Sofort nach dem Wahlsieg von Peter Pellegrini begann ein Großteil der deutschen Medien, ein düsteres Zukunftsbild von der Slowakei zu entwerfen. Foto: MTI / Boglárka Bodnár

Analyse

Gute Medienreform, böse Medienreform

Die Medienkriege in Ungarn, Polen und der Slowakei im Spiegel der deutschen Presse.

Die slowakischen Präsidentschaftswahlen Anfang April erhitzen die Gemüter der westlichen Pressebeobachter. Es schien, als könnten sich die slowakischen Wähler in einer Schicksalswahl zwischen der „Rückkehr nach Europa in die Demokratie“ und der „Abkehr von Europa in die Autokratie“ entscheiden.

Überzeichnete Positionen

Diese überzeichneten Positionen verkörperten der ehemalige Außenminister Korčok als liberaler, „pro-westlicher“ Spitzenkandidat der Opposition sowie regierungsseitig der Sozialdemokrat und amtierende Parlamentspräsident Pellegrini. Die Wahlergebnisse vom 7. April dürften die amtierende Regierung in ihrem Kurs bestätigt haben. Pellegrini konnte sich deutlich gegen seinen Konkurrenten durchsetzen. Noch am Wahlabend zeichnete ein Großteil der deutschen Medienöffentlichkeit ein düsteres Bild von einer unsicheren Zukunft der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Slowakei.

Tagesschau-Korrespondent Danko Handrick zog sogleich den Vergleich zu Ungarn: „Es wurde hier im Vorfeld der Wahlen schon immer von einer ‚Orbánisierung‘, von einem ‚ungarischen Weg‘ der Slowakei gesprochen. […] Diesem Ziel ist Robert Fico gestern einen Schritt nähergekommen. Er hat auch jetzt den Präsidenten an seiner Seite, kann somit leichter Gesetze durchbekommen. In einem nächsten anstehenden Gesetz will man hier zum Beispiel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Linie bringen – dass man diesen in der jetzigen Form auflöst, neugründet und diesen Sender dann auch als Regierung in der Hand hat.”

Diese Reaktion lässt den aufmerksamen Beobachter stutzen, fiel das Medienecho nach den Wahlen in Polen doch gänzlich anders aus, obgleich auch die neue polnische PO-Regierung unter Donald Tusk ambitionierte „Reformen und Reorganisationen“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angekündigt hatte.

Diesen Umbau der Medien bewertete die ARD-Korrespondentin Kristin Joachim in der Tagesschau vom 17. Oktober jedoch folgendermaßen: „Nach innen wird es für das Land bedeuten, dass es wieder liberaler wird, die Pressefreiheit wird sicherlich wieder ausgeweitet werden, der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) von einem Propagandaorgan zu einem normalen Medienhaus […] umgebaut, zurückgebaut werden […].“ Was die polnische Regierung jedoch vorbereitet hatte, war ebenso nicht weniger als eine vollständige Auflösung und Neugründung des ÖRR, um rechtliche Hürden zu umgehen. Große Teile der internationalen Presse reagierten damals mit Jubel.

Berichterstattung mit zweierlei Maß?

Diese konträren Reaktionen binnen weniger Monate scheinen irritierend. Dass von Seiten der Medienvertreter Kritik am (geplanten) Umbau von Medien geübt wird, wie im Falle der Slowakei geschehen, ist zunächst naheliegend. Der Enthusiasmus vieler Journalisten im polnischen Fall wirkt jedoch verwunderlich.

Auch als in Ungarn 2011 das Mediengesetz geändert wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Damals hatten in den Wahlen von 2010 die Konservativen des Fidesz gegen die sozialistische Regierungspartei gewonnen, der Machtwechsel vollzog sich konträr zu Polen und interessanterweise auch der Slowakei also von links nach rechts. Die Neuordnung des Mediensystems infolge des Regierungswechsels weist hingegen Parallelen auf.

Woher kommt also das völlig gegensätzliche Medienecho in Deutschland? Waren die Maßnahmen in Ungarn grundsätzlich anders, gar fundamentaler, radikaler, weitreichender? Die Hintergründe beider Länder, ihre historischen Entwicklungen des Medienmarktes und des Verhältnisses zwischen staatlichen Medien und Regierungspartei ähneln sich jedenfalls stark. Wird hier bei ähnlichen Phänomenen eventuell eine Voreingenommenheit der Presseberichterstattung deutlich, die in Teilen sogar als Haltungsjournalismus bezeichnet werden muss?

Die Medien als Beute

In dieser Debatte wird ein grundlegendes Problem der ostmitteleuropäischen Medienlandschaft sichtbar. Ein Verständnis der jüngeren Vergangenheit ist unabdingbar, will man die Entwicklungen der letzten Jahre nachvollziehen. Die Entflechtung im Kommunismus einstudierter Verschränkungen zwischen Politik und Medien gestaltete sich in der Nachwendephase schwieriger als gedacht, da die Postkommunisten nicht bereit waren, ihre ererbten Einflussmöglichkeiten und Monopole aus der Hand zu geben.

Die Beeinflussung staatlicher Medien durch die jeweilige Parlamentsmehrheit war im Folgenden stets das Ziel politischer Akteure, unabhängig ihrer politischen Couleur, gewesen. Dies führte zu einer institutionalisierten Praxis politischer Einflussnahme. Alte Seilschaften der Kommunisten bestimmten das System nach der Wende und wirkten noch jahrzehntelang fort. Gleichsam rekrutierten sich so auch die Vertreter der medialen Elite im Wesentlichen aus einem Reservoir im alten System sozialisierter Journalisten.

Dies führte gerade in den Neunzigerjahren zu starken politischen Auseinandersetzungen um die Medien, die auch als „Medienkriege“ bekannt sind. Die Neubesetzung einflussreicher Posten Hand in Hand mit den Regierungswechseln stellte ein wiederkehrendes Muster in der Region dar. Dahinter stand das Ziel, entweder bestehende linksdominierte Machtstrukturen aufzubrechen oder aber diese Versuche rückgängig zu machen.

Die MTVA-Zentrale im Budapester Stadtteil Óbuda: Lediglich 1,6 Prozent der Ungarn nutzen den ungarischen ÖRR als alleinige Informationsquelle.

Überschätzter ÖRR

Gleichzeitig sollte der Effekt dieses Phänomens im Hinblick auf die „propagandistische Beeinflussung“ der Bevölkerung nicht überschätzt werden. Einer Studie des Medienforschungszentrums Médianéző Központ zufolge nutzen lediglich 1,6 Prozent der Ungarn den ÖRR als alleinige Informationsquelle – 73,3 Prozent hingegen sowohl linke als auch rechte Medien.

Prestige und Glaubwürdigkeit des ÖRR waren schon aufgrund der kommunistischen Vergangenheit kaum gegeben, die fortgeführte Praxis politischer Einflussnahme setzte dies auch im neuen, demokratischen System fort. Mit der Kommerzialisierung und Öffnung des Medienmarktes für private Akteure erlosch das Monopol des ÖRR auf einen Schlag. Allerdings prägt die politische Polarisierung bis heute die Medienlandschaft.

Durchaus interessant ist jedoch, dass diese Vorgänge in der internationalen Berichterstattung kaum oder nur selektiv gewürdigt wurden. Im Gegensatz zur Amtszeit der konservativen ersten Orbán-Regierung stieß das systematische „Aushungern“ konservativer Medien durch die sozialistische MSZP-Regierung nach 2006 mittels der gezielten Vergabe von staatlichen Werbeaufträgen auf nahezu keine Kritik. Einzig die Magyar Nemzet konnte sich damals als letzte große bürgerliche Tageszeitung auf dem Markt halten. Die Abschaffung der Rundfunkgebühr als Wahlgeschenk im Jahre 2002 durch dieselbe Partei machte den ÖRR wiederum vollständig von staatlicher Finanzierung abhängig.

All dies soll im Übrigen keinesfalls die kritikwürdige Praxis der einen Seite zugunsten der anderen Seite herunterspielen. Vielmehr stellte diese Form des medialen „Günstlingswesens“ kein parteispezifisches Phänomen, sondern eine Konstante ostmitteleuropäischer Medienpolitik dar. Ebenso bedauerlich ist es allerdings, wenn diese Verhaltensweise abhängig von politischer Gesinnung toleriert oder kritisiert wird. In den Bewertungen Ungarns durch renommierte Indizes der Pressefreiheit schlug sich in den betreffenden Jahren keine nennenswerte Kritik an diesen Schritten durch die MSZP nieder.

Neue Regierung – neue Medienlandschaft

Konsultiert man eben jene Indizes nur ein paar Jahre später, nach dem Amtsantritt einer abermaligen Orbán-Regierung, scheint das Land eine spektakuläre Kehrtwende vollführt zu haben. Auf den zweiten Blick unterschied sich die Neustrukturierung des Mediensystems nur unwesentlich von der unglücklichen, aber leider gängigen Praxis der Vorgängerregierungen, wenn auch der Fidesz diese in einem neuen Mediengesetz kodifizierte.

Nun floss ein großer Strom staatlicher Werbeaufträge zu den bis dahin verdorrten konservativen Medien, während die Quelle für die bisher reichlich bewässerten linken Medien versiegte und diese fortan auf dem Trockenen saßen. Auf ein bürgerliches Mediensterben folgte ein linksliberales. Das wohl prominenteste Opfer dieser Entwicklung im Printbereich war die altgediente, aber unrentable linke Tageszeitung Népszabadság. Die sozialistische Partei entschloss sich daraufhin, ihre Beteiligung an der Zeitung abzustoßen und an einen konservativen Unternehmer zu veräußern, der die Zeitung kurz darauf einstellte. Die Leserschaft migrierte zur letzten verbliebenen linken Tageszeitung Népszava, welche daraufhin ihre Auflage verdoppelte und sich bis heute auf dem Printmarkt behaupten kann. Nennenswerte Reichweiten werden heute aber nur noch im Online-Markt generiert, auf dem alle politischen Ausrichtungen vertreten sind.

Mediengesetz ohne Maß und Mitte?

Was ist also tatsächlich nach dem Mediengesetz passiert? Die Aufsicht des ungarischen Medienmarktes wurde unter einer zentralen neustrukturierten Behörde gebündelt, die fortan für alle Medienzweige sowie Lizenzvergaben zuständig war. Bereits während der Amtszeit der sozialistischen Vorgängerregierung war seitens der EU eine Neuregulierung audiovisueller Mediendienste angemahnt worden. Dieser Reformaufforderung wurde bis 2010 jedoch nicht nachgekommen. Der neuen Behörde steht ein Medienrat vor, dessen Mitglieder vom nationalen Parlament gewählt werden. Kritiker befürchteten die potenzielle Sanktionsmacht dieser Institution nach vermeintlich politischen Gesichtspunkten. Wie gestaltet sich also die Praxis?

Von den 1.167 Strafentscheidungen der Medienbehörde in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens entfielen 87 Prozent auf einen kleinen Kreis von 15 Medien. Die größten Strafsummen sammelten hierbei der internationale Konzern RTL (210.287.000 Forint / ca. 550.000 Euro), der Fidesz-nahe konservative ungarische Fernsehkanal TV2 (148.878.200 Forint / ca. 390.000 Euro) und die öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft Duna Médiaszolgáltató Nonprofit Kft. (77.604.372 Forint / ca. 200.000 Euro). Technische Gründe überwiegen, aber auch Verstöße gegen die moralische und politische Etikette können bestraft werden. Eine politische Voreingenommenheit lässt sich aus den Daten per se nicht ableiten.

Des Weiteren sind übermäßigen Umstrukturierungsbestrebungen seitens der Regierungen durchaus verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Eine geplante Sondersteuer, die maßgeblich ausländische Medienkonzerne getroffen hätte und welche das ungarische Parlament zum Zwecke der Renationalisierung des heimischen Medienmarktes beschloss, wurde vom Verfassungsgericht gekippt. Die Regierung fügte sich diesem Urteil. Ein ähnliches Vorhaben der polnischen PiS-Partei mehrere Jahre später wurde von Staatspräsident Duda mit einem Veto verhindert, da das Gesetz dem Ruf Polens als Unternehmensstandort schaden würde.

Wer Feuer mit Feuer bekämpft

Seit den Wahlen erlebt die polnische Medienlandschaft einen erneuten, noch radikaleren Strukturwandel. Auch mit dem Regierungsantritt Donald Tusks scheint sich das altbekannte Muster zu wiederholen, wenn auch die politische Ausrichtung der Regierungskoalition eine andere ist. Selbst die allseits angeführten Argumentationen erzeugen beim Beobachter ein unangenehmes Déjà-vu.

Warf im Jahr 2015 noch ein Abgeordneter der PiS der damaligen Regierung vor, den ÖRR zu Propagandazwecken zu missbrauchen und drohte „die Lügner aus dem Hörfunk und dem Fernsehen [zu] entfernen“, da das Volk ehrliche Medien verdiene, so kündigte Donald Tusk im Wahlkampf 2023 an: „Wir werden genau 24 Stunden brauchen, um das PiS-Fernsehen wieder in ein öffentliches Fernsehen zu verwandeln. Nehmen Sie mich beim Wort.“ Der Medienwissenschaftler Krzysztof Grzegorzewski von der Universität ŁódŹ warnte, dass auch bei der neuen Regierung nicht vom Aufbau einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Anstalt die Rede sei.

Perpetuieren sich in Polen somit im Augenblick die „altbewährten“ Missstände ostmitteleuropäischer Mediensysteme, setzt die neue PO-Regierung in Sachen Tempo und Radikalität mit der vollumfänglichen Auflösung des ÖRR bisher ungekannte Maßstäbe. Nachdem das polnische Verfassungsgericht diesen Schritt für illegal erklärt hatte, bezeichnete das Kulturministerium das Urteil kurzerhand als ungültig und sprach dem Verfassungsgericht die Legitimität ab – eine eigenwillige Auslegung der Rechtsstaatlichkeit.

Fazit

In den Demokratien Ostmitteleuropas ist ein medienpolitischer Revanchismus im Tauziehen um die Interpretations- und Deutungshoheit zur Tradition geworden. Diese Praxis stellt ein fundamentales Problem in der Region dar und belastet die politische Kultur – von beiden Seiten des politischen Spektrums. Bis aber die streitenden Parteien nicht eine einvernehmliche Kompromisslösung finden und stattdessen jeden politischen Machtwechsel als Machtergreifung verstehen, wird es nicht gelingen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Auch den neugewählten Regierungen Polens und der Slowakei scheint dies nicht zu gelingen.

Die westliche Presse sollte sich keinen Illusionen hingeben und die Gewohnheit ablegen, in Abhängigkeit von politischem Wohlgefallen, schlechte Praktiken durch gute Absichten zu rechtfertigen. Mit altbewährten Vorschlaghammermethoden zu neuen Ergebnissen gelangen zu wollen, zeugt nicht von ernsthaftem Reformwillen. Mit der kompletten Auflösung des ÖRR hat Polen einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, der nun auch in der Slowakei zur Anwendung kommen könnte. Damit wird dem Glauben der Bürger an die Institutionen der Demokratie weiterer Schaden zugefügt.

Dass gerade öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland über die Zerschlagung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks jubeln, erscheint skurril. Wenn man als Berichterstatter mit Neutralitätsanspruch für dieselben Vergehen nur Regierungen des einen politischen Lagers kritisiert, lässt man seine gerechtfertigte Kritik nicht nur unglaubwürdig erscheinen, man unterminiert auch das Vertrauen der ostmitteleuropäischen Bürger in die Objektivität der ausländischen Medien. Bis dieses Pro­blem erkannt wird, scheint es fürs Erste weiterhin zu heißen: Quod licet Iovi, non licet bovi.

Die Autoren sind Mitarbeiter beim Deutsch-Ungarischen Institut.

4 Antworten auf “Gute Medienreform, böse Medienreform

  1. Mit RTL ist in Ungarn ein Sender gegen Fidesz empfangbar, und mit Népszava ist im Zeitungshandel eine Zeitung gegen Fidesz kaufbar. Wohingegen in Deutschland nichts zugelassen wird, das gegen das linke Medienkartell steht; auch im Internet wird westliche Zensur immer schärfer. Die westlichen Machthaber treiben die Gleichschaltung und erwarten überall Gleichschaltung in ihrem Sinn.

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    1. Da könnte man aber noch viele andere Print und Internet-Medien nennen: Neben RTL gibt es noch atv im täglichen ungarischen TV, der oft gelungene und sehr regierungskritische Beiträge bringt.
      Und Im Westen? : AUF1 versucht man abzuschießen mit hohen Strafen von Seiten der deutschen Aufsichtsbehörde – wegen verbotener Inhalte und so…. Aber AUF1 ist so gut wie unbekannt in der BRD. Aber RTL und atv konsumiert in Ungarn fast jeder.
      Wir haben es also in der BRD mit der DDR zu tun. Da gibt es keinen Zweifel. Sie liegen mit ihren “Nachrichtendiensten”, dass sich die Balken biegen, ganze Gebäude krachen.

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  2. Ausgerechnet die deutschen Medien behaupten, in Ungarn gäbe es keine Pressefreiheit. Das schlägt dem Fass den Boden aus!
    Nicht in Ungarn finden mitten in der Nacht Hausdurchsuchungen bei regierungskritischen Journalisten statt! In Deutschland kündigen Banken Kritikern der Regierung die Konten, Vermieter beenden mit fadenscheinigen Begründungen Mietverhältnisse, der Verfassungsschutz wird mit der Beobachtung unliebsamer Journalisten beauftragt. Das hat weder etwas mit Demokratie noch mit Pressefreiheit zu tun.
    Und gäbe es in D die Zwangsabgabe für den ÖRR nicht, könnten sie schon lange nicht mehr senden. Erst recht nicht könnten sie Regierungspropaganda verbreiten.
    Diese Moralapostel sollten erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren!

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28. Januar 2025 15:07 Uhr