Die linke Seite: Kommentar zum aktuellen Coronakrisen-Management
Für die Regierung zählt der politische Nutzen, nicht die Sicherheit der Menschen
Zuletzt wurden am 10. April vergleichbar hohe Zahlen vermeldet, als 210 neue Infektionen registriert wurden. Dabei ist zu bedenken, dass der damalige Rekord durch einen lokalen Ausbruch im Pflegeheim in der Pesti út verursacht wurde. Dieser war zu dieser Zeit ein wichtiges Element in der Regierungskampagne gegen den Budapester OB Gergely Karácsony und seine Stadtverwaltung. Es ist auch bemerkenswert, dass es damals Ausgangsbeschränkungen und viele andere Seuchenschutzmaßnahmen gab, die jetzt, wo die Corona-Situation in Ungarn am schlimmsten ist, von der Regierung nicht einmal in Betracht gezogen werden.
Die Eigenverantwortung der Bürger
Stattdessen betonen Regierungsmitglieder nun ständig die Eigenverantwortung der Bürger und wie wichtig es ist, den „Import“ neuer Infektionen aus dem Ausland zu verhindern. Mit Blick auf den Beginn des Schuljahres machen sowohl HR-Minister Miklós Kásler als auch die Regierungswebseite koronavirus.gov.hu auf die Rolle der Eltern und Lehrer aufmerksam (…), laut Cecília Müller, Leiterin des nationalen Zentrums für Volksgesundheit, tragen wir alle nun mehr denn je eine „persönliche Verantwortung im Kampf gegen die Epidemie“. „Grundlegende Hygienevorschriften“ müssten dabei auch weiterhin eingehalten werden.
Aber der vielleicht beste offizielle Rat, der auf der Informationsseite der Regierung zu finden ist, lautet: „Wir bitten junge Leute, die gemeinsam Spaß haben, nicht aus derselben Flasche zu trinken.“ Okay, gut, ich bin mir sicher, dass sich die Epidemie jetzt nicht mehr so schnell ausbreiten wird!
Regierung missachtet eigene Ratschläge
Das vielleicht verwerflichste an der Betonung der persönlichen Verantwortung ist, dass ausgerechnet die Urheber dieser Ratschläge ihre Empfehlungen auf spektakuläre Weise missachten: Die Regierungsmitglieder, deren „kleine Gartenparty“ sich als Veranstaltung mit mehr als hundert Personen herausstellt, der Staatssekretär, der Urlaub in der Türkei macht, der Minister, der im Urlaub (sorry, bei der Arbeit) an der Adria ist, und der sich angeblich in Kroatien ausruhende Ministerpräsident – sie alle schlagen die von ihnen selbst proklamierten Vorsichtsmaßnahmen in den Wind. Und dann ist da noch Cecília Müller selbst. Sie nahm am 18. August in einem geschlossenen Raum, ohne Maske und, wie die Bilder bezeugen, begleitet von intensivem Händeschütteln den Szent-István-Preis für ihre Arbeit im Bereich der Volksgesundheit entgegen. Wie sieht es hier mit den grundlegenden Hygienevorschriften aus?
Die einzige konkrete Schutzmaßnahme, welche die Regierung ergriffen hat, war die Grenzschließung zum 1. September. Virologen hatten zuvor die Einschleppung von Infektionen als größte Bedrohung eingestuft. Auch in diesem Zusammenhang gibt es einige Fragen.
Fragen rund um die Grenzschließung
Wenn eingeschleppte Infektionen im Moment wirklich die größte Gefahr darstellen, warum interessieren sich die zuständigen Behörden dann nicht dafür, wenn nachweislich infizierte Urlauber nach Ungarn heimkehren? Warum macht es die Regierung noch schwieriger, aus dem Ausland „eingeschleppte“ Fälle ausfindig zu machen, indem sie Heimkehrern seit September keine kostenlosen Tests mehr zur Verfügung stellt? Und warum ist es okay, dass Personen, die für Sportereignisse einreisen, unter eine Sonderregelung fallen?
Laut János Szlávik, Chefarzt der Abteilung für Infektionskrankheiten des Zentralkrankenhauses von Südpest, hat sich die Mehrheit der Neuinfizierten in Ungarn das Coronavirus auf einer Party, Hochzeit oder bei einem sonstigen Event in geschlossenen Räumen eingefangen – allein diese Aussage stellt die Gültigkeit der Tatsache in Frage, dass derzeit aus dem Ausland importierte Fälle die größte Gefahr darstellen.
Das Schließen der Grenze allein wird also sicherlich nicht ausreichen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Personen zu verantwortungsbewusstem Verhalten aufzurufen, ist geradezu lächerlich, solange Restaurants, Spas, Theater und Kinos geöffnet bleiben, nicht beschränkt wird, wie viele Personen sich gleichzeitig in Geschäften aufhalten können und es keine Überprüfung der Maskenpflicht gibt.
Warum sollten die Leute diesen Empfehlungen folgen, wenn selbst diejenigen, die sie darum bitten, dies nicht selbst tun?
Geänderte Rahmenbedingungen
Ich sage nicht, dass die gleichen restriktiven Maßnahmen wie im März eingeführt werden sollten. Einerseits ist es möglich, insbesondere unter Beachtung der Fallzahlen vom Frühling, dass bereits weniger strenge Maßnahmen ausreichen könnten, andererseits haben sich seitdem bestimmte Faktoren geändert. Die beiden wichtigsten sind, dass jetzt weniger Menschen an der Infektion sterben (laut Cecília Müller hat dies wahrscheinlich damit zu tun, dass das Virus unter jungen Menschen am weitesten verbreitet ist) und immer mehr Tests durchgeführt werden, was teilweise zum Anstieg der Fallzahlen beitragen kann.
Die Einführung ähnlicher Beschränkungen wie im Frühjahr ist zudem nur dann zu unterstützen, wenn die Regierung bereit ist, echte, wirksame – und nicht einmalige – soziale Unterstützungen in Erwägung zu ziehen. Ohne diese müssen viele Restaurants und Kulturinstitutionen die Schotten dichtmachen, ganz zu schweigen davon, dass die Arbeitslosenzahlen steigen, Eltern und Lehrer unter der Last des Fernunterrichts zusammenzubrechen drohen und Familien von ihren letzten Reserven zehren.
Aber seien wir ehrlich: Die Umstände rechtfertigen einfach nicht den Haltungswandel der Regierung bei ihrem Coronakrisen-Management.
Was sich am Coronakrisen-Management seit März geändert hat
Ein wichtiger Faktor könnte sein, dass die Leistung der ungarischen Wirtschaft im zweiten Quartal stärker als erwartet zurückgegangen ist. Im Vergleich zum Vorquartal ging das Bruttoinlandsprodukt um 14,5 Prozent zurück. Sowohl der Jahres- als auch der Quartalsindex sind auf einem historischen Tief (…). Darüber hinaus ist auch das Haushaltsdefizit auf ein beispielloses Niveau angewachsen.
Orbán und die Seinen sind offensichtlich nicht dazu bereit, durch einen weiteren Shutdown die Verschlimmerung dieser Situation zu riskieren. Wahrscheinlich würde es den größten Verbündeten und Nutznießern der Regierung, den Großunternehmen, nicht zugute kommen, die Situation aus dem Frühjahr zu wiederholen. Obwohl – und das lohnt sich, an dieser Stelle zu erwähnen – die Regierung auch während der Zeit der Beschränkungen besonders auf das Überleben der Multis geachtet hat.
Die andere mögliche Erklärung kann in der veränderten Haltung der Gesellschaft gefunden werden: Während die Magyar Nemzet noch am 14. März darüber schrieb, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen Sofortmaßnahmen unterstützt (laut dem Blatt waren es zwischen 85 und 95 Prozent), ist dies heute keineswegs mehr der Fall. Laut dem Virologen Ferenc Jakab wächst auch in Ungarn das Lager der Virusleugner. Immer mehr Menschen halten die Vorsichtsmaßnahmen für unnötig. Dass es bisher nur wenige Kranke gab, erklären sie nicht mit dem verantwortungsvollen Verhalten der Gesellschaft, sondern mit der Tatsache, dass es gar keine Epidemie gäbe. International wird dieser Trend immer stärker. Denken Sie nur an die Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern in Berlin und London.
Weder wirtschaftlich noch politisch lohnenswert
Kurz gesagt, die Einführung ernsthafterer Schutzmaßnahmen als die Schließung der Grenzen wäre für die Regierung weder wirtschaftlich noch politisch lohnenswert.
Und obwohl es aus den oben genannten Gründen vorerst nicht machbar erscheint, erneut einen Ausnahmezustand wie im Frühjahr zu verhängen – wenn die Regierung wirklich an der Gesundheit und Sicherheit ihrer Bürger interessiert wäre, so könnte sie vermutlich mehr tun.
Wir werden sehen, ob sich die Einstellung unserer gewählten Führer ändern wird, wenn die Ausbreitung der Epidemie in den nächsten Wochen und Monaten dem Trend der letzten Tage folgt. Vielleicht haben sie aber auch insgeheim bereits beschlossen, den Verlust von „Humanressourcen“ in Kauf zu nehmen.
Aus dem Ungarischen von EKG.
Der hier leicht gekürzt wiedergegebene Kommentar erschien am 31. August auf dem linksliberalen Nachrichtenportal merce.hu.
“…..Denken Sie nur an die Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern in Berlin und London.”
In Berlin waren es mehrere Hunderttausend! Fakenews gehören zum Werkzeug der Regierenden und ihrer Medien – überall. Der CDU-Politiker Arnold Vaatz hat dies als einziger seiner Partei öffentlich festgestellt und wurde dafür abgestraft. Marcus Lanz (ZDF) hat sich auch was getraut.