Energiepolitik
Energieminister Csaba Lantos: „Natürlich beschreiten wir bei der Energiepolitik andere Wege schon allein aufgrund der geographischen Gegebenheiten.“ Fotos: Árpád Földházi

Interview mit Energieminister Csaba Lantos

Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht

Ungarn treibt die Energiewende tatkräftig voran, hält aber gleichzeitig an russischen Energieimporten sowie an der Politik der gesenkten Energiekosten fest. Warum das so ist, erklärt Energieminister Csaba Lantos im Gespräch, nach nur wenigen Monaten im Amt.

Greenpeace erhebt schwere Vorwürfe gegen die Energiepolitik der Orbán-Regierung. Während Finnland sein russisches AKW-Projekt stoppt und es durch Windkraft ersetzt, Griechenland vollständig auf erneuerbare Energien umstellen konnte und Schweden 1 GW Solar-Kapazitäten installiert, tue Ungarn nichts weiter, als die russischen Pipeline-Importe gegen die EU-Sanktionspolitik zu schützen.

Wenn das nicht der berüchtigte Fall des Messens mit zweierlei Maß ist, dann weiß ich nicht, was es sein soll. Die Skandinavier erhalten Beifall, aber bei uns sei die Energiepolitik verfehlt, obgleich wir im vergangenen Jahr sogar 1,1 GW Solaranlagen installieren konnten. Unsere finnischen Freunde haben ihren Atomkraftwerksbau eingestellt, aber wir werden den gleichen Fehler sicher nicht begehen.

Natürlich beschreiten wir andere Wege schon allein aufgrund der geographischen Gegebenheiten. Ähnlich wie Österreich, Tschechien oder die Slowakei haben wir bedauerlicherweise keinen Zugang zu den Weltmeeren. Nicht von ungefähr konnte diese Region gewisse Sonderregeln bei den Energiesanktionen aushandeln. Wir werden über Trassen versorgt, die aus Russland über die Ukraine verlegt wurden und bis heute einwandfrei funktionieren.

Einen anderen Weg schlugen wir bereits vor zehn Jahren mit der Politik der gesenkten Energiekosten ein. Diese Politik konnten wir inmitten der Energiekrise immerhin noch bis zum Durchschnittsverbrauch aufrechterhalten. Die privaten Haushalte in Ungarn bezahlen auch weiterhin so wenig wie niemand sonst in der EU für Strom und Gas.

Es ist nicht zu übersehen, dass die Regierung am russischen Erdgas festhalten will, solange es zuverlässig geliefert wird. Was aber wird getan, um die Abhängigkeit zu senken, damit die Energieversorgung des Landes auch ohne russische Importe gewährleistet werden kann?

Wir haben hier seit 2010 mehr Ergebnisse als je zuvor erzielt. Vor dreizehn Jahren gab es Grenzkuppelstellen, sogenannte Interkonnektoren abgesehen von der Ukraine allein mit Österreich, sowie einen einseitigen Strang nach Serbien. Heute besitzen wir mit Ausnahme Sloweniens Leitungen in alle Nachbarstaaten, die allesamt große Gasmengen in beide Richtungen transportieren können. Wir haben also gemeinsam mit unseren Partnern unsere Hausaufgaben gemacht und sind besser als je zuvor vernetzt. Früher verliefen diese Pipelines traditionell in Ost-West-Richtung, seither ist aber auch ein Nord-Süd-Korridor entstanden.

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„Diese Regierung hat in den letzten zwölf Jahren die Voraussetzungen für Versorgungssicherheit und Diversifizierung geschaffen.“

Neben Lettland setzt auch Polen auf LNG-Terminals und eine Gaspipeline aus Norwegen. Im vergangenen Jahr wurde der polnisch-slowakische Interkonnektor übergeben; die gleiche Infrastruktur gibt es zwischen der Slowakei und Ungarn bereits seit 2014. In beide Richtungen kann das Gas ebenso zwischen Ungarn und Serbien sowie Kroatien strömen. All diese Verbindungen zu schaffen, geht nicht von einem Jahr aufs nächste, da braucht es viel Zeit für Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie für die Ausführung. Tatsächlich hat diese Regierung in den letzten zwölf Jahren die Voraussetzungen für Versorgungssicherheit und Diversifizierung geschaffen. Nun müssen wir daran arbeiten, die Leitungen mit Handelsverträgen zu füllen. So beziehen wir Flüssiggas über das Adria-Terminal von den Kroaten und hoffentlich noch in diesem Jahr Erdgas aus Aserbaidschan.

Genauso sind wir mit den Stromtrassen verfahren. Wir nutzten die vergangenen zwölf Jahre, um Engpässe der grenz­übergreifenden Kapazitäten aufzulösen. Heute sind wir mit sämtlichen Nachbarländern über leistungsstarke Hochspannungsleitungen verbunden. Natürlich nehmen wir auch aktiv am Stromhandel im europäischen Stromverbund teil. Rund 30 Prozent unseres Nettostrombedarfs decken wir aus Importen ab. Diesen Strom könnten wir zwar selbst erzeugen, wir fahren aber finanziell besser damit, Strom im gegebenen Moment aus dem Ausland zuzukaufen.

Die errichtete Infrastruktur bietet die Sicherheiten, um das Land mit Erdgas und Elektroenergie zu versorgen. Wenn die Menschen von den Prozessen im Hintergrund nichts wahrnehmen, spricht das für ein hohes Niveau der Versorgungssicherheit. So sieht es aus in Ungarn, was will man mehr?!

Physisch könnten wir nicht-russisches Erdgas aus drei Richtungen importieren. Welchen Anteil des Landesbedarfs könnten diese Kapazitäten im optimalen Fall abdecken?

Es gehört zu den herausragenden Verpflichtungen der Regierung, eine gesicherte Gasversorgung zu gewährleisten – das ist heute ohne russisches Gas nicht denkbar. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Bevölkerung das Gas inmitten der Energiekrise zu den günstigsten Tarifen bezieht.

Europa verbraucht pro Jahr rund 400 Mrd. Kubikmeter, wovon nahezu die Hälfte durch russisches Gas sichergestellt wurde. Es ist nur natürlich, von niemandem über Gebühr abhängig zu sein, aber irgendwoher müssen wir unser Gas schon kaufen. Würde es aus welchem Grund auch immer überhaupt kein russisches Gas mehr geben, könnten wir über die vorhandenen Gaspipelines bei voller Auslastung immer noch mehr als das Doppelte des eigenen Bedarfs ins Land holen. Eher würde sich die Frage stellen, woher dieses Gas kommt und wie viel die Haushalte und die Unternehmen dafür bezahlen müssten. Neben Österreich und der Slowakei besitzen auch wir enorme Kapazitäten in Gasspeichern, die zwei Drittel unseres Jahresbedarfs abdecken. Dieser Bedarf fiel im vergangenen Jahr um 17 Prozent und dürfte auch 2023 noch ein wenig zurückgehen.

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CSABA LANTOS wurde 1962 in Hódmezővásárhely geboren. Er studierte in Budapest Wirtschaftswissenschaften und Soziologie, bevor er 1986 seine berufliche Laufbahn bei verschiedenen Geldinstituten einschlug. Später leitete er unter anderem die Creditanstalt und die CA-IB in Ungarn, bevor er zum Vizepräsidenten der OTP-Gruppe berufen wurde. Zwischen 1990 und 2002 gehörte Lantos dem Börsenrat der Budapester Wertpapierbörse (BÉT) an. Seit 2009 befasste er sich als Präsident der MET Holding mit Energiebelangen, seit Dezember 2022 bekleidet er das neu geschaffene Amt des Energieministers.

Was nützt uns jedoch die beste Infrastruktur, wenn die Ware fehlt?! Der europäische Markt wurde über Jahrzehnte mit billigem russischen Gas versorgt. Heute ist diese Liefermenge von zuletzt 160 Mrd. Kubikmetern auf einen Bruchteil zurückgefallen. Diese enormen Ausfälle lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen überbrücken. Eine vollständige Aufgabe der russischen Importe ginge mit ausgesprochen schwerwiegenden Risiken für die Versorgungssicherheit einher.

Sowohl der Kanzleramtsminister als auch der Außenwirtschaftsminister gaben offen zu, dass dem langfristigen ungarisch-russischen Gasliefervertrag die Preisbildung an der niederländischen Gasbörse zugrunde liegt. Die Börsennotierungen richten sich nicht länger am russischen Pipeline-Gas, sondern an den LNG-Lieferungen für Westeuropa aus. Bleibt Ungarn da noch irgendein Preisvorteil aus dem Bezug von russischem Pipeline-Gas?

Selbstverständlich beziehen wir unser Gas zu Marktpreisen. Der große Vorteil zum früheren Vertrag besteht darin, dass der Aufpreis weitaus günstiger ausfällt. Die auch langfristig berechenbare Sicherheit, die absolut zuverlässige russische Partner bedeuten, ist ein Aspekt, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In Ungarn mussten sich weder die Bevölkerung noch die Unternehmen irgendwann Sorgen machen, dass das Gas ausgeht. Der mit Moskau geschlossene langfristige Gasliefervertrag ist das Unterpfand für die Sicherheit unserer Energieversorgung, denn nur so können wir das für die Beheizung der Wohnungen und die Bewirtschaftung des Landes benötigte Gas garantieren. Die Preisbildung des Vertrags folgt den Börsenkursen mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung.

Bestehen Chancen, die Preisbildung beim Pipeline-Gas irgendwie vom LNG-Preis abzukoppeln? Denn nur so könnte Mitteleuropa jenem Wettbewerbsnachteil entgehen, den Westeuropa mit dem Wechsel zum Flüssiggas erleiden muss.

LNG wird auf Dauer tonangebend bleiben. Wir sollten dabei nicht aus den Augen verlieren, dass Flüssiggas in erster Linie für Länder mit Überseehäfen eine Alternative darstellt. Von einem Hafen aus müssen wir das LNG über Grenzen weitertransportieren. Diese Infrastruktur wird zwar ausgebaut, ist aber noch sehr lückenhaft in Europa. Deutschland hat drei LNG-Schiffe angefordert, um die Versorgungssicherheit zu stärken. Überall in Europa entstehen LNG-Terminals; zwei Dutzend Projekte laufen derzeit. Griechenland möchte seine Kapazitäten verdoppeln, ähnlich wie dies unsere kroatischen Freunde auf der Insel Krk planen. Auf einem diversifizierten, belebten europäischen Gasmarkt befinden wir uns in einem Schnittpunkt der großen Energiekorridore.

Apropos Energiekorridor: Hilft Ungarn der unter extremem Strommangel leidenden Ukraine?

Die Ukraine stützte sich vor dem Krieg hauptsächlich auf die eigene Strom­erzeugung, es gab eine einzige Verbindung zu Europa. Heute ist das Land mit der EU über sechs Hochspannungstrassen vernetzt, vier via Ungarn, jeweils eine via Rumänien und Slowakei, während eine weitere Leitung Richtung Polen entsteht. Man kann viel von uns behaupten, aber ganz sicher nicht, wir würden der Ukraine nicht helfen. Die meisten Einspeisungen an Importstrom erhält die Ukraine über Ungarn.

Beeinträchtigen die schweren Schwan­kungen im ukrainischen Stromnetz auf irgendeine Weise womöglich sogar die Sicherheit des ungarischen Stromnetzes?

Wir haben die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um diese Risiken unter Kontrolle zu halten. Es gab durchaus Her­ausforderungen wegen der Spannungsschwankungen, aber wahrgenommen haben das weder unsere Verbraucher in Ungarn noch Stromkonsumenten weiter im Westen. Man muss sich das ungefähr wie einen Peitschenhieb vorstellen, der nicht unbedingt die am nächsten Stehenden am härtesten trifft. Natürlich helfen wir den Ukrainern schon aus rein humanitärer Pflicht, erst recht wegen der ungarischen Minderheit Transkarpatiens. An dieser Bereitschaft haben weder der ungarische Staat noch seine Bürger auch nur einen Augenblick des Zweifels gelassen.

Die nächste Gasspeicher-Saison dürfte sich in Europa noch einmal kritisch gestalten. Wie lautet Ihre Prognose: Wird das Gas ausreichen beziehungsweise dürfen wir weiterhin mit den aktuellen Gaspreisen rechnen, die im Vergleich zu den Preisspitzen vom Spätsommer 2022 schon viel freundlicher ausschauen?

Dank des milden Winters geschieht das Auffüllen der Speicher von einem deutlich höheren Ausgangsniveau. Das ist eine gute Nachricht. Zum anderen haben die europäischen Volkswirtschaften ihren Verbrauch massiv verringert. Wenn das so bleibt, müssen geringere Mengen der ausfallenden russischen Importe ersetzt werden. Die entstehenden LNG-Terminale können zusätzlich einige zig Milliarden Kubikmeter des Bedarfs decken. Sofern der Konflikt in der Ukraine nicht weiter eskaliert, wird Europa vielleicht ohne dramatische Versorgungsengpässe über die Runden kommen.

So heftige Preisschwankungen wie im vergangenen Sommer werden wir wohl nicht noch einmal erleben. Dennoch dürften die Preise an der Börse wieder anziehen. Wir dürfen aber auch die laufenden Kosten für dieses ganze große System aus Rohrleitungen, Kompressoren und Speichern nicht aus den Augen verlieren, das unverzichtbar ist, um das Gas zum Endverbraucher zu bringen. Diese Systemkosten variieren weniger, aber sie werden Jahr für Jahr fällig.

Lässt sich das in Forint beispielsweise auf einen Kubikmeter herunterbrechen?

Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Bei uns in Ungarn bleiben die niedrigen Energiekosten bis zum Durchschnittsverbrauch das ganze Jahr über in Kraft – die Familien zahlen dabei weniger, als das Gas schon an sich an der Börse kostet. Im Falle der Industrieabnehmer erreicht dieser Börsenpreis einen Anteil von zwei Dritteln bis zu drei Vierteln am Bruttopreis der Gasversorgung. Ähnlich sieht es beim Strom aus.

Dann lassen Sie uns bitte über den Strom reden! In Debrecen errichtet die chinesische CATL-Gruppe unterstützt durch die Regierung eine Giga-Batteriefabrik. Ökonomen meinen, dieses eine Werk werde so viel Energie benötigen, wie ein Reaktorblock im AKW Paks erzeugt. Woher sollen wir so viel Elektro­energie nehmen?

Wir sollten ganz am Anfang beginnen, der da lautet: Es gab eine Übereinkunft der Öffentlichkeit, dass die Zukunft den Elektroautos gehört. Es sei großartig, was für einen geringen ökologischen Fußabdruck diese hinterlassen. Ohne dass in den Umständen eine Veränderung eingetreten wäre, hat sich bei uns ein neuer Chor der offiziellen Grünen gebildet, der wenig verständlich zum Widerstand aufruft. Dabei hätte jeder, der sich die komplette Wertschöpfungskette anschaut, schon früher darauf stoßen können, dass allein schon die Gewinnung seltener Erden wie Lithium enorm viel Energie und noch mehr Wasser verbraucht.

Ungarn hat in all den Krisenjahren immer neue Investitionsrekorde aufgestellt. Erfreulicherweise wählen die Weltkonzerne als Schauplatz dieser Projekte, die viele Arbeitsplätze schaffen, immer häufiger Ostungarn. Es stimmt, dass deren zusätzlicher Energiebedarf etwa im Großraum Debrecen irgendwie gedeckt werden muss. Nicht nur für CATL, sondern genauso für BMW. Die chinesische Gigafabrik wird in der ersten, genehmigten Ausbaustufe täglich 3.300 Kubikmeter Industriewasser benötigen. Zum Vergleich gibt es Brauereien in Ungarn, die täglich 6.000 Kubikmeter Trinkwasser in Anspruch nehmen, und eine Papierfabrik, deren Wasserverbrauch 18.000 Kubikmeter erreicht. Ganz zu schweigen von den Wärmekraftwerken, die ähnlich wie die Batteriefabriken hauptsächlich Grauwasser für Kühlprozesse einsetzen. Man muss sich schon im Klaren sein, dass große Industrieanlagen enorm viel Wasser und Elektroenergie benötigen.

Aber lohnt sich das denn?

Unsere Wirtschaftspolitik beruht auf dem Grundsatz, nicht Sozialhilfe zu verteilen, sondern Arbeitsplätze zu schaffen. Ungarn konnte noch im Umfeld einer Corona-Pandemie, eines Kriegs in der Nachbarschaft und der Energiekrise Beschäftigungsrekorde aufstellen. Wir wollen den Menschen Arbeit geben, eine höhere Wertschöpfung erzielen – dafür braucht es Energie. Das ist unsere Vision, um der Falle der mittleren Einkommen zu entgehen, die viele Länder bedroht.

Ich bin alt genug, um mich noch an jene Skeptiker zu erinnern, die meinten, Ungarn brauche keine Reaktorblöcke in Paks, und kein Automobilwerk in Győr, denn wir haben ja schließlich unseren Ikarus-Bus. Es formierte sich auch gegen die Audi-Ansiedlung kurz nach der Wende Widerstand, doch längst bettet sich das Werk mehr und mehr in die hiesige Wissenslandschaft ein, mit F+E-Projekten, ungarischen Entwicklungsingenieuren und einheimischen Hochschulpartnern. Mittlerweile ist Ungarn das einzige europäische Land außerhalb Deutschlands, das von sich sagen kann: Alle drei deutschen Premiumhersteller verfügen hier über Produktionskapazitäten.

Hinzu kommen Suzuki in Esztergom und das Stellantis-Motorenwerk in Szentgotthárd. Es bestand ein Konsens, dass dies großartig ist. Nun steht die gesamte Automobilindustrie vor einer Zeitenwende, denn ab 2035 sollen in der EU keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr gebaut werden dürfen. Die Welt wendet sich dem Elektroauto zu. Elektroautos brauchen Batterien, die irgendwo hergestellt werden müssen. Es tobt ein heftiger Standortkampf von Asien über Europa bis nach Amerika. Wir betrachten die Batterien als den „Kraftstoff“ für die hierzulande bereits angesiedelten Wertschöpfungsketten. Den damit einhergehenden wachsenden Strombedarf werden wir ganz bestimmt decken können.

Verraten Sie uns bitte, wie das gehen soll!

Darum brauchen wir das Projekt AKW Paks 2 sowie die geplante Laufzeitverlängerung der bestehenden Reaktorblöcke in Paks. Heute verbraucht das Land durchschnittlich 6-6,5 GW Energie, aber allein mit Solartechnik werden wir an Stelle der für 2030 ursprünglich geplanten 6 GW bis zu 10-12 GW erreichen. Die installierten PV-Anlagen produzieren ständig neue Stromrekorde: Im März waren es in den Mittagsstunden bereits 2,2 GW, allein aus gewerblichen Anlagen. Einschließlich der privaten Haushalte liegen die Kapazitäten schon heute über 4 GW. In Spitzenzeiten kann die Solarenergie mittlerweile mehr als die Hälfte der Netzlast abdecken, es bleibt sogar Energie für Exporte.

Wie es ausschaut, braucht es aber auch für die Verbreitung der erneuerbaren Energien Batterien. Irgendwie muss man den erzeugten Strom ja speichern, für den nächtlichen oder den Bedarf an wolkenverhangenen Tagen.

Sie haben in Verbindung mit den Batteriefabriken neue Kraftwerksbauten in Tiszaújváros angekündigt.

Wir wollen Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke errichten, mit jeweils zwei 500 MW-Gasturbinen. Diese GuD-Kraftwerke gelten heute als der Mercedes in der Energieerzeugung, denn sie können aus dem eingesetzten Kraftstoff Energie mit hohem Wirkungsgrad gewinnen. Die alten Kraftwerke dieser Art funktionierten so, dass sie entweder liefen oder halt nicht liefen. Die modernen Turbinen hingegen lassen sich von fünfzig bis auf fünfhundert Megawatt skalieren. Sobald Strom aus erneuerbaren Energien erreichbar ist, nehmen wir lieber den, um den ökologischen Fußabdruck klein zu halten. GuD-Kraftwerke benötigen relativ teure Brennstoffe, und obendrauf müssen noch die Emissionsquoten bezahlt werden. Wir brauchen aber natürlich auch dann Strom, wenn die Sonne gerade mal nicht scheint. Sobald die Erzeugung der Erneuerbaren zurückfällt, springen Ausgleichskapazitäten ein. Das zu regeln können wir nicht einfach allein dem Ausland überlassen, denn wir würden uns unnötig abhängig machen. Mit den Gasturbinenkraftwerken sorgen wir also für Flexibilität im System.

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„Mit den Gasturbinenkraftwerken sorgen wir für Flexibilität im System.“

Was die erneuerbaren Energien anbelangt, hat die Regierung gerade erst im Oktober einen Stopp der Netzeinspeisung für vor ihrer Genehmigung stehende private Solaranlagen verhängt. Es hieß, das Stromnetz vertrage nicht noch mehr PV-Anlagen, was natürlich nicht für alle Landesteile gleichermaßen zutrifft. Warum gilt dieser Stopp dennoch für das ganze Land?

Bei Solarenergie entstanden in rasantem Tempo Kapazitäten von über 4 GW, daneben erzeugen 170.000 Haushalte ihren eigenen Solarstrom. Bis Oktober kamen Anmeldungen für weitere 100.000 Haushalte zusammen, die den selbsterzeugten Strom – sobald der eigene Bedarf gedeckt ist – ins Netz einspeisen wollen. Hier mussten wir vorübergehend die Handbremse anziehen, was aber nicht für Installationen, sondern allein für die Netzeinspeisung gilt. Für gewerbliche Solaranlagen wurden Genehmigungen im Volumen weiterer 5 GW erteilt. All diese Anlagen werden realisiert, es gibt also keinen allgemeinen Stillstand. Dazu müssen aber die Netze ausgebaut werden, um den massenhaft zusätzlich produzierten Strom aufnehmen zu können. Derzeit prüfen wir, wo feinabgestimmt eine schrittweise Aufhebung des Einspeisungsstopps möglich wird.

Daneben werden wir auch wieder Windräder zulassen. Zwar nicht überall im Lande und keine kompletten Windparks. Es soll jedoch die Möglichkeit bestehen, auch die Windkraft zu nutzen, weil sich Sonne und Wind gut ergänzen können. Für all das braucht es aber moderne Netze.

Über welche Art von Netzentwicklungen denken Sie nach?

Wir sind schon weit über die Phase der Überlegungen hinaus. Der Übertragungsnetzbetreiber startet gemeinsam mit den großen Verteilergesellschaften Investitionen in die Netze im Gesamtvolumen von 160 Mrd. Forint. Dabei geht es um eine erhöhte Betriebssicherheit und an herausragender Stelle darum, die Netze zur Aufnahme möglichst vieler erneuerbarer Energien vorzubereiten.

Zum anderen wollen wir die Energie so gut es geht dort verwenden, wo sie erzeugt wird. Es gibt keine bessere Lösung, um sich Transportverluste zu ersparen, während gleichzeitig die Belastung der Netze sinkt. Noch reichlich unerschlossen ist das Potenzial sogenannter Energiegemeinschaften.

Diese Gemeinschaften beginnen auf der Ebene eines Mehrfamilienhauses, das mit Solaranlage, Batteriespeicher, Elektroautos und intelligenter Haushaltstechnik wie etwa Boilern ausgestattet ist, deren Strombedarf in abgestimmten Zeitfenstern erfolgt. Mit einem Smart Meter wird der vor Ort erzeugte Strom zunächst nicht ans Netz abgegeben, sondern selbst verbraucht. Nach diesem Prinzip können auch im größeren Maßstab Energiegemeinschaften gebildet werden. So möchte aktuell die Komitatshauptstadt Szolnok mit der Errichtung einer großen Solaranlage und der Installation von Ladestationen für Elektroautos eine kommunale Energiegemeinschaft schaffen.

Dann bleibt nur noch die Frage, wann die Bürger neue Ansprüche zur Einspeisung von Solarstrom anmelden dürfen?

Wir wollen, dass dies so schnell wie möglich passiert, am besten noch in diesem Jahr.

Dieses nur leicht gekürzte Interview von Mátyás Kohán erschien ursprünglich Mitte März im konservativen Wochenmagazin Mandiner.

Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.

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