Analyse: Die neue Trump-Ära
Isolierte EU-Führung vs. global vernetztes Ungarn
Dieser Scheideweg bestimmt auch das Vorher und das Nachher, es ist ein Wendepunkt zwischen (dem vergangenen) Krieg und (dem kommenden) Frieden. Von nun an kann es wieder aufwärts gehen. An jenem 20. Januar 2025 wurde in den Vereinigten Staaten von Amerika Donald Trump als neuer US-Präsident vereidigt, und in Ungarn zog Ministerpräsident Viktor Orbán in großer Runde Bilanz über die Ergebnisse der EU-Ratspräsidentschaft. Zwischen diesen Ereignissen besteht ein innerer Bedeutungszusammenhang, den es auch in Europa zu berücksichtigen gilt.
Ungarns EU-Ratspräsidentschaft
Im zweiten Halbjahr 2024 hatte Ungarn den turnusmäßig wechselnden Vorsitz der Europäischen Union inne, nachdem das Land – unter der gleichen Regierung von Viktor Orbán – bereits im ersten Halbjahr 2011 eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft absolviert hatte. Im Jahr 2024 ging es um nichts Geringeres als um Krieg und Frieden und um die Zukunftsfähigkeit des Kontinents in wirtschaftlicher, sozialer und geopolitischer Hinsicht.
Trotz global besonders turbulenter Zeiten, des institutionellen Umbruchs in der EU und der politischen Obstruktion der EU-Eliten ist es Ungarn gelungen, wichtige Meilensteine zu setzen, die für die gesamte Europäische Union von Bedeutung sind. Das anfangs belächelte Präsidentschaftsmotto „Make Europe Great Again“ erwies sich in Anlehnung an Donald Trump als goldrichtig, um Europa auf Erfolgskurs zu bringen. Die einzelnen Ergebnisse dieser Politik zeigen, dass es sich dabei nicht um bloße Lippenbekenntnisse handelt, sondern dass es den Ungarn entgegen der internationalen Kritik tatsächlich um das Wohl Europas geht.
Friedensmission
Bereits am ersten Tag der Ratspräsidentschaft reiste Ministerpräsident Viktor Orbán nach Kiew, um mit Präsident Wolodymyr Selenskyj die Chancen für einen Waffenstillstand auszuloten. Dieses Treffen war erst wenige Tage zuvor vereinbart worden. Noch auf der Rückreise von Kiew – beide Teile wurden auf dem Landweg mit dem Auto zurückgelegt – arrangierte die ungarische Regierung ein persönliches Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, das zwei Tage später in Moskau stattfand.
Auch hier ging es dem ungarischen Ministerpräsidenten darum, die roten Linien auszuloten und im persönlichen Gespräch zu erfahren, wie weit die Kriegsparteien bei den Waffenstillstandsverhandlungen zu gehen bereit sind. Einen Tag später traf sich Viktor Orbán mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, zwei Tage später mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping, um unmittelbar danach in den USA mit Joe Biden und Donald Trump persönlich zu sprechen.
Innerhalb von nur neun Tagen führte er persönliche Gespräche auf höchster Ebene mit den sechs für einen Waffenstillstand und Frieden in der Ukraine relevanten Männern – eine solche diplomatische und politische Offensive war von keinem der verantwortlichen Politiker in Europa erwogen, geschweige denn unternommen worden.
Dementsprechend fielen die Reaktionen von Verblüffung bis Wut aus. Viktor Orbán hat den Finger in die Wunde gelegt, denn wer wirklich Frieden will, kommt nicht umhin, Kommunikationskanäle aufzubauen und direkt mit den Kriegsparteien zu sprechen. Als wichtiges Ergebnis lässt sich ein Wandel im europäischen Diskurs feststellen, den der Ungar wirkungsvoll vorangetrieben hat: Heute reden alle über Frieden.
Schengen-Erweiterung
Bereits 2011 waren die Ungarn große Befürworter der kroatischen EU-Erweiterung, und auch 2024 befürworteten sie eine offensive Erweiterungspolitik. Dies galt insbesondere für die Erweiterung des Schengen-Raums um Rumänien und Bulgarien. Für die in Siebenbürgen (Rumänien) lebenden ethnischen Ungarn ging damit ein jahrhundertealter Wunsch in Erfüllung, wieder engeren Kontakt zum Mutterland Ungarn und damit zu Europa zu haben. Aber auch für den Wirtschafts- und Warenverkehr ist der positive Effekt nicht nur für Rumänien, sondern für ganz Mittelosteuropa nicht zu unterschätzen.
„100 Jahre ungarische Einsamkeit“ (Viktor Orbán) sind vorbei, es gilt, lebendige und gute Beziehungen zu den Nachbarländern auszubauen und sich nicht abzuschotten. Diese Erweiterung während der ungarischen Ratspräsidentschaft war beispielhaft für die Bemühungen des mittelgroßen Ungarn, in friedlicher Eintracht mit seinen Nachbarn zu leben und den europäischen Geist auch in dieser Region zu leben, die nicht frei von konfliktreicher Geschichte ist.
Der Balkan
Die Erweiterungspolitik gegenüber dem Balkan wurde von Ungarn, das als größter Befürworter des serbischen Beitrittsgesuchs zur Europäischen Union gilt, besonders auf die Tagesordnung gesetzt. Begründet wird dies mit der historischen Chance, nicht mehr an der Peripherie zu stehen, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft gedeihliche Zusammenarbeit und Völkerverständigung zu pflegen.
Dabei ging es der ungarischen Politik darum, eine „Erweiterung nach Verdiensten“ voranzutreiben, d.h. die erfüllten und objektiven Kriterien zur Entfaltung kommen zu lassen und dabei angesichts der politisch bedingten Erweiterungspolitik der EU gegenüber der Ukraine den Balkan nicht zu vergessen. Diese ist nach ungarischer Lesart alles andere als gut gerüstet für eine mögliche Mitgliedschaft in der Europäischen Union – ganz im Gegensatz zu einigen Ländern des Westbalkans, die diesbezüglich bereits große Leistungen vollbracht haben.
Wettbewerbsfähigkeit
Anfang November wurde beim Europäischen Rat in Budapest der „New Deal for European Competitiveness“ beschlossen, der konkrete Schritte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen vorsieht. Diese Budapester Erklärung wurde maßgeblich von ungarischer Seite vorangetrieben. Sie sieht unter anderem eine Verringerung des Verwaltungs-, Regulierungs- und Meldeaufwands für kleine und mittlere Unternehmen in Europa vor.
Diese Maßnahmen sollen bereits im ersten Halbjahr 2025 mit einer Reduktion der Verpflichtungen um mindestens 25% umgesetzt werden, da die europäische Wirtschaft keine Zeit zu verlieren habe, heißt es im Abschlusskommuniqué. Besonders wichtig sei es auch, Energiesouveränität zu erreichen und bezahlbare Energiekosten für Bürger und Industrie zu ermöglichen.
Donald Trump und Europa
Angesichts der neuen Präsidentschaft von Donald Trump befindet sich Europa noch immer in Schockstarre. Ungarn ist eines der wenigen Länder, in denen die Mehrheit der Bevölkerung eine Präsidentschaft von Donald Trump befürwortet. Dies entsprach auch der Präferenz der politischen Führung des Landes, denn Viktor Orbán legte sich schon früh auf den Republikaner fest, besuchte ihn mehrmals im Wahlkampf und feierte mit ihm in Mar-o-Lago seinen Wahlsieg.
Unmittelbar nach der Wahl war Orbán einer der ersten ausländischen Spitzenpolitiker, die Trump anrief. Zwischen den beiden Politikern besteht seit langem eine intensive, vertrauensvolle Beziehung und Zusammenarbeit sowie persönliche Sympathie. Gemeinsam ist beiden, dass sie sich für die souveränen Interessen ihrer Länder einsetzen und einen bewussten Gegenpol zu links-grünen Bewegungen bilden.
Sie stehen auch für eine realistische, interessengeleitete Außenpolitik statt für eine wertegeleitete oder gar „feministische“ Politik des Moralisierens und der Empörung. Die Voraussetzungen für eine Rückkehr zur Realpolitik sind besser denn je. Die interventionistische und moralisierende Politik der Durchsetzung vermeintlich universeller Werte ist weltweit gescheitert. Notwendig ist wieder eine Politik auf Augenhöhe, die auf gegenseitigem Respekt und Anerkennung des Anderen beruht, die die legitimen Interessen des Anderen respektiert und auf dieser Basis einen Ausgleich sucht.
Die außenpolitische Ausgangslage der gescheiterten Ampelkoalition ist in diesem Zusammenhang besonders schlecht. Ihre moralisch überhebliche Haltung in vielen weltpolitischen Fragen hat nicht selten als politischer Brandbeschleuniger gewirkt. Besonders bitter ist, dass die Regierung von Olaf Scholz international kaum noch das Gewicht auf die Waagschale bringt, das Gerhard Schröder – von Helmut Kohl ganz zu schweigen – hatte. Damit ist auch der Handlungsspielraum Deutschlands entsprechend eingeschränkt.
Noch trauriger stimmt die völlige Realitätsverweigerung der bundesdeutschen Eliten in Politik, Gesellschaft und Medien und insbesondere ihr Umgang mit Donald Trump und seinen ersten Maßnahmen. In keinem Land waren die Heilserwartungen an den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten so hoch wie in Deutschland. Donald Trump ist für die Deutschen ein rotes Tuch, aber nun muss man sich mit ihm arrangieren. Die verärgerte und beleidigte Haltung in den Reaktionen auf die Äußerungen von Elon Musk über deutsche Spitzenpolitiker spricht Bände.
Politik der „offenen Türen“
In dieser Gemengelage ließ es sich der ungarische Ministerpräsident nicht nehmen, vor großem Publikum persönlich die weltpolitische Dimension sowohl der Ratspräsidentschaft als auch des Amtsantritts von Donald Trump zu bewerten. In diesem Zusammenhang betonte er: „Wir waren Trump vor Trump!“ Auch die amerikanischen Wähler hätten erkannt, dass die Welt am Westen vorbeiziehe. Sie wollten einen Kurswechsel, weg von einer Politik, die für sich in Anspruch nehme, eine vermeintliche historische Wahrheit gepachtet zu haben und auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.
Stattdessen seien in den letzten Jahren Aspekte des Realismus, der Wettbewerbsfähigkeit und der Effizienz in den Hintergrund getreten. Vielmehr hätten sich identitätspolitische Ideologien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durchgesetzt. Dies müsse sich ändern. In der internationalen Handelspolitik habe Ungarn erkannt, dass es eine wirtschaftliche Neutralität anstreben müsse, in der Offenheit, Kooperation und Konnektivität an die Stelle von Ideologien, Sanktionen und Barrieren treten müssten.
Die EU, so Orbán, habe in zentralen Bereichen wie Sicherheit, Migration und Wettbewerbsfähigkeit versagt und die wahren globalen Herausforderungen nicht verstanden. Die Union sei der „kranke Mann Europas“, unfähig, Frieden zu sichern, Migration zu begrenzen oder wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen. Brüssel verfolge eine Agenda, die auf Krieg statt Frieden, Migration statt Grenzschutz, Gender statt Familie und Green Transition statt bezahlbarer Energie setzt. Diese Ansätze, so die ungarische Kritik, trieben Europa immer weiter in die Isolation und schadeten seiner globalen Wettbewerbsfähigkeit.
Nicht Ungarn sei isoliert, sondern die derzeitige EU-Führung, so Orbán. Die alte Taktik, anderen vorzuwerfen, was man selbst tut, sei in Brüssel weit verbreitet. In Brüssel erkenne man nicht, dass die EU ein Problem habe, sondern gehe fälschlicherweise davon aus, dass das Ziel der EU-Integration nur die Integration selbst sei. Von besonderer Bedeutung sei auch, dass die Welt in eine Phase der geopolitischen Neuausrichtung eingetreten sei, in der Asien zunehmend an Einfluss gewinne.
Während sich die EU isoliere, baue Ungarn seine Beziehungen zu den USA, China, Russland und Afrika weiter aus. Diese Politik der „offenen Türen“ könne als Schlüssel zur Anpassung an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dienen. Ungarn strebe freundschaftliche Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit an. Die Notwendigkeit des Wandels sei größer denn je, aber Ungarn sei entschlossener und stärker als 2024. Auch in den USA vollziehe sich ein Wandel. Abschließend betonte Orbán: „Ich eröffne hiermit die zweite Phase des Wandels: Brüssel einnehmen und eine neue Ära einleiten”.

Fazit
Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2024 markiert einen Wendepunkt in der politischen Geschichte der Union. Sie kann als paradigmatischer Erfolg und klare Opposition der Ungarn gegen die vorherrschende linksliberale Agenda der derzeitigen Brüsseler EU-Führung interpretiert werden. Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft 2024 ist somit die Manifestation eines souveränen, patriotischen Ansatzes, der traditionelle Werte und souveräne Interessen in den Vordergrund stellt.
Ungarn sieht sich an der Spitze des Wandels, der Europa aus der Krise führen und die Grundlagen für ein effizienteres und wettbewerbsfähigeres Europa schaffen soll. Die Bilanz der ungarischen Ratspräsidentschaft kann sich sehen lassen. Das schwierige geopolitische Umfeld, der institutionelle Übergang, aber auch die Blockadehaltung einiger Länder und der EU-Kommission gegenüber dem Vorsitzland konnten nicht verhindern, dass in wichtigen Bereichen gute und belastbare Ergebnisse erzielt wurden.
Die ungarischen Bemühungen um Frieden in der Ukraine wurden durch die Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gekrönt. Donald Trump verfolgt in den wichtigen Fragen von Krieg und Frieden fast die gleiche Politik wie Viktor Orbán, so dass dessen Friedensmission zu Beginn der EU-Ratspräsidentschaft nun nachträglich legitimiert und aufgewertet wurde.
Die Europäer wären gut beraten gewesen, vor einem halben Jahr auf Viktor Orbán zu hören, um selbst als Friedensmacht die Initiative zu ergreifen, die Interessen Europas zu verstehen, zu artikulieren und damit letztlich die geopolitische Handlungsfähigkeit des alten Kontinents zu erhalten. Heute steht die EU in vielerlei Hinsicht allein da und muss die Folgen ihrer verantwortungslosen Politik sowie ihrer Ideen-, Strategie- und Orientierungslosigkeit ausbaden. Das gilt vor allem für die Folgen ihrer bisherigen Ukraine-Politik.
Wenn Europa also wieder aufsteigen und die Rolle in der Welt spielen will, die ihm zusteht, wird es nicht umhin kommen, Viktor Orbán zumindest zuzuhören. Er ist schließlich auch derjenige, der mit Donald Trump auf Augenhöhe sprechen kann – im Interesse Europas. Orbán schloss seine Analyse der ungarischen Ratspräsidentschaft am 20. Januar mit den passenden Worten: „Die zweite Phase des Wandels hat begonnen. Brüssel wird sich verändern müssen – mit oder ohne uns.“
Der Autor ist Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias-Corvinus-Kolleg in Budapest. Er ist Mitherausgeber des „Ungarischen Konservativen“ und publiziert zu zeitgeschichtlichen und europapolitischen Themen in verschiedenen Medien in deutscher, englischer und ungarischer Sprache. Der vorliegende Aufsatz ist die überarbeitete Fassung eines Artikels, der am 22. Januar 2025 in der Berliner Zeitung erschienen ist.
Wieviel Zeit hatte sich Trump vor seiner Wahl gegeben, um in der Ukraine für schweigende Waffen zu sorgen??
Auch wenn er sonst schon erstaunlich schnell viel Bedeutendes bewegt hat, ist der neue Präsident meines Erachtens mit großer Vorsicht zu betrachten. Mir erscheint nicht alles besonders durchdacht, was er so von sich gibt. Ungarn dürfte für die EU der bessere Orientierungspunkt sein als die USA.