Interview mit dem früheren Budapester Oberbürgermeister István Tarlós
„Jeder OB muss mit der Regierung streiten“
Was sagen Sie dazu, dass der frühere Győrer Oberbürgermeister Zsolt Borkai in die Politik zurückkehrt?
Das ist seine eigene Entscheidung. Bewerten möchte ich diese nicht, aber ob ich das an seiner Stelle tun würde, bezweifle ich doch stark.
Glauben Sie denn immer noch, die Wahl um das Budapester Rathaus 2019 wegen des Borkai-Sexskandals verloren zu haben?
Das habe ich nie behauptet. Es stimmt nur, dass Zsolt Borkai als Győrer OB wiedergewählt wurde. Die Győrer sahen ihm offenbar den schweren Fehltritt nach, weil er als Stadtoberhaupt sehr viele gute Ergebnisse vorweisen konnte. In Budapest und anderen Großstädten aber kannten die Leute diese Seite des Politikers nicht, sahen Borkai nur als Skandalträger des Fidesz und straften die Regierungspartei auf kommunaler Ebene ab. Wir verloren nicht nur die Oberbürgermeisterwahl in Budapest, sondern auch Stadtbezirke, die vorher noch nie von Linken oder Liberalen geführt worden waren.
Würden Sie 2024 noch einmal kandidieren?
Ich wurde sechs Mal zum Bürgermeister gewählt, darunter zwei Mal zum Oberbürgermeister von Budapest, als einziger Konservativer in 77 Jahren. Es liegt mir fern, mich noch einmal um solche Ämter zu bewerben. Da spielen natürlich auch die schlechten Erfahrungen von 2019 mit hinein.
In einem Interview bezeichneten Sie Regierungssprecherin Alexandra Szentkirályi als geeignete Kandidatin.
… was in bestimmten Medien einen lauten Aufschrei verursachte. Dabei hatte ich auf eine konkrete Frage geantwortet, mit dem Hinweis, dies sei meine ganz persönliche Meinung. Und zu der stehe ich: Mit Alexandra ließen sich wahrscheinlich die meisten Stimmen holen. Es sollte jedenfalls kein Kandidat aufgestellt werden, der das Fidesz-Lager spaltet.
Welche Chancen hat der Fidesz eigentlich 2024 in der Hauptstadt?
Budapest lässt sich schwer gewinnen, es ist nicht gerade die stärkste Bastion des Fidesz. Diese Stadt galt schon im 19. Jahrhundert als liberal. Wobei der damalige Liberalismus rein gar nichts mit der heute als liberal deklarierten Gedankenwelt zu tun hatte. Ich befürchte, dass OB Gergely Karácsony sehr gute Chancen hat, seine Position zu behaupten, sofern sich die DK hinter ihm aufstellt. Und das wird die Partei von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány letztlich notgedrungen tun. Was Gyurcsány anbelangt, so würde ich ihm auch in tausend Jahren nicht meine Stimme geben.
ISTVÁN TARLÓS wurde 1948 in Budapest geboren, er ist verheiratet und Vater von drei (erwachsenen) Kindern. Nach Studien an der TU Budapest und der TH Győr erwarb er seinen Abschluss als Tiefbauingenieur. Im Wendejahr 1989 trat er in den liberalen SZDSZ ein. Unterstützt vom Fidesz wurde er 1990 erstmals zum Bürgermeister des Stadtbezirks Óbuda-Békásmegyer gewählt. Dem SZDSZ kehrte er 1994 den Rücken, nachdem die Liberalen an der Seite der MSZP die konservative Regierung abgelöst hatten – um an die Macht zu gelangen, gingen sie einen Pakt mit den Altkommunisten ein. Bei den anschließenden Kommunalwahlen trat Tarlós bereits als unabhängiger Politiker an und gewann – mit Fidesz-KDNP sowie mehreren Bürgerinitiativen im Rücken – das Amt des Bezirksbürgermeisters ebenso souverän, wie auch 1998 und 2002 wieder. Im Jahre 2006 scheiterte er bei der Wahl des Oberbürgermeisters nur knapp am Liberalen Gábor Demszky, arbeitete jedoch fortan als Fraktionsvorsitzender des Fidesz in der Bürgerschaft der Hauptstadt. Im zweiten Anlauf wurde Tarlós 2010 zum Budapester Oberbürgermeister gewählt. Er bekleidete dieses Amt dank einer erfolgreichen Wiederwahl bis 2019. Nach der Wahlniederlage gegen den vom Linksbündnis unterstützten Gergely Karácsony ernannte Ministerpräsident Viktor Orbán Tarlós zu seinem Beauftragten für die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur.
Laufen Sie sich überhaupt irgendwo über den Weg?
Vielleicht mal in einem Fernsehstudio, und auch dann grüßen wir uns nur rein förmlich. Was soll der ehemalige Oberbürgermeister von Budapest denn auch mit dem Ex-Ministerpräsidenten besprechen? Ich hege allerdings den Verdacht, für den DK-Chef ist nicht die Person des Oberbürgermeisters die erste Priorität. Es ist eher so, dass Gyurcsány keine Sympathien für Karácsony hat. Sollte er jedoch genau diesen Mann benötigen, um die Kontrolle über die Mehrheit in der Bürgerschaft der Hauptstadt zu behalten, dann wird er diese Kröte schlucken. Für Gyurcsány zählt allein, dass er im Rathaus von Budapest die Fäden ziehen kann.
Wollen Sie damit behaupten, schon heute habe nicht Karácsony das Sagen?
Die aus dem Rathaus durchsickernden Informationen lassen diesen Eindruck zu. Das ist eine Frage der Kräfteverhältnisse: Was der DK-Vorsitzende nicht will, wird in dieser Bürgerschaft nicht beschlossen.
Gergely Karácsony hat den Staat verklagt. Zu Ihren Zeiten hatte Budapest ganze 5 Mrd. Forint an Solidaritätsteuer an den Staat zu zahlen, heute sind es 58 Mrd. Forint, im kommenden Jahr bereits 75 Mrd. Forint. Wie fair halten Sie eine dermaßen brutale Anhebung des Steuerbeitrags der Hauptstadt?
Dazu müssen wir erst einmal klären, in welcher finanziellen Lage sich die Hauptstadt heute befindet, im Vergleich zum Jahre 2010, als ich dieses Amt antrat. Karácsony behauptete dieser Tage wieder, die Finanzlage sei heute um Größenordnungen schwieriger, als sie damals war. Das ist Unsinn, auch wenn ich nicht behaupte, dass es leicht für Budapest sei. Das war es nie.
Jeder Oberbürgermeister muss mit der Regierung streiten. Da ist es nicht gleichgültig, ob man sich in einem politischen Bündnis befindet. Ich pflegte eine Zusammenarbeit mit Ministerpräsident Viktor Orbán, bei der wir unsere Konflikte hinter verschlossenen Türen austrugen, nicht vor aller Welt. OB Karácsony hat diese Spielregeln – vermutlich auf Druck von außen – missachtet; das Verhältnis zur Regierung ist zunehmend vergiftet.
Aber rechtfertigt das denn, die Hauptstadt auszubluten?
Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen politischen Gemeinschaften stellt ein Problem dar. Es erscheint mir fragwürdig, Arbeitsbeziehungen auf die Grundlage zu stellen, die Regierung den einen Tag verbal in den Boden zu stampfen, um am nächsten Tag eine Art „Gang nach Canossa“ anzutreten. Und was die Fakten angeht: Ich habe die Stadt mit Schulden von 250 Mrd. Forint übernommen und mit einem Plus von 200 Mrd. Forint übergeben. Wenn sich Karácsony noch an das Schulfach Algebra erinnert, kann er mir ja mal vorrechnen, warum es für ihn um Größenordnungen schwerer sein soll!
Die Solidaritätsteuer ist in der Tat um Größenordnungen gewachsen.
Zuerst einmal beruft sich Karácsony bei den genannten 5 Mrd. Forint auf das Jahr 2018, ein Jahr darauf mussten auch wir schon den doppelten Betrag aufbringen. Ich war ja bis Mitte Oktober 2019 im Amt. Von Größenordnungen zu sprechen ist also absurd. Warum lenkt die heutige Stadtführung ständig von den wesentlichen Fragen ab, warum erhalten wir keine Antworten auf triviale Fragen?
Woran denken Sie dabei?
Bis heute wissen wir nicht, wohin die von uns übergebenen 200 Mrd. Forint verschwunden sind. Wir wissen nicht, warum anderthalb Jahre ins Land gingen, ehe die Kettenbrücke endlich erneuert wurde. Warum kam der Bau des Biodom zum Stillstand? Warum wird verschwiegen, dass die Modernisierung der Wasserleitungen ähnlich wie der Austausch der Fahrzeugflotte im Nahverkehr aus Geldern geschieht, die noch unter unserer Führung bei Ausschreibungen gewonnen wurden? Was sind die eigenständigen neuen Projekte, die das Rathaus unter Karácsony auf den Weg gebracht hat? Warum unterschlägt man, wie gigantisch die Einnahmen aus der örtlichen Gewerbesteuer in die Höhe geschossen sind?
Der Budapester Fidesz-Fraktionschef Zsolt Wintermantel unterstellt in diesem Zusammenhang, die Hauptstadt müsste eigentlich mit 400 Mrd. Forint im Plus sein. Wenn Sie diese Zahl mit der Solidaritätsteuer ins Verhältnis setzen, ergibt sich eine weit weniger dramatische Lage, als die Linken der Öffentlichkeit tagtäglich einreden wollen. Nun will Karácsony die Wähler mit seiner „Einwohnerversammlung“ für sich gewinnen. Dabei gibt es Dinge, die fachlich entschieden werden sollten.

Meinen Sie die Frage, wie die Kettenbrücke in Zukunft genutzt wird?
Ob die Kettenbrücke für den Autoverkehr gesperrt wird, sollten nicht Teenager und Laien entscheiden. Eine autofreie Kettenbrücke setzt voraus, dass alle anderen Donau-Querungen in Budapest gut funktionieren. Die meisten Budapester wissen wahrscheinlich nicht, dass der Zwang zur Generalüberholung in den nächsten Jahren erst die Petőfi- und dann auch die Árpád-Brücke ereilen wird. Da fallen zwei Brücken mit enormen Verkehrsströmen von hunderttausend Fahrzeugen am Tag für rund fünf Jahre aus. Sobald es dazu kommt, wird eine Kapazität von 35.000 Fahrzeugen an der Kettenbrücke schmerzlich fehlen. In den Medien des Oppositionslagers oder in den Argumentationsketten der Stadtführung kommen diese Fakten nicht vor.
Die Entscheidung auf Laien abzuwälzen geht aber schon deshalb nicht, weil OB Karácsony die Übereinkunft mit der Regierung unterzeichnet hat, die Kettenbrücke nach der Rekonstruktion wieder für den allgemeinen Fahrzeugverkehr freizugeben. Der Staat hatte Zuschüsse von 6 Mrd. Forint an diese Zusage gebunden.
Die Runderneuerung der Metrolinie M3 wurde abgeschlossen. Sind Sie schon mit der neuen-alten Metro gefahren?
Noch nicht, aber die Übergabe liegt ja noch nicht so lange zurück.
Sie waren aber auch nicht bei der Übergabe anwesend.
Ich hatte tatsächlich ein anderes Programm, aber ganz ehrlich wollte ich auch gar nicht dabei sein. Das richtet sich weniger gegen meinen Nachfolger im Amt, als gegen die Opposition und ihre Medien. Die wollten mir schon den OLAF-Bericht zur Metrolinie M4 unterschieben, dabei sind die rechtlichen Abmachungen, die den größten Korruptionsskandal im Nachwende-Ungarn auslösten, allesamt in der Demszky-Ära geschlossen worden. Dann wollte man mir die anfänglichen Fehler bei der Modernisierung der M3 zuschreiben. Dabei wurde diese U-Bahn seit den 1970er Jahren nicht mehr erneuert, und die Verkehrsbetriebe BKV waren so schwer verschuldet, dass sie keine weiteren Verpflichtungen eingehen konnten. Die Linken ließen kein gutes Haar an uns, und doch haben wir die Finanzierung auf die Beine gestellt und ein gutes Drittel der eigentlichen Arbeiten bewerkstelligt. Das alles gelang uns ohne ominöse Verträge, wie sie OLAF im Falle der M4 berechtigterweise beanstandete. Nach all dem wollte ich nicht bei der endgültigen Fertigstellung wie das fünfte Rad am Wagen erscheinen.
Dass Ihrem alten Widersacher János Lázár als Minister der Verkehr zugeschlagen wurde, wird Sie auch kaum beglückt haben.
Wir haben nichts miteinander zu tun. Aber schon in seiner Zeit als Kanzleramtsminister stand er ja nicht wirklich über mir. Es war keine ab ovo schlechte Beziehung damals. Dieser Konflikt war nicht persönlicher Natur, er entzündete sich am Verteilungsstreit Budapest kontra Provinz. Unsere in der Öffentlichkeit ausgetragenen Wortgefechte waren gewiss nicht von schlechten Eltern, sie waren ein gefundenes Fressen für die Medien. Lázár entwickelt durchaus gute Ideen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach ausschaut; heute regt er beispielsweise interessante Initiativen rund um den Balaton an.
Kann es denn Zufall sein, dass Sie aus dem Vorstand der Staatsbahnen MÁV im vergangenen Jahr just in dem Moment ausschieden, als er als Verkehrsminister antrat?
Diesen Zusammenhang haben wieder nur respektlose Schreiberlinge konstruiert. Ich hatte im Herbst ernsthafte Gesundheitsprobleme, überhaupt zum ersten Mal seit langen Jahrzehnten, und deren Ausgang war keineswegs abzusehen. Als ich mein Mandat im Vorstand niederlegte, war mir weder bekannt, dass Minister László Palkovics zurücktritt, noch dass Bauminister Lázár fortan auch der Verkehr zugeschlagen wird. Mein Rücktrittsgesuch an Minister Palkovics reichte ich am 3. November ein, von seinem Posten als Technologie- und Industrieminister trat er am 14. November zurück. Aber bestimmten Journalisten fällt dabei nichts Schlaueres ein, als gestützt auf die einstigen Konflikte zwischen Tarlós und Lázár eine wilde Geschichte zu konstruieren. Es gibt in dieser Zunft gewisse Leute, die sich einbilden, besser zu wissen, was ich denke, als ich selber.
Lázár hat in seiner Verantwortung als Investitionsminister zahlreiche Großprojekte in der Hauptstadt gestoppt. Finden Sie das richtig?
Zuerst einmal sollten wir festhalten, dass die EU-Kommission Ungarn die Fördergelder völlig rechtswidrig vorenthält. Niemandem bleibt verborgen, dass sich die Regierung noch so bemühen kann, es werden ihr immer neue Steine in den Weg gerollt. Jetzt ist die Rechtsstaatlichkeit der Joker; mit diesem Gummibegriff lässt sich alles erklären und das Geld zurückhalten.
Ich bin in Buda aufgewachsen, während man den aus Hódmezővásárhely stammenden Lázár sicher nicht verdächtigen kann, ein großer Freund der Hauptstadt zu sein. Aber es wäre ungerecht, ihm die Schuld für den Investitionsstillstand in die Schuhe zu schieben, zumal auch auf dem Lande zahlreiche Projekte ausgesetzt werden mussten. Dass die Finanzen für öffentliche Projekte knapp geworden sind, hat vor allem mit der EU zu tun.
Ich sage Ihnen ganz im Ernst: Die heutige EU-Führung hätten Leute wie Adenauer, Schuman, de Gasperi oder de Gaulle mit der Peitsche aus Brüssel verjagt. Was deren Nachfolger heute als europäische Werte deklarieren, hat rein gar nichts mehr mit den Vorstellungen der Gründungsväter zu tun. Was ist das bitte für ein Bündnis, dessen Spitzenpolitikerin, konkret die Kommissionspräsidentin, ein im Krieg stehendes Drittland ermutigt, die Energieversorgung eines EU- und NATO-Mitglieds zu beschädigen? Den Krieg als solchen will ich nicht kommentieren, aber ich bedauere die vielen Opfer auf Seiten der Ukrainer und der Russen.

Wären Sie als Oberbürgermeister nach Kiew gefahren, um Ihre Solidarität zu bekunden?
Auf keinen Fall. Es ist nicht die Kompetenz eines Oberbürgermeisters, in Fragen von Krieg und Außenpolitik offen Stellung zu beziehen. Kriege sind immer schrecklich, wenn es nach mir ginge, gäbe es keine. Aber wenn wir schon den Konflikt in der Nachbarschaft haben, sollte man sich wenigstens bescheiden auch darum bemühen, die Vorgeschichte kennenzulernen.
Ein Oberbürgermeister hat in erster Linie für seine Stadt einzutreten. Natürlich kann er dabei politisieren, aber auf internationalem Parkett sollte man sich nicht gegen sein eigenes Land positionieren. Es ist nämlich ein Irrglauben anzunehmen, diese Wühlarbeit richte sich nur gegen die amtierende Regierung und nicht gegen das ganze Land. Die Ungarn vorenthaltenen EU-Gelder verliert nicht die Regierung, sondern das Volk. Wer dafür eintritt, will nur an die Macht oder Rache üben. Ganz zu schweigen davon, ob man sich dabei nicht vor den Karren fremder Mächte spannen lässt.
Die Opposition argumentiert, die Gelder würden nicht dem Volk zugutekommen, sondern einzig einem engen Kreis von Oligarchen. Wie ernst ist das Problem der Korruption in Ihren Augen?
Leider gab es Korruption schon immer in der Welt, und das wird auch künftig so sein. Wie die EU-Gelder verwendet werden, möchte ich nicht bewerten, aber doch an Helmut Kohl erinnern. Auch er wurde einst scharf verdächtigt, dabei wandte er all seine Energie für die Wiedervereinigung Deutschlands auf. Dafür gebührt ihm ein Ruhmesblatt in der deutschen Geschichte. Heute wird unser Ministerpräsident verleumdet, ohne dass es konkrete Beweise gibt. Es gibt nur bösartige Unterstellungen, und einen unglaublichen Neid auf die politischen Erfolge Viktor Orbáns.

Wenn man an die Pfizer-SMS einer Ursula von der Leyen oder die neuesten Korruptionsskandale im Europaparlament denkt, fragt man sich schon, auf welcher Grundlage diese EU-Führung irgendjemandem Nachhilfeunterricht in Moral geben will. Viktor Orbán hat im Gegensatz zu führenden EU-Politikern noch niemand mit Koffern voller Bargeld erwischt.
Natürlich sind Kritiken an der Politik der ungarischen Regierung zulässig, mir schmeckt auch nicht alles, was sie anstellt. Aber in den Hauptfragen wie Nationalstaat, Migration oder Genderpolitik ist sie den Interessen der kommenden Generationen verpflichtet. Die Opposition wiederum ist einfallslos und scheint sich gerne von ausländischen Kreisen einspannen zu lassen.
Denken Sie nur an den alten Greis ungarischer Herkunft, den die Oppositionsmedien mit wilder Entschlossenheit immer wieder als Philanthropen titulieren. Ich habe mich schlau gemacht und gelesen, dass Philanthropie ein allgemein menschenfreundliches Verhalten beschreibt. Hm, mir ist nicht klar, wie es zu dieser Beschreibung passt, sich in die Angelegenheiten anderer Länder und Kontinente einzumischen, ganze Gesellschaften zu unterwandern und aggressiv Ideologien zu verbreiten, die der Mehrheit fremd sind.
Sie haben unlängst Ihren 75. Geburtstag gefeiert. Wie fühlen Sie sich?
Das Alter hat auch seine Schönheit, erst recht wenn man die Enkel heranwachsen sieht. Ich denke, dass ich stolz sein kann auf das, was ich als konservativer Politiker für Budapest erreichen konnte. Aus der aktiven Politik habe ich mich endgültig zurückgezogen, sehe die aktuellen Entwicklungen aber mit großen Sorgen. Da denke ich etwa an die aggressive Verbreitung von Ideologien, die selbst biologische Gesetze außer Kraft setzen wollen. Mit verschiedenen Kommunikationstricks, die keinen Widerspruch dulden, will man jahrhundertealte Weisheiten umschreiben. Da mache ich mir schon Gedanken um meine Enkel und die Zukunft der nachfolgenden Generationen.

Das hier gekürzt wiedergegebene Interview von Laura Szalai und Dániel Kacsoh erschien ursprünglich Ende Juni im konservativen Wochenmagazin Mandiner.
Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.