Interview mit András Schiffer, dem Gründer der oppositionellen grün-alternativen LMP
„Die imperialistischen Kreise der USA sind nicht meine Freunde“
Der Mann, der vor 15 Jahren mit dem Anspruch antrat, „Politik kann anders sein“ („Lehet más a politika“ – LMP). Wir befragten den einstigen Parteigründer zum Ukraine-Krieg, zur US-Wahlkampfhilfe für die Opposition und ob er Ambitionen hege, eines Tages in die Politik zurückzukehren.
Selbst wenn im Moment nicht abzusehen ist, ob dieser Krieg in unserer Nachbarschaft einen Sieger haben wird, ist vielleicht schon zu erkennen, wer davon profitiert? Der US-Außenminister sprach nach der Sprengung der Gaspipeline Nord Stream jedenfalls von einer „großartigen Chance“.
Vorläufig ist ganz klar zu sehen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sicher auf der Gewinner- und die Länder der Europäischen Union ebenso sicher auf der Verliererseite stehen. Welches Schicksal Russland und der Ukraine blüht, ist ebenso wenig zu entschlüsseln, wie der Ausgang des Krieges. Häufig zeigen Krisen, wenn sie sich erst in die Länge ziehen, auch gar keine eindeutigen Resultate. Gewiss ist nur, dass sich die Ukraine in einer katastrophalen Lage befinden wird, selbst wenn es ihr gelingen sollte, die Russen aus ihrem Land zu vertreiben. Sehr wahrscheinlich stehen die Hyänen längst auf dem Sprung, die aus dem Wiederaufbau des zerstörten Landes Extraprofite einheimsen wollen. Was den US-Außenminister angeht, sehe ich in Antony Blinken eine besonders zynische Figur der heutigen Weltpolitik.
Die von ihm zitierten Worte bestärken jene Ansicht, wonach die USA eine maßgebliche Rolle in diesem Konflikt spielen.
Lange ist es her, dass in Übersee Leute vom Schlage eines Kissinger oder Reagan, eines Carter oder Brzezinski die Politik lenkten, wie auch in Europa nicht länger Adenauer oder Kohl, de Gaulle oder Mitterand die Zügel in der Hand halten. Wenn sich Giga-Konzerne und Börsenspekulanten herausnehmen, kleinkarierte Bürokraten oder politische Clowns in die verantwortlichen Positionen zu hieven, dann muss man damit rechnen, dass sich diese Leute im Gegensatz zu den echten Profis hin und wieder peinlich verplaudern.
Ungarn soll sich nicht selbst aufgeben, sagten Sie einmal. Viktor Orbán meint aktuell, Europa verblute langsam. Sehen wir da eine Übereinstimmung?
Ich verstehe Ihre provokative Absicht. Nur dass ich mir in den letzten zwölf Jahren nie meinen Standpunkt nach dem Kriterium gebildet habe, mit wessen Meinung dieser übereinstimmt oder nicht. Es kam genauso gut vor, dass sich meine Position auf das reimte, was ein Ferenc Gyurcsány oder ein László Toroczkai von sich gab. Eins aber möchte ich an dieser Stelle festhalten: Wenn ein Land durch eine derartige Gefahr bedroht wird, wie sie der bewaffnete Konflikt in unserer Nachbarschaft und die damit einhergehende Energiekrise darstellen, ist es vielleicht nicht am gescheitesten, wenn Politiker ihre Rivalität ausgerechnet in der Außenpolitik auszutragen gedenken. In solchen Zeiten sollte man vor allem einen nationalen Mindestkonsens anstreben.
Meinen Sie damit, die Opposition müsste sich in einer solchen Situation neben die Regierung stellen?
Zunächst einmal ist die Orbán-Regierung nach zwölf Jahren an der Macht sehr wohl verantwortlich für unsere Energieabhängigkeit von Russland. Zwölf Jahre lang wurden keine wirkungsvollen Schritte unternommen, um die verfehlte, verräterische Politik der vorangegangenen zwanzig Jahre zu korrigieren, mit der unsere Industrie brutal plattgemacht und an untergeordneter Stelle in die globalen Lieferketten eingereiht wurde. Hinzu kommt, dass die EU bis zum 24. Februar eine in vielen Belangen dumme Politik verfolgte, mit unnützen Debatten. Statt den lokalen Firmen zu helfen, schwamm auch der Fidesz auf der Welle der Lobby der Großindustriellen mit.

Dessen ungeachtet wird niemand mit gesundem Menschenverstand ernsthaft vom ungarischen Ministerpräsidenten verlangen wollen, noch beim neunten, zehnten und wer weiß wievielten EU-Sanktionspaket in der vordersten Reihe mitzumarschieren, Ungarn von den russischen Pipelines abzutrennen und ein Waffenarsenal, das wir selbst nicht besitzen, ins Kriegsgebiet zu schicken. Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben – aber genau das erwarten die Amerikaner von uns. Und natürlich, dass wir anschließend noch mehr Waffen bei ihnen einkaufen. Ein Ministerpräsident, der für das Schicksal seiner Heimat Verantwortung zeigt, darf ganz einfach nicht an der Eskalationsschraube des Konflikts mitdrehen!
Abgesehen davon ist es lächerlich von Seiten der Regierung, nach der Verabschiedung des achten Sanktionspakets eine Nationale Konsultation zur Kritik der Sanktionen zu veranstalten – für wie dumm hält der Fidesz die Leute eigentlich?!
Die Sanktionen gelten jeweils für ein halbes Jahr, die EU entscheidet später über eine eventuelle Verlängerung.
Glauben Sie denn, Ungarn kann alleine jenen imperialistischen Bestrebungen standhalten, mit denen die USA die komplette EU in den Konflikt treibt? Viktor Orbán muss auf einem schmalen Pfad balancieren – die Energiepolitik seiner Regierung nach dem 24. Februar kann man deshalb nur schwerlich kritisieren.
Sie kritisierten die hohe Abhängigkeit von Energieimporten. Dabei wurde die Gasinfrastruktur mit den Nachbarländern vernetzt, beteiligte sich Ungarn am kroatischen LNG-Terminal und wollte den Rumänen Erdgas aus dem Schwarzen Meer abkaufen. Die Regierung meint, alles für eine Diversifizierung der Bezugsquellen getan zu haben.
Das ist alles richtig, falsch ist jedoch die enge Bindung an fossile Energieträger. Das kroatische LNG-Terminal nimmt obendrein amerikanisches Fracking-Gas entgegen, dessen Gewinnung noch gefährlicher als die von russischem Erdgas ist, mit kolossalen Umweltschäden am Förderort sowie beim Transport über die Weltmeere. Dass nun ausgerechnet die deutschen Grünen den ganzen Kontinent in diese Richtung treiben wollen, finde ich schändlich. Und wie heuchlerisch ist denn Greenpeace, die im ungarischen Wahlkampf noch vor dem „blutbeschmierten“ Öl warnten?! Als würde am Öl aus Saudi-Arabien, Katar oder Aserbaidschan kein Blut kleben.
Ich beziehe grundsätzlich ökologisch eine zur Regierung entgegengesetzte Position. Denn sie baut auf fossile und nukleare Energien, statt Energieeffizienz und den Einsatz regenerativer Energien zu fördern. Das Land sollte endlich auch auf diesem Gebiet auf eigenen Beinen stehen, das wäre eine echte Unabhängigkeit. Diese kann man um die Modernisierung der eigenen Wirtschaftsstrukturen ergänzen, was natürlich nicht gleichbedeutend mit dem „Pushen“ eines Lőrinc Mészáros oder anderer Fidesz-Oligarchen ist.
Sie meinten kürzlich, die euroatlantischen Mächte wollten die Sanktionen gar nicht dazu verwenden, eine Art neuen Status Quo zu vereinbaren und Friedensverhandlungen einzuleiten. Das sei eine unverzeihliche Sünde. Was wollten Sie damit sagen?
Die EU-Führung verbreitet über die Sanktionen nichts als Kommunikations-Blasen. Gleichzeitig Waffen in die Ukraine zu schicken und nicht mit den Russen zu verhandeln ist, offen den Krieg anzuheizen. Zu sagen, Frieden wird es dann geben, wenn die Ukraine gesiegt hat, weist eben nicht in Richtung Frieden. Es ruft eher Gedanken an den Schrecken nuklearer Vernichtung wach. Es ist eine Tragödie, dass die Bewegungen für eine nukleare Abrüstung das Ende des Kalten Krieges nicht überdauerten, und dass es heute keine Friedensbewegung in Europas Großstädten gibt. Antony Blinken und Sanna Marin sind nicht minder Kriegstreiber, als die Putin-Regierung. Deshalb waren die ersten Sanktionspakete aber noch rechtens.

Wollen Sie damit sagen, Sie sehen nur in den auf Energieträger ausgeweiteten Sanktionen keinen Sinn?
Ich bin vielleicht naiv, aber ich dachte, wenn die ersten Maßnahmen Russland schaden werden, setzt man sich zu Verhandlungen hin und findet irgendeine Einigung. Und tatsächlich begannen die Ukrainer mit den Russen zu verhandeln. Doch vermutlich auf Druck der Amerikaner hin fanden diese Gespräche ein Ende. Es ist auch solch eine falsche Losung, auf den ewigen Frieden zu hoffen, wenn man erst den Bösewicht Putin wie einst Hitler und Stalin in die Knie gezwungen hat. Begreifen wir denn nicht, dass Russland in der Vergangenheit nie jemand brechen konnte?! Es nimmt nie ein gutes Ende, wenn man eine Nation demütigen will.
Als Bill Clinton Boris Jelzin vor den Augen der Welt auslachte, liebten die Westmedien die Russen, die aber kaum mit ihrer Lage glücklich waren. Nicht von ungefähr trat Wladimir Putin auf die Bühne.
So ist es. Gorbatschow war naiv und manövrierte sich selbst in eine Sackgasse, Jelzin trat selbst bei internationalen Verhandlungen regelmäßig im beschwipsten Zustand auf. Der Westen aber legte in all diesen Jahren seine Scheinheiligkeit nicht ab, denn Spekulanten und Anleger raubten Russland in einem Tempo aus, als gäbe es kein Morgen. Ich bin kein Russland-Experte, aber ich habe noch immer keine Erklärung dafür, warum Putin die Ukraine am 24. Februar angriff. Er musste sich im Klaren sein, selbst wenn Kiew fällt, in der West-Ukraine in einen aussichtslosen Kampf verwickelt zu werden, gegen den Afghanistan wie ein kleines Ausflugsabenteuer erscheinen würde. Diese Aggression widerspricht nicht nur dem internationalen Recht sowie der Verantwortung für Mensch und Umwelt, sondern auch dem gesunden Menschenverstand.
Im Verlauf des Energiekriegs markiert die Sprengung der Gaspipeline Nord Stream eine Wende. Wer konnte ein Interesse daran haben?
Es gibt die Erklärung, die Russen wären es gewesen, um die Amerikaner als Terroristen hinstellen zu können. Natürlich will Moskau einen Keil zwischen die Länder des Westens treiben. Dennoch bleiben Fragen mit Blick auf die euroatlantischen Mächte.
Was meinen Sie damit?
Die Ostsee ist nicht so sehr groß, Dänemark und Schweden, in deren Gewässern die Attacke geschah, liegen relativ weit von Russland entfernt. US-Truppen operieren in den dortigen internationalen Gewässern mit Unterwasser-Drohnen, Kriegsschiffen und Helikoptern. Es ist mir nicht ganz klar, wie russische Einheiten in einem solchen Umfeld unbemerkt einen derart komplexen Angriff ausführen sollten. Wenn es tatsächlich die Russen waren, muss uns das hinsichtlich der Verteidigungsfähigkeit der NATO Sorgen machen.

Sorgen Corona-Krise und Krieg für geschlossene Reihen in der EU, oder doch eher für ein Auseinanderdriften?
Auf den ersten Blick sieht es seit ungefähr zwei Jahren so aus, als hätte die EU-Bürokratie die Mitgliedstaaten geschlossen hinter sich. Deshalb fällt es der Westpropaganda heute so leicht, Politiker, die sich von den eigenen nationalen Interessen leiten lassen, als Putin-Vasallen zu verunglimpfen. Jede kritische Stimme auf diese primitive Weise ausschalten zu wollen ist im Übrigen der reinste Illiberalismus. Wenn man tiefer gräbt, sieht man jedoch enorme Spannungen, die sich zuletzt bei den Parlamentswahlen in Italien niederschlugen. Sollte die Regierung von Giorgia Meloni jedoch den Kurs der Draghi-Regierung fortsetzen, also lieber den Erwartungen der europäischen Finanzelite gerecht werden wollen, wird sie schnell Geschichte. Als die USA 2003 im Irak einmarschierten, erhielt die Friedensbewegung den größten Zulauf in Italien. Damals wurde die Regenbogenflagge zum Symbol der Pazifisten und Antiimperialisten in Europa – interessant, wie auch dieses Symbol später von anderen vereinnahmt wurde.
Parlamentspräsident László Kövér meinte in Verbindung mit den zurückgehaltenen EU-Geldern, das sei längst unverhohlene Willkür gegenüber unbotmäßigen rechten Regierungen. Was denken Sie: Stehen uns die Gelder zu?
Ich muss erst einmal den Parlamentspräsidenten korrigieren, denn diese Hetze richtet sich nicht gegen rechte, sondern gegen souveräne Regierungen. Die europäische Bürokratie und die Finanzelite veranstalteten 2015, unterstützt durch die von ihnen ausgehaltenen Medien genau das Gleiche mit der griechischen Regierung unter Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis, wie heute mit den Ungarn und den Polen. Natürlich stehen Ungarn diese EU-Gelder zu! Ich stimme dem damaligen griechischen Finanzminister zu, den man nun wirklich nicht dem rechten Lager zuordnen kann, dass die europäische Bürokratie die Rechtsstaats-Prinzipien immer ihren aktuellen Interessen entsprechend einsetzt.
Das ändert aber nichts daran, dass die EU-Gelder nicht verschleudert werden dürfen und wir mit schweren Problemen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit zu kämpfen haben. Diese fingen aber nicht erst mit der Einleitung des Verfahrens nach Artikel 7 an, denn die Fundamente für ein System mit autokratischen Zügen wurden schon ab 2013 systematisch gelegt. Nur fanden diese Dinge keine große Resonanz, während der Fidesz peinlich darauf bedacht war, jede Detailkritik zu entschärfen. Ich halte die heutige EU-Führung in den Brüsseler Institutionen für außerordentlich heuchlerisch. Nur darf sich die ungarische Regierung nicht beklagen, wenn man dort nun Garantien für die zielgerichtete, vernünftige und gesetzeskonforme Verwendung der europäischen Steuergelder sehen will.
Das liegt auf der Hand, aber manche Erklärungen aus Brüssel wirken wie rein politische Erwartungen.
Zweifellos war die Europäische Kommission nach der Verabschiedung des neuen Rechtsstaatsmechanismus lange Zeit nicht imstande, eindeutig zu formulieren, was sie von Ungarn will. Und auch heute finden sich wieder überflüssige Nebenschauplätze. Ich verstehe zum Beispiel nicht den Rummel um die öffentlichen Stiftungen im Hochschulwesen. Zwar fand ich die Schaffung dieser Strukturen am Anfang auch empörend, doch unterlagen diese Stiftungen von Beginn an dem Gesetz über öffentliche Beschaffungen.
ANDRÁS SCHIFFER wurde 1971 in Budapest geboren, wo er 1995 sein Jura-Studium an der ELTE absolvierte. Heute leitet er eine eigene Anwaltskanzlei, engagiert sich für Freiheitsrechte und als Globalisierungsgegner. Im Jahre 2000 gehörte er zu den Gründern einer Umweltbewegung und im Herbst 2007 zu den Gründern der grün-alternativen LMP. Als diese 2010 ins Parlament einzog, wurde Schiffer ihr erster Fraktionsvorsitzender. Zwischen 2013 und 2016 bekleidete er die Position des Co-Vorsitzenden der Partei. Im Mai 2016 zog er sich aus diesem Amt zurück und gab sein Mandat im Parlament auf. Zwei Jahre später verließ Schiffer die LMP.
Es ist doch keine Frage, dass die Kommission, wenn sie denn wollte, etwa in Bulgarien oder Rumänien ebenso zuhauf Probleme bei der Verwendung der EU-Gelder aufdecken könnte. Oder denken wir an das Italien der 1970er Jahre zurück, wo Gerichte Vernetzungen der Regierung Andreotti mit der Mafia nachwiesen – dennoch gab es nie Verfahren gegen Rom. Es hat den Anschein, als hätte sich Ungarns Ministerpräsident freiwillig ins Fadenkreuz begeben.
Wie hat sich Viktor Orbán ins Fadenkreuz begeben?
Vor allem damit, wie er im Zeichen einer neuen „nationalen Bourgeoisie“ Figuren in Position brachte, denen er die Spielregeln auf den Leib schrieb. Oder wie er mit filigraner Kleinarbeit die Gegengewichte des parlamentarischen Mehrheitswillens ausschaltete, einen Staat im Staate aus öffentlich-rechtlichen Stiftungen zur Vermögensverwaltung und eigenständigen Regulierungsbehörden aufbaute. Wer einen Platz am Tisch der Großen beansprucht und deren Interessen berührt, muss sich nicht wundern, wenn diese nach Angriffsflächen suchen.
In Polen wiederum behaupten nicht einmal die härtesten Gegner des Kaczynski-Kurses, die dortige konservative Regierung würde klauen. Nichtsdestotrotz erhält auch Polen seine Gelder nicht. Wir sollten also vorsichtig mit der Behauptung sein, es ginge hier um einen ideologischen Konflikt.
Worum geht es dann?
Solange eine Regierung nicht die Wirtschaftsinteressen der europäischen Kernstaaten verletzt, können die EU-Gelder in finstersten Kanälen versickern, es wird niemanden stören. Warschau und Budapest aber suchen offene Konfrontation. Im Westen meinte man nach der Übernahme dieser Regionen und Märkte, ein beträchtlicher Teil der Fördermittel würde an die Geberländer zurückfließen. Souverän agierende Regierungen treten genau gegen diese „Selbstverständlichkeit“ auf. Das tat aber weder ein Andreotti noch irgendeine Regierung Rumäniens oder Bulgariens.
Sie haben doch vorhin gesagt, die Orbán-Regierung hätte es versäumt, die hiesige Wirtschaft zu stärken.
Ich mache dieser Regierung in der Tat den Vorwurf, die ausländischen Positionen im verarbeitenden Gewerbe nicht wirklich zurückgedrängt zu haben. Bei der Stärkung der einheimischen Klein- und mittelständischen Unternehmen waren die Polen beispielsweise weitaus erfolgreicher. Im letzten Jahrzehnt sind jedoch in Ungarn wie in Polen weitaus größere Anteile der EU-Gelder als zuvor einheimischen Unternehmen zugeflossen. Ich denke, da liegt die Wurzel des Konflikts mit Brüssel.
Auch die Visegrád-Gruppe ist vielen ein Dorn im Auge.
Wenn ich etwas in der Orbán´schen Außenpolitik vor dem 24. Februar loben wollte, dann war es die Stärkung der Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten (V4). Solche Regionalbündnisse verletzen natürlich ebenfalls die Interessen der Kernstaaten beziehungsweise der hinter diesen stehenden globalen Kreise. Doch deshalb muss sich ein verantwortlicher souveräner Politiker, wie ich schon sagte, nicht selbst zur Zielscheibe machen.
Apropos globale Interessen: Sie haben die NGO Action for Democracy aus den USA, die Milliarden in den Wahlkampf der ungarischen Linken steckte, in einem Artikel detailliert beleuchtet. Bekamen Sie deshalb wütende Telefonanrufe aus dem Oppositionslager?
Keinesfalls! Meine Meinung zu dem Thema ist seit langem bekannt. Es ist das Verdienst des vormaligen Spitzenkandidaten des Oppositionsbündnisses, Péter Márki-Zay, dass diese Kräfte nun ans Tageslicht kamen. Ich selbst habe nur die Stücke eines Puzzles zusammengesetzt. Eine politische Formation, die Gelder von Seiten des globalen Kapitals und Vertretern der internationalen Freihandelspolitik erhält, kann man nennen, wie man will, aber gewiss nicht als links oder patriotisch einstufen.
Wenn man das Wahlergebnis betrachtet, hat sich diese Geldanlage nicht sonderlich gelohnt.
Das ist nichts Neues. Wer sich noch heute im Stile der einstigen Kolonialmächte bewegt, wird in Ländern näher an der Peripherie immer wieder sein blaues Wunder erleben, ganz einfach weil die Arroganz dieser Kreise den Blick auf die wahren kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Traditionen verstellt.
Was haben Sie denn für ein Problem damit, wenn eine Organisation aus einem befreundeten Land bestimmte politische Kreise eines Bündnispartners unterstützt?
Um es klipp und klar zu sagen: Ich respektiere alle Weltanschauungen und politischen Überzeugungen, aber die imperialistischen Kreise der USA sind nicht meine Freunde und meine Verbündeten.
Was sagen Sie zur Schattenregierung der Partei von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, unter Führung seiner Gattin Klára Dobrev?
Seit den gewonnenen Parlamentswahlen vom 3. April musste die Orbán-Regierung zwei echte Kraftproben bewältigen: Sie musste die Protestwellen wegen der skandalösen Brennholzverordnung und wegen der prekären Lage an den Schulen abwehren. Hinter ersterer standen der WWF und die LMP, hinter letzterer die Gewerkschaften. Die Opposition hat kein Gewicht. Nach so vielen Wahlniederlagen sollte man doch endlich die Einsicht erlangen, Politik ist mehr als reine Machttechnik, das Verteilen von Posten und das Anschmieren der amtierenden Regierung. Irgendwann lässt das die Menschen kalt, ja irritiert sie eher. Es braucht eine grundlegend andere Denkweise.
Selbst wenn ich die Schattenregierung als Farce ansehe, kann man diesen Schachzug in der Logik eines Ferenc Gyurcsány nachvollziehen. Die Regierung und die Fidesz-Medien ließen im Wahlkampf keine Gelegenheit aus, um die Opposition auf Gyurcsány zu reduzieren: Alle seien Marionetten des heutigen DK-Chefs, Péter Márki-Zay wurde zum Mini-Feri gemacht. Tatsächlich hält der Kampf im linken Lager seit den 1990er Jahren unentwegt an, bei dem einst die sozialistische MSZP und der liberale SZDSZ auf der jeweils anderen Seite einer tiefen Bruchlinie standen. Im Finale des Vorwahlkampfes war das Ehepaar aus der Luxusvilla in den Budaer Bergen für jene, die sich plötzlich um den Oberbürgermeister von Hódmezővásárhely scharten, eine größere Herausforderung, als Orbán. Das hat Gyurcsány nicht verziehen. Einzig die DK hat die Kraft, sich zu organisieren. Im Oppositionslager ist sie damit allen anderen um Lichtjahre voraus. Wenn einer in diesem Lager Spuren von Regierungskompetenz aufweist, dann die DK. Das wollte der Ex-Premier mit seiner Initiative veranschaulichen.

Gyurcsány lag also im Prinzip richtig mit seinem Vorstoß. Aber um einen Klassiker von ihm selbst zu zitieren, hat er es vermasselt, nicht nur ein wenig, sondern mächtig. Die Präsentation der Schattenregierung auf den gleichen Tag zu legen, an dem Queen Elizabeth II. beerdigt wird, unmittelbar im Anschluss an eine weitere verlorene Nachwahl, war ein gnadenloser Schnitzer. Ganz zu schweigen davon, dass dieses Schattenkabinett noch keinen einzigen sinnvollen Vorschlag zur Bewältigung der Krise vorlegen konnte. Wenn man sich einzelne Gestalten in dieser Schattenregierung genauer anschaut, kommt einem nicht gerade Regierungskompetenz in den Sinn. Man wird den Eindruck nicht los, dass Gyurcsány und Orbán in Wirklichkeit am gleichen Strang ziehen. Das Dilemma des Sechsparteien-Bündnisses besteht halt darin, dass die kleinen Parteien einen Gyurcsány weder runterschlucken noch ausspucken können.
Verspüren Sie keinen Drang, in die Politik zurückzukehren, um der Opposition den richtigen Weg zu weisen?
So funktioniert das nicht. Nur weil man eine gewisse Bekanntheit erreicht hat, ist das noch keine hinreichende Bedingung, eine politische Alternative anbieten zu können.
In einem Interview haben Sie alle Oppositionsparteien außer DK und Momentum abgeschrieben.
Neben der Gyurcsány-DK hat nur die Momentum eine Zukunft, und zwar dank Anna Donáth. Wenn wir wieder an die Wahlkampfspenden denken, wird keiner Geld an die sonstigen Gestalten verschwenden. Diese Leute existieren im politischen Sinne nicht, sie spielen nur Theater.
Gergely Karácsony steht als Oberbürgermeister von Budapest doch häufig im Rampenlicht.
Ich bin in Budapest geboren und weiß schon heute, dass es mich kalt lassen wird, wen die Opposition 2024 für das Amt ins Rennen schicken will. Wenn nämlich die nächsten zwei Jahre vom Machtkampf zwischen Gergely Karácsony und Klára Dobrev handeln, wird der Fidesz das Oberbürgermeisteramt locker zurückerobern.
Budapest hatte seit der Wende neun gute Jahre, unter jenem István Tarlós, der von Fidesz-KDNP unterstützt wurde. Tarlós wurde 2019 von der vereinten Opposition aus dem Amt gedrängt, weil man glaubte, von Budapest aus das ganze Land erobern zu können. Diese Strategie ist am 3. April 2022 kläglich gescheitert. Selbst wenn der frühere liberale OB Gábor Demszky nie meine Sympathie besaß, warf er sich doch leidenschaftlich für die Modernisierung der Stadt ins Zeug. So gelten auch auf der Seite des Fidesz jene Stadtväter als besonders erfolgreich, die im Interesse ihrer Kommune nicht einmal den Konflikt mit der Regierung scheuen. Da wären András Cser-Palkovics in Székesfehérvár, Zoltán Balaicz in Zalaegerszeg oder Lénárd Borbély im Budapester Stadtteil Csepel zu nennen. Genauso wie im Oppositionslager jene Bürgermeister, die sich nicht als Kulturkämpfer verstehen, sondern die das Wohl ihrer Stadt umtreibt. Wie Gergely Őrsi im 2. oder Sándor Szaniszló im 18. und natürlich József Tóth im 13. Stadtbezirk von Budapest, ebenso wie András Nemény in Szombathely oder László Botka in Szeged.
An Karácsony weiß ich zu schätzen, dass er bis zum 3. April für das Oppositionsbündnis einstand und sich dessen Interessen unterordnete. Aber warum er sich seither nicht auf Budapest konzentriert oder besser noch zurücktritt, das kann ich nicht begreifen.
Das hier leicht gekürzt wiedergegebene Interview von Dániel Kacsoh erschien ursprünglich Mitte Oktober im konservativen Wochenblatt Mandiner.
Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.
Die Ungarn fühlen sich anscheinend von der ganzen Welt verfolgt, obwohl die meisten Menschen dieser Welt sicher nicht wissen, dass es Ungarn überhaupt gibt. So unbedeutend ist das Land in der Welt. Ungarn ist ein Weltmeister in der Entwicklung von Verschwörungstheorien gegen sich selber (alter Fidesz-Trick, um Wahlen zu gewinnen). Ob links oder rechts, bleibt sich gleich. Ein gemeinsames Merkmal ist nur deren Humorlosigkeit. Die Wahrscheinlichkeit solche Menschen lachen zu sehen, ist etwa gleich hoch, wie einen zufriedenen Ungarn zu finden. Der Sozialneid ist hier noch weit verbreiteter als in Deutschland. Sie haben kein Problem damit, das schwer verdiente Geld der anderen Staaten einzustreichen und gleichzeitig diese zu beschuldigen, diese wollen sie nur ausrauben. Wo bleibt übrigens die imperiale Politik Russlands in diesen Aussagen. Fehlanzeige! Damit diskreditiert der Autor sich selber: Er ist ein Propagandist russischer Interessen mit einem unstillbaren Hass auf alles Westliche!