebäck, das sie mir durchs Fenster hereinreicht, sehr dankbar.
    Ich kann nur jeden dazu ermuntern Ungarn zu besuchen.

  2. Man kann nur die Verhaltensweise der Präsidentin bewundern, sich mit einem unrasierten sich selbst als ” western Refugee” bezeichnenden Deutschen, der das selbst sehr selten macht, ablichten zu lassen! Es ist bedauerlich, dass er sich nicht hierbei zu der volksnahen, mutigen und konsequenten Politik der ungarischen Regierung, der Verleumdung und Benachteiligung durch die EU und Deutschland äußert! Auch die Begründung der Ablehnung, die ungarischen Farben zu tragen, ist nur seiner verinnerlichten deutschen Überheblichkeit geschuldet! Die übrigens in seinen Beiträgen noch deutlicher zu erkennen ist! Einer de selbst kaum nach etwas über 2 Jahren in Ungarn gelandet sein kann gibt Ratschläge und Informationen , die unzutreffend, unvollständig oder ganz und gar falsch sind! Er ruft zur Integration auf und hat bisher keinen auch nur ansatzweisen Nachweis eigener Bestrebungen gebracht. Dabei haben er und seine Frau -sie ist Mitglied des Vereins der Hochgebildeten -beste Vorausetzungen

    1. Wo ist der Beitrag überheblich? Das ist an keiner Stelle zu erkennen.
      Das Tragen der Kokarda sollte natürlich den Ungarn vorbehalten sein, das spürt der Schreiber schon ganz richtig. Das ist dann Respekt vor den Nationalfarben des Gastlandes, alles andere würde ich als übergriffiges Nachäffen empfinden. Wer dann lange genug hier lebt, die Sprache ziemlich gut beherrscht und vielleicht selber schon ung. Staatsbürger ist, darf das dann anders handhaben.

  3. Ungarn, wie auch Ungarisch, ist was für Leute, die gerne andersrum denken, Querdenker vielleicht.
    Ich spreche Fremdsprachen Ungarisch, Französisch und etwas Englisch. Wenn ich mir die Sprachen anschaue, ist die Struktur des Ungarischen logischer, nachvollziehbarer, aber eben sehr viel anders als die der anderen. Das eigentliche Sprachenmonster ist Deutsch mit seiner irren Deklination. Ist im Ungarischen einfach! Außerdem ist zu erwähnen, dass man im Ungarischen wie im Deutschen die Wörter zusammenbinden kann. ZB (babakocsi). Geht im Französischen nicht!

  4. Zugegeben, in einem Schönheitswettbewerb hat der Herr oben im Bild nichts zu suchen. Aber dass er sich selbst als “Western Refugee” bezeichnet, ist ein Ausdruck von Ehrlichkeit und Weitsicht, denn sicher ahnt er schon, welches Ungemach auf europäische und insbesondere auf deutsche Bürger zurollt, und dass das vielleicht noch viele “Western”- oder “European Refugees” produzieren wird.
    Ausserdem weiß er offenbar, dass man sich nicht mit fremden Federn schmückt. Die Magyar Kokárda ist ein Symbol für Ungarn und seine Geschichte, die allein den Ungarn gehört.

    1. Nahaufnahmen von Gesichtern sind immer peinlich, wenn sie nicht in der Schminke waren und über 25 sind.
      Auch ein Flüchtling aus Deutschland darf übrigens eine Magyar Kokárda tragen. Der lustige Asiate im Hintergrund trägt sie doch auch. (allerdings gerade verdeckt) Die Ungarn sind da nicht so kleinlich und zu stolz. Frau Präsidentin würden sich sogar über die kulturelle Aneignung des Ungarischen freuen. Allerdings fehlt einigen dazu das notwendige Niveau. Wer allerdings Ungarisch lernt, ist schon auf dem richtigen Weg. Und wenn er die Kokárda nicht trägt, ist das für uns Ungarn auch kein Problem. Wir sind ja Patrioten, keine Reichsbürger.

      1. Auch wenn man in Ungarn die Magyar Kokárda tragen darf, kann man das ja nicht grundsätzlich voraussetzen, weshalb es meiner Ansicht nach der Anstand verlangt, dass man da Zurückhaltung wahren sollte.

        Was das mit Reichsbürgern zu tun hat, erschließt sich mir jetzt allerding nicht.

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