Interview mit dem LMP-Vorsitzenden Péter Ungár
Schlechte Erinnerungen an den Kommunismus
Herr Ungár, Ihre Partei hat beschlossen, die Europäische Grüne Partei (EGP) zu verlassen. In einer Erklärung heißt es, die „West-Grünen“ wollten den grünen Wandel vor allem in ihren Ländern vorantreiben. Was meinen Sie damit?
In Ungarn gibt es zum Beispiel durch den „Green Deal“ der Europäischen Union immer mehr Fabriken, die Batterien für Elektroautos herstellen. Diese Fabriken sind aber sehr umweltschädlich. Sie verbrauchen viel Wasser und stoßen Schadstoffe aus. Sie verschmutzen auch unsere Gewässer. Deshalb ist die ungarische Bevölkerung gegen solche Fabriken. Den größten Profit machen vor allem nicht-ungarische Autokonzerne, die ihre Autos vor allem in Westeuropa und kaum in Ungarn verkaufen. Mit Klimaschutz hat das für uns ungarische Grüne nichts zu tun. Das haben wir auch unseren grünen Partnern aus Westeuropa immer wieder gesagt. Aber unsere Einwände haben sie nicht interessiert.
Wie stehen Sie zur Elektromobilität?
Sehr skeptisch. Sicher, sie kann ein kleines Puzzleteil in der Zukunft des umweltfreundlichen Verkehrs sein. Aber zu behaupten, dass der komplette und alleinige Umstieg auf die Elektromobilität alle Klimafragen lösen würde, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Auch Serbien hat mit Umweltverschmutzung zu kämpfen. Dort wird zum Beispiel Lithium abgebaut, das in Autobatterien verwendet wird. Aber das interessiert die deutschen, holländischen oder schwedischen Grünen nicht. Denen geht es nur darum, in Berlin, Amsterdam oder Stockholm ihr Elektroauto als Statussymbol zu fahren und sich moralisch gut zu fühlen.
Wie war das Verhältnis zur Europäischen Grünen Partei?
Ich möchte nicht nur über die Europäischen Grünen sprechen, sondern über die gesamte Europäische Union. Die wirtschaftlich wohlhabenden Länder Westeuropas, die nicht durch den Kommunismus gegangen sind, glauben immer noch, dass die Europäische Union ihnen gehört. Alle Interessen oder Ansichten, die dem westeuropäischen Mainstream nicht passen, werden wie Aussatz behandelt. Das gilt für fast alle europäischen Institutionen.
Gilt das auch für die deutschen Grünen?
Bei den westeuropäischen Grünen sehe ich eine große Kluft zwischen den Politikern der älteren und der jüngeren Generation. Zwischen uns Ungarn und zum Beispiel den deutschen Grünen war es immer ein Streitpunkt, wie weit die Integration der Europäischen Union gehen soll. Wir Ungarn sind gegen einen europäischen Superstaat, weil das bei uns schlechte Erinnerungen an die Zeit des Kommunismus weckt. Während ältere Grüne aus Westeuropa dafür noch ein gewisses Verständnis haben, sind wir für junge Grüne gleich „Nationalisten“ oder gar „Faschisten“.
Wie soll die Europäische Union künftig aussehen?
Wir brauchen souveräne Nationalstaaten, die als europäische Partner gut zusammenarbeiten. Schon mit dieser Position stößt man bei vielen Westeuropäern auf Ablehnung. Viele junge Grüne aus Westeuropa wollen, dass Brüssel am besten für alle Länder entscheidet. Zentralistische Superstaaten, die die starken föderalen Bedürfnisse und politischen Eigenheiten ihrer Mitglieder ignorieren, haben in der Geschichte nie gut funktioniert.
Sie haben kritisiert, dass die EGP zur „radikalsten Vertreterin eines zersplitterten progressiven Konsenses“ geworden sei. Haben Sie dafür Beispiele?
Mitglieder der Jugendabteilung der ungarischen Grünen haben an einem Workshop für junge europäische Grüne teilgenommen, bei dem darüber diskutiert wurde, warum wir über die Einführung einer fünften Geschlechtsidentität sprechen müssen. Meine persönliche Meinung ist, dass es nur zwei Geschlechter gibt: Frauen und Männer. Das ist eine biologische Tatsache, die man nicht leugnen kann. Aber bei den Grünen in Westeuropa ist es inzwischen ein weit verbreiteter Glaube, dass es unendlich viele Geschlechter gibt. Ich habe mich aber für die Grünen in Ungarn entschieden, weil ich ein wissenschaftlich interessierter Mensch bin. Meiner Meinung nach sollten Wissenschaftlichkeit und Grünsein Hand in Hand gehen.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Identitätspolitik hat einen ehrenwerten Impuls, wenn es darum geht, Minderheiten von jahrzehntelanger Diskriminierung zu befreien. Ich bin der erste homosexuelle Politiker im ungarischen Parlament, der sich offen zu seiner sexuellen Orientierung bekennt. Wenn sich Identitätspolitik aber immer weiter von wissenschaftlichen Erkenntnissen entfernt, dann beginnt sie, ein anti-aufklärerisches Eigenleben zu führen, das viele Bürger eher befremdet.
Die deutschen Grünen lehnen einen konsequenten Schutz der deutschen Grenzen ab. Wie stehen Sie zur illegalen Migration?
In Migrationsfragen haben die ungarischen Grünen eine völlig andere Position als die Grünen in Deutschland. Es gibt kein Menschenrecht, dass jeder gehen kann, wohin er will. Wir verteidigen die Genfer Konvention. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir als sicheres Drittland Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen. Aber wir sind nicht das erste sichere Land für Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan. Das können wir schon geografisch nicht sein. Deshalb ist Ungarn auch nicht verpflichtet, diese Menschen aufzunehmen.
Haben Sie schon einmal versucht, mit deutschen Grünen über dieses Thema zu sprechen?
Ich habe schon vor langer Zeit damit aufgehört, mit grünen Politikern aus westeuropäischen Ländern über meine Position in der Migrationsfrage zu sprechen. Den meisten ist es sowieso egal, was wir Ungarn denken.
Sie wiederum dürften ganz gut den Unmut von immer mehr Deutschen angesichts der Migrationspolitik der Ampel verstehen!
Ja, auf jeden Fall. Ein Staat kann nicht einfach Menschen aufnehmen, ohne vorher ihre Identität festgestellt und eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt zu haben. Für das, was ich jetzt sage, würde ich in Deutschland wahrscheinlich als „Rechter“ oder „Nazi“ beschimpft werden: Wenn jemand Asyl beantragt und gleichzeitig eine Straftat begeht, dann muss er unter allen Umständen abgeschoben werden. Flüchtlinge sind in erster Linie einmal Gäste im Aufnahmeland. Es kann nicht sein, dass sie sich nicht an dessen Regeln halten! Diese Sichtweise ist bei uns in Ungarn auch unter progressiven Politikern völlig normal. Aus ungarischer Sicht ist es interessant zu sehen, wie schnell man im deutschen Diskurs in bestimmte Schubladen gesteckt wird.
Worauf führen Sie das zurück?
In den USA hat Rob Henderson den großartigen Begriff „Luxury Belief“ in den Diskurs eingeführt. Ein „Luxusglaube“ ist eine persönliche Überzeugung, die Angehörigen der Oberschicht einen besseren Status bei nur geringen Nachteilen verschafft, während sie Angehörigen der Mittel- und Unterschicht vor allem Kosten verursacht. Viele vermeintlich progressive Menschen in Westeuropa vertreten die „Open Border Ideology“, obwohl sie nicht wirklich davon überzeugt sind. Sie sehen sich dadurch aber als Teil einer avantgardistischen Elite. In den osteuropäischen Ländern hingegen sind Grüne und Sozialdemokraten viel näher an der Bevölkerung. Deshalb sind sie auch eher bereit, deren Interessen politisch zu vertreten. In den westeuropäischen Ländern dagegen empfinden die Progressiven die „normalen“ Arbeiter oft als fremde Wesen.
Das Gespräch führte der Cicero-Volontär Clemens Traub. Aus seiner Feder stammt auch das Buch „Future for Fridays?“. Das Interview, das in Zusammenarbeit mit der Budapester Zeitung entstand, erschien zuerst am 9. Oktober auf Cicero Online. Für die vorliegende Veröffentlichung wurde es überarbeitet.
“Viele junge Grüne aus Westeuropa wollen, dass Brüssel am besten für alle Länder entscheidet.”
Das ist der Kern der ganzen europäischen Spaltung. Und wenn man diese Frage nicht so kritisch sieht, dann merkt man spätestens in dem Moment, wo es um konkrete Sachfragen geht (wie zB die Migrationsfrage), dass mit dieser Zentralisierung Staaten gefährdet werden, weil die großen, starken alles bestimmen wollen.
Ein großes Lob an MLP und Péter Ungár, der sicher bald mit Péter Magyar verwechselt wird, bei den ganzen ahnungslosen Ungarn-Spezialisten aus der BRD und Österreich.
Momentan verwechseln diverse Kanäle auf youtube noch Péter Magyar mit Péter Márki-Zay. Auch sehr lustig. Der ehemalige Gemeinschaftskandidat der ungarischen Grünlinken, Márki-Zay, treibt sein Unwesen offensichtlich immer noch in den Hirnen der deutschsprachigen Spezialisten jedweder Couleur. Sie tun sich wirklich sehr schwer, egal ob pro- oder gegen Orbán. Sie haben noch nicht geschnallt, dass der neue Oppositionsführer Péter Magyar heißt. Natürlich kann niemand den Namen Magyar aussprechen. Besonders lächerlich tun sich dabei die CSU-Bayern hervor. Dort ist er zum Magier geworden, der den bösen Orbán wegzaubert.
Schönes Wochenende.