Ernährung
Landwirtschaftsminister István Nagy bei der Kartoffelernte: „Die Ungarn haben es nicht nötig, Würmer zu essen!“ Foto: FB / István Nagy

Glosse: Eindrücke eines Neu-Ungarn, Teil 34

Von Madenleugnern und Insektidioten

Wenn man durch die ungarischen Lande fährt, fällt einem gerade in den Dörfern ein deutlicher Unterschied zu Deutschland auf.

Noch wie vor hundert Jahren gibt es in Ungarn viele Selbstversorger, und das sieht man auch. Die Grundstücke sind viel größer als in Deutschland. Ein Grundstück von Tausend Quadratmetern entlockt hier dem Nachbarn höchstens ein mitleidiges Lächeln, wenn der witzelt: „Da passen noch nicht mal fünf Kürbisse drauf!“

Kartoffeln, Tomaten und Paprika

Die Ungarn verwenden ihr Land vor allem als Nutzfläche für Kartoffeln, Tomaten und Paprika, aber auch als perfekte biologische Auslauffläche für diverses fleischhaltiges oder eierlegendes Getier. Die Häuser in deutschen Ortschaften sind dagegen vornehmlich von hübschen kleinen Gärtchen umgeben, in denen Geranien, Rosen oder Rasen wachsen. Neuerdings gibt es immer häufiger diese biologisch völlig unbedenklichen „Steingärten“, in denen vor allem Granit oder pflegeleichter Quarzsand gedeihen.

Der Ungar hat’s auf seiner Scholle eher mit Essbarem. Er bevorzugt generell Lebensmittel aus eigener Produktion oder zumindest ungarischer Herkunft.

So war es nicht verwunderlich, dass kürzlich ein recht un-europäisches Raunen durchs Land ging, als bekannt wurde, dass die EU-Kommission Hausgrillen und Käferlarven als Nahrung zulässt. Zu Pulver gemahlen, dürfen heute auch Getreideschimmelkäfer oder Mehlwürmer unser Essen bereichern. Damit soll vor allem das Klima geschützt werden: die Klimabilanz kleiner Krabbeltiere soll nämlich besser sein als die von großen Krabbeltieren wie Rindern und Schweinen.

Madenfreie Extrawürste

Da die Ungarn innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft eh schon als chronisch renitent verschrien sind, wollten sie auch bezüglich dieser unappetitlichen Verordnung ihre madenfreien Extrawürste braten und lehnten sich gegen solch exotische Beilagen auf. Selbst wenn sie künftig auch noch als Madenleugner, Quergrillen oder gar Insektidioten verunglimpft würden, wollen sie nach wie vor keine Heuschrecken, Grillen oder Ameisen im Essen, selbst wenn diese, mikroskopisch klein gemahlen, nicht mehr als Krabbler zu erkennen sind.

Auch wenn diese Kerbtiere grundsätzlich zum menschlichen Verzehr geeignet sind, was man von der fernöstlichen Küche weiß, besteht in der EU trotzdem eine insektenbezogene Kennzeichnungspflicht. Wie bei vielen solcher Auflistungen stehen also die chitinhaltigen Extras bald winzig klein zwischen den zahlreichen anderen Kennzahlen ungesunder Zusatzstoffe, gehen darin dann gewiss genauso unter. Da lehnt der bodenständige Ungar solches Gewürm im Essen sicherheitshalber lieber grundsätzlich ab.

So erklärte der ungarische Agrarminister István Nagy dazu kurz und bündig: „Die Ungarn haben es nicht nötig, Würmer zu essen! Es ist wichtig, unsere gastronomischen Traditionen zu bewahren und unsere Essgewohnheiten nicht verändern zu lassen.“ Mit Insekten angereicherte Lebensmittel würden in Ungarn daher künftig in besondere Regale verbannt und deutlich gekennzeichnet.

Mit dieser Einstellung konnte Nagy bei Landsleuten natürlich reichlich punkten. Und nicht nur bei denen… Den vielen westlichen Einwanderern wurde einmal mehr klar, sich fürs richtige Land entschieden zu haben.

Der Autor ist gelernter Diplom-­Physiker, machte dann aber die Musik und die Liebe zur Sprache zu seinem Beruf und wurde Kabarettist. In den vergangenen 40 Jahren stand er mehr als 6.000 Mal auf der Bühne und war in zahlreichen Fernsehsendungen zu Gast. Nebenbei schrieb er sechs Bücher. Seit 2020 lebt er mit seiner Frau in der Nähe des Balaton. Mehr zu Detlev Schönauer finden Sie in diesem BZ-Interview.

5 Antworten auf “Von Madenleugnern und Insektidioten

  1. Woher kommt es? In der Kollektivisierung mussten die Bsuer ihr Land, Tiere, Maschine abgeben. Sie durften 1 Kuh, und ca 5.000m2 Feld behalten fur Eigenversorgung.in den 50- er gar nicht).
    So aber blieb Fleiß und Können bis heute erhalten. Ich kannte viele, die gar nicht in die Kooperative gegangen sind. Es war ein Spruch: megette a feje azt a rendszer ahol az alvégiek monjak meg, mit hol es mikor kell csinalni:
    Ca: ein System ist zu verrecken verdammt, wenn die Nichtskönner das Sagen haben. Aus den Nichtskönnern wurden Leitern der Kooperativen.

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  2. Der hier vermittelte oder suggerierte Eindruck, das in Ungarn der Vorgarten in die Selbstversorgung einbezogen ist nicht zutreffend. Wenn man die Ortschaften betrachtet, dann ist das kollektive Bestreben, den äußeren Eindruck angenehm und schön zu gestalten, nicht zu übersehen! Das drückt sich auch in den mit Fleiß, Geschmack und Sachkenntnis gestalteten und gepflegten Vorgärten aus.
    Die ungarische Landwirtschaft wird auf einer Fläche um die 50% der Gesamtfläche Ungarns als wichtiger Wirtschaftsfaktor betrieben! Schwerpunkte dieser Produktion ist das Getreide – Weizen und Mais haben Spitzenpositionen. Riesige Sonnenblumenfelder vermitteln ein eindrucksvolles Bild. Ansonsten zählen Produkte ähnlich wie in anderen Ländern zu der umfangreichen Produktpallette. Vergessen darf natürlich der berühmte Weinanbau auf keinen
    Fall genau so wenig wie die Viehzucht, Gemüseproduktion oder Obstproduktion.
    Dieser Komm. reicht für die Schilderung und Bedeutung der ungarischen Landwirt nicht aus

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  3. Mir ist ein Staat, der diese von interessierten Kreisen aufoktroyierte Ernährungsumstellung ablehnt, jedenfalls sehr sympathisch.

    Schließlich ist es kein aus der Bevölkerung heraus entstandener Wunsch, Mehlwürmer oder Heuschrecken zu essen. Dahinter steht die Nahrungsmittelindustrie, die sich offenbar gute Renditemöglichkeiten mit Insekten als Nahrungsmittel ausrechen und die Politik folgt gehorsam den Wünschen der Konzerne.

    Eigentlich hat die Wirtschaft ja den Zweck, der Bevölkerung zu dienen. Inzwischen dient die Bevölkerung aber den Konzernen, was ja auch diese von 2020 bis 2022 von der Obrigkeit durchgeprügelte Impfkampagne beweist. Auch dabei war Ungarn eine wohltuende Ausnahme.

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  4. Ja, das kann natürlich sein, leo. Aber wenn die Bevölkerung diese Lebensmittel ablehnt und nicht kauft, dann verschwinden sie wieder aus den Regalen.

    Es gibt Länder in denen Insekten zur normalen Ernährung zählen. Für uns Europäer sind sie eher mit Ekel und Ablehnung behaftet.

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