Gespräch mit dem CDU-Spitzenpolitiker Arnold Vaatz

„Bleiben Sie, wie Sie sind!“

Arnold Vaatz ist ein großer Freund und Kenner Ungarns. Regelmäßig ist der ehemalige DDR-Bürgerrechtler für Vorträge oder politische Begegnungen in Ungarn zu Gast. Seit 2002 ist er einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Welche wesentlichen Gründe haben zur Verschlechterung der deutsch-ungarischen Beziehungen geführt?

Die Europäische Union – und als wesentlicher Taktgeber Deutschland – fühlt sich seit Jahrzehnten als moralisch überlegener Vorreiter der Zivilisation und betrachtet die Staaten des ehemaligen Ostblocks als Demokratielehrlinge. Sie reagiert nun mit hilflosem Entsetzen auf ihren Ansehensverlust im ehemaligen Ostblock.

Gesellschaften, die es ablehnen, Feminismus, Gendersternchen, erneuerbare Energien oder Feinstaub für die Kernfragen der Menschheit zu halten, machen die Vertreter unseres Mainstreams wütend. Ungarn ist für sie eine schwere narzisstische Kränkung. Dass sie nicht einmal Wege finden, den Ungarn den Geldhahn zuzudrehen, bringt sie zur Weißglut.

Die schärfsten Angriffe gegen die demokratisch gewählte ungarische Regierung kommen vom CDU-Koalitionspartner SPD. Zurückpfeifen können CDU und CSU diese Angriffe freilich nicht. Es ist schon klar: Die SPD möchte in der großen Koalition – wo es geht – ein eigenes Profil zeigen. Warum aber gibt es von Seiten der CDU/CSU so gut wie keine offene Unterstützung für die ungarischen Positionen?

Die Unionsparteien haben in einem jahrelangen Prozess fast alle Positionen geräumt, die dem medialen Mainstream nicht gefielen. Dazu gehört auch der Meinungswandel in der CDU in Bezug auf Ungarn. Aber das betrifft nicht nur Ungarn und Orbán, sondern auch Polen und Kaczynski, das Vereinigte Königreich und Johnson, wie es natürlich auch den Erzfeind der Menschheit, den Teufel schlechthin, also Donald Trump betraf. Die Massenmörder Castro und Che Guevara kommen dagegen im medialen Mainstream äußerst glimpflich davon. Entsprechend sortiert sich die CDU.

Zwischen der Kohl-CDU und dem Fidesz gab es eine große ideologische Schnittmenge. Durch die unter Merkel vollzogene Linksverschiebung der CDU hat sich diese jedoch stark verringert. Welche gemeinsamen ideologischen Positionen gibt es überhaupt noch zwischen der Merkel-CDU und dem Fidesz?

Ohne dass ich mit allem einverstanden wäre, was der Fidesz tut – Orbáns Russland-Politik halte ich beispielsweise für falsch und geschichtsvergessen –, lässt sich das auf einen einfachen Nenner bringen. Der Fidesz bezieht heute in wesentlichen Fragen Positionen, die die CDU vor zwanzig Jahren vertreten hat. Zu einigen dieser Positionen steht die CDU heute in einem unversöhnlichen Gegensatz, so etwa in der Energiepolitik, der Genderpolitik und der Einwanderungspolitik. In den Bereichen, in denen die CDU ihre Position nicht verändert hat – NATO, Gesundheitspolitik, bestimmte Bereiche der Sozialpolitik, transatlantische Kooperation (sofern die Amerikaner uns genehme Präsidenten wählen), Wirtschaftspolitik, europäische Zusammenarbeit (das Thema Zuwanderung und Flüchtlinge ausgenommen) – gibt es große politische Schnittmengen, sofern nicht der Fidesz seine Position verändert hat, wie beispielsweise in Bezug auf Russland.

Inwiefern verfängt in Deutschland das permanente Dauerfeuer von Seiten weiter Teile der deutschen Mainstream-Medien und Politik auf Ungarn bei den einfachen Bürgern? Inwieweit gelingt es Medien und Politik, die deutschen Bürger gegen Ungarn aufzuhetzen und antiungarische Ressentiments zu säen? Wie immun sind die deutschen Bürger gegen die pausenlose antiungarische Agitation?

Ob man es Hetze nennen soll, weiß ich nicht. Im Wesentlichen besteht die mediale Auseinandersetzung mit Ungarn darin, dass man die ungarische Position in den Medien nicht oder nur sehr selektiv zu Wort kommen lässt. Man wird ausschließlich mit den Kommentaren der Ankläger bombardiert. Obendrein werden wirklich interessante Dinge wie etwa die Zusammenarbeit der ungarischen Linken mit der rechten Jobbik beim Kampf um kommunale Spitzenämter in Deutschlands Medien konsequent verschwiegen. Diese Information zählt einfach nicht zu der für die Bürger „geeigneten“ Nachrichtenauswahl.

Ich weiß nicht, wie all das in Westdeutschland ankommt. Im Osten beklatschen das aber vielleicht ein paar Kirchenleute, Grünen-Fans, Linke und die Antifa. In der Breite verfängt diese Medienstrategie überhaupt nicht. Im Gegenteil: Sie weckt Erinnerungen. Ich glaube übrigens, dass man sich in Ungarn das Ausmaß von Einseitigkeit unserer Leitmedien überhaupt nicht vorstellen kann, weil dort die Presselandschaft nach meinem Eindruck weit vielfältiger und regierungskritischer ist, als in Deutschland.

Welche konkreten Wege sehen Sie für eine Normalisierung des deutsch-ungarischen Verhältnisses?

Ich sehe da mittelfristig keine Veränderungen. Nach den Wahlen 2021 in Deutschland wird es so weitergehen wie bisher. Die Erosion in Lateineuropa wird wieder Fahrt aufnehmen und die Stabilisierungskapazitäten des Nordens immer stärker strapazieren. Aber der Mainstream in Deutschland wird sich – koste es, was es wolle – durch Argumente nicht verändern, sondern erst, wenn unsere falschen Weichenstellungen – hier denke ich zuerst an die wirtschaftlichen Folgen unserer Energiepolitik – in eine wirklich ausweglose Lage geführt haben.

Was die CDU betrifft: Der große Marsch nach links hat die CDU von einer etwa 40-Prozent-Partei zu einer 30-Prozent-Partei und im Osten gar zu einer 20-Prozent-Partei gemacht. Die Liaison mit den Grünen wird diesen Trend in den nächsten Jahren vermutlich noch verstärken. Je krampfhafter sich die CDU am Mainstream festklammert, umso mehr wird sie verlieren.

Aber dank der Zersplitterung des linken Lagers in Grüne, Linke und SPD wird sie auf absehbare Zeit die Regierung stellen können – früher oder später in Koalitionen mit den SED-Nachfolgern, wie dies informell in Thüringen schon der Fall ist. Sie wird wechselnde Koalitionen anführen, in denen die Partner noch mehr nach Gender, Öko, Technik- und Wirtschaftsfeindlichkeit und allen möglichen Wenden (Energiewende, Landwirtschaftswende, Verkehrswende, Ernährungswende etc.) drängen. Dort wird sie ein wenig bremsen, damit der Zug nicht aus den Gleisen springt, und versuchen, sich als Stimme der Vernunft und des Maßes zu profilieren, aber an der prinzipiell falschen Weichenstellung wird sie nichts ändern.

Was könnte Ungarn für eine Normalisierung tun? Mehr erklären? Weniger missverständliche Äußerungen tätigen?

Man muss nicht immer Öl ins Feuer gießen. Das tut Viktor Orbán manchmal. Und entwickeln Sie ein bisschen Mitleid mit Leuten, die an dem Verlust ihres Ansehens leiden, sich von einer Hysterie in die nächste hineinsteigern und nicht mehr herausfinden. Bleiben Sie ansonsten um Gottes Willen, wie Sie sind, und wie meine gesamte Generation Sie lieben gelernt hat.

6 Antworten auf “„Bleiben Sie, wie Sie sind!“

  1. Nicht verbländete Leser WISSEN es, dass Fidesz die CDU/CSU von cca 15 Jahren. Stimmanteil in 1999 38Prozent, jetzt in 2019 22 Prozent etwa.
    Also mit dem Linksruck haben sie fast die Hälfte der Sitzen verloren.
    Herr Orban hatte mit der Salamipolitik der Linken recht. wenn jetzt Fidesz und die Christdemokraten Ungarns aus der Gruppe heraustritt, es bedeutet minus 13, cca 2 %. Ich nehme an, einige andere Parteien werden FIDESZ folgen.
    Nicht FIDESZ hat sich wesentlich verändert sondern die andere. Hauptsächlich CDU. ich wundere mich, dass WEBER aus der “Strauss” Partei linker, als die linke ist.
    Die CSU war konservativ aber auch stark sozial. Deshalb konnte jahrzehntelang allein regieren. Jetzt, seit nach links gedrückt hat nicht mehr, jetzt soll sogar die bauen-feinde Grünen in Visier zu regieren haben.

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  2. “Sie (EU) reagiert nun mit hilflosem Entsetzen auf ihren Ansehensverlust im ehemaligen Ostblock.”
    Kann nur passieren, wenn man die Lebens-Verhältnisse und Geschichte dieser Staaten nicht kennt, so wie fast alle, die irgendwo in Politik und Medien mitmischen und eine große Klappe haben. Der Versuch, diese Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen ist sinnlos, wenn diese bereits ideologisch betoniert sind. Ich kenne einige davon. Die SPD steht aus meiner Erfahrung am allermeisten für Dummheit. Sie versucht sich durch Angriffe auf Orbán ( Ungarn soll ausgehungert werden) zu profilieren. Ich hoffe, diese Partei ist bald Geschichte.
    Gestern wieder der ZDF-Staats-Sender im Auslandsjournal ein Beweis für Propaganda: “Orbáns schönes Ungarn”, womit das Gegenteil gesagt werden soll. Gleichzeitig wird auch in diesem Film irgendwie zugegeben, dass heute mehr Ungarn immer besser leben als vor einigen Jahren, dass die Wirtschaft läuft. Die Katastrophe der Gyurcsány-Ära, die erst mal überwunden werden musste, wird natürlich nicht erwähnt. Ungarn ist für Deutsche ein komplett unbekanntes Land. Der SPD und anderen sie gedankt.

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  3. Es ist erstaunlich, wie offen Herr Vaatz auf die Fragen antwortet.
    Inzwischen hat Herr Orbán angekündigt, eine andere Mehrheit außerhalb der EVP zu suchen, um seine und der FIDESZ Vorstellungen zu verwirklichen, da kommen 2 Fraktionen im EP in Frage.
    Diese Ankündigung hat eine riesige Aufregung auch in der CDU/CSU ausgelöst. Offensichtlich haben sich Laschet und Söder geeinigt, Orbán und die Fidesz aus der EVP aus zu schließen, Söder hat sogar rasche Schritte in diese Richtung angemahnt. Die Situation ist tatsächlich unhaltbar, auch für die Fidesz, die in der EVP “suspendiert” ist.
    Der nächste logische Schritt wäre für die Fidesz, aus zu treten, ohne den Rauswurf abzuwarten.
    Ist nicht risikoarm, der Schritt. Würde die Beziehungen zur Bundesrepublik belasten.
    Aber so wie die politische Situation in Deutschland ist es nicht ausgeschlossen dass die CDU/CSU schon jetzt ihre Regierungsmehrheit verliert, wenn die SPD zugewinnt.
    Die letzten Korruptionsfälle in der CDU/CSU werden zu weiteren Wählerverlust führen….

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    1. In der Bundesrepublik gibt es praktisch kein Opposition bis AfD. Die FADP kann nicht Fuß fassen, SPD-CDU-Grünen ein Brei. Wenn für die Bundeskanzlerin lieber ein Kommunist, als ein FDP Mann als Ministerpräsident, ist eine Antwort auf die Frage, dass die CDU nach links gerückt ist, nicht ob, sondern wie? Die SPD wird mit der Linken (wie hieß es von CDU? niiiiie! mit der Linken/Kommunisten!? sich zusammen tun, wie in der alten Zeiten, dann die CDU mit den Grünen. Dann irgendwann SED. ich habe keine Illusionen, Deutschland ist hin. Wirtschaftskraft und Geldbörse wird nicht ehr viel helfen können – Wirtschaft geht Berg runter, gut ausgebildete Menschen das Land, dafür kommen ungebildete Moslems. wenn jemand es nicht sieht, blind. Auto, Aluminium, Maschinenbau, Strohm, Atomkraft hin, damit auch WISSEN!!! Infrastruktur marode, Digitalisierung ein Witz.
      Es gibt doch wertkonservative Menschen in Europa – sie soll man nicht unbedingt in Deutschland suchen. Ich nehme an, es kommt eine andere Parteilandschaft in Europa – in dem EU Parlament auch. Ich nehme an, spätestens in der Halbzeit kommen neue Bündnisse.
      Niemand kann es abstreiten, dass unten der n besten Köpfen Herr Orban seinen Platz hat. Mit Merken rechnet niemand mehr.
      Ich kann es mir sogar vorstellen, dass In Sache Wettbewerb sogar eine neue konservative Gruppierung mit Macron sich zusammen tut. In anderen fragen nicht. Man kann und soll mit wechselnden Mehrheiten vorangehen können.
      Wenn jemand Deutschland betrachtet, niemand ernsthaft ihm eine Führungsrolle zubilligt.

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      1. Es ist aber positiv, dass es noch Politiker in der CDU gibt, die Zusammenarbeit mit Fidesz suchen.
        Und die zuletzt aufgedeckten Affären von CDU/CSU Abgeordneten werden Einfluss auf die Wahlen haben. Mal sehen wie es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz beeinflusst wird.
        Es wird Zeit für CDU/CSU in die Opposition zu gehen und wieder zu ihren ursprünglichen Werten zurückzufinden …

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