Viktor Orbán zum Krieg in der Ukraine:
Nicht unsere Familien sollen den Preis bezahlen!
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Sie sind gerade von der ungarisch-ukrainischen Grenze zurückgekommen. Unser Nachbar, die Ukraine, steht im Krieg mit Russland. Aus dem Sessel des ungarischen Ministerpräsidenten betrachtet: Wie sind wir an diesem Punkt angelangt?
Wir befinden uns im Kreuzfeuer großer geopolitischer Akteure, die NATO erweiterte sich kontinuierlich Richtung Osten, und dies gefiel Russland immer weniger. Die Russen traten deshalb mit zwei konkreten Forderungen auf: Die Ukraine sollte ihre Neutralität deklarieren, und die NATO, dass sie die Ukraine nicht aufnehmen wird. Weil sie diese Sicherheitsgarantien nicht erhielten, entschieden sich die Russen, diese im Krieg zu erlangen. Das steht geopolitisch hinter diesem Krieg. Die Russen formen die Sicherheitslandkarte des Kontinents um. Sie meinen, dass Russland von einer neutralen Zone umgeben sein muss, um sich in Sicherheit zu fühlen. Die als Pufferzone betrachtete Ukraine soll nun mit militärischer Gewalt dazu gemacht werden. Ungarn muss dabei deutlich machen, dass der Krieg für kein einziges Ziel akzeptierbar ist. Wer diesen Weg wählt, den verurteilen wir unmissverständlich.
Außenminister Szijjártó hat Lawrow und die ukrainische Führung zu Friedensverhandlungen nach Budapest gerufen. Besitzt der Friede Realität?
Unbedingt! Die Russen fordern das gleiche wie bisher. Da die militärische Überlegenheit auf ihrer Seite ist, war es nur eine Frage der Zeit, dass die Verhandlungen beginnen. Ungarn spricht sich für Frieden aus, unser Interesse ist es, von dem Krieg ausgenommen zu bleiben. Es bedarf einer schnellen Übereinkunft und Frieden, wir dürfen auf keinen Fall in diesen Konflikt hineinrutschen. Es ist nicht wichtig, dass die Friedensverhandlungen in Budapest stattfinden. Entscheidend ist, dass sie stattfinden. Ganz Europa muss am Frieden arbeiten.
Seit Ihrer Wahl standen Sie in einem intensiven Arbeitsverhältnis zu Putin. Als was für einen Menschen und Verhandlungspartner haben Sie den russischen Präsidenten kennengelernt?
Bereits 2009 nahm ich den Kontakt zu Präsident Putin und führenden chinesischen Politikern auf. Ich dachte mir, an der Regierung müssten wir jenen weltpolitischen Realitäten ins Auge blicken, die nach der Finanzkrise von 2008 eingetreten waren. Die Finanzkrise erschütterte die westliche Welt, vor allem aber die Europäische Union, die Chinesen jedoch nicht. Auf diese Weise beschleunigte sich der Prozess, in dessen Verlauf China die führende Rolle in der Weltwirtschaft übernimmt. Auf diese neue Weltordnung muss sich Ungarn vorbereiten. Und was den russischen Präsidenten angeht: Worüber ich mit ihm übereinkommen konnte, das hat er stets eingehalten. Die ungarisch-russischen Beziehungen waren bis zuletzt ausgewogen und korrekt.
Die EU hat nun harte Sanktionen gegen Russland eingeführt, für die auch Ungarn stimmte. Wie werden die bilateralen Beziehungen durch die russische Invasion beeinflusst? Wie wirkt sich die Entwicklung auf das Genehmigungsverfahren für das AKW Paks 2 und auf den langfristigen Gasliefervertrag mit den Russen aus?
Mit dem Krieg ist auch für Ungarn eine neue Situation entstanden; wir müssen unsere Ziele und Interessen neu definieren. Was die Sanktionen angeht, haben wir kein Veto eingelegt – wir hindern die EU nicht daran, Sanktionen gegenüber Russland anzuwenden. Jetzt ist die Einheit der EU am wichtigsten. Was die bilateralen Beziehungen nach dem Krieg angeht, so ist eines sicher: Russland wird auch nach dem Krieg existieren. Ungarn und die EU werden auch nach dem Krieg Interessen besitzen. Es spricht nichts dafür, dass wir unsere energetische Zusammenarbeit mit den Russen einstellen sollten. Führende Politiker der EU haben klargestellt, dass die Sanktionen nicht die russischen Gaslieferungen berühren, denn dies würde die europäische Wirtschaft ruinieren.
Das Gleiche gilt für Paks. Ohne das AKW Paks 2 muss noch mehr russisches Gas und noch teurer eingekauft werden. Wenn wir die energetische Zusammenarbeit mit den Russen beenden, wachsen die Energiekosten der ungarischen Familien auf das Dreifache an. Nicht die ungarischen Familien sollen den Preis des Krieges zahlen!
Der Spitzenkandidat des Oppositionsbündnisses meinte, er würde wenn nötig ungarische Soldaten und Waffen in die Ukraine schicken.
Die internationale Politik ist ein schwieriges Genre. Ich stecke seit mehr als dreißig Jahren in diesem Metier. Es ist der dritte Krieg, der während meiner Regierungszeit in unserer Nachbarschaft geführt wird. 1999, einen Tag nach unserem Beitritt, intervenierte die NATO im Kosovo-Krieg. 2014 war die Krim-Krise, und jetzt haben wir den zweiten ukrainisch-russischen Krieg. Mein Vorteil aus Erfahrung ist: Ich weiß, was strategische Ruhe bedeutet. Wenig reden, und wenn doch, dann verantwortungsbewusst. In solchen Momenten ist es nicht zulässig, dass Wahlkampf vor die nationalen Interessen rückt. Ein einziger falscher Satz kann Probleme verursachen. Im Krieg ist Reden schon halbes Handeln. Die Opposition will Waffen schicken, mit denen dann auf die Russen geschossen wird, oder Soldaten, die dann gegen die Russen kämpfen werden. Mit solchen verantwortungslosen Äußerungen gießen sie nur Öl ins Feuer. Statt einer Abenteurerpolitik sind verantwortungsvolles Politisieren, Sicherheit und Stabilität notwendig.
Womit helfen wir der Ukraine?
Wir helfen den Ukrainern gerne bei den Verhandlungen mit den Russen. Wir bieten auch einen Ort für die Friedensverhandlungen. Wir leisten humanitäre Hilfe: Kraftstoffe, Lebensmittel, Artikel der Grundversorgung. Und drittens nehmen wir jeden auf, der aus der Ukraine kommt.
In den 1990er Jahren schien es so, als blieben die USA die einzige Weltmacht mit globalem Einfluss. Macht es angesichts der Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte noch einen Sinn, über eine unipolare, durch die Amerikaner dominierte Weltordnung zu sprechen? Wie bewerten Sie die bisherige Bilanz im Wettstreit der USA mit China?
Es erfolgt ein Positionswechsel an der Spitze der Welt. So wie es heute aussieht, wird bald China die stärkste Wirtschafts- und Militärmacht der Erde sein. Amerika ist dabei, zurückgedrängt zu werden, während China immer stärker wird. Ungarn mit seinen zehn Millionen Einwohnern muss da geschickt manövrieren. Wir sind im Bündnis mit dem Westen, doch möchten wir auch mit der im Aufstieg begriffenen neuen Großmacht ein vorteilhaftes Verhältnis etablieren. Dies ist eine komplizierte, viel Geschick erfordernde Aufgabe für die Politik.
Wie wird diese Veränderung die Frage der Souveränität betreffen?
Wir wissen bereits, wie die Welt unter angelsächsischer Dominanz ist. Was wir noch nicht wissen: Wie wird die Welt unter chinesischer Dominanz sein? Die Angelsachsen verlangen von allen anderen, ihren Standpunkt als moralisch richtig anzuerkennen. Also nicht nur die Realität der Kraft zu akzeptieren, sondern auch das, was sie für richtig halten. Die Chinesen haben keinen solchen Anspruch.
Wir haben die deutschen Bundestagswahlen hinter uns, Angela Merkel hat die Bühne der deutschen und der europäischen Politik verlassen. Was denken Sie über die sechzehn Jahre der Bundeskanzlerin?
Zunächst einmal sollten wir feststellen: Es ist nie eine leichte Aufgabe, deutscher Bundeskanzler zu sein. Deutschland befindet sich in einem unnatürlichen Zustand, denn es ist durch ein Missverhältnis geprägt: mit einem riesigen Bizeps in der Wirtschaft, einer gut ausgebildeten Muskulatur in der Kultur, aber schmalen Waden in der Sicherheitspolitik. Es verfügt über keine nennenswerte militärische Kraft und kann schon wegen des Zweiten Weltkriegs nicht mit derartigen Ambitionen auftreten. Es lohnt sich also nicht, von Deutschland zu erwarten, was es in seiner objektiven Lage nicht erfüllen kann. Wie die Bundeskanzlerin in Zukunft beurteilt wird, hängt entscheidend davon ab, was nach ihr folgt. Gemessen daran, was wir uns gewünscht hätten, verdiente sie kein allzu erfreuliches Urteil. Aber wie verhält sich das im Vergleich zu dem, was mit der neuen Bundesregierung folgen könnte?
Merkel war es, die die Migranten hereinließ, sie gab jenen Eckpfeiler der deutschen Familienpolitik auf, der das traditionelle Familienmodell verteidigte, und sie war es, die Deutschland eine kaum lebensfähige Energiewende brachte. Das sind drei wichtige strategische Fragen. Der Krieg in der Ukraine hat in Deutschland einen Paradigmenwechsel in der Militär- und Sicherheitspolitik ausgelöst. Deutschland beginnt aufzurüsten. Auch dies schafft eine neue Lage in Europa.
Was für einen Menschen haben Sie in Merkel kennengelernt?
Ich respektiere sie, ich habe gerne mit ihr zusammengearbeitet. Auch dann noch, als es im Herbst 2015 zum Bruch zwischen uns kam. Dies belastet bis auf den heutigen Tag die deutsch-ungarischen Beziehungen und trägt stark dazu bei, dass uns auch Brüssel unter Druck setzt. Der Grund für den Bruch war unsere Migrationspolitik. Die Bundeskanzlerin forderte mich unmissverständlich dazu auf, die Migranten ins Land und in die EU zu lassen. Ich sollte nicht jene gemeinsame europäische Migrationspolitik blockieren, mit der die Migranten unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt würden. Ich wies aber genau diese Forderung zurück, ganz Europa zu einem Einwanderungskontinent zu machen. Ungarn ist wie ein Stock zwischen den Speichen, weshalb sie unsere Regierung beseitigen wollen. Auch bei den Wahlen im April unternimmt Brüssel alles für den Erfolg der ungarischen Linken. Am 3. April müssen wir auch zu diesen Einmischungsversuchen „Nein“ sagen.
Der Ausgang der Bundestagswahlen ist wohlbekannt: Sozialdemokraten, Grüne und Liberale bilden nun eine Koalition. Wie wirkt sich das auf die deutsch-ungarischen Beziehungen aus?
Das Programm der neuen Bundesregierung wirft viele Fragen auf. Deutschland wurde zu einem Einwanderungsland erklärt, die Einteilung der Gesellschaft in ausschließlich Männer und Frauen wird geleugnet, man will leichte Drogen legalisieren, den Begriff der Nation aushöhlen, ein föderatives Europa. Noch wissen wir nicht, ob sie dieses Programm tatsächlich verwirklichen oder gar auf ganz Europa auszuweiten trachten. Wir möchten ein Toleranzabkommen schließen, damit wir unseren eigenen Weg beschreiten können. Sie müssen nicht so sein, wie wir es sind, aber auch wir sollten nicht so werden müssen, wie sie es sind.
Die konservative Tageszeitung „Die Welt“ warnte im Vorfeld der Wahlen, mit dem Abgang von Angela Merkel könnten die südlichen Mitgliedstaaten alle Schuldenschranken aufgeben. Besteht tatsächlich die Gefahr einer Überschuldung der EU?
Die Staatsschulden übersteigen in einigen europäischen Ländern bei weitem hundert Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Wir sehen keine Wirtschaftspolitik, um diese hohen Schulden verschwinden zu lassen oder wenigstens langfristig tragbar zu machen. Eine Idee der verschuldeten Staaten besagt, die Staatsschulden auf europäischer Ebene zu vergemeinschaften. Merkel hat dies immer zurückgewiesen, den Standpunkt der neuen Bundesregierung kennen wir vorerst nicht. Es ist aber kein gutes Vorzeichen, dass der Präsident der Bundesbank sein Amt vorzeitig niedergelegt hat.
Unsere historischen Erfahrungen begründen die Furcht, dass die europäische Linke die EU in eine Schuldenfalle führt. Wie schon Margaret Thatcher sagte: Das Problem mit den Sozialisten ist, dass ihnen früher oder später das Geld der anderen ausgeht. Wir haben aber noch ein anderes Problem: Mit dem Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges ist klar geworden, dass die europäische Militär- und Sicherheitspolitik auf eine neue Grundlage gestellt werden muss. Europa benötigt eine eigene Armee, eine ernsthafte militärische Industrie. Wir können uns nicht immer nur auf die Amerikaner stützen. Während wir also versuchen, Haushaltsdefizite und Staatsschulden zu senken, müssen wir eine Ausnahme auf dem Gebiet der Militärpolitik machen. Wir müssen viel Geld für die Rüstungsindustrie aufwenden, um die ausgebliebenen Investitionen der vergangenen Jahrzehnte nachzuholen. Ungarn sagt: Wir brauchen die Maastricht-Kriterien und eine strenge Haushaltspolitik, doch sollten die sicherheitspolitischen Ausgaben vom Defizit ausgeklammert werden.
In welchem Verhältnis stünde diese Armee zur NATO, wer würde sie finanzieren und leiten?
Die NATO ist ein großer Wert, man muss sie beibehalten, die Modernisierung unserer Armee außerhalb der NATO macht keinen Sinn. Es fehlt jedoch jedes Gleichgewicht zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Flügel des Bündnisses. Wir müssen in der Lage sein, die Sicherheit Europas auch aus eigener Kraft zu garantieren. Seien wir doch ehrlich: Es war über Jahrzehnte hinweg eine bequeme Sache, viel weniger als die Amerikaner für die Sicherheit auszugeben, denn so blieb ja mehr Geld für andere Zwecke übrig. Das war die europäische Strategie. Die US-Strategie wiederum baute darauf, wenn Du deine Militärpolitik gut organisierst, dann stärken diese Investitionen die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung und können in einem Kreislauf in die zivile Wirtschaft hinübergelangen. Denken wir nur an das Handy, das GPS und das Internet als ursprünglich rein militärische Entwicklungen, die heute der Zivilwirtschaft einen ernsthaften Nutzen bringen.
Europa ist ein technologisch gut aufgestellter Kontinent. Mit einer gemeinsamen europäischen Konzeption der Verteidigungsindustrie könnten auch wir diesen Kreislaufeffekt hervorbringen. Ungarn würde gerne an einer solchen Initiative teilnehmen. Gespräche mit Präsident Macron und führenden Politikern Mittelosteuropas zeigten, dass Chancen für eine militärpolitische Kooperation bestehen.
Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Zusammenarbeit der V4?
Die Visegrád-Staaten (V4) vermieden bisher militärpolitische Themen, da wir um die Meinungsunterschiede wussten. Jetzt, da die Russen die Ukraine angegriffen haben, können wir dieses Thema nicht mehr ausklammern. Die Polen wollen die Grenze der westlichen Welt bis an die Grenze der russischen Welt heranschieben. Sie fühlen sich erst dann in Sicherheit, wenn die NATO – Polen inbegriffen – in der Lage ist, eine entsprechende Streitkraft auf der westlichen Seite dieser Grenzlinie aufmarschieren zu lassen. Auch deshalb unterstützen sie vehement die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.
Unser taktisches Denken basiert darauf, dass es zwischen den Russen und den Ungarn ein ausreichend breites und tiefes Gebiet geben soll. Heute heißt dieses Gebiet Ukraine. Entscheidend ist jedoch, dass die Polen wissen, sie können auf uns Ungarn zählen, wie auch wir wissen, dass wir auf die Polen zählen können.
Ungarn ist ein großer Unterstützer der euroatlantischen Integration des Balkan. Was ist die Realität dieser Politik?
In Westeuropa ist der Gedanke stark, am liebsten alle bisherigen Erweiterungen ungeschehen zu machen. Sie deuten gerne die Schwächung der westeuropäischen Mittelschichten, die Verschuldung und die fehlende wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit als etwas, das wir Mitteleuropäer als neue EU-Mitglieder über sie gebracht hätten. Sie nennen es elegant „Erweiterungsmüdigkeit“, weil man so nicht zugeben muss, dass diese Position auf der falschen Seite der Geschichte moralisch nur schwer zu halten ist.
Warum ist für uns die EU-Mitgliedschaft von Serbien und Mazedonien so wichtig?
Sie ist sowohl aus sicherheitspolitischen Gründen als auch wegen des Handels wichtig. Der jetzige Krieg zeigt doch wieder, dass es kein Schwarzes Loch, kein Vakuum auf dem Balkan geben darf. Zwischen Griechenland und Ungarn darf es kein Gebiet geben, das im geopolitischen Sinn von der EU verwahrlost ist und so zum Spielball von Amerikanern, Russen und Türken werden kann. Es ist an der Zeit, dass die EU zur NATO aufschließt und die gesamte Region in die westliche Welt integriert.
Kommen wir zur Innenpolitik! Die Opposition hält Schritte wie die Rückerstattung und Befreiung von der Einkommensteuer, die Rentenprämie und die 13. Monatsrente sowie den erhöhten Mindestlohn für Wahlkampfgeschenke.
Diese Maßnahmen sind nicht ohne Vorspiel. Vergünstigungen für Familien gewähren wir seit 2010. Diese sind an Arbeit gebunden und wurden parallel zum Wachstum systematisch ausgebaut. Wir vertreten weiter die gleichen Ziele: politische und finanzielle Stabilität, transparente Wirtschaftspolitik, mit dem erklärten Ziel einer demographischen Politik, die auf der Verknüpfung von Arbeit und Familie fußt.
Unsere Familienpolitik ist ein Mosaik. Wer Kinder erzieht, soll wirtschaftlich besser gestellt werden. Heute ist das Leben für Leute, die ohne Kinder planen, immer noch leichter, als wenn sie zwei oder drei Kinder erziehen würden. Stäbe von Fachleuten arbeiten daran, dass wir nach den Wahlen die noch fehlenden Mosaiksteine in das System einfügen.
Es hängt durchaus mit der Familienpolitik zusammen, dass die Regierung ein Referendum zu vier Fragen des Kinderschutzes beschloss.
Wenn mir jemand vor einigen Jahren sagt, ich würde einmal vorschlagen, in die Verfassung zu schreiben, der Vater ist ein Mann, die Mutter ist eine Frau, hätte ich ihn sicher belächelt. Die Verfassung ist nicht für biologische Selbstverständlichkeiten gedacht. Und jetzt bin ich es, der das angeregt hat. Da kann man mal sehen, wie schnell sich selbst stabil geglaubte gesellschaftliche Ansichten ändern, wenn politische und wirtschaftliche Akteure gezielte Aktionen starten. Wenn wir uns nicht rechtzeitig mit diesen Themen beschäftigen, wird es uns wieder so ergehen, wie einst mit der liberalen Demokratie: Sie überrumpeln uns. Wenn wir still bleiben und nur abwinken, dann entsteht ein gesellschaftliches Klima, in dem man am Ende uns als seltsam betrachten wird. Wer die traditionelle Institution der Familie verteidigt, wird dann als Gegner der Freiheit hingestellt.
Die Anhänger der offenen Gesellschaft attackierten erst Nation und Familie, um dann mit Hilfe der massenweisen Migration unsere Identität zu schwächen. Und jetzt wollen sie unsere Kinder verunsichern. Das dürfen wir nicht zulassen! Ungarn ist ein freies Land, als Erwachsener lebt jeder so, wie er will. Doch unsere Kinder müssen wir vor der Genderpropaganda schützen, dafür ist ein Referendum das beste Mittel.
Am 3. April finden die Parlamentswahlen statt. Spitzenkandidat der Linken ist Péter Márki-Zay, dennoch sprechen Sie von einer drohenden Rückkehr von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány. Ist dies nach zwölf Jahren konservativer Regierung in Ungarn eine reale Gefahr?
Die Kommunisten sind zäh. Es schmerzt, dass wir noch zweiunddreißig Jahre nach der Wende von schicksalshaften Parlamentswahlen sprechen müssen. Im Normalfall müsste es einzig darum gehen, wer besser regieren kann. Ich hoffe nicht nur auf einen Wahlsieg, ich hoffe, dass die Kommunisten die vierte Niederlage nicht mehr überstehen. Mit dem vierten Sieg in Folge könnten wir mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen würden wir die unmittelbaren sozialen und wirtschaftlichen Gefahren abwenden, die eine Rückkehr der Gyurcsány-Ära mit sich bringen würde. Andererseits könnten wir eine radikale Umwandlung der Opposition erzwingen und damit ein neues Kapitel der ungarischen Innenpolitik aufstoßen.
Haben diese Wahlen internationale Auswirkungen?
Man darf unsere eigene Bedeutung nicht überschätzen. Für eine konservative Wende in Europa ist unser Sieg zu wenig. Solange nicht mindestens eines der Gründungsländer der EU den gleichen Weg beschreitet wie wir, erhält die konservative, christdemokratische Anschauung Gegenwind. Sie tun es ab als eine Debatte der später beigetretenen, von der westlichen Moderne ausgeschlossenen und noch immer rückständigen östlichen Mitgliedstaaten. Dieses Narrativ wird erst dadurch gekappt, dass ein erstes Gründungsland auf unsere Seite wechselt. Als tapfere Verteidiger einer Grenzfestung können wir lange durchhalten, ein Sieg wird daraus aber erst, wenn wir Gefährten finden.
Was waren die größten Herausforderungen in den zwölf Jahren Ihrer Regierung?
Die schwierigsten Momente bedeuteten immer die Krisen. Wenn wir auf unsere Regierungszeit zurückblicken, hat es hier seit 2010 einfach alles gegeben: Finanzkrise, Rotschlamm, Hochwasser, Krim-Krise, Migrationskrise, Coronavirus, Krieg in der Ukraine. Wenn es Diplome für Krisenbewältigung gäbe, besäßen wir Ungarn bereits vier oder fünf. Wir leben in einer Zeit großer Gefahren, ohne viel Spielraum für friedliches Schaffen. In der Zwischenzeit haben wir zwar ein gutes System der Familienförderung errichtet und die Wirtschaft auf die Beine gestellt, doch einen Großteil der Energien nahm das Abwenden von Krisen in Anspruch.
Es gibt einen Konsens darüber, dass die vergangenen zwölf Jahre als „Orbán-Ära“ in die Geschichtsbücher Eingang finden werden. Einst belegten Sie Ihre Politik mit dem Attribut „illiberal“, später sprachen Sie über christliche Freiheit, und neuerdings gebrauchen Sie das Wort von der konservativen Renaissance. Wenn man die vergangenen zwölf Jahre ideologisch abdecken müsste, welchen Ausdruck würden Sie dann benutzen?
Dieses bunte sprachliche Instrumentarium ist kein Zufall. Wir stehen in dieser Hinsicht schon seit den 1990er Jahren auf verlorenem Posten. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hatten die europäischen Demokraten Faschismus und Kommunismus als gemeinsamen Feind richtig identifiziert. So verbündeten sich die beiden, im Übrigen miteinander im Wettstreit liegenden Richtungen, also die Liberalen und die Konservativen, gegen den gemeinsamen Feind.
Als wir 1990 im Ostteil Europas gewannen, erwachten die Liberalen früher. Indem sie erkannten, der alte gemeinsame Feind sei niedergestreckt, konzentrierten sie sich alsbald auf die alte Ordnung: hier die Liberalen, dort die konservativen Christdemokraten. Um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, formulierten sie ihre Doktrin, wonach eine Demokratie nur liberal sein könne. Die konservative Seite musste mit ansehen, wie die Doktrin von der liberalen Demokratie zur dominanten Anschauung wurde. Seither suchen wir nach einer konkurrenzfähigen Gegenerzählung: Ob „America First“ mit den Worten von Trump oder Illiberalismus aus meinem Munde – in Wirklichkeit suchen wir nur nach Wegen, die liberale Doktrin herauszufordern.
Was ist Ihr Problem mit der Doktrin der liberalen Demokratie?
Es ist ein Trick. Die Demokratie ist ein selbständiger Begriff, die Herrschaft des Volkes. Man kann diesen Begriff ideologisch nicht enteignen. Aus einer Demokratie kann eine liberale Regierung, eine konservative, christdemokratische Regierung, oder auch eine sozialdemokratische Regierung erwachsen. Demokratie ist die Basis, aus der Regierungspolitiken mit unterschiedlichen Weltanschauungen hervorgehen, die miteinander im Wettbewerb stehen. Zu Beginn der 1990er Jahre ergriffen die Liberalen jedoch die Chance, den Begriff Demokratie an sich zu besetzen. Wir müssen heute erklären, dass nicht jede Demokratie liberal ist, aber nur weil etwas nicht liberal ist, kann es noch eine Demokratie sein. Es ist schwer, dem Geltung zu verschaffen, obwohl die Liberalen in der Zwischenzeit selbst in eine Falle hineinspazierten.
Was für eine Falle?
Indem sich die Liberalen den Begriff der Demokratie aneigneten und den demokratischen Charakter der konservativen Christdemokraten in Frage stellten, gaben sie die auf gegenseitiger Anerkennung basierende Beziehung auf. Das war ein großer Fehler, denn indem die Liberalen die Konservativen von sich stießen, blieben sie allein mit den Marxisten. Und nun saugen die Marxisten die Liberalen auf. Das erleben wir in Amerika, aber der gleiche Prozess läuft auch in Europa an. Die Liberalen haben ausschließlich die auf Freiheit beruhende Gleichheit in den Mittelpunkt gestellt und die Traditionen ausgeschlossen. Damit aber wurden sie wehrlos gegen immer neue Gleichheitsansprüche. Zuerst werden unter dem Mantel der Gleichheit gleichgeschlechtliche Beziehungen legalisiert. Später sollen wir diese als gleichrangig mit der Ehe zwischen Mann und Frau akzeptieren. Danach gelangen sie an den Punkt, warum diese Beziehung lediglich auf zwei Personen eingeschränkt sein soll; es sind ja auch andere Kombinationen vorstellbar. Sie werden immer Menschen finden, die vermeintliche oder tatsächliche Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse sind, und die als Medizin für ihre Probleme die Umformung des gesellschaftlichen Systems fordern. Die absurdesten Forderungen tauchen am linken Rand der Liberalen auf. Und da wir von rechts kein Gegengewicht im Namen der Traditionen entgegensetzen können, dringen sie systematisch, Schritt für Schritt ins politische Lager der Liberalen ein und besetzen dort das Zentrum. Mit dem Ergebnis, das gesamte liberale Lager marxistisch einzufärben. Das ist die „Woke“-Falle der Liberalen. Die konservative Seite hinkt dem marxistisch-liberalen Lager derzeit hinterher; wir müssen den Fehdehandschuh aufnehmen.
In jüngster Zeit gaben uns große konservative Vordenker wie Rod Dreher, Yoram Hazony oder Niall Ferguson Interviews. Früher gab es kein derartiges Interesse an Ungarn, heute kommen diese Leute zu uns, um zu forschen, zu debattieren und den ungarischen Konservativismus kennenzulernen.
Die ungarische Luft macht frei. Und Freiheit besitzt große Anziehungskraft. Diese Männer haben an der eigenen Haut erlebt, dass sie zu Hause nicht mehr sagen können, was sie denken. Die westliche liberale, allmählich marxistische Hegemonie toleriert höchstens abweichende Gedanken, doch an manchen Orten nicht einmal das. Gerade in der westlichen Hochschulwelt ist diese Erscheinung recht verbreitet anzutreffen. Hegemonie bedroht immer die Freiheit, insbesondere die geistige. Der Pluralismus aber eröffnet der Freiheit Raum, da er sich daran erfreut, schwierige Themen selbst von sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten ausgehend miteinander besprechen zu können. Im Pluralismus erscheint dies als schön; wir genießen es. Indem Hegemonie Freiheit als Gefahr betrachtet und verfolgt, wird das Leben immer öder und grauer. Freiheit und die mit ihr einhergehende Vielfalt besitzen eine große Anziehungskraft. Und heute gibt es nur sehr wenige Länder, in denen konservative, christdemokratische Denker ihre Meinung derart frei, angespornt vom Interesse der jungen Generation mitteilen könnten, wie sie das in Ungarn tun. Ich könnte auch sagen: Nur wir sind übriggeblieben.
Aus dem Ungarischen von A.M. und Rainer Ackermann.
Das hier leicht gekürzt wiedergegebene Interview erschien ursprünglich Anfang März im konservativen Wochenmagazin Mandiner.
Rußlands Problem mit der Ukraine ist hier am Anfang richtig beschrieben; freilich fühlt sich Rußland durch den westlichen Betrug bedroht, daß es der deutschen Wiedervereinigung nur unter der Versicherung zustimmte, daß diese NATO-Osterweiterung nicht käme. Wie würden die USA reagieren, wenn Mexiko ein Militärbündnis mit Rußland und russische Gasttruppen hätte?
Zudem steuerten die USA 2014 einen Putsch in der Ukraine, wie Sprecherin Victoria Nuland zugab. Seither wird die überwiegend russischsprachige Süd-Ost-Hälfte des Landes unterdrückt. Sie ist rußlandfreundlich, wie die Wahlerfolge der Partei der Regionen bis dahin zeigten; seither natürlich massiv behindert. Und die ukrainische Armee geht Hand in Hand mit den ultranationalen Freischärler-Truppen, die sich auf den Hitler-Kollaborateur Stepan Bandera gründen.
Ja, die ungarische Luft macht frei. Darum bin ich aus dem tyrannischen Tollhaus Deutschland hergekommen. Dort herrscht immer mehr Terror von oben gegen die, die Deutschland nicht abschaffen wollen. Nicht nur Diffamierungen und gleichgeschaltete Presse; gegen Protestkundgebungen schickt die Obrigkeit steuerbezahlte Randalierer, und zuweilen auch Auto- und Hausbrenner gegen Oppositionelle, drängt Arbeitgeber und Vermieter auf Entlassungen usw.
In anderen Berichten werden Orientalen genannt (die üblichen Asylbetrüger), die sich unter die Ukrainer mischen. Logische Sache.
Krisztin Koener in http://www.achgut.de hat auch diesen Mandiner Interview zitiert und analysiert.
“Der scharfe Blick des Viktor Orban”
Ungar wählt.
Es ist bezeugen, sass der Marki sich als Anführer von Kommunisten, Faschisten und so weiter sich positioniert. Kommunisten spielen in ” Westen” such stark mit und Faschisten sind nicht unbedingt nur rechts außen, wie im großen Zahl in Ukraine. Sie können auch grünen, LMQ…s und so weiter sein, die nur tolerant sind, wenn die Mensche ihrer extrem Utopie sich anschließen.