Königliches Schloss Gödöllő
Auf den Spuren Sisis
Das Königliche Schloss liegt unweit von Budapest, in der kleinen Stadt Gödöllő. Mit 180 Zimmern ist es der größte Barockpalast Ungarns und daher wohl vielen Einheimischen, aber auch Touristen bekannt. Häufig wird er mit Königin Elisabeth in Verbindung gebracht. Tamás Ujváry ist der Direktor des Schlosses, er hat mit dem Sisi-Kult kein Problem. Schließlich ziehe die habsburgische Vergangenheit viele Besucher in das Schloss: „Der Kult um Sisi ist aus touristischer Sicht unbezahlbar!“ Deshalb flaniert auch eine Sisi-Darstellerin täglich durch Schloss und Parkanlage, damit sich die Besucher mit der bis heute verehrten Kaiserin fotografieren lassen können. Doch was verband Elisabeth eigentlich mit dem Jagdschloss? Und was erwartet Besucher neben Sisi-Artefakten im Schloss und in der umliegenden Parkanlage?
Sisis Gemächer
Da Sisi von allen Habsburgern wohl die meiste Zeit in Gödöllő verbracht hat, beginnt unsere Schlosstour in ihren Gemächern. Elisabeth bezog zu Lebzeiten ein Apartment mit fünf Zimmer im Haupttrakt des Schlosses. Ein gemeinsames Ehebett gab es dort nicht. „Früher war es üblich, nach einigen Jahren Ehe getrennt voneinander zu schlafen“, erklärt Tamás Ujváry.
Die Räumlichkeiten im Schloss wurden an die Ansprüche des ungarischen Königspaares angepasst. So wurden auch Sisis Zimmer nach ihren Wünschen gestaltet. Die Tapeten waren damals – und sind es heutzutage wieder – in Veilchenblau gehalten, Sisis Lieblingsfarbe. Die Monarchin hatte für fast jede Gelegenheit ein eigenes Zimmer: ein Ankleidezimmer, ein Lesezimmer, ein Schreibzimmer und natürlich ein Schlafzimmer. Ein Badezimmer hatte sie jedoch nicht, schließlich waren die schmalen Toiletten mit den Reifröcken der damaligen Mode eh nicht kompatibel. Sprich: Die Damen haben schlichtweg nicht durch die Tür gepasst. Stattdessen stand ihnen ein Nachttopf für die Notdurft zur Verfügung.

Für die vielen Hofdamen der Königin musste zusätzlich Platz geschaffen werden. Hierfür wurde das Schlosstheater in drei Etagen unterteilt. „Eine Etage war nur ihren Friseuren gewidmet“, verrät Ujváry.
Nicht nur das Schloss Gödöllő hatte es Elisabeth von Österreich-Ungarn angetan. Generell hielt sich die österreichische Kaiserin gerne in Ungarn auf. Das strenge Protokoll am Hofe Wiens soll sie ihr Leben lang gemieden haben. Mit ihren häufigen Aufenthalten im Schloss Gödöllő und ihren Kenntnissen der ungarischen Sprache machte sich die Monarchin – im Gegensatz zu ihrem Gemahl – bei den Magyaren beliebt. Außerdem bevorzugte Elisabeth ungarische Hofdamen. Zu den engsten Vertrauten der Kaiserin zählte die ungarische Hofdame und Vorleserin Ida Ferenczy von Vecseszék. Diese hatte im Königlichen Schloss in Ungarn ihr eigenes, an Sisis Gemächer angrenzendes Zimmer.
Wechselhafte Schlossgeschichte
Bei der Tour durch das Schloss erklärt Direktor Tamás Ujváry, wieso der Barockpalast tatsächlich „Schloss Grassalkovich“ heißt: Die Geschichte des Schlosses beginnt im Jahre 1735. Einer der mächtigsten ungarischen Magnaten des 18. Jahrhunderts, Graf Antal Grassalkovich I. (1694 bis 1771) ließ damals die ersten drei Flügel des Gebäudes errichten und später durch zwei weitere Flügel und eine Kapelle erweitern. Auffällig sei die doppelte Hufeisenform des Schlosses. Sie sei Zeugnis des stetigen Wandels der Anlage, so der Schlossdirektor.

Graf Grassalkovich stammte aus dem niederen kroatischen Landadel und schaffte es bis an den Wiener Kaiserhof. Dort gehörte er zu den Vertrauten Maria Theresias. Für die Kaiserin plante der Graf in seinem Schloss eigene Gemächer, welche sie um 1751 auch kurz bewohnte. Doch mit seinem Enkel Antal Grassalkovich III. starb die männliche Linie der Familie aus.
Freiherr György Sina erwarb daraufhin das Anwesen. Dessen Sohn verkaufte es weiter an eine belgische Bank. Der ungarische Staat kaufte das Schloss wieder zurück. 1867 wurden Franz Joseph I. und Elisabeth I. zum König und zur Königin Ungarns gekrönt. Das hierzu überreichte Krönungsgeschenk: Schloss Grassalkovich. „Der ungarische Staat blieb wohlgemerkt Eigentümer. Das Königspaar hatte nur ein lebenslanges Nutzungsrecht für das Schloss!“, merkt Tamás Ujváry an.
Und der Schlossdirektor hat noch mehr Insider-Informationen parat: So sei Franz Joseph von dem Krönungsgeschenk zunächst nicht besonders begeistert gewesen. „Doch man konnte den passionierten Jäger mit dem Argument überzeugen, dass man in den angrenzenden Wäldern wunderbar auf Jagd gehen könne“, erklärt Ujváry.

Während Sisi rund 2.400 Nächte im Schloss Gödöllő verbrachte, sollen es bei Franz Joseph maximal 500 gewesen sein. „Er hat – im Gegensatz zu Sisi – das Anwesen in Buda bevorzugt“, erklärt der Schlossdirektor. Und nach dem tragischen Tod seiner Gattin habe sich der ungarische König immer seltener in Gödöllő aufgehalten.
Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss vom ungarischen Reichsverweser Miklós Horthy bewohnt. Nach Kriegsende stand es zwei Wochen leer. Ujváry: „Ein Glück: So konnten einige Möbel und Gegenstände vor dem kommunistischen Regime gerettet werden.“
Bis zur Demokratisierung Ungarns war der Prunkbau dem Verfall ausgesetzt. So wurde das Gebäude zwar während des Kommunismus genutzt – im Schloss befand sich ein Altersheim, Sozialwohnungen und eine sowjetische Kaserne – instand gehalten wurde die Residenz seit 1933 aber nicht mehr.

Die Gegenwart und Zukunft
Das änderte sich im Jahre 1985. Seitdem wird das Schloss Stück für Stück in den Zustand seiner Blütezeit zurückversetzt. Zum jetzigen Zeitpunkt sind 54 Prozent renoviert. 20 Millionen Euro wurden hierfür vom ungarischen Staat und der EU investiert. Laut Tamás Ujváry soll das gesamte Schloss früher oder später vollkommen saniert werden. Das aktuelle Projekt: ein 3D-Scan des gesamten Geländes, welcher bei der Neuplanung der Parkanlage behilflich sein soll.
Das Sisi-Schloss ist also in der Gegenwart angekommen. Doch was wünscht sich Tamás Ujváry für die Zukunft seines Schlosses? Noch mehr Trubel: „Ich möchte das Anwesen noch lebendiger werden lassen.“
Er plane ein abwechslungsreiches Kulturprogramm, um neben den Touristen, vermehrt auch die ansässige Bevölkerung in das eigene Schloss zu locken. Potenzial habe der Standort allemal. Außerdem stehe noch die Sanierung der restlichen 46 Prozent der Bauten an. Somit gibt es für den „Schlossherrn“ noch genug zu tun.

Familiäre Atmosphäre
Im Schloss geht es seit jeher eher gemütlich zu. Sisi wird folgendes Zitat zugeschrieben: „In Wien lebt es sich kaiserlich, in Budapest königlich und in Gödöllő familiär.“ Kein Wunder also, dass die Königin Elisabeth so viel Zeit im Schloss verbrachte.
Ein Paradebeispiel für die familiäre Atmosphäre der Anlage ist ihr Schlossdirektor. Denn Tamás Ujváry ist dem Schloss seit seiner Kindheit verbunden: „Ich wuchs quasi gegenüber auf und arbeitete bereits in meiner Jugend als Fremdenführer im Schloss“, erzählt dieser. Mit dem Studium der Rechtswissenschaften und der darauffolgenden juristischen Arbeit für eine Bank entfernte sich der Gödöllőer aber von „seinem“ Schloss. Doch die Arbeit als Jurist habe Ujváry keine Freude bereitet. Als ihm vom damaligen Schlossdirektor angeboten wurde, vor Ort Veranstaltungsmanager zu werden, habe er deshalb keinen Moment zögern müssen.

2017 stieg er schließlich zum Schlossdirektor auf. Überhaupt ist das gesamte Personal dem Schloss sehr verbunden, wie Direktor Ujváry bescheinigt. Viele arbeiten dort seit Jahrzehnten. Im Hauptgebäude ist die Schwarz-Weiß-Fotografie eines kleinen Jungen im Schlosspark zu sehen. „Dieser Junge ist im Schloss aufgewachsen – und jetzt arbeitet er hier!“, erzählt der Schlossdirektor. Für die Bewohner von Gödöllő ist das Schloss laut Ujváry ein Teil ihrer Identität.
Das Museumsprogramm
Im starken Kontrast zum bonbonfarbenen Lustschloss steht der sogenannte Horthy-Bunker. Dieser wurde 1944 für den Reichsverweser Miklós Horthy im Seitentrakt des Schlosses erbaut und kann im Rahmen einer Sonderausstellung besucht werden.
600.000 Besucher haben 2018 das Königliche Schloss von Gödöllő besucht, so Ujváry. „Wir sind aber nicht nur ein Museum“, betont er. Jeden Tag finde im Schloss und in der Parkanlage, neben den Führungen durch die Ausstellungen, mindestens eine Veranstaltung statt. So würden unter anderem klassische Konzerte im Schlosstheater angeboten. Auch Trauungen finden hier statt. Sogar aus Australien seien Paare bereits angereist, um im Sisi-Schloss zu heiraten. Eine 30-minütige Trauung im repräsentativen Prunksaal des Schlosses koste 1.000 Euro, rechnet der Schlossdirektor vor. Wem das noch nicht reicht, der kann die ehemalige Reitschule für das darauffolgende Fest buchen.
Zu Zeiten der Monarchie durfte nur der Hochadel im Prunksaal verweilen. Heutzutage geht es da in vielerlei Hinsicht inklusiver zu. Die Parkanlage ist kostenlos zugänglich. Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen dürfen zudem den Barockpalast mit einer Begleitperson zum Nulltarif besichtigen. „Es sollte für diese Menschen normal sein, Konzerte und Museen zu besuchen“, bekräftigt Ujváry diese Entscheidung. Deshalb habe er das Gelände auch soweit wie möglich barrierefrei umgestalten lassen. Der Direktor: „Es ist gar nicht so einfach einen Aufzug in ein denkmalgeschütztes Anwesen einzubauen. Aber es hat sich gelohnt!“ Sisi hätte das sicher gefallen.
Museumsinformationen:
Öffnungszeiten (vom 1. April bis zum 4. November): Montag bis Donnerstag von 9 bis 17 Uhr, Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, jeden ersten Freitag sogar bis 20 Uhr
Eintrittspreis Dauerausstellung: 2.600 Forint für Erwachsene, 1.500 Forint für Studenten und 5.800 Forint für Familien
Weitere Informationen erhalten Sie auf www.kiralyikastely.hu

Elisabeth von Österreich-Ungarn
Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern – kurz Sisi – wurde am 24. Dezember 1837 in München geboren. Sie war die Tochter des Herzogs Max in Bayern und der Herzogin Ludovika. Im Alter von 15 Jahren wurde ihr der Habsburger Thronfolger Franz Joseph I. vorgestellt. 1854 folgte die Vermählung in der Augustinerkirche in Wien. Aus der Ehe entstammen vier Kinder: Sophie Friederike, Gisela, Rudolf und Marie Valerie.
Von der Politik hielt sich Elisabeth meist fern. Doch ist sie für ihr geglücktes Bestreben nach einem Ausgleich mit Ungarn bekannt. Dadurch erhielt Ungarn seine Verfassung von 1848 zurück. Am 8. Juni 1867 wurden Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth in der Budapester Matthiaskirche zum König und zur Königin von Ungarn gekrönt. Ihren Kultstatus erhielt Sisi spätestens mit ihrem tragischen Tod 1898. Am Genfer See stach der italienische Anarchist Luigi Lucheni der 60-jährigen Kaiserin eine spitze Feile ins Herz. Seitdem wurden – auch in Ungarn – etliche öffentliche Plätze nach der beliebten Königin benannt und Denkmäler errichtet. In Budapest ist sogar eine Brücke nach ihr benannt. Ihr Leichnam wurde in der Kaisergruft der Wiener Kapuzinerkirche beigesetzt – neben Franz Joseph und ihrem Sohn Kronprinz Rudolf.