Gorbatschow
Hans-Dietrich Genscher, János Zolcer und Michail Gorbatschow 2001 bei Dreharbeiten im Berliner Hotel Adlon. Foto: Privat / János Zolcer

Interview mit dem Autor, Filmemacher und Russland-Kenner János Zolcer

„Keine NATO-Osterweiterung“

Vor kurzem unterhielten wir uns mit dem Gorbatschow-Biografen und -Vertrauten speziell über die Frage der NATO-Osterweiterung.

Durch Ihr Vertrauensverhältnis haben Sie von Michail Gorbatschow auch viel Hintergründiges erfahren können… Gab es damals seitens der Westmächte eine Zusage, dass die NATO nicht gen Osten erweitert werden würde?

Ja! Diese Zusage gab es damals! Sie wurde sogar von mehreren westlichen Politikern geäußert, unter anderem von Außenminister Genscher, Bundeskanzler Kohl, vom britischen Außenminister Hurd, der ‚Iron Lady‘ Margaret Thatcher und US-Außenminister Baker. Auch Präsident Bush und der damalige NATO-Generalsekretär Wörner hatten sich dahingehend geäußert. Die damaligen Gesprächsprotokolle, die heute öffentlich einzusehen sind, beweisen das ebenfalls. Diese Zusagen sind übrigens auch während unserer Dreharbeiten mehrmals zur Sprache gekommen und wurden von Bush, Kohl und Genscher bestätigt.

Wie hat sich Gorbatschow an diese Zusagen erinnert?

Er erinnerte sich daran als persönliche, freundschaftlich gemachte Zusage von führenden Politikern. Bemerkenswert ist seine Einschätzung, wonach diese Zusagen eher ihm als der Sowjetunion gegeben wurden. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass sich die Welt seitdem von Grund auf verändert hat. Die damaligen westlichen Politiker leben nicht mehr, genauso wenig wie die Sowjetunion. Die Idee vom „gemeinsamen europäischen Haus“ gehört der Vergangenheit an, und aus Freunden sind erneut Feinde geworden.

Wie verbindlich war die Zusage, inwieweit befasste man sich überhaupt mit den russischen Ängsten?

Die damaligen Zusagen waren sicher ernst gemeint. Wenn die damaligen Hauptpersonen am Leben wären und eine Person vom Schlag Gorbatschows die Sowjetunion bzw. Russland führen würde, dann gäbe es – davon bin ich fest überzeugt – keinen neuen kalten Krieg. Die Welt würde vielmehr an einem Plan à la Mitterand arbeiten. Mitterand reiste nämlich 1990 nach Moskau, um Gorbatschow mitzuteilen, sowohl die NATO als auch den Warschauer Pakt außer acht zu lassen. Beide Organisationen müsse man so bald wie möglich auflösen! Gorbatschow betrachtete übrigens Mitterand unter den führenden westlichen Politikern als sein einziges Vorbild.

Gibt es Zeitzeugen, die die Existenz des Plans von Mitterand bestätigen können?

Ja, die gibt es beziehungsweise gab es! Die oben genannten Politiker und eine Reihe weiterer könnten hier aufgeführt werden. Die Existenz belegt auch das von US-Außenminister Baker damals bestätigte Ansinnen, „eine neue legitime europäische Struktur“ zu schaffen, die auf die Sowjetunion bezogen inklusiv und nicht exklusiv sei. Ich selbst bin ebenfalls Zeuge. Man hat mir das im Laufe unserer Dreharbeiten mehrfach detailliert bestätigt. Auch Gorbatschow selbst hatte mir das erst vor wenigen Monaten erneut bestätigt.

Gorbatschow

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Aus dem Ungarischen von Erzsébet von Kontz.
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