Interview mit Frank Spengler, dem bisherigen Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung Budapest
„Es gibt genug Verbindendes“
An welche Ereignisse aus Ihrer Zeit als Leiter des Budapester Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung erinnern Sie sich besonders gerne zurück?
Nachdrücklich in Erinnerung bleiben werden mir sicherlich die Veranstaltungen im Rahmen des Paneuropäischen Picknicks in Sopron, denn diese haben nicht nur einen hohen Symbolwert für die deutsch-ungarische Freundschaft. Die Ereignisse von damals, die durch Zeitzeugenberichte und die Anwesenheit an den historischen Orten wieder lebendig werden, lösen emotionale Momente aus. Die Veranstaltungen gehen deshalb weit über den Bildungsaspekt hinaus. Der Mut so vieler Menschen, die damals unter der Inkaufnahme großer persönlicher Risiken plötzlich zu Helden wurden, beeindruckt mich immer wieder. Es ist für mich besonders bemerkenswert, dass die Initiative dazu von der Bürgergesellschaft ausging. Sehr erfreulich ist auch, dass es nun im Budapester Stadtwäldchen eine Konrad-Adenauer-Straße mit einer Büste des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland gibt.
Was bleibt bei der KAS Budapest von der „Ära Spengler“? Worauf sind Sie besonders stolz?
Ich hoffe doch sehr, dass einige Impulse zur Förderung der deutsch-ungarischen Beziehungen weitergeführt werden. Ich bin sehr froh und auch durchaus stolz darauf, dass wir das Stipendien-Programm der Stiftung in meiner Zeit auf weit über 40 Stipendiaten in Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen Andrássy-Universität Budapest und dem ungarischen Verfassungsgericht ausweiten konnten. Mein Nachfolger wird weiterhin mit unseren Stipendiaten im engen Kontakt bleiben und die KAS-Studienförderung in Deutschland und Ungarn sicherlich fortführen.
Was bleibt noch von Ihnen?
Ich gehe davon aus, dass das in den letzten Jahren ausgebaute Netzwerk der persönlichen Kontakte zur Stiftung weiterentwickelt wird. Die Konrad-Adenauer-Stiftung verfügt inzwischen über ein breites Netzwerk an nachhaltigen „Brücken“ in die weitverzweigte ungarische Gesellschaft, so beispielsweise zu den Ungarndeutschen, aber auch zur jüdischen Gemeinde. Außerdem sind wir auch grenzüberschreitend tätig. So bietet die Stiftung mit ihren Plattformen vielen Ungarn die Möglichkeit, mit Ansprechpartnern und Organisationen in den Nachbarländern in Kontakt treten zu können. Es ist ein großer Vorteil, dass es in allen Nachbarländern Ungarns gut aufgestellte KAS-Büros gibt.
Welche besonderen Erinnerungen an Budapest nehmen Sie mit nach Hause?
Wir hatten das Privileg, am Eingang zur Budapester Burg zu wohnen. Diese Lage haben wir immer wieder für Abendspaziergänge auf der Burg genutzt. Jeder Streifzug war anders. Der grandiose Blick auf die Stadt… Das Farbenspiel der Lichter… Das war immer wieder faszinierend für uns.
Wie werden Sie Ungarn weiterhin verbunden bleiben?
In einem deutschen Liedtext heißt es: „Niemals geht man so ganz“. Das trifft auch für mich zu. Ich werde regelmäßig nach Ungarn kommen. Nicht nur, um die vielen Kontakte und Freundschaften zu pflegen oder die Annehmlichkeiten des Landes zu genießen, sondern auch immer dann, wenn es möglich und sinnvoll erscheint, einen – wenn auch sehr bescheidenen – Beitrag zur Weiterentwicklung der deutsch-ungarischen Beziehungen zu leisten. So bin ich Mitglied im Beirat von DialogUngarn und Ehrenmitglied im Deutschen Wirtschaftsclub. Über einige weitere konkrete Optionen, die deutsch-ungarischen Beziehungen zu unterstützen, denke ich zurzeit noch nach.

Wie hat sich in Ihrer Budapester KAS-Zeit das Verhältnis Fidesz-CDU entwickelt?
Es gab Entwicklungen in den letzten Jahren, bei denen sich die Interessen und vor allem die politische Bewertung beider Parteien durchaus auseinanderdividiert haben. Besonders deutlich traten die Spannungen auf dem Höhepunkt der Migrations- und Flüchtlingskrise im Jahre 2015 zu Tage.
Es scheint, als würden weniger Ereignisse, sondern eher die Verschiebung der CDU in Richtung Links-Grün beide Parteien zunehmend ideologisch voneinander entfremden.
Die CDU als Volkspartei repräsentiert ein breites Spektrum von Meinungen und Interessen der Mitglieder, wobei die Gewichtungen der politischen Schwerpunkte sich immer auch ein gutes Stück an dem gesellschaftlichen Wandel orientieren. Eine konservative Partei darf eben nicht nur das Bewährte bewahren, sondern sollte auch immer offen für neue Entwicklungen sein. Die Parteiführung reflektiert den Mehrheitswillen in der Partei, manchmal muss sie aber auch neue Wege vorzeichnen.
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Parteien begannen mit der Übernahme der Regierungsverantwortung des Fidesz ab 2010. Dabei ging es aber weniger um politische Grundsatzfragen, sondern vor allem um die Umsetzung und Konsequenzen des umfangreichen und sehr rasch verwirklichten ungarischen Regierungsprogramms, beispielsweise hinsichtlich des neuen Mediengesetzes oder der Einführung von Sondersteuern. Zum Teil sorgten Informationsdefizite für Verstimmungen, auch war die Kommunikation insgesamt suboptimal. Es gab sicherlich auch noch andere Gründe, aber oft sorgten anfangs nicht ausreichend kommunizierte Entscheidungen der ungarischen Regierung immer wieder für Frustration auf deutscher Seite.
Wir haben es also eher mit einem Kommunikationsproblem zu tun?
Nicht nur, aber zu einem beachtlichen Teil. Verstehen und Verständnis bauen ja aufeinander auf. Viel hängt auch von der richtigen Wortwahl oder korrekten Übersetzungen ab. Wir haben versucht, diese Defizite abzubauen, und uns bemüht, ausführlicher, umfangreicher und so objektiv wie möglich zu berichten. Es war uns wichtig, im Unterschied zu einigen Journalisten, nicht die eigene Meinung, sondern die Fakten darzulegen. Wir haben in unseren Berichten versucht, ausgeglichen sowohl die Sicht der Regierung als auch die der anderen Seite aufzuzeigen. Die Adressaten sollten so bestmöglich in die Lage versetzt werden, sich eine eigene Meinung bilden zu können. Außerdem haben wir Verbindungen zwischen den Entscheidungsträgern aufgebaut, damit sie sich in direktem Dialog austauschen konnten. Wir pflegen dafür ein breites und belastbares Netzwerk persönlicher Kontakte. In den Gesprächen wurde nicht nur der Informationsaustausch gefördert, sondern auch sehr viel gegenseitiges Vertrauen aufgebaut.
Was hat all das gebracht? Sind CDU-Politiker danach gegen undifferenziertes Orbán-Bashing aufgetreten?
Gespräche in einer guten Atmosphäre können durchaus auch kritisch sein. Es gab nicht nur Übereinstimmung. Die Gespräche verliefen aber weitgehend konstruktiv und fair. Das Verhältnis und das Handeln beider Parteien können aus meiner Sicht als überwiegend pragmatisch bezeichnet werden. Es gibt aber auch viele CDU-Politiker, die sich in schwierigen Zeiten um ein gutes Verhältnis zu den Regierungsparteien Fidesz und KDNP bemüht haben.
Gibt es zwischen dem Fidesz und der CDU noch eine ideologische Schnittmenge?
Ich meine, dass es genug Verbindendes gibt. Weder der Fidesz noch die CDU sind homogene Parteien. Es sind Volksparteien. Sie bieten genug Raum für unterschiedliche Meinungen. Entscheidend ist aber letztlich, ob es immer ausreichende Schnittmengen gibt. Das muss von Zeit zu Zeit in einem offenen Dialog geprüft werden. Das gilt auch für das Verhältnis beider Parteien.
Gibt es diese Schnittmenge noch?
Durchaus, beispielsweise beim Bekenntnis zu den christlichen Werten. Konkret bei Fragen der Solidarität und der Subsidiarität oder auch der Menschenwürde. Das sind alles Grundwerte, die von beiden nicht in Frage gestellt werden. Unterschiede gibt es vor allem hinsichtlich der Auslegung und Umsetzung der politischen Ziele sowie der Akzeptanz bei den jeweiligen Wählern. In Deutschland ist diese oft eine andere als in Ungarn. Das ist nun mal die Situation auf unserem Kontinent, schließlich wollen wir ein „Europa der Vielfalt“.

Wie wird das weitergehen? Es wird sicher nicht einfacher werden. Die CDU arbeitet weiterhin stark daran, in Richtung Rot-Grün noch bündnisfähiger zu werden, während der Fidesz an seinem wertkonservativen Profil festhält… Das ist Stoff für weitere Konflikte.
Ich bin eher optimistisch. Ich glaube, dass die Bedrohungen, mit denen wir heute in Europa konfrontiert sind, einerseits eine riesige Herausforderung darstellen, andererseits aber auch die Einsicht in die Notwendigkeit eröffnen, enger miteinander zu kooperieren. So zwingt der stärker werdende globale Wettbewerb die Europäer zu einer engeren wirtschaftlichen Kooperation. Dies trifft vor allem auf Ungarn und Deutschland zu, die wirtschaftlich sehr eng miteinander verwoben sind. Dazu kommen weitere Bereiche wie Digitalisierung und Innovation, wo beide Länder gute Ansätze für Kooperationen mitbringen. Ebenso bei der Verteidigung oder der Fluchtursachenbekämpfung. Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Anstrengungen sollte dann auch ein konstruktiver Dialog über schwierigere Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit möglich sein. Entscheidend ist letztlich, dass die Summe der Gemeinsamkeiten größer ist als die Summe der Dinge, die uns trennen.
Deutschland und Ungarn sollten sich also auf funktionierende Kooperationsfelder konzentrieren und ideologische Fragen einfach ausklammern?
Nicht die Unterschiedlichkeit der Meinung ist so entscheidend, sondern wie damit umgegangen wird. Die Stichworte sind Akzeptanz und Respekt vor der Meinung des anderen. Es gibt aber auch Fragen, bei deren Beantwortung es erhebliche Abweichungen voneinander gibt. Diese Unterschiede sollten das Zusammenleben beider Länder aber nicht generell belasten. Wir brauchen eine Atmosphäre, in der wir unterschiedliche Ansichten ehrlich und fair besprechen können. Wo Kompromisse möglich sind, sollten sie angestrebt werden. Die Themen, für die beide Seiten keine Einigung finden können, sollten Inhalt eines ständigen kritischen Dialogs auf Augenhöhe bleiben.
An dem von Ihnen geforderten Respekt vor der Meinung des anderen scheint es auf deutscher Seite zuweilen zu hapern. Während Ungarn beispielsweise die deutsche Entscheidung für den Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft akzeptiert, will Deutschland Ungarn den deutschen Weg aufzwingen und droht mit „Aushungern“ und „Schmerzen“, wenn sich Ungarn dem widersetzt…
Es ist sicherlich nicht verhältnismäßig und auch völlig unangemessen, einzelne Aussagen mit der Meinung einer ganzen Nation gleichzusetzen. Ungarn und Deutsche wollen gemeinsam ein starkes, ein demokratisches Europa. Einen Kontinent des Wohlstandes und der Sicherheit. Ein Europa der Vielfalt getragen von Achtung und Respekt. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir angesichts der weltweiten geopolitischen Herausforderungen heute mehr denn je ein vereintes Europa brauchen. Konrad Adenauer hat uns genau dies in unser politisches Stammbuch geschrieben: „Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde die Hoffnung für viele. Sie ist heute die Notwendigkeit für alle.“