Interview mit dem CEO der MOL-Gruppe, Zsolt Hernádi
„Wir dürfen Europa nicht preisgeben!“
Die MOL-Gruppe hat kürzlich ihre Strategie überarbeitet. Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, als würde sich der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern länger hinziehen. Ist die Zeit für die Elektroautos noch nicht gekommen?
Die Rechnung geht einfach nicht auf, die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nach 2035 komplett abzulösen. Die Verkaufszahlen für reine Stromer oder Hybridfahrzeuge sind in unserer Region einfach noch zu niedrig. In Ungarn erreichten diese Antriebstechnologien 2023 einen Marktanteil von fünf Prozent, ihr Anteil am gesamten Fahrzeugpark gerade mal ein Prozent. Es liegt auf der Hand, dass die Elektroautos nicht schon morgen alle Verkehrsprobleme lösen werden, wenn dies überhaupt irgendwann mal eintritt. Und was bitte soll mit den Millionen alter Benziner und Dieselfahrzeuge geschehen? Bei uns beträgt das durchschnittliche Lebensalter der Autos auf den Straßen 15 Jahre, in Westeuropa ungefähr zehn Jahre.
Die EU verabschiedete vor einem Jahr eine Verordnung, die quasi Nullemissionen der neuen Fahrzeuge ab 2035 vorschreibt. Seither dämmert es aber auch den Entscheidungsträgern in Brüssel, dass man diese Vorgabe lockern muss, weil sie sich einfach nicht einhalten lässt. Ich für mein Teil tippe, dass die Verbrenner nicht aussterben werden; man wird lediglich die Marktanteile von Fahrzeugen mit modernen Technologien fördern.
Welche alternativen Kraftstoffe sehen Sie?
Zum Beispiel Biokraftstoffe wie Biodiesel oder Ethanol. Aus Kernen, Rohstoffen der Nahrungsmittelindustrie oder pflanzlichen und tierischen Abfällen lassen sich gut Diesel oder Alkohol herstellen, mit denen herkömmliche Autos gefahren werden können, ohne den Motor zu schädigen.
Ein neuer Weg ist die Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Dabei binden wir Kohlendioxid mit Wasserstoff, der mittels Elektrolyse hergestellt wird. Das Ergebnis ist ein künstliches, aber in allen Belangen grünes Gemisch. Leider ist dieses technische Verfahren noch viel zu teuer. Die Herstellungspreise bewegen sich um das Fünf- bis Zehnfache der herkömmlichen Kraftstoffe. Das gleiche gilt für die Brennstoffzelle, wo die Ladeinfrastruktur enorme Ressourcen verschlingt.
Man muss natürlich alle technischen Möglichkeiten in Betracht ziehen, darf sich dabei aber nicht dogmatisch verhalten. Es wird keine Alleinlösung geben, sondern ein Gemenge aus verschiedenen Technologien. Deshalb verhalten wir uns weise, wenn wir alle Eisen im Feuer halten.
ZSOLT HERNÁDI wurde 1960 in Tarján geboren und wuchs in Esztergom auf. Nach dem Diplom an der Wirtschaftsuniversität „Karl Marx“ (heute: Corvinus-Universität) machte er 1986 zunächst ein Praktikum bei der Deutschen Bank in der Bundesrepublik Deutschland, bevor Hernádi für die Unicbank (heute Raiffeisen Bank Zrt.) und bereits in leitenden Anstellungen für die K&H Bank in Ungarn arbeitete. Im Jahre 1994 wechselte er als CEO zur Takarékbank. 1999 trat Hernádi in den Vorstand der MOL-Gruppe ein, die er seit Mitte 2001 als CEO führt. In den Jahren 2007 und 2008 wehrte das ungarische Management feindliche Übernahmeversuche der österreichischen OMV ab. Hernádi ist Ehrenbürger von Esztergom und der Corvinus-Universität, für die er zugleich als Kuratoriumsvorsitzender der Trägerstiftung tätig ist.
Haben Sie Modelle, wie sich die Marktanteile der europäischen Fahrzeugflotte nach 2035 aufteilen werden?
Bisher war noch jede Prognose falsch, nicht einmal kurzfristig trafen diese ein. Ich denke aber, dass auch nach 2035 noch immer mehr als die Hälfte der Autos in der Gemeinschaft mit Verbrennungsmotoren angetrieben wird. Mehr noch wird dieser Marktanteil näher an 70 denn an 50 Prozent liegen. Im Übrigen hatten wir den Wettstreit der Technologien auch am Anfang des Automobils, mit Elektrizität gegen Petroleum, Alkohol und das Pferd. Damals gewann Petroleum.
Sie geben dem Elektroantrieb nur 30 Prozent?
In zehn, fünfzehn Jahren denke ich schon, dass es nicht mehr sein werden. Ich lasse mich dabei von einem Vierteljahrhundert Erfahrungen in der Branche leiten und davon, dass ich nichts von Lösungen halte, die uns von oben aufgezwungen werden. Heute verbraucht die Menschheit, deren Konsum mit steigendem Lebensniveau zunimmt, drei Mal mehr Energie als vor fünfzig Jahren. Die fossilen Energieträger decken diesen Bedarf zu vier Fünfteln ab. Global wurde noch kein einziger herkömmlicher Energieträger abgelöst; mit den neuen Energien decken wir bestenfalls den Mehrbedarf. Heute verbrennen wir noch immer mehr Holz als zu Beginn der industriellen Revolution. Im Jahre 2022 wurden mehr fossile Energieträger als je zuvor gebraucht. Es wäre besser, uns ehrlich einzugestehen, dass deren Ersatz auch in Zukunft nur schrittweise erfolgen kann.
Ein bemerkenswertes Element ihrer überarbeiteten Strategie besagt, dass Sie bei den Investitionen auf dem Weg zur Klimaneutralität die Vorgaben der EU-Taxonomie verfehlen werden. Heißt das, Sie halten den grünen Wandel wie von der EU-Kommission geplant für unrealistisch?
So ist es. Wir wissen ja noch nicht einmal, was wir da wirklich erreichen sollen. Seit 2021 werden die Kriterien laufend neu bestimmt, was für Unsicherheit unter den Marktteilnehmern sorgt. Das sage ich keineswegs als Mineralölmanager. Ganz im Gegenteil bin ich wahrscheinlich mehr als der europäische Durchschnittsbürger von der Notwendigkeit des grünen Übergangs überzeugt. Aber es ist ganz und gar nicht gleichgültig, wie wir das anstellen. Ständig strengere Grenzwerte und politisch ausgehandelte Lösungen, die nur partiellen Interessen gerecht werden, bringen uns nicht weiter. Ich glaube weit mehr an die ökonomischen Anreize.
Als etwa der Ölpreis nach der Jahrtausendwende über 80 Dollar pro Fass hinausschoss und lange Zeit dort oben verharrte, strömte sagenhaft viel Geld in Fertigungstechnologien, die früher niemanden interessierten, nicht einmal mit staatlichen Zuschüssen. Denken wir nur an Schiefergas oder Solaranlagen. Das waren teure Technologien, der Luxus von wenigen. Die steigende Nachfrage nach Solarpaneelen halbierte deren Herstellungskosten binnen weniger Jahre. Kurz gesagt: Der Markt kann es richten.
Ist es nicht unverantwortlich, den Kampf gegen den Klimawandel profithungrigen Akteuren zu überlassen? Schließlich wollen die ja nur das große Geld machen…
Wie Sie es auch drehen, braucht es doch Geld für Investitionen in die neuen Technologien. Das aber kommt aus Gewinnen zustande. Wir brauchen uns doch nur die Vereinigten Staaten als Beispiel zu nehmen, wo die Wirtschaft mit Steuerrückerstattungen und Vergünstigungen stimuliert wird. Die EU aber bestraft, erhebt Steuern, droht mit Schließungen. Das ist freilich nur das eine Problem.
Das andere ist der ideologische Ursprung aller EU-Umweltziele. Das vergangene Jahrzehnt handelte in der EU von den erstarkenden Grünen. Die aber interessiert nicht, woher der Strom für das Elektroauto kommt, sondern nur, dass Verbrenner nicht die Luft der Städte belasten sollen. Darauf baut man politische Kampagnen auf, die enorm viel Geld kosten. Sobald sich aber der Wind buchstäblich dreht, ist dies zum Fenster herausgeworfenes Geld. Als Großunternehmen sehen wir, dass die Vorgaben in der Gemeinschaft viel zu hektisch umgeschrieben werden, als dass sich Investitionen mit Amortisationszeiten von zehn oder fünfzehn Jahren damit kalkulieren lassen. Wir als MOL-Gruppe müssen bedächtiger handeln, unsere Strategie ist nicht für den Kampf an der Front bestimmt.
„Als Großunternehmen sehen wir, dass die Vorgaben in der Gemeinschaft viel zu hektisch umgeschrieben werden, als dass sich Investitionen mit Amortisationszeiten von zehn oder fünfzehn Jahren damit kalkulieren lassen. “
Ich glaube an den smarten Übergang und weiß auch, dass wir unsere Kohlendioxidemissionen reduzieren müssen. Deshalb haben wir zum Beispiel einen Betrieb für grünen Wasserstoff auf dem Gelände unserer Raffinerie in Százhalombatta errichtet. Bis 2030 wollen wir etwa 40 Prozent unserer Investitionen in grüne Technologien lenken, im Gesamtwert von rund 4 Mrd. USD.
Sie versprechen in Ihrer Strategie eine flexiblere Raffinierung von Erdöl. Kann mir das nicht egal sein, wenn ich an der Zapfsäule tanke?
Wenn Sie einen Verbrennermotor haben, geben wir Ihnen damit die Sicherheit, auch in Zukunft sorgenfrei tanken zu können. Wer dies früher nicht auf dem Zettel hatte, dem sollten spätestens seit dem Ukraine-Krieg und der Einführung von Preisdeckelungen die Augen aufgegangen sein. Seit langem ist wieder die Versorgungssicherheit zu einer Priorität geworden. Wenn man uns sagt, wir sollen aufhören, russisches Erdöl zu verarbeiten, stellen sich gleich zwei Fragen. Zum einen der Preis der alternativen Bezugsquelle, wo neue Monopolstellungen zum Missbrauch verleiten…
Sie spielen hier auf die brutal hochgeschraubten kroatischen Transitgebühren an.
Das bereitet nicht nur Ungarn, sondern der gesamten Region Probleme. Denn unsere slowakische Raffinerie exportiert zwei Drittel ihrer Produktion nach Tschechien, Polen und Österreich.
Die alternativen Kosten sind das eine Problem. Was ist das andere?
Die technische Umstellung, denn unsere Raffinerien sind auf einen Mix ausgelegt, der das russische, relativ schwere Erdöl verarbeitet. In diesem Jahr kommen wir vielleicht zur Hälfte ohne russisches Öl aus, der vollständige Verzicht wird sich aber vor 2026 nicht bewerkstelligen lassen. Die Zeit drängt insbesondere in Hinblick auf die Slowakei, wo die Rentabilität der Raffinerie grundsätzlich in Frage gestellt wird. Natürlich können wir auch einfach die Kraftstoffe aus dem Ausland einführen. Das aber ist eine Souveränitätsfrage. Wer sich der Risiken nicht klar ist, sollte nur an die Zeit der Coronapandemie zurückdenken, als Versorgungsengpässe auftraten. Aber auch nachgelagerte Industrien wie Chemie oder Kunststoffindustrie wären betroffen, die von den Nebenprodukten der Raffinerien leben.
Mit anderen Worten verteuern sich all diese Produkte, das Land verliert enorme Wirtschaftskraft. Wenn wir also unsere Raffinerien flexibler aufstellen wollen, geht es darum, solche Kettenreaktionen zu vermeiden. Und das in einem EU-Umfeld, das den energieintensiven Branchen ohnehin viele Steine in den Weg legt. Die steigenden Energiepreise haben dem verarbeitenden Gewerbe in ganz Europa schon weit vor der Pandemie zu schaffen gemacht. Die europäische Industrie fällt im Wettbewerb immer weiter zurück, weil die Abkopplung von der russischen Energie und der forcierte grüne Wandel politisch gewollt sind.
Sie haben nicht nur einmal erklärt, kein Anhänger der EU-Sanktionspolitik zu sein. Nun leben wir seit zwei Jahren mit diesen Sanktionen, denen die MOL-Gruppe besonders intensiv ausgesetzt ist. Welche Auswirkungen würden Sie hervorheben?
Bevor mich hier jemand brandmarken will: Niemand kann für den Krieg sein. Ob aber Sanktionen der richtige Weg sind, um diesen zu bremsen, zweifle ich entschieden an. Die sind nur dafür gut, dass Politiker Fahnen schwenken können, sie hätten etwas getan. Und einige Leute werden steinreich dabei.

Die überhastete Loslösung von den russischen Energieträgern hat für strukturell höhere Energiepreise und eine höhere Volatilität am Markt gesorgt. Beim Erdgas liegt das neue Preiszentrum mit 25-30 Euro eindeutig über den früher gewohnten 15-20 Euro. Am LNG-Markt wurde Europa zum Konkurrenten des Fernen Ostens, von China, Japan und Korea, die mangels Alternativen auf das Flüssiggas angewiesen sind. Wir haben uns auf ein höheres Energiepreisniveau begeben und sind heute stärker Störungen in den globalen Versorgungsketten ausgeliefert. Ganz zu schweigen vom ökologischen Fußabdruck der verlängerten Transportwege und der LNG-Alternative zum soliden Leitungsgas aus der Nachbarschaft.
Europa leidet unter dem Mangel russischen Dieselkraftstoffes. Ich kann als Experte der Industrie einfach nicht erkennen, weshalb die Sanktionen gut sein sollen. Was haben wir denn damit gewonnen? Europas Industrie geht den Bach runter, während Russland lebt und Krieg führt. Herzlichen Glückwunsch zu den fabelhaften Sanktionen!
Ihr Unternehmen ist auch in der Förderung von Rohstoffen aktiv. Wie erreichen Sie, dass die einheimische Fördermenge nicht sinkt?
In Ungarn gibt es mehr als dreitausend Bohrlöcher, wir forschen laufend weiter nach neuen. Die jüngsten Funde in Vecsés sind ein gutes Beispiel, denn sie gleichen die natürlichen Förderverluste bei älteren Bohrungen aus. Für solche Erfolge müssen wir jedoch zig Milliarden Forint investieren. Öl zu fördern ist ein teures Vergnügen, aber es daheim zu tun macht in jedem Fall mehr Sinn, als es zu importieren. Nicht zuletzt ist dies eine Frage der Souveränität. Der Staat wäre deshalb besser beraten, seine tägliche Geldnot in den Hintergrund zu schieben und bei der Regulierung langfristig zu denken. Mit Bergbauabgabe und Sondersteuern wurden uns allein in den letzten zwei Jahren rund 2,4 Mrd. USD abgeknöpft. Damit wird die MOL-Gruppe weitaus stärker belastet als Fördergesellschaften in anderen Ländern.
Neben Öl gewinnen Sie bei dieser Tätigkeit auch Lithium. Wie muss man sich das vorstellen?
Bei Ölbohrungen wird auch jede Menge Wasser nach oben befördert, das eine hohe Konzentration an Lithium aufweisen kann. Wir forschen nun nach Technologien, um dieses Lithium möglichst kostengünstig und umweltfreundlich abzuscheiden. Auf keinen Fall sollen Sie sich hierbei Lithiumbergwerke vorstellen, die den Rohstoff unter enormem Wasserverbrauch und schwersten Eingriffen in die Landschaft abbauen.
In Verbindung mit unserem Engagement in der Kreislaufwirtschaft arbeiten wir im Übrigen daran, das Lithium früher oder später auch aus Altbatterien zurückzugewinnen.
In der Tat ist die MOL-Gruppe nun auch als Abfallkonzessionär tätig. Bis 2035 sollen zwei Drittel der anfallenden Abfälle recycelt werden. Wo stehen wir heute?
Ungarn geht mit seinen Abfällen extrem verschwenderisch um. Kaum ein Drittel wurde bislang wiederverwertet, etwa die Hälfte einfach irgendwo vergraben, ein minimaler Anteil thermisch genutzt. Das sind deprimierende Zahlen. Die EU schreibt vor, 65 Prozent der Siedlungsabfälle zu recyceln, höchstens 10 Prozent zu deponieren und den Rest energetisch zu verwenden. Dazu müssen wir ein grundlegend neues System aufbauen. Das wird viel Geld und Jahre kosten. Ich gebe Ihnen zwei anschauliche Beispiele.
Die Hersteller von Erfrischungsgetränken beziehen ihre Verpackungen recycelt aus dem Ausland, weil die hierzulande gesammelten und aufgearbeiteten Abfälle nicht die Qualität erreichen, um darin Lebensmittel abzufüllen. Das ist ein Unding! Oder nehmen wir die Logistik. Es gab zu viele Sammelstellen, die künstlich den Verwaltungsgrenzen folgten. Mal fanden sich zwei Recyclingbetriebe nur wenige Kilometer entfernt voneinander, mal gab es im Umkreis von hundert Kilometern keinen einzigen. Die Regierung hat hier gegen enormen Widerstand verschiedener Lobbys einen Durchbruch erzielt. Es braucht aber noch viel Geduld, bis wir erreichen, weniger Abfälle zu vergraben und mehr Abfälle als wertvolle Rohstoffe zu begreifen.
Was fangen Sie denn mit so vielen Abfällen an?
Wir wollen in den Segmenten Abfallbewirtschaftung und Kreislaufwirtschaft von Synergien profitieren. Ab 2030 soll die MOL Mohu Zrt. der Wirtschaft rund 1,5 Mio. Tonnen Rohstoffe zuführen, ob für eine mechanische oder chemische Verwertung, in Form von Energie oder zur Gewinnung von Biokraftstoffen. Unser Konzept verspricht dem Land einen Qualitätssprung.
Wenn Sie strategisch Ihr Geschäft in Großbritannien oder Angola aufgeben, darf man daraus ableiten, dass Ihr internationales Engagement seinem Ende entgegengeht?
Ganz und gar nicht, wir investieren ja gerade mehr denn je in Aserbaidschan, sind in Kurdistan im Nordirak sowie in Pakistan und Kasachstan präsent. Erfolgreich waren auch unsere Bohrungen in Westsibirien, die nun jedoch unter dem Sanktionsregime leiden. In Aserbaidschan erwarben wir eine maßgebliche Beteiligung an einem riesigen Projekt, das zu den größten und wohl auch besten Erdölvorkommen der Welt gehört. Da dürfen wir uns ein wenig so fühlen wie Dominik Szoboszlai in Liverpool, als ungarisches Unternehmen in der Premier League der Ölindustrie. Konsortialführer ist BP, und es ist ein gutes Gefühl, als Ungar mit an diesem Tisch zu sitzen.
Man darf nicht vergessen, dass wir kein typisches Förderunternehmen sind. Wir verstehen uns auf dieses Geschäft, aber unser Heimatmarkt ist Mitteleuropa. Ungarn kann sich weder nach seinem politischen noch seinem militärischen Gewicht mit den großen Ländern messen. Also müssen wir es clever anstellen, geschickter sein als die Starken und stärker sein als die Geschickten.
Hilft Ihnen bei Ihren internationalen Projekten die Politik der Ostöffnung, die von der Orbán-Regierung seit Jahren konsequent verfolgt wird?
Geschäftsabschlüsse sind viel leichter in Ländern, mit denen Ungarn gute politische Beziehungen unterhält. Auch die Wirtschaftsdiplomatie hilft uns enorm. Häufig betrachtet man uns im Ausland fälschlich noch als staatliches Unternehmen, was eine politische Einordnung zur Folge hat. Das kann uns manchmal gelegen kommen, in anderen Fällen ist es jedoch von Nachteil.
Welche Abschlüsse wären ohne diesen starken politischen Rückenwind nicht zustande gekommen?
Aserbaidschan, ganz eindeutig. Kasachstan ist ein interessantes Beispiel, weil wir dort in zwanzig Jahren kein Erdgas fördern konnten. Da fragte man sich in der Branche: Was macht ihr da die ganze Zeit? Natürlich war das Erdgas gegeben, aber weder das Geschäftsklima noch die Politik waren der Förderung zuträglich. Als endlich die politischen Hindernisse aus dem Weg geräumt waren, lief auch das Geschäft an.
In unserer Nachbarschaft kauften wir uns im großen Stil in der Slowakei und in Kroatien ein. Die politischen Beziehungen waren gut, aber wir mussten uns schon noch im Wettbewerb durchsetzen. So konnten wir 2003 die INA der OMV vor der Nase wegschnappen. Als sich unser Sieg herausstellte, wollten gewisse politische Kreise in Zagreb die ganze Ausschreibung noch einmal neu auflegen. In dem Moment kam uns das gute Verhältnis zwischen den Ministerpräsidenten Viktor Orbán und Ivica RaČan zur Hilfe. Der kroatische Premierminister stellte klar: Wenn die Ungarn den Zuschlag erhalten haben, dann gibt es daran nichts zu rütteln. Die Österreich-Lobby musste sich geschlagen geben. Heute ist das alles Geschichte.
Sie sind seit nunmehr 32 Jahren ein Topmanager der ungarischen Wirtschaft, an dem keiner vorbeikommt. Welchen guten Rat würden Sie der hiesigen Wirtschaftspolitik geben?
Weniger auf die Kraft der Regulierung zu bauen und mehr auf die Marktkräfte zu setzen. Das Pendel ist in die Richtung ausgeschlagen, dass nun alles reguliert werden soll. Ich habe den Überblick verloren, wie viele Steuern und Abgaben wir unter den verschiedensten Rechtstiteln zahlen müssen, und wie viele Ausnahmeregelungen neben den Verboten existieren.
Es ist schon so, dass uns der unbeirrte Glaube an die ungezügelt freie Marktwirtschaft, der Glaube an die Allmacht der globalen Lieferketten in der Corona-Krise auf die Füße fiel. Aber deshalb müssen wir nicht gleich ins andere Extrem verfallen! Die Regulierung muss den Rahmen bestimmen, ohne deshalb in jedes Detail einzugreifen.
„Ich habe den Überblick verloren, wie viele Steuern und Abgaben wir unter den verschiedensten Rechtstiteln zahlen müssen, und wie viele Ausnahmeregelungen neben den Verboten existieren.“
Und was würden Sie der EU raten, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen großen Wirtschaftsblöcken zurückzuerlangen?
Vor zwanzig Jahren hielt die Gemeinschaft noch höhere Anteile am Welthandel als China oder die USA, heute haben uns beide überholt. Dabei steht der Außenhandel für mehr als die Hälfte der Wirtschaftskraft in der EU. Die Amerikaner haben uns in punkto Marktsteuerung abgehängt, und sie geben anderthalb Mal mehr für Forschung und Entwicklung aus. Unsere Chemieindustrie wirtschaftet nur halb so kosteneffizient, aufgrund zahlreicher Faktoren vom sozialen Netz über die Emissionsquoten bis hin zum Gaspreis.
Der Europäische Runde Tisch für Industrie (ERT) hat den politischen Entscheidungsträgern einen Wettbewerbsbericht vorgelegt. Der ERT ist ein geschlossener Klub von knapp sechzig Großunternehmen, unsere Region wird allein durch die MOL vertreten. Die Studie trägt den Titel „Wenn Europa ein Unternehmen wäre“. Unter den konkreten Vorschlägen findet sich eine Vertiefung der wirtschaftlichen Integration in der Gemeinschaft, die hohen Energiepreise müssen gebrochen, neue Handelsvereinbarungen abgeschlossen, ein Ausgleich mit China erzielt, das Investitionsumfeld verbessert und die Regeln vereinfacht werden.
Natürlich bekamen wir gleich zu hören: Die Politik ist kein Unternehmen! Aber unsere Probleme haben den gleichen Ursprung. Wenn Europa im Wettbewerb nicht mehr mithalten kann, sollte man sich davon inspirieren lassen, was ein Unternehmen gegen den Niedergang tut. Fehlende Effizienz kann ich nicht bekämpfen, indem ich immer mehr Geld ausgebe. Ich muss dann schauen, wo ich Geld einsparen kann, und meine Strategie anpassen, um wieder konkurrenzfähig zu werden. Wir Unternehmen sind diesen Herausforderungen täglich ausgesetzt. Wir können uns nicht auf Steuergelder stützen, wir müssen unsere Produkte verkaufen. Wer teuer produziert, der scheitert. Es wäre nicht verkehrt, wenn die Leute an den Schalthebeln der EU-Institutionen diese Anschauung annehmen könnten. Denn ohne eine starke Industrie wird Europa keine Zukunft beschieden sein.

Es ist ein Wunschtraum, den alten Kontinent in einen Skansen zu verwandeln, der dann von den Touristen leben soll. Das ist der falsche Weg, der Anfang vom Ende. Wir dürfen Europa nicht dem Untergang preisgeben.
Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.
Das hier leicht gekürzt wiedergegebene Interview erschien ursprünglich Mitte April im konservativen Nachrichtenmagazin Mandiner.
Der CEO der MOL-Gruppe Herr Hernadi stellt eine besondere und ehrliche Unternehmer-Persönlichkeit dar.
Die Noch-Nicht-Tauglichkeit der EVs hat er ohne Beschönigungen natürlich erkannt. Neue Kraftstoffe für Verbrenner-Autos auf Basis von BIO-Kraftstoffen und e-Fuels (die CO²-neutral sein sollen) scheinen noch zu teuer zu sein. Die unseligen und kontraproduktiven Russland-Sanktionen erkennt H. Hernadi ebenfalls mehr als hemmend für die Entwicklung seiner MOL-Gruppe in Ungarn und anderen befreundeten EU-Staaten. Auch dieser Vollblut-Unternehmer setzt weniger auf Regulierung (wie die EU dazu bereits übergegangen ist) als auf eine klassische Markwirtschaft.
Danke für dieses gehaltvolle Interview.