Die rechte Seite: Kommentar zum Verständnis der EU-Kommission von Rechtsstaat und Demokratie
Gefährliches Spiel mit der Demokratie
In ihrem der EU-Kommission kürzlich vorgelegten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit kritisierte die Kulturanthropologin durchaus auch die deutsche Justiz. Auch dort müssten einige Dinge geändert werden. Das Gute ist, dass das Wissensspektrum dieser Dame so breit sein soll, dass sie das Recht aus dem Effeff kennt (sie hat es schließlich an der Seite von Juncker gelernt), und sich auch noch kompetent um europäische Werte sowie die Transparenz kümmern kann. Sie weiß aus eigenen Erfahrungen, was Korruption ist, und kennt die Welt hinter schwedischen Gardinen bereits von innen.
Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Deutschland?
Jourová ist sich sicher, dass Deutschland ein Rechtsstaat ist, gleichzeitig meint sie, dass die Justizminister der Bundesländer zu viel Macht besitzen, weil sie bei Straftaten in die Ermittlungen eingreifen und den Staatsanwälten unmittelbar Anweisungen erteilen könnten. Bereits diese Tatsache kann der Unabhängigkeit der Justiz Schaden zufügen, und weil die Minister in der Regel aktive Politiker und an der Ernennung von Richtern tatkräftig beteiligt sind, ist es gefährlich, auch nur darüber nachzudenken, was dabei alles herauskommen könnte. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob diese Justizstruktur in Deutschland Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit aufwerfen könnte?
Sicher nicht, denn diese Minister sind natürlich absolut unparteiisch und würden niemals durch gezielte Weisungen an Staatsanwälte in Strafverfahren eingreifen – schließlich sind sie ja die unumstößlichen Hüter von Recht und Ordnung. „Allein der Anschein, dass die Minister Ermittlungen in die eine oder andere Richtung lenken könnten, beschädigt das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Strafjustiz”, stellt selbst der Präsident des Deutschen Richterbundes fest, also muss bereits der Anschein von Einfluss und möglicher Einflussnahme verhindert werden. Noch bevor der EU-Bericht offiziell eintraf, forderte der Präsident die Beteiligten auf, die seit langem bekannten Mängel zu beseitigen. Ich glaube zwar nicht, dass das passieren wird, aber es klingt zumindest sehr nett und kooperativ.
Überlastete Gerichte
Jourová tadelte auch, dass bestimmte Prozesse in Deutschland bereits in erster Instanz viel zu lange dauern würden und man teilweise viele Jahre auf Urteile warten müsse. Das liegt unter anderem daran, dass die Gerichte mit Asylverfahren und zunehmender Kriminalität schlicht überlastet sind. Das könnte als Entschuldigung für die Deutschen herhalten. Die Europäische Kommission würde das sicher akzeptieren.
Ein viel größeres Problem sieht die Vizepräsidentin allerdings im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai dieses Jahres, als es eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aufhob und formell für fehlerhaft erklärte. Mit dem Beschluss der deutschen Verfassungsrichter würde das Recht der Mitgliedstaaten über das europäische Recht gestellt. Wenn diese Praxis toleriert würde, dann säße Deutschland laut Jourová in einem Boot mit Ungarn und Polen. Was wäre, wenn dieses Urteil einen Präzedenzfall geschaffen hätte und die V4-Staaten nun ermutigen würde, selbst einige der Urteile des EuGH in Frage zu stellen? Das hätte unabsehbare Folgen für die Legitimität der EU!
Toleranz gegenüber deutscher Praxis
Was auch immer Jourová sagt, überall steckt Ungarn dahinter. Da ist zum Beispiel die Situation der Medien. Unabhängige Medien stehen in ganz Europa unter starkem wirtschaftlichen Druck, die Anzeigenerlöse fallen in den Keller, weil die Werbebudgets von den sozialen Medien aufgesogen werden. Zum wirtschaftlichen Druck gesellt sich aber noch ein politischer, selbst in den entwickelten westlichen Demokratien. Die Unabhängigkeit der Medien besteht heute nur noch nominell, faktisch jedoch schon lange nicht mehr. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten senden Regierungspropaganda und die „unabhängigen“ Zeitungen hämmern ideologisch eingefärbte Meinungen in die Köpfe ihrer Leser. Das heißt dort Qualitätsjournalismus. Doch Jourová ist dennoch am meisten über die ungarischen Medien besorgt. Der Gründung einer staatsnahen Medienholdinggesellschaft müsse entgegengewirkt werden, weil diese Praxis angeblich gegen das europäische Wettbewerbsrecht verstoßen würde.
Überhaupt keine Sorgen macht sich die Vizepräsidentin jedoch um die deutsche Demokratie. Dabei hätte sie durchaus Gründe. Laut Umfragen wagen 70 Prozent der Deutschen nicht (mehr), ihre Meinung frei zu äußern, sie haben Angst, dass dies zu Nachteilen an ihrer Arbeitsstelle oder anderswo führen könnte. Es gibt immer mehr Tabu-Themen, über die sie nicht zu reden wagen. Migration, die Coronapolitik der Regierung, die Genderproblematik, die Erderwärmung und viele weitere Themen von Merkels Politik können nicht mehr frei und offen diskutiert werden. Familienbeziehungen und Freundschaften gehen an politischen Meinungsverschiedenheiten in die Brüche.
Links-grüner Meinungsterror
Die Situation unter jungen Menschen ist auch nicht besser. Die Shell-Studie von 2019, die ihre politischen Interessen untersuchte, zeigt, dass vier Fünftel mit der Demokratie zwar zufrieden sind, viele aber glauben, dass sie in einer Meinungsdiktatur leben würden. Sie würden es nicht mehr wagen, sich negativ über Ausländer zu äußern, damit man sie nicht als Rassisten brandmarkt. All das ist das Ergebnis eines links-grünen Meinungsterrors.
Dabei ist die freie Meinungsäußerung ein demokratisches Grundrecht, das der fünfte Paragraph des deutschen Grundgesetzes garantiert. In der Realität ist diese Garantie aber nicht mehr viel wert. Vor einem Jahr führte der Bundestag eine gesonderte Debatte zu diesem Thema durch, weil das Problem die Grenzen des deutschen Rechtsstaats zu sprengen drohte. Die Abgeordneten waren aber kaum daran interessiert, der Plenarsaal war gähnend leer. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki, Mitglied im Präsidium der FDP, fragte sich, woher dieses Demokratiedefizit in Deutschland stammen könnte. Er suchte die Ursachen für den Vertrauensverlust in den Fehlern von Politik, Gesellschaft und Medien. „Es würde den Tod der Demokratie bedeuten, wenn wir es nicht mehr wagen würden, unsere Gedanken frei zu äußern“, schrieb er in einem Buch über diesen Problemkomplex. Der Titel des Buches spricht für sich: „Meinungs(un)freiheit. Gefährliches Spiel mit der Demokratie“.
Welche Demokratie ist wirklich krank?
Während die Deutschen so mit ihrer Demokratie umgehen, zeigen sie beständig mit dem Finger auf uns, die Ungarn. Wenn sie nur ein wenig Ungarisch verstehen würden, dann wüssten sie, dass wir eine echte Oppositionspresse haben. Sie nennt sich selbst so und vermehrt sich munter durch Teilung. Wenn ein Nachrichtenportal zu verschwinden droht, dann entstehen zwei neue.
Ein unabhängiges ungarisches Gericht hat trotz politischen Drucks und des Gerechtigkeitsgefühls der Gesellschaft 99 Millionen Forint schulschwänzenden segregierten Roma als Schadenersatz zugesprochen. Jeder kann seine Meinung, sogar in einer üblen Fäkalsprache äußern. Die „eingeschüchterte“ Opposition kann die Regierung und den Ministerpräsidenten mit den unflätigsten Wörtern beschimpfen (das gilt in Deutschland als Straftat). Junge Studenten der Schauspieluniversität verbarrikadieren sich in ihrer „Wahnsinnsangst vor der Macht“ bereits seit einem Monat ohne jegliche staatliche Zwangsmaßnahmen in ihrer Universität. So geht es in Ungarn, in unserer ach so „kranken Demokratie“ zu.
Aus dem Ungarischen von Andrea Martin.
Der Kommentar erschien am 5. Oktober auf dem Online-Portal der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Hírlap.