Buddhismus in Ungarn
Der ungarische Weg zur Erleuchtung
Das Buddhismus-Zentrum „Buddhizmus ma“ (dt.: „Buddhismus heute“) ist eine von mehreren buddhistischen Einrichtungen in Budapest. Es befindet sich in einem prunkvollen Jugendstilgebäude am Rózsák tere. In dem großen Haus hatte früher einmal die Traditionsbrauerei Dreher ihren Sitz.
„Wir sind keine Mönche oder Nonnen“
Heute sind im Erdgeschoss ein kleiner Laden, eine fachbezogene Bibliothek und die Lagerräume des spirituellen Zentrums. In den oberen Stockwerken befinden sich dagegen ein großer Raum für Meditationen, kleinere Schreine und auch Wohnräume. Das Zentrum bietet damit Buddhisten die Möglichkeit, sich besonders intensiv der fernöstlichen Weltanschauung hinzuwenden.
„Bei uns wohnen Menschen, die sich aktiv mit dem buddhistischen Glauben auseinandersetzen möchten und diesen schon seit mindestens einem Jahr praktizieren. Wir sind jedoch keine Mönche oder Nonnen. Alle Bewohner üben einen Beruf aus. Ihre Freizeit widmen sie allerdings der buddhistischen Gemeinschaft“, erklärt Réka Mathé. Die modisch gekleidete Mittvierzigerin ist bereits seit vielen Jahren eine der Bewohnerinnen des Buddhismus-Zentrums.
Nur wenige Kilometer von „Buddhizmus ma“ entfernt, in der Budapester Baross utca, befindet sich ein weiteres buddhistisches Glaubenszentrum, das Karmapa-Haus. Hier setzt sich zu unserem Gespräch Buddhistin Martina Sarkadi Nagy bedächtig an einen Tisch in der Eingangshalle. Beim Betreten steigt einem der Geruch von Räucherstäbchen in die Nase. Die Räumlichkeiten wirken wie ein heimisches Wohnzimmer.
Auch das Karmapa-Haus verfügt über einen Meditationsraum sowie ein kleines Geschäft, in dem religiöse Objekte und Literatur zum Thema Buddhismus verkauft werden. Wohnmöglichkeiten gibt es allerdings keine, denn das Zentrum ist um einiges kleiner als das „Buddhizmus ma“, aber auch ein wenig geheimnisvoller. Zum Karmapa-Haus gehört auch das größere und eindrucksvollere Zentrum Buddha-Park im nordungarischen Tar, wo derzeit ein neuer buddhistischer Tempel errichtet wird.
Vier edle Wahrheiten
Sowohl das Zentrum „Buddhizmus ma“ als auch das Karmapa-Haus praktizieren den Diamantweg-Buddhismus. Aber was genau sind die jeweiligen Wege des Buddhismus und welche Lehren vermittelt die Religion?
Die Lehren des Buddhismus gehen auf Siddharta Gautama zurück. Er gilt als der „historische Buddha“ und soll im 5. oder 6. Jahrhundert vor Christus in Nordindien gelebt haben. Gautama, so glauben es seine Anhänger, hat als Erster die zugrundeliegenden Ursachen des Leidens und einen Ausweg daraus erkannt. Er entwickelte seine eigene Meditationspraxis und lehrte bis zu seinem Tod die sogenannten „vier edlen Wahrheiten“, die das höchste Ziel des Buddhismus sind, sowie den „Achtfachen Pfad“.
Während die erste edle Wahrheit das Erkennen des Leiden vorschreibt, beschäftigen sich die zweite und dritte edle Wahrheit mit den Ursprüngen und Auswegen aus dem Leiden. Die vierte edle Wahrheit hingegen geht genauer darauf ein, wie sich das Leiden dank des „Achtfachen Pfades“ beenden lässt.
Dabei handelt es sich um eine Art Anleitung zum Erreichen der Erlösung in Form des Nirwana. Er fordert Tugenden wie rechtes Denken, rechtes Reden, rechtes Handeln und rechte Aufmerksamkeit, die alle in Gautamas „Weg der Mitte“ verwurzelt sind. Als achter Punkt des Pfades wird die rechte Versenkung genannt. Diese soll dabei helfen, den eigenen, unruhigen Geist zu kontrollieren und so die übrigen positiven Handlungsweisen durchzusetzen.
Positives Karma sammeln
Es gibt viele Interpretationen der Lehren Siddharta Gautamas. Aus ihnen haben sich unterschiedliche buddhistische Schulen mit eigenen spirituellen Praktiken herausgebildet. Die drei am häufigsten praktizierten sind jedoch der Diamantweg, der Große Weg und der Kleine Weg. „Alle haben unterschiedliche Schwerpunkte, wobei es beim Diamantweg größtenteils um die Praxis der Meditation geht“, erklärt Réka Mathé vom Budapester Buddhismus-Zentrum „Buddhizmus ma“.
Sie erklärt auch, dass Buddhisten wie sie an die Wiedergeburt glauben. Und an einen ewigen Kreislauf des Leidens, der nur durch eine rechte Lebensweise durchbrochen werden kann. Dabei spielt das „Karma“ eine große Rolle.
Hinter dem, vielen zumindest vom Hören bekannten Begriff versteckt sich das simple Konzept, dass unsere Taten und unser Denken Folgen für uns haben. Vereinfacht gesprochen: Wenn man Gutes tut, sammelt man positives Karma, wenn man schlecht handelt, wird negatives Karma verbucht. „Buddhisten streben danach, sich immer positiv zu verhalten und so gutes Karma zu bekommen“, erläutert Mathé. Das Endziel des Buddhismus sei es, aus dem Kreislauf der Wiedergeburten auszutreten und in das sogenannte Nirwana einzugehen, das einem Zustand des höchsten Glückes und der absoluten Ruhe entspricht.
In Budapest eher unscheinbar
Der Buddhismus in Budapest ist, das bestätigt auch Martina Sarkadi Nagy vom Karmapa-Haus, eine eher unscheinbare Religion, die nicht viel Aufsehen erregt. Um ein buddhistisches Zentrum als solches im Straßenbild zu erkennen, muss man schon genauer hinschauen oder im Internet danach recherchieren. Auffällige religiöse Bauten und Heiligtümer, etwa eine buddhistische Stupa, gibt es in der ungarischen Hauptstadt nicht.
Das liege jedoch nicht etwa daran, dass es in Budapest nicht genügend Buddhisten gebe oder dass die buddhistischen Gemeinschaften keinen Zuwachs bekommen wollen, erklärt Martina Sarkadi Nagy: „Wir wollen uns nur nicht aufdrängen. Der Weg zum Buddhismus soll aus eigenen Stücken gewählt werden.“ Auch missionarische Tätigkeiten gebe es aus diesem Grund keine.
Ungarische Tempel und Stupas befinden sich nur außerhalb der Hauptstadt. Das größte buddhistische Bauwerk in Ungarn ist die Friedens-Stupa im westungarischen Zalaszántó. Bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1992 war sie mit ihrer Höhe von 30 Metern und einer Breite von 24 Metern sogar die größte ihrer Art in ganz Europa.
Aber auch in Uszó, Biri, Becske und eben auch Tar befinden sich heute sakrale Bauten der fernöstlichen Weltanschauung.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten betonen sowohl Réka Mathé als auch Martina Sarkadi Nagy, dass der Buddhismus für sie keine Religion sei. Eine genaue Definition fällt beiden Frauen jedoch schwer. Laut Mathé ist es am wichtigsten zu verstehen, dass jeder Mensch ein Buddha, was nichts anderes als „Erwachter“ bedeutet, sein kann und jeder die Eigenschaften des Buddha erreichen kann. „Wir betrachten den Buddhismus nicht als Religion, wir betrachten Buddha auch nicht als Religionsstifter oder als Gott. Er ist für uns der Erste, der es in diesem Zeitalter geschafft hat, seine wahre Natur zu erkennen.“
Meditation ist ein wichtiges Mittel
Diese tiefgreifende Erkenntnis ist das oberste Ziel eines jeden Buddhisten. Erreicht werden, kann es durch Meditation. Martina Sarkadi Nagy, die Leiterin des Karmapa-Hauses, erklärt: „Der Buddhismus sagt, dass jeder die Buddha-Natur in sich trägt.“ Es gelte jedoch, diese Buddha-Natur auch zu verwirklichen. Dafür sei neben der Meditation auch ein starker Willen vonnöten.“
Im Karmapa-Haus wird die Beschäftigung mit dem eigenen Geist durch die Interaktion mit einem sogenannten Lama, also einem Lehrer, unterstützt. „Jedes Zentrum hat einen solchen Lehrer. Unser Lama lebt in Tar und besucht die Budapester Einrichtung alle zwei Wochen. Für uns sind die Treffen mit dem Lama sehr wichtig, um den inneren Geist widerzuspiegeln“, erzählt Sarkadi Nagy.
Ihr Lama beschäftige sich zudem auch auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Buddhismus. „Er versucht, Parallelen zwischen der ungarischen und der buddhistischen Geschichte aufzuzeigen. Zu diesem Thema hat er schon fünf Bücher veröffentlicht.“
Die „Buddhizmus ma“-Gemeinschaft am Rózsák tere hingegen sieht ihren Lama nicht regelmäßig, erzählt Mathé, da er in Tibet lebe. Dies sei aber kein Problem, da Anhänger des Buddhismus nicht unbedingt den Lama ihrer eigenen Gemeinschaft als ihren persönlichen Lehrer sehen müssten, sondern ihn frei wählen oder gar mit mehreren Vertrauenspersonen gleichzeitig arbeiten könnten.
Die Anhänger des Diamantwegs als Ganzes werden von einem spirituellen Leiter geführt, dem sogenannten Karmapa. Er hilft, die Lehren des Buddhismus zu verinnerlichen. Der Karmapa wird ebenso wie etwa der Dalai Lama nach seinem Tod wiedergeboren. Die Identität des derzeitigen 17. Karmapa gilt als umstritten. Gleich zwei Personen beanspruchen den Titel für sich und werden dabei jeweils von hochrangigen Gelehrten unterstützt.
Der Buddhismus als frei gewählte Religion
Die Anhängerschaft des Buddhismus ist sehr gemischt. Die meisten Buddhisten in Budapest seien nicht in die Religion hineingeboren worden, sondern konvertiert, so Réka Mathé von „Buddhizmus ma“. „Ich persönlich würde aber sagen, dass es nicht wichtig ist, offiziell zu konvertieren. Wichtig ist, die Einstellung des Buddhismus zu leben. Es geht nicht darum, ob man von anderen als Buddhist bezeichnet wird. Viele Leute leben nach den buddhistischen Grundsätzen und wissen es nicht einmal“, so Mathé.
Daher sei es auch schwierig, die Anzahl der in Budapest lebenden Buddhisten genau zu beziffern. Sicher sei jedoch, dass der Buddhismus an Beliebtheit gewinne. „Insbesondere, weil er gut zu unserem modernen Lebensstil passt“, findet Réka Mathé. „Der Buddhismus gibt Antworten auf viele grundsätzliche Fragen des Lebens. Darüber hinaus nimmt man als Buddhist aktiv am Leben teil. In jedem Aspekt des Lebens steckt Erleuchtung und als Buddhist versucht man das Beste zur Gemeinschaft – auch zur nicht-buddhistischen Gemeinschaft – beizutragen.“
Martina Sarkadi Nagy kann beim Mitgliederzuwachs ihrer Gemeinde jedoch eine Tendenz erkennen: „Wir haben eine bunt gemischte Anhängerschaft, jedoch sind prozentual mehr Frauen und mehr Menschen mittleren Alters dabei.“ Das Karmapa-Haus und das Buddhismus-Zentrum in Tar haben zusammen rund 3.000 Mitglieder, von denen etwa 400 regelmäßig an Festen teilnehmen würden.
Die Gemeinde am Rózsák tere hingegen hat nach Angaben von Réka Mathé ungefähr 500 Mitglieder. Laut beiden Frauen kämen viele Budapester jedoch auch gelegentlich zu den Meditationsstunden, ohne festes Mitglied der Gemeinschaft zu sein.
In beiden Zentren gibt es regelmäßige Freizeitangebote
Die buddhistischen Gemeinschaften in Budapest bieten viele verschiedene Programme an. Darunter auch Aktivitäten, die den Mitgliedern vorbehalten sind. „Wir reisen oft, um uns verschiedene Buddhismus-Zentren anzuschauen oder einen Lama zu treffen“, erklärt Martina Sarkadi Nagy. Andere Angebote seien für jeden zugänglich: Im Karmapa-Haus werden angeleitete Meditationen und gemeinsame Treffen jedoch nur in ungarischer Sprache gehalten. Auf seiner Internetseite bietet das Zentrum jedoch viele Informationen und Meditationsübungen auch auf Englisch, Ungarisch und Tibetisch an. Eine Auseinandersetzung mit dem Buddhismus ist laut Sarkadi Nagy so auch von Zuhause aus möglich.
Im Zentrum „Buddhizmus ma“ sind die Veranstaltungen internationaler ausgerichtet. Jeden Donnerstag um 19 Uhr findet eine angeleitete Meditation auf Englisch statt. Einmal im Monat gibt es außerdem eine Informationsveranstaltung über Buddhismus in englischer Sprache. „Für 2019 planen wir außerdem den englischen Teil unserer Webseite zu verbessern“, erklärt Réka Mathé im Gespräch mit der Budapester Zeitung. „Es ist wichtig, dass die buddhistischen Texte in der eigenen Muttersprache gelesen werden, denn im Buddhismus muss man genau verstehen, was man tut.“
Kein religiöser Extremismus
In Ungarn wird der Buddhismus sogar als Kirche vom Staat anerkannt. Daher könnten die Gemeinden auch Kirchensteuer verlangen. Außer über Steuern finanzieren sich die einzelnen Gemeinschaften auch über Spenden.
Eine engere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen ungarischen Zentren gibt es überraschenderweise jedoch nicht. „Beim Buddhismus stehen die guten Taten des Einzelnen im Mittelpunkt“, erklärt Réka Mathé diesen Umstand.
Der Buddhismus ist in Ungarn angekommen, sind sich die Vertreterinnen beider Zentren einig. Mit Diskriminierung oder gesellschaftlicher Kritik habe man nicht zu kämpfen. „Zu unserem Glauben gehört es nicht, eine Kultur zu vermitteln, sondern menschliche Werte weiterzugeben, die über die Kulturen hinausgehen. Dadurch fühlt sich niemand von uns angegriffen“, sagt Mathé im Interview.
Auf die Frage, ob es auch im Buddhhismus so etwas wie religiösen Extremismus gebe, antwortet Sarkadi Nagy: „Radikalität oder Extremisten gibt es nicht, weil die Botschaften des Buddha durchweg positiv sind. Wenn jemand sich böse oder radikal verhält, wird er von der Gemeinschaft nicht mehr als Buddhist akzeptiert.“
Manchmal hätten die Gemeinschaften allerdings dann doch mit Vorurteilen zu kämpfen: „Viele ordnen den Buddhismus falsch ein. Sie denken, er sei eine Religion oder eine Philosophie, aber das ist er nicht. Der Buddhismus ist ein innerer Weg, der Arbeit und Konzentration erfordert und nicht einfach nur eine Mitgliedschaft“, erklärt die Leiterin des Karmapa-Hauses.
Positive Lebenseinstellung vermitteln
Sowohl das Budapester Buddhismus-Zentrum „Buddhizmus ma“ als auch das Karmapa-Haus versuchen, eine positive Lebenseinstellung zu vermitteln. Jeder, der sich für den Glauben interessiert, kann vorbeikommen und an Meditationen und Veranstaltungen teilnehmen.
Im September dieses Jahres findet in Budapest ein internationales Treffen der Diamantweg-Buddhisten statt, bei dem bis zu 3.000 Besucher erwartet werden. Informationen zu dieser Veranstaltung sind auf der Internetseite von „Buddhizsmus ma“ zu finden sein. Dieses Event kann genutzt werden, um sich genauer mit dem Buddhismus auseinanderzusetzen und Mitglieder der Gemeinschaft kennenzulernen.
Die Anhänger des Buddhismus seien immer für neue Leute offen, erklärt Martina Sarkadi Nagy abschließend. „Das Ziel unserer Gemeinschaft ist es, die Praxis der Meditation zu lehren und möglichst viele Menschen damit zu erreichen.“