Sitzung des ungarischen Parlaments: „Der Verstoß gegen grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit ist Kennzeichen undemokratischer Regime, die ihren Bürgern willkürlich Freiheitsrechte rauben. Wer solche Vorwürfe gegen Ungarn erhebt, hat von der realen Situation im Land keine Ahnung.“ (Foto: MTI)

Gastkommentar zum EU-Gipfel

„Es wird höchste Zeit, Ungarn gerecht zu werden“

Ja, es ist grundsätzlich gut, dass sich die Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem Marathongipfel auf gemeinsame Ergebnisse verständigt haben. Sonst wäre Europa weiter auseinandergedriftet und wieder ein Stück mehr vom Subjekt zum Objekt der Weltpolitik mutiert. China, Russland und Donald Trump hätten sich die Hände gerieben. Doch es bleiben Zweifel und Probleme, die man in den Blick nehmen muss.

Erstens: Das Öffnen der Geldschleusen wird kaum zur nachhaltigen Stärkung der durch Corona besonders betroffenen Länder führen, wenn überfällige Reformen ausbleiben. Ungarn hat es in den letzten zehn Jahren geschafft, sich beim Wirtschaftswachstum von einem Abstiegsplatz an die Tabellenspitze in der gesamten EU hochzuarbeiten, weil das Land beispielhafte marktwirtschaftliche Reformen umgesetzt hat. Ein Blick nach Spanien und Italien zeigt hingegen, dass dort schon vor der Pandemie mehr über Verteilung statt über Investitionen diskutiert wurde. Warum sollte sich das ausgerechnet jetzt ändern?

Würde sich aber bei den Bürgern in den Geberländern der EU der Eindruck verstärken, dass auf ihre Kosten Blankoschecks zu Konsumzwecken verschenkt werden, könnte das den europäischen Zusammenhalt massiv schwächen. Die Entwicklung Europas zur Schuldenunion wäre nicht nur ein ökonomischer Irrweg, sondern auch politisch höchst brisant.

Zweitens: Kaum etwas wäre angesichts der gewaltigen aktuellen Herausforderungen für Europa gefährlicher, als die Vielfalt in den Ländern der Europäischen Union einem bestimmten politischen Meinungsdiktat unterwerfen zu wollen. Ein Land wie Ungarn fühlt sich christlichen Werten und seiner nationalen Identität viel stärker verbunden, als es die politische Linke in Westeuropa zu akzeptieren bereit ist. Den Ungarn muss man im Gegensatz zu vielen westlichen Salonsozialisten nicht erklären, was es bedeutet, unter kommunistischer Herrschaft zu leben.

So wie die Ungarn anderen Völkern nicht vorschreiben wollen, wie sie ihr Zusammenleben organisieren sollten, so reklamieren sie dieses demokratische Selbstbestimmungsrecht selbstverständlich auch für sich. Sie haben lange genug dafür gekämpft. Wer aus den Ländern Westeuropas gerne lautstark Toleranz und Vielfalt einfordert, zugleich aber anderen die eigene Ideologie aufzwingen will, treibt Europa auseinander, anstatt es zu einen.

Drittens: Aus diesem Grund ist auch die politische Instrumentalisierung des Themas „Rechtsstaatlichkeit“ in Europa so problematisch. Auch bei den Verhandlungen in Brüssel war das zu beobachten. Selbst wenn Ungarn mit den Ergebnissen des EU-Gipfels sehr zufrieden sein kann, so zeichnen interessierte Kreise doch weiter gezielt ein Zerrbild vom Zustand des ungarischen Rechtsstaats.

Der Verstoß gegen grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit ist Kennzeichen undemokratischer Regime, die ihren Bürgern willkürlich Freiheitsrechte rauben. Wer solche Vorwürfe gegen Ungarn erhebt, hat von der realen Situation im Land keine Ahnung und unterschätzt zudem den Charakter eines Volkes, das wie kaum ein anderes in Europa immer um seine Freiheit ringen musste. Eine Regierung, die den Ungarn ihre Freiheitsrechte nimmt, bliebe dort nicht sehr lange im Amt.

Ungarn hat sich als junge Demokratie im Übrigen immer sehr offen gezeigt für konstruktive Hinweise zur Rechtsentwicklung und viele davon beherzigt. Wem es aber in Wahrheit nicht um Sachfragen, sondern darum geht, die ganze Richtung ungarischer Politik als rechtspopulistisch zu diffamieren, wird sich damit wohl kaum zufriedengeben. Das ist leider die eigentliche Hintergrundgeschichte.

Viertens: Umso wichtiger wäre es, das Art. 7-Verfahren, das vom Europäischen Parlament gegen Ungarn wegen angeblicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit eingeleitet wurde, unter Beantwortung aller etwaiger offener Fragen zu einem zügigen Ende zu bringen. Zu den positiven Resultaten des EU-Gipfels gehören deshalb die Hinweise, dass das unter der deutschen Ratspräsidentschaft gelingen könnte. Ungarn ist ein Kernland Europas, kulturell und wirtschaftlich ein Gewinn für den gesamten Kontinent. Es wird deshalb höchste Zeit, ihm gerecht zu werden.

Der Autor ist Landtagsvizepräsident NRW a.D. und seit Mai 2019 Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland e.V.

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28. Januar 2025 15:07 Uhr