Interview mit 10-millió-Fa-Gründer Iván András Bojár
10 Millionen Mal grüner
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„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen.“ So lautet ein häufig dem deutschen Reformator Martin Luther zugeschriebener Sinnspruch. Doch nicht nur in der Theologie steht ein neu gepflanzter Baum für Leben und Hoffnung. Viele, die sich über die möglichen und bereits sehr realen Folgen des Klimawandels sorgen, sehen in Bäumen eine Art Rettungsanker, denn das Gehölz speichert über die Fotosynthese Kohlendioxid. Dieses machen viele Wissenschaftler, neben anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre, für die zunehmende Erderwärmung hauptverantwortlich.
Deshalb gibt es auch immer mehr Initiativen weltweit, die sich für eine intensive Aufforstung einsetzen, Regierungen und NGOs arbeiten dabei zum Teil Hand in Hand.
Auch in Ungarn wird sich auf diese Art und Weise für den Klimaschutz eingesetzt. Hier arbeitet etwa die Stiftung 10 millió Fa daran, den Baumbestand des Landes in den nächsten Jahren um ganze 10 Millionen Bäume zu erhöhen. Sie will zudem eine Gemeinschaft sein, die umweltbewusste Menschen in ganz Ungarn über Parteigrenzen hinweg und jenseits von Profitinteressen dafür mobilisiert, sich dem Kampf gegen den Klimawandel und andere Umweltprobleme anzuschließen.
Obwohl noch keine zwölf Monate alt, kann die ambitionierte Stiftung bereits beachtliche Erfolge vorweisen: Knapp 40.000 Bäume wurden schon gepflanzt und rund 50.000 Menschen haben sich 10 millió Fa bis dato angeschlossen, darunter auch Experten für Waldökologie und Landschaftsbau sowie Forstwissenschaftler, die ihr Know-how für das nachhaltige Pflanzprojekt zur Verfügung stellen. So konnte auch ein umfangreiches Infomaterial zusammengestellt werden, dass all jenen als kostenfreie Anleitung dienen soll, die einen Baum pflanzen wollen. Mit zahlreichen Aktionen, Diskussionsveranstaltungen und Konferenzbeiträgen sorgte die Stiftung zudem dafür, dass sich das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer grünen Wende auch in Ungarn weiter durchsetzt.
Ins Leben gerufen wurde 10 millió Fa von Iván András Bojár, einem bekannten ungarischen Autor und Kunsthistoriker, der in der Vergangenheit unter anderem der Stadt Budapest bei der Image-Entwicklung beratend zur Seite stand. Der Budapester Zeitung erzählte er, wie aus einem Facebook-Aufruf eine ganze Bewegung entstand, wie die Arbeit der Stiftung aussieht und warum auch die Corona-Krise sie nicht bremsen konnte.
Herr Bojár, wie ist Ihnen die Idee zu dieser Initiative gekommen? Welcher Gedanke steckt hinter 10 millió Fa?
Ich bin Kunsthistoriker und Schriftsteller. In den letzten 10 Jahren habe ich mich in meiner Arbeit immer wieder mit grünen Ideen und Umweltfragen auseinandergesetzt. Obwohl ich mich selbst nicht als typischen Grünen sehe, ist mein Denken von typisch „grünen“ Ansichten geprägt.
Letzten Sommer, in einem der heißesten Sommer der Geschichte, begann dann dieser Gedanke in mir zu sprießen: Wenn nur jeder Ungar einen Baum pflanzen würde – nur einen –, dann ließe sich bereits etwas gegen unseren unglaublich hohen CO2-Ausstoß unternehmen.
Ich habe dann einen Aufruf auf Facebook gestartet, der unerwartet große Aufmerksamkeit erntete. Hunderttausende Menschen haben den Post gesehen. Er hat viele Likes bekommen und wurde zahllose Male geteilt. Viele Menschen haben ihre Hilfe angeboten und wollten sich an dem Projekt beteiligen. Plötzlich sah ich mich der großen Verantwortung gegenüber, all diese Kräfte zu koordinieren. Ich habe dann die Arbeit an meinem neuen Buch, das ich damals eigentlich gerade schreiben wollte, verschoben, um mich ganz der Arbeit an 10 millió Fa zu widmen.
Bis wann gedenken Sie Ihr Ziel von zehn Millionen neuen Bäumen zu erreichen? Und wie finanzieren Sie Ihre Arbeit?
Sehen Sie, Neupflanzungen in Millionenhöhe können natürlich nur vom Staat ausgehen. Viele Länder haben bereits dahingehende Programme entwickelt. Ich hoffe, dass Ungarn die Marke von 10 Millionen neuen Bäumen in zwei bis drei Jahren erreichen kann. Unsere Initiative hat bereits 40.000 Bäume gepflanzt. Damit wir es aber über die Zielgerade schaffen, muss unsere Community noch dynamisch wachsen.
Bisher beziehen wir Gelder in Form von privaten Spenden. Wir haben erst im vergangenen Juli mit unserer Arbeit begonnen, weshalb wir für unsere erste große Pflanzaktion noch keine großen Firmen als Unterstützer gewinnen konnten. In diesem Jahr hatten wir gehofft, dass sich das im Rahmen großer öffentlicher Aktionen ändert. Das Corona-Virus hat uns jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Trotzdem haben wir während der Krise 20.000 Bäume im Gesamtwert von etwa zehn Millionen Forint gepflanzt – alles aus privater Hand finanziert.
Wo hat 10 millió Fa bisher Bäume gepflanzt? Konzentrieren Sie sich auf bestimmte Städte oder Regionen?
10 millió Fa ist an über 130 Orten in ganz Ungarn aktiv. Unsere Bäume sind heute in kleinen Dörfern ebenso wie in vielen Großstädten zu finden. Wir pflanzen entweder auf Privatgrundstücken oder auf öffentlichen Flächen in Gemeindehand. Im ersteren Fall fungieren wir als Vermittler. Wir besorgen die Bäume und geben sie an unsere Mitglieder weiter, die sie dann in ihren Gärten anpflanzen. Für das Pflanzen auf öffentlichen Flächen müssen wir eine Genehmigung einholen und arbeiten Hand in Hand mit den jeweiligen Kommunalverwaltungen zusammen.
Welche Bäume pflanzen Sie?
Wir setzen nur einheimische Gehölze. Das hat nicht etwa sentimentale Gründe, sondern liegt daran, dass diese für den Boden und das Klima hier perfekt angepasst sind. Eiche, Ulme, Esche und Buche sind die Arten, die gut gemischt einen widerstandsfähigen Wald ergeben. Das ist viel nachhaltiger als eine Monokultur. Das kann man jetzt beispielsweise in Bayern beobachten. Dort gibt es viele Fichtenwälder. Die Fichte ist aber von der globalen Erwärmung bedroht – nun sterben ganze Wälder, nur weil beim Baumbestand nicht ordentlich durchmischt wurde. Das holen die Deutschen jetzt nach. Mischwälder sind wichtig, denn sie entwickeln ein komplexes Ökosystem, welches dem Klimawandel oder auch Krankheiten besser gewachsen ist.
Sie haben einmal geschrieben, Budapest brauche eine Million neue Bäume. Warum ist es so wichtig, dass die Hauptstadt grüner wird?
Bäume fangen Staub und Rußpartikel in ihren Kronen und machen so die Luft sauberer. Sie erhöhen durch ihre Verdunstung die Luftfeuchtigkeit und kühlen die Stadt etwas runter. Wenn man Bäume strategisch pflanzt, sodass sie im Sommer helfen, die Temperatur in den Häusern zu senken, aber im Winter, wenn sie ihre Blätter verlieren, die Sonne durchlassen, sodass sich die Gebäude aufheizen können, dann sparen wir viel Energie ein. Wir müssen dann beispielsweise weniger auf Klimaanlagen zurückgreifen und sparen so sogar Geld.
Der andere Grund ist, dass Bäume unsere Umwelt „menschlicher“ machen. Dort wo Bäume stehen, empfinden wir es meistens als lebenswerter. Das gilt auch für Tiere. Bäume erhöhen die Biodiversität. Viele Tier- und Insektenarten sind aufgrund der stetigen Ausbreitung unserer Städte bereits verschwunden. Es ist daher wichtig, dass wir Vögeln, Bienen und anderen Tieren einen geeigneten Lebensraum bieten.
Wie Sie bereits sagten, wurden auch die Anstrengungen Ihrer Stiftung durch die Corona-Krise behindert. Sie haben jedoch einen besonderen Weg gefunden, Ihre Arbeit dennoch fortzusetzen. Welcher war das?
Ursprünglich wollten wir anlässlich der Earth-Week in diesem Jahr eine landesweite öffentliche Pflanzaktion veranstalten. Das ist aufgrund der Pandemie ins Wasser gefallen. Trotzdem haben wir in der Zeit, wie bereits erwähnt, 20.000 Bäume gepflanzt. So etwas wäre unter diesen Umständen keiner anderen Organisation, ja nicht mal dem Staat gelungen.
Wir haben uns ein System überlegt, wie wir die Bäume ohne zwischenmenschlichen Kontakt verteilen können. Dafür haben wir kleine Depots angelegt, wo die Leute hinkommen konnten, und ihnen die Bäume über einen Zaun gereicht wurden. So konnten sie sie dann mitnehmen und einpflanzen. Es gab auch andere Events, bei denen Freiwillige im Abstand von fünf Metern gemeinsam Bäume gepflanzt haben.
Außerdem haben wir unseren eigenen Kanal, „10 millió TV“, ins Leben gerufen. Hier haben wir Diskussionsrunden ausgestrahlt, die wir via Zoom veranstalteten. Zu Gast waren dort etwa wichtige Vertreter aus dem Bereich des ungarischen Umweltschutzes, aber auch Umweltphilosophen und Umweltökonomen. Im Rahmen der Earth-Week und darüber hinaus haben wir so eine Serie von 14 Veranstaltungen abgehalten.
Wie sehen Ihre Pläne aus, nun da wir in vielen Bereichen des Lebens wieder zur Normalität zurückkehren?
Unser nächstes großes Event wird unsere eigene Geburtstagsfeier sein: Am 9. Juli wird 10 millió Fa ein Jahr alt. Am 11. Juli wird es daher ein großes Fest geben, zu dem wir Vertreter unserer Stiftung und freiwillige Helfer aus dem ganzen Land einladen, ebenso wie Geschäftsführer von Unternehmen, die sich aktiv für den Umweltschutz einsetzen oder sich für eine grüne Wende in der Wirtschaft starkmachen.
Zu Anfang des Jahres hatte sich 10 Millió Fa das Ziel gesteckt, 2020 insgesamt 150.000 Bäume zu pflanzen. Haben Sie sich innerlich schon von dieser Zahl verabschiedet?
Es ist in der jetzigen Situation sehr schwer, sich auf irgendetwas zu versteifen, wir wissen nicht, wie die Lage in den nächsten Monaten aussehen wird. Was wird im Herbst passieren? Werden die Schulen wieder öffnen? Ich möchte daher zu diesem Zeitpunkt keine Zahlen nennen. Aber natürlich arbeiten wir auf unser Ziel zu. Am Wochenende haben wir beispielsweise erneut in Újpest, Káposztásmegyer und in Gemeinden auf dem Land Bäume gepflanzt.
Das Interview führte György Frenyó.
Weitere Informationen zu den Aktionen der Stiftung und Spendenmöglichkeiten finden Sie, auch in englischer Sprache, auf 10milliofa.hu.
Auf index.hu las ich gestern einen interessanten wissenschaftlichen Beitrag:
Föld alatti szivatagokat haznak létre az esztelenül telepitett erdök.
Unterirdische Wüsten entstehen durch gedankenlos gepflanzte Wälder.
Die Realität ist also mal wieder komplexer, als es unser Denken gerne hat – inbesondere dann, wenn ein schlechtes Gewissen plagt.