Gemeinsame Pressekonferenz der Premiers Morawiecki und Orbán am 26. November in Budapest: In der Veto-Frage existiert die V4-Staatengruppe nicht, es gibt nur ein Abkommen zwischen Polen und Ungarn. Foto: MTI / Zoltán Fischer

Die linke Seite: Kommentar zum ungarischen Veto

Ist Orbán mit seinen Tricks am Ende?

Viktor Orbán hat vor Jahren einen Trick entdeckt und seitdem fast jede wichtige Schlacht auf der europäischen Bühne gewonnen. Der Trick ist, dass die meisten Leute, die in Brüssel sitzen, die Natur der politischen Macht nicht so verstehen wie er.

Die politische Existenz des Premierministers basiert darauf, Konflikte zu inszenieren. Zu dieser Inszenierung gehört auch die Niederlage der Gegenseite. Denn die Politik des Fidesz ist ein Nullsummenspiel: Entweder etwas ist gut für uns oder für sie, dass etwas gut für alle ist und wir gemeinsam einen Schritt vorankommen, gibt es nicht. Die Funktionsweise der Europäischen Union ist das Gegenteil davon, sie schließt die Anwendung politischer Gewalt, in der Form wie Orbán sie versteht, beinahe aus. (…)

Ist Orbán zu weit gegangen?

Orbáns großer Trick ist nun, dass er es wagt, einen politischen Kampf gegen die Union zu führen, weil er darauf vertraut, dass die andere Seite nicht zurückschlägt, sondern nach einer Lösung suchen wird, um alle zu versöhnen. Aber jetzt scheint es so, als sei er diesmal zu weit gegangen. In der Tat hat er mit seinem Veto zum EU-Haushalt die Staats- und Regierungschefs der allermeisten EU-Länder wirklich verärgert. Es ist selten, dass Botschafter so etwas sagen wie: „Wir stecken so richtig in der Scheiße.“ Aber genau das ist jetzt der Fall.

Um die Einführung eines Rechtsstaatsmechanismus bei EU-Hilfen zu verhindern, haben die ungarische und die polnische Regierung ihr Veto gegen den gesamten EU-Haushalt eingelegt. Damit ist ein Projekt, an dem viele seit Jahren arbeiten, in seiner letzten Phase ins Stocken geraten.

Die Rechnung ist eine einfache: 25 Mitgliedsstaaten möchten, dass der EU-Haushalt inklusive Corona-Aufbaufonds beschlossen wird, zwei nicht. Viele südliche Mitgliedstaaten sind aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Epidemie in einer sehr schlechten finanziellen Verfassung und warten dringend auf die Hilfen (…) Daher schreibt Florian Eder in seinem werktäglichen Briefing zur europäischen Politik, Morgen Europa, bereits, Orbán sollte nicht erwarten, dass ihm ein Land, das jetzt in Schwierigkeiten ist und das Geld braucht, in Zukunft noch einen Gefallen tun wird.

Keine wirkliche Lösung in Sicht

Durch die Blockade des Corona-Rettungs­pakets hat der ungarische Ministerpräsident nahezu allen guten Willen der vor dem Konkurs stehenden südlichen Länder verspielt. Vor allem, weil es so scheint, als ob es keine wirkliche Lösung für diese ganze Situation gibt. Von Angela Merkel bis Charles Michel, dem Vorsitzenden des Europäischen Rates, haben bereits alle mit Orbán gesprochen, und er hat allen das Gleiche gesagt: Er sieht nicht, dass sich von Zauberhand eine Lösung finden lassen wird, daher sollte auch niemand auf der Ratssitzung am Donnerstag ein Wunder erwarten.

Daraus, dass es so weit kommen konnte, lassen sich zwei Lehren ziehen: Zum einen ist die grundlegende Technik der Union zur Lösung schwieriger Probleme gescheitert. Die aktuelle Situation ist darauf zurückzuführen, dass der Fall auf dem Sommergipfel unter den Tisch fallen gelassen wurde und die Einzelheiten des Rechtsstaatsmechanismus nicht vereinbart wurden. Dies lag daran, dass die grundlegende Absicht solcher EU-Gipfel­treffen darin besteht, einen Kompromiss zu finden, sodass jeder am Ende gut daraus hervorgeht. (…)

Zum anderen zeigt sich, dass es hier keine Visegrád-Interessengruppe mehr gibt. Es gibt nur noch ein Abkommen zwischen Polen und Ungarn, Tschechien und die Slowakei distanzieren sich gerade deutlich von diesen beiden Ländern. (…)

Wenn in Bezug auf den Rechtsstaatsmechanismus letztlich die Version verabschiedet wird, die der Fidesz sich wünscht, dann besteht die gute Chance, dass nicht nur das Parlament ein Veto gegen den Haushalt einlegt, sondern auch die nördlichen Mitgliedstaaten, in denen der Kampf gegen den Fidesz ein innenpolitisches Thema ist. (…)

Viktor Orbán kann nur darauf vertrauen, dass er es sich später anders überlegt oder die anderen früher nachgeben. Die Chance besteht sogar, auch wenn sie gering ist (…). Vergebens erklärt die ungarische Justizministerin, dass Rechtsstaatlichkeit keine objektive Voraussetzung sei, nur weil fast alle anderen sich darin einig sind. Die ungarische Regierung würde lieber auf eine Menge Geld verzichten und mehrere andere Länder an den Rand des finanziellen Ruins bringen, nur damit es in Zukunft keine Möglichkeit gibt, sie zur Rechenschaft zu ziehen. (…)

Natürlich kann es sein, dass am Ende eine Lösung gefunden wird, mit der alle zufrieden sind, immerhin reden wir hier von der EU, Brüssel ist in solchen Sachen Weltspitze. Aber jetzt befindet sich Europa in einer Situation, in der dies nicht wahrscheinlich erscheint.

Aus dem Ungarischen von EKG.

Der hier wiedergegebene Kommentar erschien am 17. November auf dem liberalen Nachrichtenportal 24.hu.

Schreibe einen Kommentar

Weitere Artikel