Demokratie
„Das Regierungsoberhaupt hat den Wahlkampf begonnen.“ (Foto: Pressestelle des Ministerpräsidenten/ Vivien Cher Benko)

Die linke Seite: Kommentar zu Viktor Orbáns Essay in der Magyar Nemzet

Orbán galoppiert aus Europa hinaus

"Tusnádfürdő fällt aus, Kötcse auch, Transit ebenfalls. Stattdessen herrscht eine Epidemie … Bleibt also nur das Schreiben, das Essay." So beginnt das Regierungsoberhaupt seinen richtungsweisenden Aufsatz in der Montagsausgabe der Tageszeitung Magyar Nemzet. Weil es sich nicht vermeiden ließ, haben auch wir ihn gelesen.

Das Regierungsoberhaupt hat den Wahlkampf begonnen. Punkt. Uns liegt nur eine Frage schwer im Magen: Warum sieht er nicht endlich ein, dass er zum politischen Philosophen nicht taugt? (…)

Immer das gleiche Lied

Das Lied bleibt immer das gleiche: konservative, quasi christlich-demokratische, nationale Gedanken verpackt in illiberale Attribute, der Kampf um Souveränität und intellektuelle Freiheit.

Der Feind ist – auch nach zehn Jahren der Regierung – noch immer dasselbe alte Phantom, „die lachhaft-liberale Doktrin, deren Demokratieauffassung und der Pranger der europäischen und westlichen Interpretation.” (…) Er begehrt gegen den dahinsiechenden Westen auf, „dessen Magen sich vom Lob des Nationalismus zusammenkrampft”.

Hier teilt sich die Welt des Autors in zwei Teile: liberale intellektuelle Unterdrückung und nationale Rebellion, die erkannte, dass der König des Liberalismus nackt ist. Denn wie er sagt: „Demokratie muss nicht unbedingt liberal sein. Diejenigen, die argumentieren, dass Gewaltenteilung, bürgerliche und politische Freiheiten, der Schutz des Privateigentums und eine zur Rechenschaft gezogene Regierung, sprich die Rechtsstaatlichkeit, nur im geistigen Rahmen des Liberalismus gedacht und nur mit den Mitteln der liberalen Demokratie verwirklicht werden können, irren sich.“

Wir irren aber nicht. Zehn Jahre Orbán-Regierung haben das jedenfalls nicht bewiesen.

Abschaffung der Demokratie

Was wir sehen, ist die Übermacht der Regierung, die Abschaffung der Demokratie, der Aufbau einer in den Nationalismus abdriftenden autoritären politisch-wirtschaftlichen Macht. Wir sehen, dass die 1989 durch den „moralischen Imperialismus“ des Westens befreite Republik in den Händen einer Generation ehemaliger Liberaler zu einem autokratischen System wurde.

„Was wir sehen, ist die Übermacht der Regierung, die Abschaffung der Demokratie, der Aufbau einer in den Nationalismus abdriftenden autoritären politisch-wirtschaftlichen Macht.“

Der Gedanke einer ungarischen „konstitutionellen Vorherrschaft“ hat sich in seinem Hirn eingenistet. Dadurch fühlt er sich dazu prädestiniert, die Länder des Karpatenbeckens zu führen. Vorzugsweise ohne das liberale Brüssel und das Europäische Parlament. Eher gegen sie.

Hier prallen also zwei Welten aufeinander. Das als christlich-demokratisch getarnte geistige System Orbáns und das – seiner Meinung nach – liberale Weltbild.  Dieses habe dazu geführt, dass der Westen seine Anziehungskraft in den Augen der mitteleuropäischen Länder verloren hat.

Angst vor der „verwursteten“ Opposition

„Auf der Oppositionsseite ist bereits jeder von der Jobbik bis zur LMP durch den Fleischwolf gedreht und verwurstet worden“, sagt Orban. Allerdings scheint er vor dieser „Wurst“ immer noch Angst zu haben. Immerhin hat sie doch die Munition für seine politische Taktik geliefert.

„Es ist an der Zeit, sich bereit zu machen, damit wir im richtigen Moment von dannen reiten können.“

Wir verstehen alles, was es da zu verstehen gibt. Aber wenn wir akzeptieren, was das Regierungsoberhaupt denkt und wir tatsächlich die Aufklärung und die seitdem vergangenen Jahrhunderte, die aus der jüdisch-christlichen Kultur erwachsene Art des politischen Denkens und deren Umsetzung sowie die parlamentarische Demokratie ablehnen, was zum Teufel suchen wir dann noch in der Europäischen Gemeinschaft? Und umgekehrt: Warum toleriert die EU das? Orbán galoppiert aus Europa hinaus. Auf seinem Weg wirbelt er dabei so einigen Staub auf.

Aus dem Ungarischen von EKG.

Dieser geringfügig verkürzt wiedergegebene Kommentar erschien am 21. September in der Onlineausgabe der linken Tageszeitung Népszava.

3 Antworten auf “Orbán galoppiert aus Europa hinaus

  1. Also. Ein Bündnis mit Gyurcsany, der die Menschen Tag und Nacht belogen hat, das Land auf denn Abgrund führte ist verwerflich. Genau so verwerflich, wenn dieser Bündnis vom Jobbik bis Momentum hinter einem Mann steht, der Juden und Zigainer pauschal verunglimpft. Wenn in Deutschland die Christdemokraten mit Merkel alles! Christdemokratkroatisches aus ihrem Programm gestrichen hatten, bedeutet noch lange nicht, dass Christdemokraten überall versagt haben, im Gegenteil. Deutschland wurde aufgebaut von CDU und CSU. Die Linksliberalen und Linke bauen das Land zurück und schränken Freiheit und Marktwirtschaft ein.

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  2. Staatswirtschaft ist in westlichen Regierungsmolochen schon längst angekommen. Paternalistischer Staat auch. Corona hilft. Liberal fühlt sich nur die ungeteilte Begeisterung für Multi-Kulti an – die Bevölkerung spricht aber immer häufiger von Parallelgesellschaften.

    Vorwürfe gegen Orbán, die kurz nach dem Ableben der Gyurcsány-Ära gegen Orbán erhoben wurden, er würde die ungarische National-Bank an die politische Leine legen, lassen heute schmunzeln, wenn man bedenkt, dass die EZB in Frankfurt Rettungspolitik für mediterrane Staaten betreibt und vieles andere unternimmt, was in einen neuen, modernen Sozialismus führt, der auf Schuldgeld basiert. Liberal ist Europa wahrlich nicht. Andere Meinungen samt Fakten werden unterdrückt. Damit es passt, hat man das Wort “linksliberal” vor vielen Jahren erfunden, denn freiheitlich sind sie nur gegenüber ihren eigenen Bestrebungen, nicht liberal.

    Eine Opposition, die von einem primitiven Zombie geführt wird, der schon mal das Land gegen die Wand gefahren hatte (“wir haben es verfickt” O-ton Ferenc Gyurcsány 2006), ist nur zu bemitleiden. Ich denke, dass vielen jungen Wählern in Ungarn nicht bewusst ist, mit welchen Widersprüchen und Dummheiten die vereinigte Opposition von Jobbik über LMP bis Gyurcsánys DK leben muss. Bevor sich da nichts Intelligentes findet, ist keine Alternative zu Viktor in Sicht. Die westlichen Medien unterdrücken in ihrer hohlen Berichterstattung Fakten und blasen zum Kampf gegen Orbán. Worte wie “Soros” oder “Gyurcsány” sind im Westen in deutschen Staatsmedien unbedingt zu vermeiden, um nicht aussortiert zu werden. So sieht die illiberale Demokratie in der BRD aus.

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  3. Diese Kampagne gegen Ungarn und Polen ist nicht mehr mit Wettbewerb der Ideen zu erklären. Ich habe das Gefühl, dass – hauptsächlich die Opposition Parteien- darüber nachdenken, WIE NOCH immer mehr die Regierungsparteien und persönlich Herrn Orban in seiner Würde verletzten können. Würde steht jedem zu. Und Politiker haben das Pflicht ihre Heimat zu dienen. Nicht NGOs und nicht -ISMEN. Die Journalisten, wenn sie nicht Meinungsartikel schreiben dürfen NICHT! Partei ergreifen.
    Verbale Abrüstung wäre von Nöten.

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6. Dezember 2024 15:25 Uhr