Gesetzgebung der Regierung
Immer wieder verblüfft die Orbán-Regierung bei der Gesetzgebung mit ihrem beispiellosen Tempo. Häufig geht es allerdings auf Kosten der Qualität. (Foto: BZT/Archiv)

BZ-Kommentar zur Gesetzgebung der Regierung

Zwei Schritte vor und einen zurück

Wer sich bei frisch verabschiedeten ungarischen Gesetzen über lebensferne, nicht erfüllbare Bestimmungen ärgert, kann sich seine Aufregung eigentlich sparen. Schließlich liefert die ungarische Gesetzgebung immer wieder eine gute Illustration für den Spruch von dem Essen, das nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird.

Unter der Orbán-Regierung scheint sich die Praxis durchgesetzt zu haben, Gesetze möglichst rasch und ohne größere vorausgegangene Diskussionen zu verabschieden, um ihnen danach von der Praxis einen lebenskompatiblen Schliff verpassen zu lassen.

Nachgelagerte Konsultationen

Wie beim Gesetz über das berühmt-berüchtigte Frachtkontrollsystem EKÁER finden die Konsultationen mit den Betroffenen nicht vorab in entspannter Atmosphäre statt, sondern erst, nachdem das Gesetz bereits in Kraft getreten ist. Die Atmosphäre ist bei solchen nachgelagerten Konsultationen natürlich häufig nicht mehr ganz so entspannt. Schließlich geraten die Betroffenen durch lebensferne Regelungen unter Druck und verursacht ihnen jeder weitere Tag mit solchen Rahmenbedingungen Kopfzerbrechen und unnütze Kosten.

Die am 1. September erlassenen Reisebeschränkungen sind ein weiteres Paradebeispiel für die neu-ungarische Art der Gesetzgebung. Durch den Vorstoß des tschechischen Ministerpräsidenten Babis fing das Anpassen an die Praxis hier sogar schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes statt. Seitdem bekamen auch Polen und die Slowakei einen Sonderstatus. Geschäftsreisen nach Ungarn sind nun auch für Vertreter von nicht-verbundenen Unternehmen wieder leichter möglich.

Zuletzt erreichte uns die Nachricht, dass ungarische Pendler sogar wieder völlig frei – also ohne 30 km- und 24 Stunden-Beschränkung sowie Quarantäne-Pflicht – in ihre ungarische Heimat einreisen können. Auch ausländische Jäger können inzwischen wieder ganz normal in Ungarn einreisen – vorausgesetzt, sie kommen zum Jagen und nicht etwa zum Thermalbaden. Schrittweise fügt eine Lobby nach der anderen der radikalen Rot-Grün-Lösung ein weiteres Loch hinzu. Alle haben dafür ihre triftigen Gründe.

Vorher unbekannte berechtigte Interessen

Dabei fragt man sich unwillkürlich, ob die ungarischen Gesetzgeber von diesen berechtigten Interessen – denn berechtigt müssen sie ja sein, sonst würde ihnen ja ex post nicht stattgegeben – bei der Erarbeitung des Gesetzes tatsächlich keinen blassen Schimmer hatten.

Dass die bei den Reiseverschärfungen involvierten Gesetzgeber die Wichtigkeit ausländischer Jäger nicht auf dem Schirm hatten, kann man ja noch nachvollziehen. Von den zehntausenden Ungarn, die täglich zum Arbeiten nach Österreich pilgern sollten, und ihrer großen Bedeutung für die dortige Wirtschaft sollten sie jedoch schon einmal gehört haben. Ebenso davon, dass nur die wenigsten Geschäftsreisen zwischen verbundenen Unternehmen stattfinden.

Mal sehen, welche Lobbys sich noch alles durchsetzen können.

Geschwindigkeit vs. Qualität

Die derzeit praktizierte Art der ungarischen Gesetzgebung hat unzweifelhaft den großen Vorteil, dass die Zeitspanne zwischen der Idee für ein Gesetz und dem Inkrafttreten desselben rekordverdächtig kurz ist. Ungarische Gesetzgeber werden sicher mit Horror auf die westliche Praxis der vielfältigen Konsultationen mit allen möglichen Interessenvertretern blicken. Schließlich kostet so etwas wertvolle Zeit und führt immer wieder zur Verwässerung von Gesetzen.

Auf der anderen Seite müssen auf diese Art beschlossene Gesetze nicht mühselig nachgebessert werden. Letztendlich sollte ein kluger Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Qualität gefunden werden. Wenn beim aktuellen Gesetz über die Reisebeschränkungen selbst Laien sofort erkennen können, aus welchen Wunden es blutet, dann ist in Ungarn bei der Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses sicher noch Luft nach oben vorhanden.

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