Modedesigner Zoltán Herczeg: „Es wäre Zeit, euren Kopf aus dem Sand zu ziehen und ernsthaft darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll.“ (Foto: Facebook / Zoltán Herczeg)

Die linke Seite: Kommentar zu Konzertbeschränkungen

Liebe Musiker! Was habt ihr erwartet?

Liebe Musiker, DJs, Roadies, Ton- und Lichttechniker sowie Musikindustrielle! Jetzt, da ihr in der Sch***e sitzt, wundert und beklagt ihr euch? Ihr versteht plötzlich nicht mehr, was hier los ist? Passt euch das System plötzlich nicht mehr?

Als Lehrer – die netto gerade mal 150.000 Forint verdienen – von oben mit sinn- und nutzlosen Fesseln an Händen und Füßen gegängelt wurden, hat euch das nicht wirklich gestört. Ihr habt eure Stimme nicht erhoben, ihr seid stumm geblieben. Als sie (Anm.: die Regierung) das Gesundheitssystem zerstört haben und Ärzte und Pfleger zu Tausenden ins Ausland abwanderten, auch da habt ihr die Klappe gehalten. Als sie die CEU und die MTA mit der Keule niederknüppelten, steckte die Musikergarde lieber den Kopf in den Sand. (…)

Vor nicht allzu langer Zeit wurden die Schauspieler in ein Meer aus Sch***e getrieben, auch da machte sich die Musikindustrie klein. Soll ich weitermachen? Die Brillenträger sind die Nächsten! Neeeein, doch nicht, aber die Musiker, die können vielleicht noch frei (vor sich hin)denken und schaffen …

„Klappe halten!“

Vor ein paar Jahren, noch vor den Wahlen 2018, habe ich genau hier schon einmal versucht, meine Idee vorzustellen. Die fünf erfolgreichsten, angesagtesten ungarischen Bands sollten gemeinsam (laut meiner bescheidenen Berechnung) mehr Fans haben, als die 2,5 Millionen Menschen umfassende Wählerbasis des bösen Zwerges (Anm.: gemeint ist Ministerpräsident Viktor Orbán). Und wenn diese fünf Musikgruppen sich die Mühe machen würden und einfach geradeheraus einstehen würden für sich selbst, für das Land, für die Heimat, für unsere demokratischen Werte, für die FREIHEIT und für Lässigkeit, über die sie sonst so laut und stolz singen, dann würde das NER (Anm.: System der nationalen Zusammenarbeit – des Fidesz) vielleicht schon am nächsten Tag scheitern, spätestens aber bei den nächsten Wahlen.

Ich schreibe die Namen der fünf Bands jetzt nicht noch einmal nieder – jeder kennt sie. Am nächsten Tag kam die Antwort, natürlich nicht öffentlich, dafür waren sie zu feige, sondern privat, per SMS: „Hör mal, Zoli, es wäre echt verdammt gut, wenn du nicht in unserem Namen politisieren würdest, weil wir als Band einfach mal Hunderte Millionen riskieren, wenn unser Name auch nur erwähnt wird. Es wäre also echt saugut, wenn du also auch an unserer statt die Klappe halten würdest! Danke!”

Denn Klappe halten ist cool! Die Hunderte Millionen der staatlichen Szerencsejáték Zrt. und der MOL sind kuuuuhl, yeahh!!! Auch die staatlichen und kommunalen (beides ist heute fast ein und dasselbe, sprich Fidesz) Gagen auf Dorftagen, Stadtfesten und irgendwelchen dahergelaufenen Veranstaltungen sind yeaaaah, kuuuuuhl!

Vergeblich schreibe ich es auf, erkläre es, bettle darum, dass in einer Marktwirtschaft die Künste, die Kultur und der Sport vor allem durch eine gerechte Vergütung am Blühen erhalten werden müssen und nicht durch Szilárd Demeter (Anm.: Leiter des Petőfi-Literaturmuseums) oder Tamás Deutsch und die Seinen!

Eine Band, die begabt ist, professionell, selbstständig und erfolgreich, die sollte sich auf dem freien Markt über Wasser halten können. Durch Ticketverkäufe etwa, für die das Volk (sprich die Fans!) freiwillig zahlt, weil die Band den Leuten gefällt. Bekommt Metallica staatliche Unterstützung? Oder etwa die Red Hot Chili Peppers??

Ihr hängt am Ende des warmen, schlaffen Schwanzes des Staates. Für euch ist das kuuuuhl und yeaaaaah und bequem. Ich hab vergeblich geredet.

Wen interessieren die Löhne der ungarischen Proleten? Wie könnte so jemand 5.000 bis 10.000 Forint für ein Ticket ausgeben? Zoli, was soll das, du spinnst ja wohl!!!

Nun, hierhin führen eure Kompromisse, das Klappehalten, das Ertragen, das Nichtstun, das Akzeptieren von Almosen. Auch wenn es Hunderte Millionen sind, es bleiben Almosen, meine Freunde! Genauso, wie die 60.000 Forint Unterstützung auf „Grundlage der Bedürftigkeit” von der „Fachgewerkschaft der Musiker”. Von nun an seid auch ihr Lakaien. Nur der bekommt Kohle und Auftritte, der so tanzt, wie Lehnsherr Döbrögi (Anm.: eine Figur aus dem ungarischen Volksmärchen Ludas Matyi) pfeift.

Szilárd Demeter wird euch schon sagen, worüber und wie gesungen und wie getanzt werden soll. Er lässt aus staatlicher Kohle die skythisch-ungarische Popkultur erblühen. Dafür hat er rund 60 Milliarden zur Verfügung. Trianon muss enthalten sein, das wahre(!) Christentum(!!!), wenn möglich, muss sie auf Pferderücken dahergeritten kommen, mit Ronan-Gulaschsuppe im Mund und Turul! Nun geht es euch an den Kragen! Jetzt halte ich aber meine Klappe, so wie ihr es bei mir geraten habt. Kuuuuuhl, yeaaaahh!

Alle werden klein gemacht

Ehrlich, was habt ihr euch von einer Führung erwartet, die in Krisenzeiten einer weltweiten Pandemie allein an Masken, Handschuhen und Beatmungsgeräten für das Gesundheitssystem mindestens 50 Milliarden verdient hat (sprich gestohlen hat)? Schaut ihr wirklich keine Nachrichten? Seht ihr nicht, versteht ihr nicht den Kern des NER?

Klappe halten, das, meine Freunde, ist unser Name in diesem Land, das wir unsere Heimat schimpfen!

Ärzte, Pfleger, Lehrer, Wissenschaftler, Künstler, Schauspieler und sogenannte Intellektuelle wurden alle klein gemacht, nur ihr fehlt noch. Rock ’n’ Roll, hejjj!!!

Es wäre Zeit, euren Kopf aus dem Sand zu ziehen und ernsthaft darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Noch ist es nicht zu spät. Noch ist es möglich, noch könnt ihr. Statt beklagen und wundern, müsst ihr euch entscheiden: Ost oder West? Vorwärts oder zurück? Feudalismus und Lehnswesen oder demokratische Freiheit als Zukunft?

Fußball, Stadion, 20.000 Menschen – geht! Konzert, Festival, 1.000 Menschen – geht nicht! Und ihr versteht das nicht???? Was, verdammt nochmal, versteht ihr nicht???? Orbán ist NB2-Fußballer, nicht Rockfan. Punkt! Denn über Frieden und Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit muss man nicht nur singen und dazu tanzen! Man muss dafür auch kämpfen und ringen. Mit offenem Visier dafür einstehen und dagegen angehen. Umsonst gibt es sie nicht, hat es und wird es sie nie geben! Versteht ihr das? Versteht ihr es endlich??? Hat es endlich Klick gemacht??? Kämpft dafür!!! Ich bin mit euch, ihr könnt auf mich zählen. Ich bin da, lasst es uns gemeinsam angehen. Ich gebe nie auf!!!

Zum Ende möchte ich hier einen meiner Lieblinge zitieren, einen der größten Freiheitskämpfer, Nelson Mandela: „Fools multiply when wise men are silent.” – „Narren vermehren sich, wenn die Klugen schweigen.”

Aus dem Ungarischen von EKG.

Zoltán Herczeg ist ein ungarischer Modedesigner, der für seine kritische Haltung gegenüber der Orbán-Regierung bekannt ist.

Der hier wiedergegebene Kommentar erschien am 16. Juli auf dem persönlichen Facebook-Profil von Herczeg.

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