Die linke Seite: Kommentar zum Schulstart
Das Covid-19-Schuljahr: Womit können die Schulen rechnen?
Mitte März wurden die Schulen – absolut zu Recht – geschlossen, gleichzeitig überließ man sie im Grunde genommen sich selbst. Jede Schule, jeder Lehrer, sie alle fielen von einem Moment auf den anderen kopfüber in die Welt des Online-Unterrichts. Nicht etwa wegen der plötzlichen Selbstständigkeit, sondern wegen fehlender Unterstützung seitens der Regierung und der Ämter. Jeder sollte es einfach so gut machen, wie er oder sie es kann. Wenn der Lehrer den Schülern nur Aufgabenblätter und Abgabefristen schickte, weil ihm keine anderen Mittel zur Verfügung stehen (wofür er nicht unbedingt selbst etwas kann), war das auch in Ordnung.
Scheinwelt von Mitte März bis Mitte Juni
Wir können nur rätseln, ob politische Interessen, Zynismus, fehlende Vorbereitung, interne Kämpfe auf Ministerebene oder auch die bewusst praktizierte Manipulation der Gesellschaft die Motive für die dreimonatige Vertuschung der tatsächlichen Bildungsbedingungen waren. Was wir aber wissen, ist: Lehrbücher und pädagogische Richtlinien für die Umsetzung der Pflichtlehrpläne, die offiziell im zentralisierten System und für den Online-Unterricht verwendet werden können, sind bis heute nicht verfügbar. Und leider hat das bereits reale Konsequenzen: Beispielsweise sind in Grund- und Mittelschulen landesweit neue Segregationsgebiete entstanden. (…)
Seit Monaten beteuert die Regierung in kurzen Kernsätzen die Funktionsfähigkeit des Online-Unterrichts. Derweil strickte sie an einer anderen großen Geschichte: den neuen nationalen Rahmenlehrplänen. Die Schulen sollten die Lehrer dazu anhalten – zunächst bis April, später bis Mai –, lokale Lehrpläne auszuarbeiten und diese bei ihren Vorgesetzten einzureichen. Sie sollten Stunden auf Basis des Rahmenlehrplans planen. All dies ohne Kenntnis der neuen Lehrbücher oder der relevanten Änderungen.
Die Lehrer und die Schulen lieferten.
Die Schande liegt nicht in der Mehrarbeit oder der Anpassung an den für mehrere Fächer fürchterlichen Rahmenlehrplan – auf lange Sicht ist jedoch auch das problematisch –, sondern darin, dass die Regierung uns eine Scheinwelt vorgaukeln will, in der alles in den vorgegebenen Bahnen läuft und es keiner weiteren Fragen bedarf. (…)
Keine Antworten, nur Fristen
Es ist skandalös, dass wir zwei Wochen vor Beginn des Schuljahres 2020/2021 auf noch unveröffentlichte Maßnahmen und Richtlinien warten müssen. Wie wird es weitergehen? Bisher gibt es diesbezüglich zwei Andeutungen: Zum einen ist ein mehrseitiges, detailliertes Protokoll in Arbeit, zum anderen gibt es eine Äußerung des nationalen Pädagogenstabes zur Möglichkeit eines „Hybridunterrichts” und dazu, dass die Grundschüler so lange wie möglich in die Schule gehen sollten.
Nicht erwähnt wird die Tatsache, dass die Schulen bereits die Stundenpläne für Schüler und Lehrer für den Fall voller Klassenstärken sowie getrennter Gruppen erstellen mussten. Dabei stellte sich heraus, dass die Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden können. Es ist, als würden wir das Jahr 2017 schreiben. Da können wir auch gleich wieder von vorn beginnen.
Da wäre nur eine Kleinigkeit: Wie sollen zukünftig Fakultäts- und Arbeitsgemeinschaftstreffen abgehalten werden? Wie soll man die gesamte Verwaltung neu starten? Und was ist mit den Prüfungen? Es gibt keine Antworten, nur Fristen.
Den Direktoren beziehungsweise Institutsleitern mehr Freiheiten zu geben, bedeutet nicht, ihnen einfach die Probleme und die Verantwortung zuzuschieben, ohne die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Wenn beispielsweise kein „heißer Draht“ für sofortige Maßnahmen vorgesehen ist, dann muss langwierig mit den Beamten des Lehrbezirks verhandelt werden. Die antworten „wer weiß wann”. Währenddessen werden Papierberge für Genehmigungen produziert. All das in Situationen, die keinen Aufschub dulden.
Das Minimum wäre die automatische Bereitstellung der Finanz- und Sachmittel zur Schaffung der grundlegenden Voraussetzungen für ein sicheres Umfeld, egal, wie viele Schüler gerade physisch zum Unterricht erscheinen.
Eingespartes Geld könnte jetzt fließen
Da seit Mitte März 2020 Betriebskosten (wie Heizung, Beleuchtung, Reinigung und ein Großteil der Schulspeisung usw.) durch Schulschließungen praktisch weggefallen sind oder auf ein Minimum reduziert wurden, werden die Kosten für Masken, Desinfektion und zusätzliche Reinigung teilweise durch Budgeteinsparungen gedeckt. Ganz zu schweigen von den Milliarden, die aufgrund des Ausbleibens der als Sprachlernkurse bezeichneten Auslandsreisen in der Staatskasse geblieben sind.
Mit gesundem Menschenverstand können die jetzt anfallenden Mehrausgaben also nicht in Frage gestellt werden. Es wäre eigentlich eine Mindestvoraussetzung, dass die Schulen in Abhängigkeit von Größe und Schülerzahl für dieses Schuljahr Finanzmittel in Millionenhöhe zur Verfügung gestellt bekommen, die sie unmittelbar, ohne vorherige Abstimmung und mit nachträglicher Abrechnung aufbrauchen können.
Schreibtische dicht an dicht
Und was ist mit den Lehrern? Im oftmals einzigen Lehrerzimmer stehen die Schreibtische meist dicht an dicht. Selbst wenn es Fachlehrerzimmer gibt, sieht die Situation dort ähnlich aus. Dies trifft gleichermaßen auf die Lehrerzimmer von Schulen mit 20 ebenso wie auf solche mit 60 bis 80 Lehrern zu. Abstand halten ist hier unmöglich. Im Lehrerzimmer gibt es meist nur einen einzigen Kopierer und die oft selbst angefertigten Unterrichtsmaterialien, die ebenfalls da gelagert werden, werden gemeinsam genutzt. Ebenso der Computer, an dem die täglich anfallende Online-Administration erledigt wird. Hier wechseln sich die Lehrer ab.
Wer soll da in den zehnminütigen Pausen die wenigen Waschräume, die Arbeitsmittel in den Klassenräumen, die Tafeln und noch einiges mehr desinfizieren? Der Mangel an Reinigungskräften ist in jeder Schule ein Problem. Eine einfache Grippewelle fegt binnen weniger Tage über Schüler oder das Lehrerzimmer hinweg. Meist erwischt es gleich die ganze Klasse- oder zumindest den ganzen Freundeskreis.
Zurück zum Frontalunterricht
Darüber hinaus ist es falsch zu glauben, dass irgendeine Art von echter Gruppenarbeit möglich ist, wenn der Lehrer von den Kindern und die Kinder voneinander Abstand halten müssen. Im besten Fall bleibt es beim gewohnten Frontalunterricht. Wenn der Lehrer dazu fähig ist, beantwortet er Zwischenfragen der Schüler oder stellt selbst sinnvolle Fragen in den Raum und unterbricht damit seinen eigenen Erzählfluss. Da können selbst Online-Systeme mehr.
Sicher, diese müssten erst gekauft werden. Wir haben Beispiele in der Welt gesehen, wo der Lehrer allein in einem Raum sitzt, die Schüler in Kleingruppen, mit entsprechendem Abstand zueinander auf mehrere Klassenräume verteilt sind und der Unterricht mit einer entsprechenden Software abläuft. Diese erlaubt es, die gesamte Klasse anzuzeigen, ermöglicht aber auch selbstständige und neu gemischte Gruppenarbeit. (…)
Natürlich gibt es auch negative Beispiele aus dem Ausland: In einer der wiedereröffneten Schulen im US-Bundesstaat Arizona hat sich ein Sechstel der Lehrer innerhalb weniger Tage mit dem Virus infiziert. Die Schule musste erneut geschlossen werden. (…)
Es ist vorhersehbar, mehr noch, eindeutig, dass es nicht möglich ist, im nun anstehenden Schuljahr verantwortungsbewusst auf dem gewohnten Wege zu unterrichten. Es wird sich auch nicht durchsetzen lassen.
Aber was wird dann? Wo wird die Arbeit geleistet, um mit der besonderen Situation umzugehen? Wo sind die Verantwortlichen in diesem zentralisierten System?
Aus dem Ungarischen von Elisabeth Katalin Grabow.
Der hier gekürzt wiedergegebene Kommentar erschien am 16. August in der Online-Ausgabe des linksliberalen Wochenmagazins Magyar Narancs.