Statt auf Migration setzt die ungarische Regierung primär auf eine durchdachte, vielschichtige Familienpolitik. Foto: Georg Wagner

Ungarns Familienpolitik

Fiskalische Anreize und gesellschaftliche Verantwortung

Die ungarische Regierung misst der Familienpolitik schon seit Jahren eine besondere Bedeutung bei.

Die ungarische Familienpolitik beruht dabei auf zwei Grundpfeilern: Einerseits auf der verstärkten finanziellen Unterstützung der Familien, andererseits auf der kulturpolitisch motivierten Bewahrung des traditionellen christlich-konservativen Familienbildes. Während erstere weitestgehend und lagerübergreifend auf Zustimmung trifft und international kaum für Aufsehen sorgt, ist dies bei letzteres nicht der Fall. Die jüngste Verfassungsänderung hat das Thema erneut virulent gemacht. Ein guter Moment, um einen genaueren Blick auf die ungarische Familienpolitik zu werfen.

Sozialpolitische Familienpolitik

Die ungarische Familienpolitik der letzten Jahre steht paradigmatisch für eine steuerzentrierte Sozialpolitik, die sich klar vom westeuropäischen Trend staatlicher Transferleistungen abgrenzt. Statt einer universellen Grundsicherung nach deutschem Vorbild – etwa in Form eines Bürgergeldes – verfolgt die ungarische Regierung ein auf Erwerbsanreize und Steuerentlastungen ausgerichtetes Konzept, das vor allem junge Familien und Frauen im erwerbstätigen Alter gezielt adressiert. Im Zentrum dieser Politik steht der Grundgedanke, dass Kinderkriegen nicht zu einem sozialen oder ökonomischen Nachteil führen darf.

Zwar existiert auch in Ungarn ein klassisches Kindergeld, dessen Höhe jedoch seit Jahren nicht signifikant angepasst wurde. Doch dieser Aspekt tritt hinter die Vielzahl steuerlich kodifizierter Maßnahmen zurück, die für Eltern und insbesondere für junge Mütter eine erhebliche materielle Besserstellung bewirken. Das ungarische Modell steht damit für einen Paradigmenwechsel: Familienpolitik als integraler Bestandteil der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik.

Ein zentrales Element bildet das Mutterschaftsgeld (CSED), das im Zeitraum der ersten 168 Tage nach Geburt des Kindes 100 Prozent des Bruttoeinkommens beträgt. Es fallen keine Sozialversicherungsgebühren an, so dass das Mutterschaftsgeld sogar etwa 28% höher ist als das zuvor bezogene Gehalt. Ab Juli 2025 wird auch die Einkommenssteuer entfallen, so dass die Mutter das Geld brutto für netto bekommt (Steigerung gegenüber zuletzt bezogenem Einkommen um etwa 50 %). Dieses Modell ist nicht nur fiskalisch äußerst attraktiv, sondern vermittelt symbolisch die Haltung des Staates: Familiengründung soll nicht nur nicht benachteiligt, sondern sogar aktiv honoriert werden.

Das „CSED“ wird ergänzt durch das sogenannte Kindesbetreuungsgeld (GYED), das ab dem 168. Tag nach der Geburt und bis zum 24. Lebensmonat des Kindes gezahlt wird und 70 Prozent des vorherigen Bruttoeinkommens beträgt – maximal etwa 930 Euro. Entscheidend ist dabei die Vereinbarkeit mit der Erwerbsarbeit: Wer ab dem 168. Tag noch Geburt des Kindes wieder in den Beruf einsteigt, erhält das reguläre Gehalt und parallel dazu auch noch das Betreuungsgeld – erhält also ein Zusatzeinkommen von 930 Euro.

Hinzu kommt mit dem GYES noch eine weitere Transferleistung, die bei niedrigem Betrag (rund 100 Euro monatlich) dennoch versicherungsrechtliche Kontinuität sichert. Ergänzt wird das Gesamtmodell durch explizite Steuerbefreiungen: So sind Frauen unter 30 Jahren, die ein Kind zur Welt gebracht haben, von der Einkommenssteuer befreit. Ab Oktober 2025 soll diese Regelung bereits ab dem dritten Kind für das gesamte weitere Erwerbsleben gelten – eine Ausweitung der bisherigen Regelung, die diesen Vorteil bis dahin erst ab dem vierten Kind vorsah. Die Kinderzahl wirkt sich auch direkt auf die Steuerlast aus: Familien mit bis zu drei Kindern können monatlich bis zu 100.000 Forint (etwa 250 Euro) an Steuern sparen, ab 2026 steigt dieser Betrag auf 200.000 Forint (etwa 500 Euro).

Flankierend zur fiskalischen Entlastung wurde der Bereich der vorschulischen Betreuung umfassend reformiert. Kita-Plätze stehen ab dem dritten Lebensjahr verpflichtend zur Verfügung und kosten zwischen 20 und 30 Euro pro Monat. Bereits ab der 24. Lebenswoche können Kinderkrippen in Anspruch genommen werden. Auch hier zeigt sich der funktionale Anspruch der Regierung: Infrastruktur und Steuerrecht sollen nahtlos ineinandergreifen, um Erwerbsbiografien nicht zu unterbrechen.

Die Familienpolitik wird dabei zum Teil eines größeren gesellschaftspolitischen Narrativs: Junge Menschen unter 25 Jahren zahlen keine Einkommenssteuer; Führerschein und Theorieprüfung sind bis zum 20. Lebensjahr kostenlos. Ergänzt wird dies durch ein umfassendes Babydarlehenssystem: Familien erhalten ein zinsgünstiges Darlehen in Höhe von ca. 25.000 Euro, das bei Geburt von bis zu drei Kindern stufenweise erlassen wird. Voraussetzung ist, dass die Kinder erst nach der Darlehensaufnahme geboren werden.

Darüber hinaus zeigt sich der ungarische Ansatz in einer breiteren steuerpolitischen Architektur. So wurde die Körperschaftssteuer im Jahr 2017 von 19 auf 9 Prozent gesenkt – der niedrigste Satz in der gesamten Europäischen Union. Analog zur Flat Tax bei der Einkommenssteuer zeigt sich auch hier: Niedrigere Steuersätze bedeuten nicht zwingend geringere Einnahmen. Vielmehr stiegen die Steuereinnahmen durch die zunehmende Formalisierung der Wirtschaft und steigende Investitionen. Die Eigentumsquote bei Immobilien liegt in Ungarn bei rund 98 Prozent – Ausdruck eines gesellschaftlichen Konsenses, dass privates Eigentum die beste soziale Absicherung bietet.

Allerdings gibt es einen Wermutstropfen: Ungarn hat den höchsten Mehrwertsteuersatz Europas. Diese Verbrauchssteuer orientiert sich an der Idee, nicht so sehr die Einkommen, sondern vor allem den Konsum zu besteuern – mit dem Ziel, Anreize zum Sparen zu setzen und die nationale Sparquote zu erhöhen. Parallel dazu wurden Verbrauchssteuern auf Alkohol, Tabak und Kraftstoffe angehoben. Auch die Einführung gezielter Steuern auf gesundheitsschädliche Produkte wie Chips zielt auf eine Verhaltenssteuerung durch fiskalische Lenkung.

Grundnahrungsmittel hingegen sind steuerlich begünstigt. Zudem bestehen sektorale Sondersteuern, etwa für Banken, Telekommunikation oder internationale Einzelhandelsketten – fiskalpolitische Maßnahmen, die ursprünglich zur Haushaltssanierung eingeführt wurden und sich seither als stabilisierende Einnahmequelle etabliert haben.

Die ungarische Kombination aus Flat Tax und selektiver Familienförderung verfolgt ein konsistentes Leitbild: Wer arbeitet, soll nicht nur gerecht, sondern auch verstärkt belohnt werden. Wer Kinder großzieht, soll dafür nicht benachteiligt, sondern erkennbar entlastet werden. Die ungarische Familien- und Steuerpolitik fügt sich somit in ein kohärentes Modell, das fiskalische Effizienz, demographische Resilienz und gesellschaftliche Kohäsion verbinden will. In dieser Logik ist es keine bloße Umverteilung, sondern Ausdruck eines sozialstaatlichen Leistungsversprechens, das auf Eigenverantwortung, Erwerbsintegration und Zukunftsorientierung setzt.

Kulturpolitische Familienpolitik

Die ungarische Familienpolitik der letzten Jahre verkörpert eine klassisch christlich-konservative Kulturpolitik. Dem Schutz der Ehe und der Familie, als zentrale gesellschaftliche Institutionen und „Grundlage für den Fortbestand der Nation“, kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dieses Weltbild wurde bereits in Artikel L, Absatz 1 der neuen ungarischen Verfassung aus dem Jahre 2011 deutlich: „Ungarn schützt die Institution der Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau […]. Die familiäre Beziehung basiert auf der Ehe und der Eltern-Kind-Beziehung“, heißt es da.

Mit Artikel XVI, Absatz 1 kommt dem Schutz und der Förderung der Kinder ebenfalls eine zentrale Rolle zu: „Jedes Kind hat das Recht auf den Schutz und die Fürsorge, die für seine körperliche, geistige und moralische Entwicklung notwendig sind.“ Damit unterscheidet sich die neue ungarische Verfassung inhaltlich sowohl von der stalinistischen Vorgängerverfassung aus dem Jahr 1949 – welche jedoch 1989 im Zuge der Wende grundlegend überarbeitet wurde – als auch von der deutschen Verfassung in wesentlicher Hinsicht. In beiden Verfassungen ist bzw. war die Institution der Ehe nicht explizit als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau definiert und wurde die Ehe auch nicht als Grundstein der familiären Beziehung angesehen.

Beide Artikel wurden mit der 9. Verfassungsänderung vom 15. Dezember 2020 weiter konkretisiert. Artikel L, Absatz 1 des Grundgesetzes wurde um den Zusatz ergänzt, dass die Mutter eine Frau und der Vater ein Mann ist. In Artikel XVI, Absatz 1 wurde der Zusatz aufgenommen, dass Ungarn das Recht der Kinder auf eine ihrem Geburtsgeschlecht entsprechende Identität schützt und eine Erziehung im Einklang mit den Werten gewährleistet, die auf der verfassungsmäßigen Identität unseres Landes und seiner christlichen Kultur beruhen.

Diese Verfassungsänderungen wurden auch durch gesetzliche Neuerungen flan­kiert. So wurde am 15. Juni 2021 das sogenannte Kinderschutzgesetz verabschiedet, das festlegt, dass sich die Sexualaufklärung an Schulen zukünftig auf eine rein biologische Ebene konzentrieren soll und ausschließlich vom Lehrpersonal durchgeführt werden darf. Nichtregierungsorganisationen sollen diese Aufgabe nicht mehr wahrnehmen dürfen, da sie möglicherweise Partikularinteressen vertreten. Eine etwaige Ausweitung der Sexualaufklärung auf Genderfragen soll somit zukünftig der Entscheidung der Eltern obliegen. Dies ist eine Position, die – trotz aller Kritik aus Deutschland – wohl auch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sein dürfte, welches in Artikel 6, Absatz 2 festschreibt, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sei. Des Weiteren schränkt das Gesetz die Propagierung von Homosexualität oder Geschlechtsumwandlungen an Orten ein, die Minderjährigen zugänglich sind.

Die ungarische Regierung kann sich bei der Umsetzung dieser Maßnahmen auf ein hohes Maß an gesellschaftlicher Unterstützung verlassen. Das Ausmaß der Unterstützung wurde immer wieder durch Volksabstimmungen und Umfragen genauestens erfasst. So fand bereits 2018 eine „Nationale Konsultation“ zum „Schutz der Familie“ statt, und 2022 folgte eine Volksabstimmung zu Fragen der Sexualaufklärung an Schulen, der Propagierung von Geschlechtsumwandlungstherapien für Minderjährige sowie der Exposition von Minderjährigen gegenüber sexuell eindeutigen Medieninhalten. Die Volksabstimmung erreichte mit einer Wahlbeteiligung von knapp 48% zwar nicht das Quorum von 50% und war daher rechtlich nicht bindend, die Zustimmungsrate von weit über 90% zu den Positionen der Regierung dürfte diese dennoch in ihrem Vorhaben bestärkt haben.

Mit der 15. Verfassungsänderung vom 14. April 2025 wurden die beiden Artikel erneut erweitert und erhielten ihre aktuelle Form. Artikel L, Absatz 1 des Grundgesetzes wurde um den Zusatz ergänzt, dass der Mensch entweder ein Mann oder eine Frau ist. In Artikel XVI, Absatz 1 wurde der Zusatz aufgenommen, dass das Recht des Kindes auf den Schutz und die Fürsorge, die für seine körperliche, geistige und moralische Entwicklung notwendig sind, Vorrang vor allen anderen Grundrechten, mit Ausnahme des Rechts auf Leben, hat. Damit wurde der verfassungsrechtliche Weg zum geplanten Verbot der Budapest-Pride geebnet, welches nur durch eine signifikante Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit erfolgen kann. Ein entsprechendes Gesetz wurde bereits am 18. März 2025 vom Ungarischen Parlament verabschiedet und soll zusammen mit der Verfassungsänderung am 15. April 2025 rechtskräftig angewendet werden.

Bence Bauer ist Leiter und Tristan Csaplár Mitarbeiter des Deutsch-Ungarischen Instituts für europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium.

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