Rezension: „Im Schatten Homers“ von Stefan Haderer
Sisi zwischen Freiheitskampf und Poesie
Unter den Publikationen sticht „Im Schatten Homers. Kaiserin Elisabeth in Griechenland“ von Stefan Haderer besonders hervor.
Anhand vieler unbekannter Quellen, die von den Biografen Egon Caesar Conte Corti und Brigitte Hamann ignoriert oder kaum beachtet wurden, führt der Kulturanthropologe den Lesern eine andere Sisi vor Augen. Befreit von jeder Ideologie – ob Vergötterung oder Verteufelung, Kitschklischee oder Emanzipationsidol – nähert er sich Elisabeth auf eine sehr nüchterne und dennoch spannende Weise. Zum Vorschein kommt eine hochinteressante geistvolle Persönlichkeit, die nicht weniger interessante Zeitgenossen um sich scharte. Eine Königin der Seele, die in ihren Gedichten und dank der Erinnerungen ihrer Wegbegleiter noch heute fasziniert.

Einem literarischen Genre ist „Im Schatten Homers“ nicht wirklich zuzuordnen. Der Autor bezeichnet sein Buch als eine Mischung aus Biografie, Reisebericht, Poesie- und Bilderalbum. In acht Kapiteln auf insgesamt 253 Seiten folgen die Leser der Königin auf ihren Wanderungen in jenes Land, das sie nach Deutschland und Ungarn am häufigsten besuchte. Die Geschichte beginnt mit einem Kurzüberblick zur politischen Situation im Griechenland des 19. Jahrhunderts.
Unverkennbar sind dabei gewisse Parallelen zwischen Magyaren und Hellenen, die ebenso um ihre Selbstbestimmung kämpften. Aus ihrer Sympathie für die Freiheitskämpfer Napoleon und Kapodistrias, der gegen die Osmanen rebellierte, hat die Königin nie ein Geheimnis gemacht. Selbst ihrer Anbetung des homerischen Helden Achill, dem Elisabeth in ihren Gedichten huldigte und ihr Achilleion weihte, war ein starker Ausdruck ihrer Freiheitsliebe.
Flucht auf die Insel Korfu
Ausgangspunkt der Erzählung ist Sisis rätselhafte Erkrankung 1860. Auf Anraten der Ärzte verlässt sie ihren Mann Franz Joseph und fährt nach Madeira und Korfu. Der Hofstaat rechnet gar nicht mehr mit ihrer Genesung, doch sie erholt sich erstaunlich rasch. In informativen Korrespondenzen und Berichten erfahren die Leser, wie sich die junge Kaiserin die Zeit auf der Insel vertreibt, die sie später – zumindest für ein paar Jahre – zu ihrem Exil machen wird. Sisi ist schon Königin von Ungarn, als sie allein nach Athen fährt. Ihre Lieblingsjacht „Miramar“ wird jetzt ihr neues „schwimmendes Zuhause“, denn sie übernachtet auf ihren Schiffsreisen fast nur an Bord.
„Im Schatten Homers. Kaiserin Elisabeth in Griechenland“ von Stefan Haderer
NeoPubli, 253 Seiten mit Illustrationen in Farbe
Preis: 25,90 €
Bestellbar über den Verlag, auf Amazon sowie direkt in Wien bei Freytag & Berndt.
In den folgenden Kapiteln begleiten die Leser Sisi auf mehreren Stationen ihrer Odyssee: Die Ionischen Inseln, die Ägäis, die Türkei, Ägypten, die Peloponnes, das griechische Hinterland und ihr Palast Achilleion sind die Schauplätze, die sie bis kurz vor ihrer Ermordung oft mehrmals aufsuchte. Einen lebendigen Eindruck von diesen Orten vermitteln historische und gegenwärtige Fotografien und Illustrationen – und natürlich Sisis berührende Verse. Mit Genehmigung des Schweizer Bundesarchivs hat sie der Autor passend zum Inhalt jedem Kapitel hinzugefügt.
Sehr ausführlich rekonstruiert Haderer auch die Entstehung des Achilleions: von der Entdeckung der verfallenen Villa bis zu ihrem Umbau in ein weißes Märchenschloss, welches Sisi als Rückzugsort vor Gott und der Welt dient. Millionen hat der Palast mit seinen über 30 Gemächern, dem Park mit den Skulpturen, einem Badehaus und einer Olivenpresse gekostet. Heute ist das Achilleion die Hauptattraktion von Korfu.
Die engsten Vertrauten der Königin
Eine absolute Neuheit sind aber die Lebensläufe der zehn griechischen Vorleser, die der Autor aufrollt und im letzten Kapitel seines Buches näher beschreibt. Die überwiegend jugendlichen Sprachlehrer waren die engsten Vertrauten der Königin. Sie unterrichteten sie, wie es einst János Majláth und Max Falk auf Ungarisch getan haben.
Dank seiner Griechisch-Kenntnisse hatte Stefan Haderer Zugang zu den Tagebuchnotizen, den griechischen Archiven und Zeitungen, aus denen er regelmäßig zitiert. Elisabeth-Kennern ist vielleicht Konstantin Christomanos ein Begriff. Der bucklige Dramatiker wurde durch Zufall zu ihrem Vorleser ernannt und kurz nach Sisis Tod vom Wiener Hof verschmäht, weil er seine „Tagebuchblätter“ veröffentlichte. In diesem literarischen Werk enthüllte er der Nachwelt eine hochgeistige und weltflüchtige Philosophin. Das Kaiserhaus war empört und verbot den zweiten Teil dieser intimen Aufzeichnungen. Nur Fragmente daraus blieben erhalten. Sie sind nun im Anhang von „Im Schatten Homers“ zum ersten Mal abgedruckt.
Wer aber sind Elisabeths andere Sprachlehrer? Der Autor stellt uns Roussos Roussopoulos vor. Wie fast alle Vertrauten ist er von der melancholischen Monarchin überaus angetan. Ihm verdanken wir sehr unterhaltsame Anekdoten aus dem Leben der Königin. Sisi legt schließlich den Grundstein für seinen beruflichen Werdegang, denn Roussopoulos erhält einen Lehrstuhl für Griechisch an der Budapester Ost-Akademie und wird Honorarkonsul in Ungarn.
Nicht weniger spannend verlaufen die Schicksale der restlichen Vorleser: Einer wird Diplomat, ein anderer Widerstandskämpfer auf Kreta. Auch zwei begnadete Sportler sind mit dabei. Mit Marinos Marinaky tauscht sich die sportliche Elisabeth zum Beispiel über die Olympischen Spiele aus, die 1896 in Athen ausgetragen werden. Wenige Jahrzehnte später begründet dieser den Vorläuferverein des griechischen Fußballclubs Panathinaikos. Der esoterisch veranlagte Frederic Barker folgt seiner Herrin wiederum bis nach Genf, wo Elisabeth am 10. September 1898 vom Anarchisten Luigi Lucheni ermordet wird.

„Im Schatten Homers“ spricht nicht nur die große Community von Sisi-Fans an. Das sehr ästhetisch gestaltete Buch ist auch eine wertvolle Lektüre für Historiker, Kunsthistoriker, Griechenland-Liebhaber sowie für all jene, die dem Geheimnis einer Legende auf die Spur kommen möchten.