Die linke Seite: Kommentar zur Causa Szájer
Je suis Szájer
Zur Verteidigung von József Szájer muss gesagt werden, dass dieser Mann mit dem Ausleben seiner Lüste keine Sünde begangen hat, mehr noch: Es ist eigentlich ziemlich abgefahren, kurz vorm Renten zugeballert auf einer Sexparty zu feiern, um dann lässig vor den Bullen zu flüchten.
Wenn ich doch nur die letzten zehn Jahre vergessen könnte, in denen wir von ihm und von seiner „christlichen“ Partei zu hören bekamen, dass wir besser unsere liberale Schnauze halten und versuchen sollten, nach „christlichen“ Werten zu leben. Mit beiden Beinen haben sie nach jedem getreten, den sie für „anders“ oder für „abweichend“ hielten und der nicht zum Bild des uniformen Spießbürgers passt, den sie mit einem dreifachen Ausrufezeichen in ihr Grundgesetz gemalt haben.
Orbáns simples Bild
Vergebens haben wir gesagt, dass die Welt nun mal nicht in Orbáns simples Bild passt, dass der Mensch ein komplexeres und vor allem von Natur aus freieres Wesen ist, als dieser nicht existierende Idealtypus Bürger, auf den sie sich nur aus Gründen des politischen Marketings beziehen und dem sie selbst nicht entsprechen.
Vergebens haben wir gesagt, dass wir die, die anders sind oder irgendwie von der Norm abweichen, auch als Menschen sehen müssen, und dass Schwule, Drogenkonsumenten und Minderheiten vielleicht lieber nicht kriminalisiert werden sollten. Alle Bemühungen waren vergebens – doch nun hängte sich József Szájer an die Regenrinne und bestätigte mit seinem unwürdigen Absturz die Daseinsberechtigung seines früheren liberalen Selbst.
Ich verurteile Szájer nicht für seine Neigungen – aber ich verachte zutiefst den Lügner, den er auf der politischen Bühne gespielt hat. Den korrupten Politiker, der sich für ein ausgrenzendes „christliches“ Familienmodell stark gemacht hat und damit sich selbst und seinen früheren männlichen Geliebten ins Gesicht spuckte, während er ein ganzes Land über Moral, Patriotismus und Ungarntum belehrte. Es war für ihn an der Zeit, diesem langjährigen Lügen und Betrügen endlich ein Ende zu setzen.
Sünde bleibt nicht ungestraft
Natürlich hat Szájer nicht freiwillig die Maske fallen lassen – dafür benötigte es schon den Regisseur genannt Leben, der mit einem außergewöhnlich guten Humor gesegnet ist und dem die Schauspieler vollen Gehorsam schulden. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie schrecklich es sein muss, nun in József Szájers Haut zu stecken – aber wenn die Oberen des Fidesz wirklich an „Gott“ glauben, dann werden sie sich auch der göttlichen Gerechtigkeit bewusst sein: Sünde bleibt nicht ungestraft.
Je suis Szájer, wenn ich mein eigenes Leben frei leben will, mich nicht um den drohend erhobenen Finger der Mächtigen kümmere, laut über die Heuchler lache, Spaß habe und das Leben genieße. Wichtig ist nur, dass das, was ich tue, niemand anderem schadet, und dass ich weiß, dass meine Freiheiten dort aufhören, wo die Freiheit meiner Mitmenschen beginnt. Denn genau das ist Freiheit: leben und leben lassen.
Doch auf genau diese menschliche Freiheit hat der Fidesz herabgeschaut, er fürchtet sie, sie passt nicht in die Käfigwelt, die er abgehoben Weltanschauung nennt. Zumindest bis József Szájer die Regenrinne herunterkam: Jetzt steht er vor ihnen, nackt vor der augenrollenden Parteiführung, zitternd und verletzlich und schreit mit jeder Faser seines Seins: „Seht her, meine Brüder, so sind wir.“
Aus dem Ungarischen von Elisabeth Katalin Grabow.
Der hier wiedergegebene Kommentar erschien am 3. Dezember in der Onlineausgabe der linken Tageszeitung Népszava.