Bücher über europäische Umbrüche: „Europa verlor seine führende Rolle bereits mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs“, ist sich Matolcsy sicher.

BZ-Kommentar

Goldene Zeitalter

In Umbruchphasen – und in einer solchen leben wir zweifelsohne – ist es aufschlussreich und inspirierend, sich mit vorausgegangenen zu beschäftigen. Wie deuteten sie sich an? Wie haben die Menschen sie durchlebt? Wie kamen sie danach wieder zur Ruhe?

Stefan Zweig ist sicher einer der bekanntesten Umbruchphasen-Chronisten. In seinem 1942 erschienenen Buch „Die Welt von Gestern“ beschreibt er anschaulich, wie Europa in die Urkatastrophe des letzten Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg schlitterte. Wir haben dieses Werk für Sie einmal speziell nach Textpassagen durchforstet, die sich mit dem Wechsel zwischen zwei Welten und der Änderung des Lebensgefühls der Beteiligten beschäftigen.

Bei aller Verschiedenheit der damaligen und heutigen Situation gibt es mindestens eine große Gemeinsamkeit: aus einer Welt der Sicherheit – Zweig spricht sogar von einem „goldenen Zeitalter der Sicherheit“ – wurde eine Welt der Unsicherheit. Genau das erleben wir auch jetzt wieder. Während es derzeit noch unsicher ist, wie viele unserer bisherigen Gewissheiten noch verschwinden werden, so ist schon jetzt sicher, dass in der Lebensgleichung der meisten Menschen und Volkswirtschaften inzwischen deutlich mehr Variablen vorkommen, als noch zur Jahrtausendwende.

Speziell auf einige wirtschaftspolitische Variablen geht Natio­nalbank-Präsident György Matolcsy in seinem Interview ein. Dabei widmet er sich – ebenso wie in seinem neuesten Buch – besonders der Zukunft Europas und seiner angeschlagenen Währung. Außerdem denkt er über einen möglichen Platz von Europa im Spannungsfeld einer zunehmend bipolaren Welt nach, also einer Welt, in der die Supermächte USA und China um Einfluss kämpfen und immer mehr den Ton angeben.

Dass Europa global noch einmal eine größere Rolle spielen wird als heute, hält Matolcsy für wenig wahrscheinlich. Nicht zuletzt weil sein Anteil an der weltweiten Wertschöpfung weiterhin permanent sinkt, woran auch der Euro schuld sein könnte. Immerhin ist es auffällig, dass die Länder der Eurozone in den zwei Jahrzehnten vor ihrem Beitritt schneller wuchsen, als in den zwei Jahrzehnten danach. Die Wachstumsbremse Euro ist jedoch nur ein aktuelles Phänomen des globalen Bedeutungsverlustes unseres Kontinents. „Europa verlor seine führende Rolle bereits mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs“, ist sich Matolcsy sicher.

Wenngleich sich Europa im Weltmaßstab inzwischen sehr überschaubar entwickelt, rechnet Matolcsy immerhin innerhalb von Europa mit einer relativen Verbesserung der Position seiner Heimat. So wachse Ungarn schon seit Jahren und selbst in Zeiten des Coronavirus weiterhin deutlich über dem EU-Durchschnitt. Bezüglich des sich vollziehenden Technologiewandels sieht Matolcsy sogar gute Gelegenheiten zum Überholen und hält für Ungarn einen Aufbruch in ein „Goldenes Zeitalter“ für möglich.

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