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Justizministerin Judit Varga: „Wir lassen nicht so mit uns umspringen!“ Fotos: Mandiner/ Árpád Földházi

Interview mit Justizministerin Judit Varga

„Wir müssen Europa wieder zur Demokratie der Demokratien machen“

Warum die angebliche Russenfreundlichkeit der Orbán-Regierung eine Lüge ist, ob die USA Freund oder Feind sind und wann die EU-Gelder endlich fließen – über dies und anderes klärt die Justizministerin im Interview auf.

Hat EU-Kommissarin Vera Jourová schon auf Ihr Schreiben reagiert?

Leider noch nicht. Wenn ich das nächste Mal in Brüssel bin, klopfe ich bei ihr an.

Die Europaabgeordneten des Fidesz haben sich ebenfalls an die EU-Kommission gewandt, weil sie Verflechtungen der Kommission mit der sog. „Dollar-Linken“ befürchten. Was erwarten Sie sich davon?

Jourová hat ein Konzept namens „European Democracy Action Plan“ ausgetüftelt. In der Sache wandte ich mich an die Kommissarin.

Die Bezeichnung klingt bekannt…

So ist es, die Ähnlichkeit mit jener „Action for Democracy“ aus den USA, die der ungarischen Opposition illegale Gelder im Wahlkampf zufließen ließ, sticht ins Auge. Offiziell will die Initiative aus Brüssel übrigens erreichen, dass in den europäischen Gesellschaften die Zivilsphäre, genauer gesagt die Einflussnahme von NGOs auf das öffentliche Leben gestärkt werden soll. Dabei widerspricht das allem, was wir bislang über die Demokratie wussten und dachten.

Wer Menschen repräsentieren will, muss bei Wahlen antreten, die Parteien müssen strengen und transparenten Finanzierungsregeln gerecht werden, über die sie Rechenschaft abzulegen haben. Eine Parlamentshürde verdeutlicht den Ernst dieses Unterfangens, und Einmischungen aus dem Ausland sind allgemein unerwünscht. In einem Rechtsstaat braucht es Garantien, dass externe Akteure den Wählerwillen nicht beeinflussen. Wer Einfluss nehmen will, der muss bei den Wahlen antreten und deren Spielregeln einhalten. Die von den linksliberalen Medien in den Vordergrund gerückten internationalen NGOs unterwerfen sich keiner Kontrolle und nehmen doch Einfluss auf die Wähler. Dabei legen sie kaum etwas über sich offen.

Aber was hat das alles mit Frau Jourová zu tun?

Die Vizepräsidentin der EU-Kommission beruft sich hinterhältig auf Bürgerrechte und Demokratie, während sie für die Finanzierung von internationalen Organisationen sorgt, die politischen Zielen dienen und keinerlei demokratische Vollmachten mitbringen. So wurde die Finanzierung des Themas „Europäische Rechte und Werte“ verdoppelt, wo NGOs an Staaten vorbei mit Geldern ausstaffiert werden. Um diese gut anderthalb Milliarden Euro können sich jene bewerben, die über beste Kontakte zur EU-Zentrale verfügen und ihr Netzwerk über möglichst viele Mitgliedstaaten ausdehnen. Ich war ja selbst jahrelang in Brüssel tätig, und weiß jetzt, wie es dort abläuft: Es werden ausdrücklich internationale Netzwerke begünstigt.

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„Wer Menschen repräsentieren will, muss bei Wahlen antreten, die Parteien müssen strengen und transparenten Finanzierungsregeln gerecht werden, über die sie Rechenschaft abzulegen haben.”

Was die Parteienfinanzierung betrifft, stellten sämtliche Mitgliedstaaten bei der Behandlung der einschlägigen EU-Richtlinie klar, wo ihre roten Linien sind. Dazu gehört ein Verbot von Spenden durch ausländische natürliche oder juristische Personen. Von Vera Jourová als europäische Hüterin von Demokratie und Transparenz wollten wir deshalb wissen, was sie davon hält, dass sich Ungarns Linke ihren Wahlkampf aus dem Ausland finanzieren ließ. Auch wenn die Ermittlungen noch laufen, ist der Sachverhalt doch im Kern schon gut ersichtlich. Deshalb würde uns interessieren, wie die Kommission auf diese, die europäische Souveränität beeinträchtigende Erscheinung reagiert.

Ich hab da eine Ahnung…

Ich auch. Es schadet aber nichts, das leitende Gremium der Gemeinschaft von Zeit zu Zeit gewissermaßen herauszufordern, zu Fragen unserer gemeinsamen Interessen und Werte Stellung zu beziehen. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.

JUDIT VARGA wurde 1980 in Miskolc geboren, sie ist Mutter von drei Kindern. Sie absolvierte die Staats- und Rechtsfakultät der Universität Miskolc mit summa cum laude. Ihre Karriere als Juristin startete Varga in einer internationalen Anwaltskanzlei, bevor sie drei Jahre lang als Gerichtsschreiberin tätig war. Ab 2009 arbeitete Varga als Politikberaterin im Europaparlament. Im Mai 2018 wurde sie zur Staats­sekretärin für EU-Angelegenheiten im Ministerpräsidentenamt bestellt, seit Juli 2019 ist sie Justizministerin.

Nach den Geschehnissen vom Wahlkampf 2022 arbeitet der Fidesz an einer Novelle, Spenden aus dem Ausland neben Parteien auch für politische Bewegungen zu untersagen. Demnach war die Spende an die Bewegung des Spitzenkandidaten des Oppositionsbündnisses im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen bestenfalls moralisch in Frage zu stellen, aber durchaus gesetzlich?

Was legal ist und was illegal, müssen die zuständigen Behörden entscheiden. Der Gesetzgeber muss in jedem Fall etwas mit diesem Sachverhalt anfangen. Es kann nicht sein, dass jemand, nur weil er viel Geld hat, Einfluss auf die Wahlen nimmt, indem die strengen Regeln der Parteienfinanzierung ausgespielt werden! Wer sich auf das Politikfeld begibt, wird politische Antworten erhalten. Das sind die Spielregeln.

Es gibt freilich auch Stimmen, wonach NGOs deshalb besser über die Rechtsstaatlichkeit wachen können, eben weil sie nicht dem Wählerwillen gerecht werden, nicht um Stimmen „betteln“ müssen. Was halten Sie von dieser These?

Ich denke, es ist genau umgekehrt. Immer häufiger verstecken sich Geldgeber hinter dem scheinbar neutralen Antlitz einer NGO, um über sie ihren knallharten politischen Willen durchzusetzen. Wir müssen verstehen, dass es hier nicht um die gesellschaftliche Kon­trolle im guten Glauben oder aber um Tätigkeiten geht, mit denen die staatliche Präsenz ergänzt wird, wie beispielsweise beim Tierschutz. Schritt für Schritt wird sogar die Arbeit der EU-Kommission an internationale NGO-Netzwerke ausgelagert. An die Stelle einer indirekt oder auf direktem Wege gewählten politischen Führung treten die Agenten von Organisationen, die im Wesentlichen für nichts Verantwortung tragen müssen. Deshalb fordern wir pausenlos, Europa muss wieder die Demokratie der Demokratien werden. Als die EU-Kommission mit uns im Rahmen des Rechtsstaatsverfahrens das Gesetzespaket zum Justizwesen verhandelte, stützte sich Brüssel – um die Arbeitsweise der ungarischen Gerichtsverwaltung beurteilen zu können – nicht etwa auf die dreitausend ungarischen Richter und deren Vereinigungen, sondern auf Amnesty International, Transparency International und das Ungarische Helsinki-Komitee.

Von den sogenannten Super-Meilensteinen für die Freigabe der EU-Gelder betreffen gleich vier das Justizwesen. In diesem Zusammenhang verhandelte Ihr Ministerium auch mit den genannten NGOs. Von Seiten des Helsinki-Komitees wurde das mit den Worten kommentiert, man fühlte sich endlich im Rechtsstaat angekommen.

Frau Jourová meinte wiederum, sie werde erst Ruhe geben, wenn sie das Paket auf einer Budapester Konferenz gemeinsam mit den Vertretern dieser NGOs zerlegen oder halt billigen kann. Es zeugt von einem extrem merkwürdigen Rechtsverständnis, wenn eine mit dem Willen der Bürger regierende Partei bei der Gestaltung von Gesetzen nicht die Meinung der von der Exekutive im Übrigen unabhängigen Richter berücksichtigen soll, sondern sich dem angeblichen Fachverstand von aus dem Ausland bezahlten NGOs zu unterwerfen hat. Das ist Nonsens!

Wie dem auch sei, den NGOs gefällt der in Brüssel eingereichte Entwurf nicht, sie halten die Ausweitung der Befugnisse des Landesrichterrates weiterhin für unzureichend. Was folgt nun?

Wir befinden uns in einem Prozess. Das Justizpaket als sogenannte horizontale Bedingung bildet ein zentrales Element für den Zugriff auf die Gelder des Wiederaufbaufonds. Wir haben den Entwurf gemeinsam mit der EU-Kommission formuliert, Konsultationen im breiten Kreis durchgeführt und zahlreiche Vorschläge eingebaut. Belgiens Ex-Außenminister Didier Reynders ist in Brüssel politisch verantwortlich für dieses Terrain; er signalisierte Bereitschaft zum Kompromiss. Wir haben eine technische Übereinkunft erzielt und warten nun nur noch auf die Entscheidung des Kollegiums der Kommissare.

Habe ich das richtig verstanden: Wenn diese Unterschrift gegeben ist und das ungarische Parlament die gewünschten Modifizierungen zu Justiz-Rechtsnormen verabschiedet, dann fließt wieder Geld?

Im Prinzip ja, ein vergleichbares Verfahren gab es aber in der EU noch nie. Jedenfalls liegt es nicht an uns, denn wir konnten eine Kompromisslösung finden. Unsere einzige Bedingung lautete, den Rahmen des Grundgesetzes nicht zu erschüttern.

Warum das? Es gab seit der Annahme des neuen Grundgesetzes doch schon mehr als zehn Korrekturen am Text.

Wenn die Wähler eine Vollmacht erteilen, steht es außer Frage, dass man auch am Grundgesetz Korrekturen vornimmt. Die Lage stellt sich jedoch vollkommen anders dar, wenn Brüssel uns Korrekturen gestützt auf die Meinung international finanzierter NGOs vorschreiben will. Noch ist die Europäische Union eine Gemeinschaft souveräner Nationen und nicht ein Imperium, das aus einem über den Nationen stehenden Zentrum gelenkt wird.

Dieser ganze Verhandlungsprozess, der sich unendlich in die Länge zieht, ist nur schwer zu durchschauen. Man hört von immer neuen Bedingungen, und irgendwie scheint alles miteinander zusammenzuhängen.

Herzlich willkommen in der Brüsseler Wirklichkeit! Dieses teuflische System wurde so ausgetüftelt, dass man unter jedem x-beliebigen Vorwand die Zuwendungen stoppen kann. Um das Bild zurechtzurücken: Ich war kürzlich in Rom, und durfte dort vernehmen, dass mehrere Länder klagen, sie gelangten nicht wirklich an die Gelder des Wiederaufbaufonds. Die Auszahlungen erfolgen schleppend und mit niedrigem Wirkungsgrad, die meisten Mitgliedstaaten erhielten noch bei weitem nicht die zugesagten Gelder, während längst die nächste Krise an die Tür klopft. Die extrem lange Reaktionszeit ist ein Scheitern der Brüsseler Bürokratie.

Hat denn die Orbán-Regierung ihrerseits alles getan? Da wurde die Pflichtmitgliedschaft in der Ärztekammer im Vorbeigehen vom Parlament liquidiert, obgleich man Brüssel doch erst vor wenigen Monaten versprach, es werde keine Schnellschüsse in der Gesetzgebung mehr geben.

Etwas übertrieben gesagt werden die EU-Transfers schon ausgesetzt, wenn ich auf dem Platz vor dem Parlament einmal husten muss. In Brüssel ist die Hungarophobie mittlerweile Usus. In den internationalen Medien wurde eine unglaubliche Diskreditierungskampagne gestartet; was Jupiter erlaubt ist, daran dürfen wir nicht einmal denken. So bezeichnete einst Judith Sargentini die Aufstellung von Verwaltungsgerichten in Ungarn als einen gegen die Rechtsstaatlichkeit gerichteten Akt. In der Slowakei wurden solche Gerichte erst kürzlich eingeführt, unter anderem um an Gelder in Kohäsionstöpfen zu gelangen. Hier geht es nicht um juristische oder fachliche Fragen, hier findet eine politische Hexenjagd statt.

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„Hier geht es nicht um juristische oder fachliche Fragen, hier findet eine politische Hexenjagd statt.”

Entscheidend ist letztlich, wann wir denn nun die Gelder erhalten. Tibor Navracsics meinte zuletzt, ab Sommer könnten die Gelder wieder fließen. Teilen Sie diesen Optimismus?

Wie gesagt, gibt es – was mein Ressort betrifft – keine offenen Fragen mehr, wir warten auf die politische Zustimmung durch die Kommission. Ich bin ebenfalls optimistisch und halte den Sommer für realistisch. Wir arbeiten unverändert daran, dass die Ungarn die ihnen zustehenden EU-Gelder erhalten, und wir weisen die Doppelstandards zurück. Obendrein haben wir in ganz Europa einzigartige Institutionen eingerichtet. Wo sonst finden Sie beispielsweise eine Integritätsbehörde?

Ferenc Gyurcsány erklärte, es stecke harte Arbeit darin, dass man die Kommission im Rechtsstaatsverfahren so weit bringen konnte. Prahlt er da nur, oder hat die Linke tatsächlich dermaßen viel Einfluss in Brüssel?

Den können Sie mit Händen greifen. Ein riesiges Geflecht aus Politikern und Experten arbeitet in Brüssel daran, dass es den Ungarn so schlecht wie möglich gehen möge. Seit Jahren erlebe ich, dass in Dokumenten der Kommission die gleichen Formulierungen auftauchen, wie sie von unserer Opposition daheim benutzt werden. Es werden konkret Texte abgestimmt, den Stift in Brüssel führt häufig eine ungarische Hand. Ich übertreibe hier keinesfalls.

Ohne ungarisches Zutun würde dieses Programm gar nicht zur Aufführung gelangen. Auch Anna Donáth von der Momentum verriet einst freimütig, sie stimme sich systematisch mit Vera Jourová ab. Brüssel braucht schon Ortskenntnisse, um sich in den einzelnen Ländern überhaupt zurechtzufinden. Ich könnte jedenfalls nicht beurteilen, aus welchem Blickwinkel die Tätigkeit des Justizrates in Spanien noch akzeptabel ist, und aus welchem nicht mehr.

Aber in Schweden wollen Sie genau das tun? Denen schaut nun der Fidesz auf die Finger, bevor das Parlament die NATO-Mitgliedschaft ratifizieren will. Wie lässt sich dieses Verhalten im Schatten des Ukraine-Krieges moralisch rechtfertigen?

Es war höchste Zeit für eine solche Untersuchung. Wir müssen uns nicht moralisch rechtfertigen und dem Druck der internationalen Medien nachgeben, das Parlament muss zuallererst die ungarischen Interessen zur Geltung bringen. Schwedische und finnische Politiker machen unser Land seit Jahren mit aus dem Hut gezauberten Lügen schlecht. Es kann doch nicht schaden, wenn wir wenigstens einmal selbst einige Fragen aufwerfen, wenn diese Politiker nun von uns etwas wollen. Wir sind es leid, dass die als „die Guten“ deklarierten Demokratien den nicht gefälligen souveränen Ländern laufend vom hohen Ross aus diktieren wollen! Mit welchem Recht tun sie das? Wir lassen nicht so mit uns umspringen! Ungarns Regierung besitzt ausreichende Vollmachten und Stabilität, um ihre abweichende Meinung kundzutun.

Nehmen wir die Richter, die im Magazin „Politico“ nahezu täglich lesen müssen, sie seien nicht unabhängig. Was denken sich diese Leute eigentlich, wer sie sind? Wie können Politiker eines Landes, wo die Regierung den Generalstaatsanwalt ernennt, eine mangelnde Unabhängigkeit der ungarischen Justiz beklagen?

Heute bestimmt vor allem der Ukraine-Krieg die Schlagzeilen. Wäre es nicht gescheiter, die Putin-Aggression schärfer und eindeutig zu verurteilen, um damit die Ablehnung des ungarischen Standpunktes im Westen zu mindern?

Wo wollen Sie die Grenze für verbale Auftritte gegen die Russen ziehen? Bei 25 Erklärungen pro Tag? Das ist doch der falsche Ansatz! Die Orbán-Regierung hat eindeutig formuliert, als Mitglied in den Bündnissen von NATO und EU die russische Aggression in der Ukraine zu verurteilen. Zur gleichen Zeit gewähren wir der Ukraine jede erdenkliche Hilfe. Keine einzige unserer Handlungen ist russenfreundlich, das ist nur eine weitere verlogene Erzählung jener internationalen Kreise, die den Sturz der ungarischen Regierung herbeiführen wollen. Geradezu surrealistisch erscheint mir der Versuch, unseren Standpunkt im Friedenslager mit einer Putin-Freundschaft zu verknüpfen. Wie dient denn jener, der den Krieg speist, indem er Waffen und Kriegsgerät an die Front liefert, der Sache des Friedens?

„Das unsinnige Blutvergießen, dem auch immer mehr Ungarn aus Transkarpatien zum Opfer fallen, kann nur dann ein Ende finden, wenn der Ruf nach Frieden lauter wird.”

Die sogenannten progressiven Kräfte wollen auch den Krieg wieder nur dazu verwenden, um jene Position der ungarischen Regierung zu untergraben, die sich doch aus der Vernunft der Bürger dieses Landes speist. Für mich ist dieses Verhalten moralisch bedenklich. Als uns die Leiterin von USAID, Samantha Power, besuchte, verdeutlichte ich auch ihr gegenüber: Diese bürgerliche Regierung hat die Parlamentswahlen 2022 unter anderem mit der Botschaft des Friedens gewonnen, mit dem Willen, das Land bestmöglich aus dem Krieg herauszuhalten. Diesem Votum fühlen wir uns demokratisch verpflichtet. Da sind wir weit von der Auffassung in der bundesdeutschen Ampelregierung entfernt, die eine vom Mainstream vorgegebene Linie notfalls auch gegen die eigenen Wähler durchdrücken will.

Das mag ja alles gut und richtig sein, aber wenn die Ukraine ohne Waffen bleibt, wird Russland rasch gewinnen. Damit dienen Sie doch einzig den Interessen Putins?

Wie wäre es, wenn die USA und die größeren EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig beide Konfliktparteien zu Waffenstillstand und Friedensverhandlungen aufrufen würden? Es ist doch bezeichnend, dass die westliche Welt auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron immer genau dann angreift, wenn er sich für die Wahrnehmung europäischer Interessen beziehungsweise gegen den Krieg ausspricht. Wie dem auch sei, mit Macron hat das Friedenslager ein Schwergewicht erhalten. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich diesem Friedenslager immer mehr Länder anschließen werden. Wir müssen dabei erkennen, dass Südamerika, China oder Indien den Ukraine-Konflikt ganz anders beurteilen, als es die USA tun. Das unsinnige Blutvergießen, dem auch immer mehr Ungarn aus Transkarpatien zum Opfer fallen, kann nur dann ein Ende finden, wenn der Ruf nach Frieden lauter wird.

Was die USA anbelangt, ist Botschafter David Pressman neuerdings sehr aktiv. Sind die USA nun unser Freund oder Feind?

Ich habe den Botschafter persönlich kennengelernt. Um ihm die ungarische Wirklichkeit abseits seiner internen Informationsquellen nahezubringen, lud ich ihn an die Universität Miskolc ein. Dort konnte er Gedanken mit der Hochschulleitung austauschen, die sich für den Modellwechsel ausspricht. Zwar musste ich auf Druck aus Brüssel das Kuratorium der Trägerstiftung verlassen – so dass in dem Gremium heute nur noch ein einziger Politiker sitzt, der zum Oppositionslager gehörende Oberbürgermeister der Stadt –, aber ich machte ihm klar, diese mir auch persönlich sehr viel bedeutende Einrichtung nicht alleine zu lassen. Ich erklärte dem Botschafter, dass wir mit dem Modellwechsel die Eigenständigkeit und den Spielraum der Universitäten steigern, um modernere Hochschulen zu erhalten.

Auch wenn Pressman im Augenblick leicht hyperaktiv politisiert, ändert das nichts an der Tatsache, dass die USA ein außerordentliches Land sind, das wir nicht nur nebenbei als unseren strategischen Verbündeten betrachten. Es liegt im elementaren Interesse Ungarns, Freunde zu gewinnen, und sich keine Feinde zu machen. Unabhängig davon, dass wir uns offen zu den Republikanern bekennen, sind zwei Länder doch nicht allein über ihre politischen Beziehungen verflochten. Für uns ist die Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem wie militärischem Gebiet ebenso wichtig. Das heißt aber nicht, dass wir als kleines Land nach der Pfeife der Großen tanzen müssen.

So wie der Fidesz den Republikanern die Daumen drückt, scheint sich Pressman auf die Seite der Jobbik oder ihres Vorsitzenden Márton Gyöngyösi zu schlagen. Zumindest lud er den Mann trotz seines Skandals um die angestrebte Listung von Juden ausgerechnet zum jüdischen Sederabend in die Botschaft ein.

Unglaublich, wie großzügig sich die US-Botschaft im Vergeben gibt! Als ausgesprochen traurig empfinde ich es, dass ähnlich wie Pressman noch weitere Botschafter auf einen Sturz unserer Regierung hoffen. Ich habe diesen Leuten verdeutlicht, es sei nach meiner bescheidenen Auffassung Aufgabe von Diplomaten, die Beziehungen zwischen dem entsendenden und dem Gastgeberland zu vertiefen, nicht etwa, eigenwillige politische Ziele zu verfolgen. Aber was auch immer die USA, Brüssel oder wer sonst noch uns aufnötigen wollen, für uns stehen jederzeit die Interessen der Ungarn an erster Stelle.

Ungarn wird auch dafür scharf attackiert, weil sein Parlament die Istanbul-Konvention nicht ratifiziert. Auf der anderen Seite entsteht gerade ein landesweites Netz der Opferhilfe.

Dieses Thema ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich habe mich auf die Bühne gestellt, die traditionell von den Linken für sich beansprucht wird, um mich als konservative Mutter zur ideologiebefreiten Hilfe für Menschen in Not zu bekennen. Schließlich sprechen wir hier von grundlegenden menschlichen Bedürfnissen. Wir haben begonnen, das vorhandene System der Opferhilfe zu stärken, unter Einbeziehung von sechzig Zivilorganisationen, Fachleuten und Behörden. Heute erreichen wir bereits 24.000 Menschen und die Mehrheit der Komitatshauptstädte, im kommenden Jahr wird das landesweite Netz vollständig ausgebaut sein.

Justizministerin
„Was auch immer die USA, Brüssel oder wer sonst noch uns aufnötigen wollen, für uns stehen jederzeit die Interessen der Ungarn an erster Stelle.”

Ein großer Stab arbeitet, um Opfern von Gewalt in der Partnerschaft zur Seite zu stehen. Wir bieten persönlich zugeschnittene Unterstützung und Dienstleistungen. Hier zeigt der Staat tatsächlich sein empathisches Gesicht. Sämtliche gesetzlichen Vorgaben der Istanbul-Konvention sind längst in das ungarische Recht eingeflossen – mit Ausnahme von Genderideologie und der Öffnung für Einwanderung. In diesen Belangen werden wir aber ganz gewiss nicht nachgeben. Das sind politische rote Linien, die eine Ratifizierung unmöglich machen.

Unterdessen haben sich mehr als ein Dutzend Mitgliedstaaten und das Europaparlament dem Verfahren gegen Ungarn vor dem EuGH angeschlossen, das wegen des von ihnen als homophob beanstandeten Kinderschutzgesetzes eingeleitet wurde. Wenn ich mich nicht irre, ist das beispiellos.

In der Tat gab es so etwas früher noch nie. Das zeigt doch die Stärke der Genderlobby und den Zustand der Welt. Wir besitzen handfeste Argumente, denn die öffentliche Bildung bleibt eine nationale Angelegenheit, während das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder durch die Grundrechtecharta geschützt ist. Ich habe dessen ungeachtet keine Illusionen, denn für Urteile des EU-Gerichtshofs sind neuerdings häufiger ideologisch motivierte Urteile typisch, mit denen man sich immer neue Befugnisse erschleichen will. Wann das Urteil in diesem Prozess gefällt wird, ist vollkommen unvorhersehbar. Wir wissen in jedem Fall, dass sich die EU-Kommission und die dem Prozess beitretenden Mitgliedstaaten an einer Entscheidung der ungarischen Bürger stören. Nun muss sich zeigen, ob das auch auf den Europäischen Gerichtshof zutrifft.

Das hier gekürzt wiedergegebene Interview von Dániel Kacsóh erschien ursprünglich Ende April im konservativen Wochenmagazin Mandiner.

Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.

4 Antworten auf “„Wir müssen Europa wieder zur Demokratie der Demokratien machen“

  1. “Action for Democracy” könnte man genauso gut als “Action for Wokeness” bezeichnen. Unter dem Deckmantel von “Demokratie” und den vielbeschworenen “demokratischen Werten” sollen
    Gendergaga und Multikultiwahnsinn salonfähig gemacht und Nationen zerstört werden. Und wer nicht mitmacht wird ganz undemokratisch bekämpft und mundtot gemacht.
    Immer mehr Menschen durchschauen das Spiel einer untergehenden Grossmacht – sie werden damit nicht mehr durchkommen!

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  2. NGOs sind in der Brüsseler Lobby wie in westlichen Hauptstädten dabei, die Parlamentarischen Demokratien zu zerstören. Die eine Täterspur führ direkt zu Soros. Wer die jüngere Geschichte Ungarns beobachtet, konnte alles genau beobachten. Seit über 10 Jahren gibt es diesen Kampf. Jurova und andere werden einen Teufel tun, Ungarn das zustehende Geld bald freizugeben. In einem Jahr ist Europawahl. Die Bürger werden hoffentlich vom linksgrünen Chaos in ausreichenden Maße ins bürgerliche Lager wechseln und den Weg für eine pragmatische, weniger ideologische Politik ermöglichen.

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